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Fred Beyer, 3. Juli 1943, Gebiet Donez

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Obwohl Friedrich den "Panther" immer wie ein rohes Ei behandelt hatte, waren bei dem Fahrzeug Teile des rechten Seitenvorgeleges einfach zerplatzt. Vermutlich handelte es sich um eine minderwertige Gussarbeit. Alles war von außen natürlich nicht genau zu erkennen gewesen, aber die Männer der Instandhaltungskompanie hatten bloß abgewinkt: das würde nur beim Hersteller zu reparieren sein. Allein drei 18-Tonnen-Zugkraftmaschinen waren erforderlich gewesen, den defekten Panzer bis zum nächsten Bahnhof zu schleppen. Erfahrungsgemäß würde es seine Zeit brauchen, bis ein Transport mit dem erforderlichen Spezialwaggons bereitstehen würde. Bei allen fünf Männern der Besatzung war aber jetzt eine Stimmung vorhanden die klar sagte: auch wir benötigen dringend eine Kampfpause. Zu ihrem Glück waren auch die Sowjets von den Gefechten erschöpft und nicht aktiv. Der Panzer war zur Tarnung in eine Scheune geschleppt worden, und dort campieren die Männer auch.

"Was will man denn mehr" hatte Bergner gesagt "duftendes Heu, schönes Wetter, der Küchenbulle fast gleich um die Ecke, das ist ja wie in der Sommerfrische. Sogar ein richtiges Scheißhaus haben wir auf dem Hof. Keiner gibt mir was per Funk auf die Ohren, wir sind erst mal abgemeldet, sozusagen verschwunden. Und dann geht es auch noch nach Hause. Mal n paar Tage den Eltern auf der Tasche liegen und verwöhnt werden. Ausschlafen, Baden, richtig gut essen."

"Da bringst du was durcheinander" hatte Beyer erwidert "unser Befehl lautet, den Panzer mit dem Transport zu MAN in Nürnberg zu begleiten und dort auf die Reparatur zu warten. Von Urlaub ist keine Rede gewesen."

"Wie bitte" war Lahmann hochgefahren "und wenn die dann zwei Wochen reparieren müssen? Ich kenne Nürnberg nicht, vielleicht ist dort nichts los."

"Wärste eben was Richtiges gewordn" hatte Anton Häber trocken geantwortet "irgendwas in dr Führung. Dann könntste in Paris jeden Abend in Puff gehn. Oder Wein trinken, oder fein essn. Bist zwar n Spezi im Schiessn, aber eben nich Graf Koks vom Gaswerk."

"Sag mal Fred" hatte Friedrich gefragt "gibt's denn keine Möglichkeit für n Urlaub?"

"Weiß ich nicht. Es gibt im Moment n ziemliches Durcheinander hier, aber ich geh morgen früh mal zur Schreibstube und peile die Lage. Vielleicht lässt sich was machen. Versprechen kann ich natürlich nichts."

Der Unteroffizier in der Schreibstube war ein zugänglicher Mann und schickte ein Telegramm von Beyer an den Stab von dessen Einheit. Fred Beyer hatte für sich und die Männer seiner Besatzung darum gebeten, den Transport des Panzers zur Reparatur nicht bis Nürnberg begleiten zu müssen, sondern in Leipzig aussteigen zu können und eine Woche Urlaub für alle beantragt. Von Leipzig aus könnten alle fünf ganz günstig nach Hause reisen hatte er noch mitgeteilt. Zu seiner großen Überraschung war schon am Abend eine Antwort des Bataillonskommandeurs da. In Anbetracht ihrer hervorragenden Leistungen und Erfolge bei der Bekämpfung des Gegners würde er Beyers Bitte entsprechen und ihnen 7 Tage Urlaub ab dem Tag des Erreichens von Leipzig gewähren. Ihr Marschbefehl danach wäre auf eine Kaserne in Nürnberg ausgestellt, wo sie auf die Fertigstellung des Fahrzeuges warten sollten. Dann sollten sie schnellstmöglich zur Einheit zurückkehren, es würde jeder Panzer dringend gebraucht werden. Ansonsten sollten sie die wenigen Tage zur Erholung nutzen, sie würden ja schnell genug wieder ins Gefecht ziehen müssen.

„Jetzt muss bloß noch schnell so ein Spezialwaggon kommen, auf den unsere Kiste draufpasst“ hatte Friedrich gesagt „aber ich habe den Eindruck, dass es hier ziemlich durcheinander geht. Ein richtiges System kann ich auf dem Bahnhof nicht erkennen. Mal kommt n Zug mit Landsern, mal sind es leere Güterwaggons, dann wieder Züge mit Waffen in Richtung Front.“

„Du bist eben bloß n einfacher Kutscher, wie man wieder mal sieht“ spottete Lahmann „ja glaubst du denn das lässt sich einfach so aus dem Ärmel schütteln, wie man die Züge auf die Strecken schickt? Mein Onkel ist bei der Reichsbahn. Und zwar nich als Schaffner oder so was Popliges, sondern n richtig hoher Beamter. Der ist Mathematiker und knobelt daran wie man die Fahrpläne aufstellt. Der hat mir mal ein riesen Blatt Papier gezeigt, auf dem nur der Nahverkehr um Stuttgart eingezeichnet war. Und da gehören noch ellenlange Tabellen mit Ankunft, Abfahrt, Halten und was weiß ich noch alles dazu. Bei uns sind die Strecken ja mehrgleisig ausgebaut, hier nich. Da organisiere das mal, was an die Front muss, und was von dort kommt. Oder was an Kohle- oder Erzzügen ins Reich fährt. Oder, oder. Wie viele Granaten können wir stauen? 80. Wie viele passen in eine Transportkiste? 3. Wie viele Liter Treibstoff passen in die Tanks unseres Fahrzeuges? 730. Wir reden hier nur von unserem Panzer. Einem! Da ist dein Kopp sicher zu klein zu erfassen, welche Massen an Gütern hier täglich durchrollen. Also quatsche nicht über Sachen rum, von denen du keine Ahnung hast.“

„Hört doch mal auf jetzt“ sprach Beyer ein Machtwort „uns ist ein kurzer Urlaub genehmigt worden, und dann geht’s nach Nürnberg. Dann werden wir sehen wann der Transport stattfindet. Also kein Grund, jetzt hier verrückt zu spielen. Verstanden?“

Fred Beyer konnte die Gereiztheit der Männer nachvollziehen. Ihm ging es ähnlich, denn nach höchsten nervlichen und körperlichen Belastungen hatten sie jetzt auf einmal nichts zu tun, außer die Zeit totzuschlagen und zu warten. Vor kurzer Zeit noch hatten sie bis zum Äußersten angespannt hinter den Panzerplatten ihres Fahrzeuges gehockt, genau wissend, dass sie jederzeit eine Granate des Gegners erwischen könnte. Fred Beyer als Kommandant war stets darauf bedacht, dem Feind möglichst immer die stark geneigte Bugfront zu zeigen, denn er wusste genau um die Schwachstellen der schwach gepanzerten Seiten und des Hecks des Fahrzeuges. Von vorn war der „Panther“ momentan von keinem russischen Panzer zu bezwingen. Da er mit Lahmann einen ausgezeichneten Richtschützen an Bord hatte war es ihnen auch möglich, den Feuerkampf erfolgreich schon auf große Entfernung zu führen und so außerhalb der Reichweite der der Gegner zu bleiben. Alles in allem waren ihre Überlebenschancen im Gefecht ganz gut, aber die quantitative Überlegenheit der Russen machte ihnen natürlich sehr zu schaffen. In Ermangelung leistungsstarker Kampfwagenkanonen versuchten die T 34 die deutschen Fahrzeuge an den Flanken zu packen und dazu so nah wie möglich an sie heranzukommen. Diese nahezu selbstmörderischen Angriffe ließen die Abschusszahlen der deutschen Panzer nach oben schnellen und bei Kursk hatte sich gezeigt, dass die Russen für ein zerstörtes deutsches Fahrzeug 7 eigene hergeben mussten. Trotzdem war es nur eine Frage der Mathematik, wann die deutschen Einheiten personell und materiell nicht mehr mithalten würden könnten. Dass dieser Tag kommen würde stand für Beyer außer Frage. Er war intelligent genug, den weiteren Verlauf des Krieges vorauszuahnen. Dazu musste er bloß die ihm bekannten wenigen Informationen über die große Lage vernünftig interpretieren und einige Annahmen ins Spiel bringen. Die Ostfront verlief noch in einer einigermaßen geraden Linie von Leningrad im Norden über Smolensk bis Odessa im Süden. Das waren 1.700 Kilometer Frontlänge. Diese würde auf Dauer nicht zu halten sein, denn es wurden bereits jetzt aus dem Osten gut ausgerüstete deutsche Panzerdivisionen in Erwartung alliierter Landungen in Italien und Frankreich dorthin verlegt. Beyer wusste nicht, dass an der Ostfront nur noch 2,6 Millionen deutsche Soldaten standen, und die Verteidigungsbreite für eine Division bei fast 20 Kilometern lag. Aber das war nur die Papierlage, denn die Mannschaftsstärken und die Ausstattung mit Waffen lagen schon weit unterhalb der Sollwerte. Selbst wenn die deutsche Rüstungsindustrie ihren Ausstoß noch deutlich erhöhen würde war es ein Ding der Unmöglichkeit, jemals annähernd die Produktionszahlen der Russen, der Amerikaner und Engländer zu erreichen. Zu dieser ständig zunehmenden materiellen Unterlegenheit kam ein viel größeres Problem: der Ersatz gefallener oder verwundeter Soldaten.

Bei allen Zweifeln am siegreichen Ausgang des Krieges stand für Fred Beyer aber fest, dass sie unbedingt gewinnen mussten. Am Rande hatten er und seine Männer natürlich mitbekommen, wie die Deutschen in Russland gegen Gefangene, die Zivilbevölkerung und die Güter der Menschen vorgegangen waren. Dass abseits vom Kampfgeschehen bereits eine gut geschmierte Maschinerie mit deutscher Gründlichkeit an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung arbeitete konnte er wirklich nicht wissen.

Wäre ihm das bekannt gewesen hätte es ihn zwar nicht übermäßig berührt, aber seine Entschlossenheit, noch härter zu kämpfen, nochmals befeuert.


Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 14

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