Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 13 - Frank Hille - Страница 4
Günther Weber, 27. Juli 1943, bei Snischne
Оглавление„Was soll der Quatsch“ hatte einer der SS-Männer erbost in die Runde der in dem Transportwaggon auf dem Boden sitzenden Männer gefragt „wir kutschen hier bei schönstem Sommerwetter durch halb Russland rum als ob wir im Urlaub wären. Der Unterschied ist bloß der, dass wir seit Tagen hier in dieser stinkenden Kiste sitzen und uns zu Tode langweilen. Ich verstehe nicht, warum man uns fast 800 Kilometer weit in den Süden auf die Reise schickt. Bei Orel dampft die Kacke doch auch gewaltig!“
„Genau das ist der Unterschied zwischen dir und einem Pferd“ erwiderte ein anderer Mann höhnisch „die Größe des Kopfes! Das soll ja was mit dem Denkvermögen zu tun haben. Warum wohl wird man uns dorthin schicken, hä? Weil es in diesem Gebiet vermutlich noch kritischer ist! Wir sind eben n Art Feuerwehrabteilung. Da wo es brennt, sind wir auch. Das solltest du doch als Auszeichnung betrachten, und nicht noch rummeckern. So was, will hier den großen Strategen und Schlachtenplaner spielen.“
„Na ja“ meinte ein anderer „es wirkt schon ein bisschen eigenartig, dass wir so mir nichts dir nichts aus der Nähe von Kursk jetzt in den Süden verlegt werden. Bei Orel macht der Iwan doch auch mächtig Druck und die Stärke unserer Einheiten kennen wir ja selbst am besten. Was denkst du, Hauptsturmführer?“
„Das ist meiner Meinung nach ganz einfach eine Frage der Abwägung und Schwerpunktsetzung der Führung gewesen“ erwiderte Weber ruhig.
„Dort, wo wir hinfahren, liegt das Donezbecken. Was gibt es dort? Kohle in rauen Mengen. Was braucht Deutschland? Rohstoffe. Wer jetzt noch Fragen nach dem Sinn unserer Verlegung hat, dem ist nicht mehr zu helfen.“
Die Männer schwiegen. Als Soldaten der Waffen-SS hatte die ideologische Haltung für sie von Anfang an eine durchaus wichtige Rolle gespielt. Während die Wehrmacht immer noch darauf beharrte, keine politisch gesteuerte Armee zu sein, war das für die SS-Angehörigen aber ein bedeutender Teil ihres Selbstverständnisses. Natürlich war eine ganze Generation der jetzt jungen deutschen Soldaten seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mithilfe einer ständig einwirkenden Propaganda lange auf die Kriegsziele Deutschlands vorbereitet worden. Durch die Vermittlung eines Überlegenheitsgefühls gegenüber anderen Nationen und Rassen war es für viele nicht sehr überraschend gekommen, dass dann der Krieg gegen die als Untermenschen bezeichneten Russen geführt wurde. Die ersten Eindrücke beim Einmarsch in das fremde Land schienen viele der beschriebenen Zustände zu bestätigen. Elende Katen, schlechte Wege, ärmlich gekleidete Menschen, kein Strom und fließendes Wasser in den Dörfern, alles machte auf die in Deutschland deutlich besser lebenden Männer einen desolaten Eindruck. Jetzt sahen sie das selbst und glaubten auch, dass ihnen wohl die Wahrheit über das Leben in Russland vermittelt worden war. Es war kein weiter Schritt mehr bis dahin, die Russen als minderwertig anzusehen, und die Soldaten so schrittweise an die dann immer mehr zunehmende Gewalt auch gegen die Zivilbevölkerung heranzuführen. Zu Beginn des Feldzuges waren es noch vereinzelte Fälle, in denen es zu Übergriffen gekommen war. Nach und nach aber stumpften die Männer durch ihre schrecklichen Erlebnisse immer mehr ab, so dass aufgehängte Partisanen und die Erschießung von verdächtig erscheinenden Personen für sie zum Beiwerk des Krieges gehörten, und sie auch nicht mehr weiter berührten. Dass es um die Beseitigung des kommunistischen Regimes ging war allen ständig klargemacht worden, und als die deutschen Truppen bei ihrem Einmarsch noch freudig von den Einheimischen begrüßt wurden hatten die Männer das Gefühl gehabt, als Befreier der Menschen von diesem Joch willkommen zu sein. Dass es selbst den führenden Ideologen des deutschen Faschismus an ausreichender Phantasie für die unglaublichen Verbrechen des Stalin-Regimes gefehlt hatte tat nichts zur Sache, sie hatten das Ziel der Indoktrination ihres Volkes erreicht. Hinter allem stand aber in der Wahrnehmung der Soldaten und Bürger in Deutschland deutlich schwächer ausgeprägt, obwohl es nicht einmal schamhaft verschwiegen wurde, das enorme Interesse der deutschen Industrie an der Inbesitznahme der unermesslichen Bodenschätze, der riesigen landwirtschaftlichen Nutzflächen und der schier unendlichen Waldgebiete.
Günther Weber hatte das schnell erkannt, aber dahinter auch mit seinem logischen Denken eine langfristige Strategie gesehen, die er nicht ablehnte, sondern sogar für gut und richtig hielt. Russland zu erobern, das rote Regime zu stürzen, und sich die Ressourcen des riesigen Landes zu sichern war das eine Ziel. Wenn er weiterdachte war es aber für die Unternehmen bei weitem nicht damit getan, dann günstiger an die Rohstoffe heranzukommen. Vielmehr ging es darum, sich einen weiteren Absatzmarkt zu erschließen, und der würde mit der Bevölkerung Russlands nach dem Ende des Krieges gewaltige Dimensionen aufweisen. Weber kannte keine genauen Zahlen, aber er schätzte die Zahl der Einwohner Russlands auf mehr als 100 Millionen Menschen. Wenn Deutschland die Rote Armee besiegt, das Land besetzt, und seine Grenze bis weit an den Ural heran verschoben hätte würde es darum gehen, die Russen mit dem Versprechen auf Wohlstand und ein besseres Leben zu korrumpieren, und so ruhig zu halten. So würde man billige Arbeitskräfte und gleichzeitig Konsumenten hinzugewinnen, die in den dann von den deutschen Unternehmen übernommenen und jetzt noch maroden russischen Betrieben arbeiten würden. Der gesamte Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Sicherheit, der Bildung, der Forschung und der Wirtschaft würde dann fest in deutscher Hand sein. Natürlich könnten auch geeignete Einheimische aufsteigen, aber sie würden niemals in die Schlüsselpositionen vordringen können. Dass es Widerstände gegen die Besatzer geben könnte wäre ein zwar zwangsläufiges Ergebnis aus den Umbruchsereignissen, aber damit sollte man mit einem effektiven Sicherheitsapparat und einem schlagkräftigen Militär leicht fertigwerden. Die überwiegende Mehrheit der Russen würde aber nach Webers Empfinden vermutlich froh sein, der roten Diktatur entkommen zu können, und tatsächlich ein besseres, wohl aber fremdbestimmtes Leben in Aussicht zu haben.
Er wusste aber auch, dass das teilweise sehr brutale Vorgehen der deutschen Streitkräfte gegen gefangene Soldaten und auch Zivilisten viele Russen in eine rigorose Abwehrhaltung gegenüber den Deutschen getrieben hatte, und insbesondere in den russischen Truppen keineswegs mehr die Haltung dominierte, sich nicht für das kommunistische Regime opfern zu lassen und sich ohne großen Widerstand zu ergeben. Vielmehr hatten sich die sowjetischen Truppen jetzt so verändert, dass sie zu einem zähen Gegner herangereift waren, der sich mit aller Kraft den Deutschen entgegenstellte. Weber sah es aber selbst in den Gefechten, dass der Feind immer noch erhebliche Defizite in der Koordinierung der Teilstreitkräfte hatte und seine Einheiten schlecht führte. Er konnte nicht wissen, dass Stalin in „Säuberungswellen“ vor dem Krieg fast das gesamte Offizierskorps hatte umbringen lassen, und die Führung überwiegend in die Hände der Politkommissare gelegt hatte, die von militärischen Dingen naturgemäß keine Ahnung hatten. Insgesamt schätzte er die Situation so ein, dass es darum gehen musste, die russischen Streitkräfte so zu dezimieren, dass sie keine Gefahr mehr darstellten und vor allem selbst große Teile des Landes zu besetzen. Auch wenn die russischen Restkräfte weit nach Osten ausweichen würden könnten sie dort nicht mehr auf ausreichend neue Rekruten zurückgreifen, denn die potentiellen Soldaten würden dann im deutschen Herrschaftsgebiet leben. Günther Weber war keineswegs pessimistisch, aber wenn es nicht gelingen sollte die Russen jetzt aufzuhalten, würden für Deutschland eben die lebenswichtigen Rohstoffquellen außer Reichweite geraten und die Rüstungsproduktion ins Stocken geraten. Sie mussten alles tun, um die eroberten Gebiete zu halten.
„Auch der Iwan kann nicht endlos neue Einheiten aufstellen“ sagte er zu den Männern „erinnert euch daran, wie viele Gegner wir besonders in der ersten Zeit des Feldzuges einkassiert oder außer Gefecht gesetzt haben. Davon hat sich der Russe bis heute nicht erholt. Und ihr werdet nicht übersehen haben, dass neue Waffen jetzt in viel größeren Mengen an die Front kommen. Es gibt also keinerlei Grund, Trübsal zu blasen.“
Das SS-Panzergrenadier-Bataillon mit seinen drei Kompanien war auf zwei Züge verteilt worden. Die Schützenpanzerwagen hatte man auf Flachwagen verlastet und verzurrt. Für die Männer waren geschlossene Güterwaggons bereitgestellt worden, und während der Fahrt gab es keinerlei Möglichkeit, diese zu verlassen. Da nicht vorausgesagt werden konnte wann die Züge welche Haltepunkte erreichen würden hatten sich die Männer irgendwie auf den harten Holzböden eingerichtet. Lediglich eine dünne Lage Stroh war ausgebereitet worden, und dort hatten sich die Soldaten auf ihren Zeltplanen hingelegt. Jeder hatte die übliche Marschverpflegung erhalten und eine Art Wasserfass wurde bei den Halten immer wieder aufgefüllt. In einer Ecke der Waggons war ein größeres Loch in den Boden gestemmt worden: die Toilette. Ein Haltegriff an der Wagenwand sollte ein Wegrutschen verhindern, wenn der Zug über schlechte Strecken fuhr. Die Transporte hatten jetzt noch knapp 300 Kilometer Strecke vor sich. Unter normalen Bedingungen wäre der Weg schnell geschafft gewesen, aber die Russen hatten die zum Teil eingleisige Strecke gezielt bombardiert und es gab immer wieder ungeplante Aufenthalte. Am 27. Juli 1943 wurde die Einheit bei Snischne ausgeladen, sie war organisatorisch nunmehr in das II.-SS Panzerkorps eingegliedert worden.
Dieser schlagkräftige und erfahrene Großkampfverband sollte in den nächsten Tagen zum Gegenangriff gegen die russischen Truppen antreten.