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Günther Weber, 7. Juli 1943, vor Orel

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Die kampftrainierten SS-Männer hatten sich immer nur sprungweise und unter Nutzung der Bombentrichter langsam Meter für Meter an die vier „Ferdinand“ heranarbeiten können. Die hinter ihnen stehenden eigenen Panzer und die noch weiter rückwärts postierten Nebelwerfer und Artilleriegeschütze feuerten in schneller Folge auf die russischen Stellungen, aber das war keineswegs als separate Unterstützung für die vorgehenden Infanteristen gedacht, sondern gehörte zum allgemeinen Angriffsplan. Beide Seiten hatten ohnehin erhebliche artilleristische Kräfte an diesem Abschnitt konzentriert und Günther Weber war von dem fast gar nicht pausierenden Beschuss selbst als erfahrener Frontkämpfer durchaus beeindruckt. Aus der Sicht der Russen, die in der defensiven Rolle waren und diese auch extra mit Vorbedacht eingenommen hatten, war dies ein Mittel, mit dem heftigen Beschuss dem Gegner möglichst hohe Verluste beibringen zu können, ohne die eigenen infanteristischen Einheiten der Angriffswucht der Deutschen direkt auszusetzen.

Im Vorfeld von „Zitadelle“ hatte es zwischen Hitler und dem deutschen Generalstab erhebliche Meinungsunterschiede zum weiteren Vorgehen im Osten gegeben. Während Hitler anfangs vor allem argumentierte, die Wehrmacht und die anderen Streitkräfte erst wieder auf eine angemessene Schlagkraft bringen zu müssen und bis dahin defensiv zu bleiben, wollten die Generäle die strategisch zu einem Angriff geradezu einladende Situation um Orel, Kursk und Belgorod herum mit einen offensiven Vorgehen ausnutzen. Ursprünglich bereits für das zeitige Frühjahr 1943 geplant, scheiterte diese Vorstellung aber an den Differenzen der Befehlshaber der einzelnen Heeresgruppen und Großkampfverbände, der langanhaltenden Schlammperiode und auch an den militärischen Entwicklungen auf anderen Kriegsschauplätzen. Hitler war über die Entwicklung in Afrika äußerst besorgt gewesen und hatte richtigerweise vermutet, dass mit einem Desaster zu rechnen war, welches am 12. Mai 1943 tatsächlich mit der Kapitulation der deutschen und italienischen Truppen eingetreten war. 150.000 deutsche und 125.000 italienische Soldaten gingen in Gefangenschaft, vor allem der Weigerung Hitlers geschuldet, diese Truppen rechtzeitig nach Italien zurückzunehmen. Damit war zu befürchten, dass die Alliierten den Sprung über das Mittelmehr nach Italien wagen würden, um dort eine zweite Front in Europa zu eröffnen. Der Führer war deswegen unschlüssig, die im Osten bereits zusammengezogenen Truppen in einer größeren Operation einzusetzen und stand dem Plan, Kursk in einer Zangenbewegung zu nehmen und die im Frontvorsprung befindlichen russischen Kräfte zu vernichten, zunächst ablehnend gegenüber, da er im Falle einer breit angelegten Offensive keine Möglichkeit sah, eventuell Truppen aus der Angriffsformation herauszulösen, die dann dringend in Italien benötigt werden würden. Vielmehr favorisierte Hitler ein im Süden räumlich begrenztes Vorgehen ohne die Gefahr, die Truppen in den weiten Räumen lang auseinanderziehen zu müssen und damit auch womöglich auch wieder offene oder nur schwach gesicherte Flanken zu schaffen. Das war keineswegs der große Wurf, den die Generalität erwartet hatte, aber das fortlaufende Opponieren der Militärs hatte Hitler letztendlich doch noch umgestimmt. Diese lange Entscheidungsfindung war für die Russen günstig gewesen, sie hatten ausreichend Zeit gehabt das Verteidigungssystem weitflächig und tief gestaffelt auszubauen.

Günther Weber lag schwer atmend bäuchlings platt auf der Erde und war blitzschnell vor einer ein Stück vor ihm hochgehenden Geschosssalve in Deckung gegangen. Das weitestgehend flache und unbewachsene Gelände war für den Panzerkampf wegen der weiten Sicht und der guten Manövriermöglichkeiten für die Fahrzeuge zwar ausgesprochen gut geeignet, für die Infanterie allerdings hochgefährlich. Neben dem Beschuss lauerten noch von den Russen vergrabene Minen, denn die Sowjets hatten vielfach ihnen in die Hand gefallene deutsche Minen vor ihren Stellungen kurzerhand wieder verwendet. Schon in den ersten Gefechten waren die Deutschen in Minenfeldern steckengeblieben, in denen sie ihre eigenen Explosivkörper ausgelöst hatten und die Pioniere waren zu Unrecht beschuldigt worden, die Einzeichnung dieser Gebiete nicht vorgenommen zu haben. Weber war durch das Pervitin hellwach, aggressiv gestimmt und vor allem trotz des Infernos um ihn herum leicht euphorisiert. Er zählte nicht zu denen, denen Töten zu einem Bedürfnis geworden war, die sich dem Rausch des Herrschens über Leben oder Tod durch die Krümmung des Zeigefingers am Abzug nicht mehr entziehen konnten, die Kerben für jedes Opfer in den Schaft ihres Karabiners schnitzten und Bilder erhängter Partisanen und von Hinrichtungen in ihren Brieftaschen mit sich trugen. Dennoch war er durch die vielen überstandenen Kämpfe ungewollt zu einem Spezialisten für staatlich sanktionierten Mord geworden und er würde auch heute voraussichtlich wieder einige Menschen töten, sofern sie ihn nicht vorher selbst umbrachten. Noch aber mühte er sich mit seinen Männern über das flache und gut einsehbare Gelände vorwärts und verfluchte erneut die Männer in den Jagdpanzern. Durch deren unbedachtes und taktisch überhaupt nicht begründetes Vorpreschen war der Flankenschutz der nahezu unbeweglichen und extrem schweren Fahrzeuge durch die leichteren und besser manövrierfähigen anderen Panzer nicht mehr gegeben. Etwas verstand er die Panzersoldaten schon, denn hinter der 200 Millimeter starken Frontpanzerung hätte er sich auch sicher gefühlt. Dazu kam noch, dass die „Ferdinand“ auch an den Seiten durch immerhin 80 Millimeter Panzerstahl geschützt waren, das entsprach der Frontpanzerung des Panzers IV in den Ausführungen G und H, die bei dieser Operation überwiegend zum Einsatz kamen. So gesehen waren die Panzerjäger gegen Artilleriebeschuss mit den üblichen russischen Waffen fast unverwundbar, aber durch Nahbekämpfer wegen der fehlenden leichten Abwehrbewaffnung äußerst gefährdet.

Nach der nächsten krachend in den Boden gefahrenen Artilleriesalve der russischen Geschütze sprangen Weber und seine Männer auf und gingen nach wenigen Metern wieder in Deckung. Günther Weber hatte den Drill in der Ausbildung damals nicht wie viele andere Männer abgrundtief gehasst, sondern er war mit seinem Denken schon soweit gewesen, dass er die Schleiferei als absolut notwendig angesehen hatte, denn er würde in späteren Gefechten keine Zeit mehr haben sein Handeln erst überdenken zu können, sondern es musste mehr oder weniger instinktiv und automatisiert erfolgen. Das bedeutete aber nicht, dass er sich gedanklich überhaupt nicht mehr mit der Ausführung von Befehlen beschäftigte, denn die Doktrin der deutschen Militärführung hatte – im Gegensatz zur russischen – den Soldaten und insbesondere den Unterführern durchaus eine eigenständige Handlungsweise im Rahmen ihrer Verantwortungen im Gefecht zugebilligt. Was er jetzt aber tat bedurfte aber keiner großen Überlegungen, er musste mit seinen Männern an die Jagdpanzer herankommen und diese vor russischen Infanteristen schützen. Erst wenn es um die Bekämpfung des Gegners gehen würde wären seine Entschlüsse je nach Lage gefragt. Noch trennten ihn ungefähr 200 Meter von den immer noch über das Gelände kriechenden Fahrzeugen, die ab und an auf die russischen Stellungen feuerten, sich aber im Rückwärtsgang buchstäblich nur schrittweise zurückzogen. Als er mit seinem Trupp die 8 Meter langen und 3 Meter hochaufragenden Kampffahrzeuge aus 80 Meter Entfernung schon greifbar nahe vor sich sah, bemerkte er einige kleinere Gruppen von Rotarmisten vor den Panzern. In ihren erdbraunen Uniformen hoben sich die gegnerischen Soldaten kaum von Gelände ab, aber die Deutschen in den Panzern mussten sie erkannt haben. Zwei der Fahrzeuge drehten sich wegen dem starren Aufbau mit der Waffe in eine günstigere Schussposition und senkten ihre Kanonen auf die maximale negative Rohrerhöhung ab. Weber verstand diese Handlungen erst dann, als die Geschütze losdonnerten und etwa 100 Meter vor den Panzern die Erde mit Sprengpilzen hochgeschleudert wurde, die „Ferdinand“ schossen mit ihren mächtigen und 6,35 Meter langen 8,8-Zentimeterkanonen auf die einzeln vorgehenden russischen Soldaten. Günther Weber als Infanterist hatte nur eine schwache Vorstellung von den ballistischen Leistungen dieser Waffe des „Ferdinand“ und er hätte nur ungläubig mit dem Kopf geschüttelt, dass die Panzerbesatzungen mit den 9,4 Kilogramm schweren Sprenggranaten 43, die eine Mündungsgeschwindigkeit von 750 Metern in der Sekunde erreichten, Jagd auf einzelne Russen machten. Die Artillerie beider Seiten hatte das Feuer auf den Bereich um die Panzer herum verringert, denn es war bekannt, dass sich Soldaten den Jagdpanzern näherten.

Günther Weber kam mit seinen Männern und den neben ihnen vorgehenden Trupps zwei Minuten zu spät. Obwohl er und die anderen Soldaten aus jetzt nicht einmal 80 Metern Entfernung auf die die „Ferdinand“ angreifenden Russen schossen waren zwei Rotarmisten bei dem rechten Fahrzeug bis zu dessen Heck vorgedrungen und hatten sich jeweils rechts und links neben das Laufwerk gehockt, mehrere MPi-Schützen gaben ihnen Feuerschutz. Einige kurz nacheinander erfolgende heftige Explosionen erschütterten den etwas weiter weg stehenden linken Jagdpanzer, die Russen hatten dort an den Seitenpanzerungen und am Fahrwerk Haftsprengladungen anbringen können. Die 80 Millimeter Panzerstahl konnten von dem Sprengstoff nicht durchschlagen werden, aber rechts war die Kette zerrissen worden. Wenn die SS-Männer nicht schnell genug herankamen würden die Männer im Panzer wehrlos in der Falle sitzen, denn irgendeine wirksame Nahverteidigungswaffe besaß dieses Monstrum aus Stahl nicht. Die Panzersoldaten konnten zwar durch einige Propfen im Aufbau mit kleinkalibrigen Waffen schießen, aber das diente nur der Abschreckung von Angreifern. Die Russen gaben den Rotarmisten am rechten Panzer starken Feuerschutz und Weber musste zusammen mit den anderen in Deckung gehen. Der Panzer drehte sich ein Stück um seine Achse und rollte dann wieder im Kriechtempo rückwärts, die Kanone wurde erneut abgefeuert. Weber hatte noch nicht begriffen was die beiden russischen Soldaten neben dem Heck vorhatten, aber einem Moment später wusste er es. In dem Augenblick, in dem einer der beiden Ladeschützen des „Ferdinand“ die am hinteren Aufbau mittig in der großen und verschraubten Wartungsluke eingelassene kleinere Luke öffnete, um die leeren Kartuschen aus dem Kampfraum zu werfen, kamen die beiden Russen sofort hoch und warfen Brandflaschen. Eine zerbarst außen an der Panzerwand und entzündete das Benzin dort, die andere war gut gezielt gewesen und flog in den Kampfraum hinein. Schockiert versuchte der deutsche Panzermann die Luke schnell wieder zu schließen aber das gelang ihm nicht mehr, denn im Inneren des Panzers war sofort Feuer ausgebrochen und einen Wimpernschlag später stand der Kampfraum vollständig in Flammen. Die Luken des Panzers gingen auf und die Männer versuchten auszubooten. Der Ladeschütze hatte wahrscheinlich den größten Teil des brennenden Benzins abbekommen und kam mit lichterloh fackelnder Uniform noch aus dem Fahrzeug heraus. Er ließ sich aus der Turmluke herausfallen und wälzte sich am Boden, um die Flammen zu ersticken. Weber hörte sein Schmerzbrüllen deutlich und riss seine Männer zum Angriff mit hoch, aber die Russen erschossen den Mann aus nächster Entfernung, bevor die Grenadiere überhaupt nah genug heran gekommen waren. Auch die anderen Panzermänner hatten keine Wahl, sie mussten aus dem brennenden Fahrzeug herauskommen. Die Rotarmisten hatten die Feuerkraft ihrer Infanteriewaffen geteilt, ein Teil beschoss die heranstürmenden SS-Panzergrenadiere, die anderen töteten die aus dem aus den beiden Turmluken und den Luken am Bug des „Ferdinand“ herausdrängenden Männer aus nächster Nähe. Weber sah im Vorwärtsstürmen noch einen Mann aus der Turmluke herauskommen. Er schaffte es, sich bis zu den Hüften herauszuziehen, sein Oberkörper kippte nach vorn und er rutschte an der steilen Stahlwand des Aufbaus kopfüber nach unten. Die Russen konnten sich um diesen Mann nicht mehr kümmern, denn die SS-Männer waren jetzt auf Nahkampfentfernung herangekommen und gingen auf die Gegner los.

Günther Weber hatte mit ansehen müssen, wie die brennenden deutschen Panzersoldaten getötet worden waren und seine Aggressivität nahm noch weiter zu. Zwei hinter dem qualmenden „Ferdinand“ kniende und in eine andere Richtung feuernde Russen tötete er mit einem kurzen Feuerstoß in den Rücken, einem auf ihn zustürmenden Gegner traf seine MPi-Garbe direkt in das Gesicht und riss ihm den Hinterkopf ab. Ein neben ihm laufender SS-Grenadier wurde von Treffern in die Brust gestoppt und ging wie gefällt zu Boden. Die Gruppen der deutschen und russischen Infanteristen prallten jetzt direkt aufeinander und nur noch kurze Zeit fielen Schüsse, dann war die Kampfentfernung zu gering für den Einsatz von Schusswaffen.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 12

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