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Fred Beyer, Anfang bis Mitte Juli 1943, bei Belgorod

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Fred Beyer saß auf einer im Waldboden befestigten Holzbank, und auf dem zusammengezimmerten Tisch vor ihm lag eine an die Einheiten ausgegebene Broschüre der Truppenführung. Beyer hatte nur kurz darin geblättert und das dünne Heft dann mit einer verächtlichen Bewegung gleich wieder weggelegt. Die Abbildungen brauchte er sich nicht mehr ansehen, er und seine Männer kannten die eigenen und die generischen Panzertypen zur Genüge und hätten sie allein schon am typischen Motorengeräusch identifizieren können. Dann aber sagte er sich, dass das Heft wohl den Infanteristen und vor allem der Artillerie und den Pak-Bedienungen die Unterscheidung zwischen Freund und Feind erleichtern sollte. Dass diese Broschüre gerade jetzt ausgegeben worden war bedeutete sicher, dass es bald losgehen würde. Seit Anfang Juli lag die Panzerabteilung durch die Bäume eines Waldstückes gut versteckt etwas nördlich von Orel. Es war der Befehl ergangen, sich generell in der Deckung zu bewegen, und die Fahrzeuge nur zur Kontrolle der Einsatzfähigkeit ab und zu anzulassen und gründlich zu warten. Ansonsten sollte sich das Leben der Soldaten vorläufig auf diesen begrenzten Raum beschränken. Beyer hatte seinen Männern nach dem Einrücken in diese Position erklärt, dass das, was ringsum geschah, auf eine längere Wartezeit hindeuten würde. Früher, in den Zeiten des rasanten Vormarsches hatten die Männer sich fast immer mit einer provisorischen Schlafstatt begnügen müssen, jetzt hatten sie die Zeltbahnen aus den Stauräumen der Panzer geholt, zusammengeknöpft und sich so ganz passable Unterkünfte geschaffen. Es war ein lauer Sommer und fast durchgängig freundliches Wetter. Die Männer versuchten die Tage irgendwie herumzukriegen, aber außer Kartenspielen, Briefeschreiben und schnell sinnleer werdenden Unterhaltungen ereignete sich nichts, es war der ständige Gleichklang weitestgehend nutzlos verbrachter Zeit. Die Männer waren während ihres oft schon lange im Krieg verbrachten Dienstes fortlaufend vielen Ungewissheiten ausgesetzt gewesen und viele hatten sich angewöhnt, die jeweilige Situation ohne großes Nachdenken als gegeben und damit unveränderlich hinzunehmen. Sie lebten allerdings auch öfter in einer ungesunden Mischung zwischen höchster körperlicher und nervliches Anspannung und zeitlich nicht abzusehender Beschäftigungslosigkeit. Wie der Einzelne damit umging und es verkraftete hing eigentlich nur von ihm selbst ab.

Keiner der Männer der Panzerbesatzungen und der unteren Truppenführung wusste, dass der Angriff auf den von den Russen gehaltenen Frontvorsprung bei Kursk in der deutschen Strategieplanung schon lange eine äußerst wichtige Rolle spielte. Nach der Wiedereroberung von Charkow hatte sich vorsichtiger Optimismus breitgemacht, jetzt wieder das Heft des Handelns an der Ostfront in die Hand zu bekommen. Die nordwestlich von Kursk liegenden Städte Brjansk und Orel und die südwestlich von Kursk von den Deutschen gehaltenen Orte Belgorod und Charkow konnte man auf der Landkarte mit einer fast senkrecht von Norden nach Süden verlaufenden Linie verbinden. Würde man ein Lineal an die Orte Orel und Belgorod anlegen und diese Punkte mit einem Bleistiftstrich verbinden, sollte diese Linie knapp westlich vor Kursk auf der Darstellung erscheinen. Der eine Effekt eines Angriffs in dieser Richtung wäre die Einnahme dieser strategisch wichtigen Stadt, aber weit schwerer würde die Abschneidung der dort nach Westen vorgeschobenen russischen Truppen wiegen. Diese fast 150 Kilometer weit reichende Ausbeulung der Front in das von den Deutschen gehaltene Territorium hinein war ein Ergebnis der Kämpfe in den Anfangsmonaten des Jahres 1943 gewesen. Natürlich lud diese räumliche Konstellation die deutschen Generalstäbler geradezu dazu ein, ihre im Jahr 1941 so erfolgreich durchgeführten Einschließungsschlachten als Blaupause für den Angriff zu nutzen. Auf den ersten Blick war die Planung der Operation denkbar simpel. Es würde eigentlich nur darauf ankommen, eine fest zupackende Zange durch von Norden und Süden gleichzeitig vorstoßende eigene Truppen möglichst weit im Osten hinter Kursk zusammenzukneifen und damit den Gegner in einen Sack zu stecken, dann mit eng zusammenwirkenden Land- und Luftstreitkräften mit aller Gewalt darauf einzuprügeln und schließlich die übrig gebliebenen Reste einzukassieren. Wie jeder Plan allerdings auch musste so ein Instrument auf viele Annahmen setzen und die praktische Umsetzung würde dann schnell zeigen, welche Faktoren man falsch eingeschätzt oder gar vergessen hatte. Hitler jedenfalls hatte darauf gedrungen unbedingt offensiv zu werden, denn er musste berücksichtigen, dass er mit einem Erfolg den Rückhalt in der Bevölkerung und bei der Truppe erheblich steigern könnte. Im Generalstab indes hatten sich zwei Lager bei der Beurteilung der Situation und den erforderlichen Maßnahmen herausgebildet. Die Befürworter eines Angriffs argumentierten vor allem damit, dass insbesondere die neuen Panzer, die „Panther“ und die „Ferdinand“, als stählerne Speerspitze leicht durch die russische Verteidigung schneiden würden und dass die Rote Armee als wichtigster Effekt eines deutschen Sieges für einen bestimmten Zeitraum ihrer Offensivfähigkeiten beraubt sein würde. Außerdem könnte man stark auf die auf die Panzerjagd spezialisierten Fliegerkräfte setzten, bei denen die mit zwei 3,7 Zentimeter Flak unter den Tragflächen bewaffneten Junkers Ju 87 G-1 und die Schlachtflieger vom Typ Henschel He 129 – von der Truppe als „Büchsenöffner“ bezeichnet – eine entscheidende Rolle spielen sollten.

Die Idee eines vor allem von den neuen Typen und den furchteinflößenden „Tiger“-Panzern vorgetragenen Angriffes an der Spitze erschien einleuchtend, aber sie unterstellte mehr oder weniger eine relativ unvorbereitete Verteidigung des Gegners und eine kräftemäßige Überlegenheit der eigenen Streitkräfte. Beides musste einem objektiven Betrachter der aktuellen Lage als unrealistisch klar sein, aber Generaloberst Zeitzler, Generalstabschef des Heeres, der den Operationsplan ausgearbeitet hatte, konnte sich durch die Überzeugungsarbeit gegenüber Hitler letztlich durchsetzen. Jetzt, im Juli 1943, war der ursprünglich geplante Angriffsbeginn am 3. Mai längst hinfällig geworden (außerdem hatte die Schlammperiode länger als erwartet angedauert), und der Faktor Zeit hatte den Russen hervorragend in die Hände gespielt. Natürlich hatte der Gegner sich auf den leicht auszurechnen Operationsplan der Deutschen entsprechend eingestellt und es war auch zu berücksichtigen, dass in der deutschen Generalität vergleichsweise alte Männer das Sagen hatten. Bei den Russen standen aber militärische Praktiker an der Spitze, die die brutal schmerzhaften Niederlagen zu Beginn des Krieges nicht vergessen hatten und aus den katastrophalen Fehlern der Roten Armee die richtigen Schlüsse gezogen hatten. Dazu kam noch das gravierende quantitative Übergewicht der Sowjets in der technischen Ausrüstung. Möglicherweise waren die deutschen Waffen in einigen Bereichen den russischen qualitativ überlegen, aber sie konnten die deutlich geringere Anzahl dadurch nicht wettmachen. Außerdem war die russische Industrie mit aller Konsequenz auf die Kriegsproduktion umgestellt worden und spuckte ständig anwachsende enorme Mengen an Panzern, Geschützen, Flugzeugen und Munition aus. In Deutschland hingegen war immer noch der tief verankerte Gedanke einer Qualitätsproduktion vorhanden und die Stückzahlen der Waffen erreichten nur einen Bruchteil des russischen Ausstoßes. Dazu kam noch, dass man zwar schon vor dem Krieg einige bahnbrechende Entwicklungen wie die Strahltriebwerk- oder die Raketentechnik angestoßen hatte, aber im Glauben an einen schnellen Sieg nicht besonders forciert hatte. Auch der „Panther“ war mehr oder weniger von den grundsätzlichen Konstruktionsmerkmalen her gesehen eine gelungene Kopie des T 34 und dokumentierte so verpasste Entwicklungs- und Produktionszeit. Zweifellos hatte die deutsche Panzerwaffe mit diesem Fahrzeug eine mächtige Waffe erhalten aber es widersprach jeglichen militärischen Grundsätzen, dieses neue Modell ohne gründliche Erprobung – besonders im realen Einsatz – in so einer entscheidenden Operation einzusetzen, ohne die Schwachstellen genau festgestellt und beseitigt zu haben. Einige, wie das auch bei den anderen deutschen Panzern Probleme verursachende Seitenvorgelege oder die mangelhafte Motorraumkühlung, sollten dann auch recht zwangsläufig zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Obwohl die deutsche Führung ganz speziell sehr hohe Erwartungen auf die „Panther“ setzte war deren Einsatzstärke eher bescheiden. Knapp 200 dieser Fahrzeuge waren in zwei Abteilungen des Panzerregimentes 39 der 10. Panzerbrigade zusammengefasst und der Division Großdeutschland unterstellt worden. Beyers Bataillon war von der erst im Norden liegenden Aufmarschstellung dann doch noch im Bahntransport in den Süden in die Nähe von Belgorod transportiert worden, um die neuen Panzer im Regiment 39 so konzentriert einsetzen zu können.

Am Nachmittag des 4. Juli 1943 waren einige deutsche Einheiten aus diesem Raum heraus zum Angriff auf die russischen Stellungen angetreten. Keineswegs war das die erst für den nächsten Tag vorgesehene Großoffensive, es ging vorerst nur um ein Abtasten der russischen Verteidigung im Rahmen gewaltsamer Aufklärungen. In Erwartung eines deutschen Vorstoßes hielten die Russen ihre Einheiten in ständiger Gefechtsbereitschaft und konnten so auch schnell einschätzen, dass es sich bei den Attacken der Deutschen nur um örtlich begrenzte Aktionen ohne große Wucht handelte, ein Großangriff würde anders aussehen. Die deutschen Truppen gingen schließlich wieder auf ihre Ausgangsstellungen zurück, sie sollten nach der Artillerievorbereitung am kommenden Morgen losschlagen und mit Schwung durch die gut ausgebauten russischen Verteidigungsstellungen stoßen. Fred Beyer saß mit seinen Männern am Abend dieses Tages gegen die Räder des Laufwerks gelehnt auf der Erde, keiner konnte schlafen. Sie waren mit ihrer Einheit jetzt noch 5 Kilometer von der Hauptkampflinie entfernt und würden in den nächsten Stunden den Versuch unternehmen, die tief gestaffelten Verteidigungslinien der Russen zu durchbrechen um der Infanterie damit auch Bewegungsraum für den Vormarsch zu schaffen. Alle waren sich der Tatsache bewusst, dass es kein Überraschungsmoment geben würde und die Rotarmisten sie ungeduldig und gut vorbereitet erwarten würden. Was Beyer Sorge bereitete war die immer besser gewordene Panzerabwehr der Sowjets und die schiere Masse der gegnerischen Panzer. Dennoch sagte er sich, dass sie mit einem Panzer ins Gefecht ziehen würden, der es erfolgreich mit jedem Gegner aufnehmen konnte.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 11

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