Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 237 - Frank Moorfield - Страница 5

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Ein neuer Tag war angebrochen. Das anfängliche Grau am Himmel war längst von der aufgehenden Sonne verscheucht worden, die jetzt die Wassermassen mit gleißendem Licht überschüttete. Die Luft war am frühen Morgen noch frisch und kühl, aber das würde sich recht bald ändern, wenn erst der goldene Glutball höher am Himmel stand.

Das Klima im westlichen Mittelmeer war auch in den Wintermonaten meist sonnig und mild, so auch jetzt Ende Oktober. Man schrieb das Jahr des Herrn 1591.

Die „Isabella VIII.“ segelte unter ihrem Kapitän Philip Hasard Killigrew bei rauhem Wind über Steuerbordbug liegend Nordwestkurs.

Noch vor Tagen hatte der Mistral, ein kalter, trockener Fallwind, der besonders im Winter das westliche Mittelmeer heimsuchte, den Seewölfen erheblich zugesetzt. Doch jetzt blies ein leichter, beständiger Wind und brachte den schlanken Rahsegler gut voran.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, kniete neben Ben Brighton auf den Planken des Achterdecks und ließ seine eisblauen Augen prüfend über die Karte wandern, die er vor wenigen Minuten dort ausgebreitet hatte.

„Wenn wir diesen Kurs beibehalten“, sagte er dann zu seinem Stellvertreter und ersten Offizier, „wird uns unsere Lady an die Südwestküste der Insel Korsika tragen.“

Ben Brighton nickte.

„Zur Insel der Schönheit“, sagte er. „Übrigens ein recht fruchtbares Land. Die Genuesen wissen wohl, warum sie ihre Herrschaft über diese Insel durch viele blutige Kämpfe behauptet haben. Den Franzosen ist es jedenfalls nicht gelungen, sich auf Dauer dort festzusetzen.“

Hasard lächelte. „Kühe, die man melken kann, sind überall begehrt“, sagte er. Dann erhob sich der mehr als sechs Fuß große und breitschultrige Kapitän der „Isabella“ von den Planken und begann damit, die Seekarte wieder zusammenzurollen.

Auch Ben Brighton stand wieder auf.

Das Leben an Bord der „Isabella“ verlief auch an diesem frühen Morgen völlig normal. Während der Kutscher, ein dunkelblonder, schmalbrüstiger Mann, der als Koch und Feldscher fungierte, das Frühstück für die Mannschaft zubereitete, gingen auch die übrigen Mitglieder der Crew ihrer gewohnten Beschäftigung nach.

Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, werkte schon eine Weile in der Segellast herum, und Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, schwang seine mächtige Axt bei Reparaturarbeiten an der Balustrade, die die Back zum Galionsdeck hin abgrenzte. Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, und Smoky, ein Rauhbein, das früher unter Francis Drake als Decksältester gefahren war, halfen ihm dabei. Auch Old Donegal Daniel O’Flynn, der Alte mit dem Holzbein und dem verwitterten Gesicht, hatte sich zu ihnen gesellt.

Dan O’Flynn, sein Sohn, der unbestritten die schärfsten Augen an Bord hatte, ließ als Ausguck im Großmars seine Blicke über das Wasser gleiten. Er hatte erst vor wenigen Augenblikken Bill, den Moses, dort oben abgelöst.

Pete Ballie, ein kleiner, stämmiger Draufgänger mit Fäusten, so groß wie Ankerklüsen, stand am Ruder, und der schwarzhaarige Stückmeister, Al Conroy, stieg mit Big Old Shane, dem ehemaligen Schmied der Feste Arwenack, in die Waffenkammer hinunter, um dessen neuangefertigte Brandpfeile mit der nötigen Pulverladung zu versehen.

Die übrigen Männer der Crew, unter ihnen Blacky, Gary Andrews, Stenmark, Matt Davies und Jeff Bowie, waren auf der Kuhl beschäftigt.

Der alte O’Flynn, der Ferris Tukkers Reparaturkünste mit kritischen Augen verfolgte, entdeckte plötzlich in einem Winkel an der Balustrade einen Fussel Takelgarn. Mit einer raschen Handbewegung zupfte er ihn weg.

„Fädchen am Morgen bringen Kummer und Sorgen“, deklamierte er dann. „Ich habe doch gleich gesagt, daß dieser Tag mit einer trügerischen Stille begonnen hat. So idyllisch kann es nicht bleiben.“

Ferris Tucker stemmte die linke Faust in die Hüfte und warf ihm einen schiefen Blick zu. Mit einem leisen Knurren in der Stimme sagte er: „Du willst doch wohl nicht behaupten, daß wir heute noch auf Grund gehen werden, bloß weil du einen Fussel entdeckt hast, der beim letzten Reinschiff übersehen wurde. Ich muß schon sagen, Donegal, du hörst wieder einmal die Kakerlaken husten.“

Der rauhbeinige Alte legte die Stirn in Falten. Sein Gesicht wirkte wie aus Granit und eisen. „Was sagst du da? Ich soll die Kakerlaken husten hören? Du Holzkopf! Mach mir doch erst einmal vor, wie eine Kakerlake hustet. Hast du das vielleicht schon mal gehört, he? Da lachen doch glatt deine verdammten Holzwürmer, die du ständig mit deiner Axt in Scheibchen haust.“

Der rothaarige Riese, der ein Kreuz wie ein Rahsegel hatte, richtete sich auf. Sein spöttischer Blick traf den alten O’Flynn, der für seine düsteren Ahnungen bekannt war. „Natürlich hab ich es schon gehört“, sagte er. „Du etwa nicht? Du bist doch sonst so blitzgescheit und hörst sogar die Wassermänner knurren und die Windsbräute singen. Warum sollten da Kakerlaken nicht husten können? Wenn der Kutscher die lieben Tierchen nicht in die warme Kombüse läßt, kann es doch passieren, daß sie sich erkälten. Oder vielleicht nicht?“

Damit war Old O’Flynn total überfragt. Wütend stieß er mit dem Holzbein auf die Planken, murmelte etwas von „Holzwürmern im Kopf“ und „Fusseln im Hirn“, und begab sich dann auf die Kuhl, wo Philip und Hasard, die elfjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, gerade mit dem Schrubben des Decks beginnen wollten.

Die beiden „Rübenschweinchen“, wie Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“, sie oft zu bezeichnen pflegte, hatten etliche Schlagpfützen mit Seewasser über das Schanzkleid gehievt. Nun griffen sie zu den Holystones, jenen weißen Sandsteinen, mit denen sich unter Verwendung von Wasser und Sand die Decksplanken sehr gut sauberschrubben ließen.

„Paßt nur auf“, sagte Old O’Flynn mürrisch, „daß ihr nicht wieder die Fusseln überseht. Fusseln bedeuten nichts Gutes.“

„Was heißt hier ‚wieder‘?“ fragte Hasard junior und verbesserte sich rasch, als er das wütende Gesicht des Alten entdeckte. „Ich meine – haben wir die schon mal übersehen, Mister O’Flynn?“ Wenn die Zwillinge ihren Großvater so anredeten, dann gab es meist etwas, was sie gewaltig wurmte.

„Jawohl, ihr habt den Fussel übersehen!“ sagte der alte O’Flynn. „Dort vorn an der Balustrade zwischen Back und Galionsdeck. Man hätte drüber stolpern können, so groß war er.“

Jetzt kriegte Philip junior einen roten Kopf. „Aber der Fussel kann dort erst nach dem letzten Reinschiff hängengeblieben sein!“ rief er. In seinen Augen funkelte es.

„Natürlich kann er das, ihr beiden Blindfische, aber so was sieht man sofort und entfernt es dann. Basta!“

Old O’Flynn stapfte weiter, in der Hoffnung, daß der Kutscher bald mit den Frühstücksvorbereitungen fertig sein würde. Gewöhnlich sah nach einem kräftigen Imbiß die Welt wieder etwas freundlicher aus.

Da dröhnte plötzlich ein gewaltiger Schrei über sämtliche Decks. Er hörte sich an wie ein Urschrei, ausgestoßen von einem vorsintflutlichen Seeungeheuer.

Hasard junior stieß vor Schreck beinahe seine Pütz um, und Philip ließ augenblicklich den Holystone aus der Hand fallen. Beide wandten sich, wie auch die anderen Crew-Mitglieder in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.

Als Urheber entpuppte sich Edwin Carberry, seines Zeichens Profos der „Isabella“. Er war ein bulliger Typ mit einem gewaltigen Rammkinn und zernarbtem Gesicht – ein rauher Bursche zwar, aber mit weichem Kern. Trotzdem sah sein Gesicht in diesem Augenblick zum Fürchten aus.

Wuchtig wie eine Festung stand der Profos unter der Großmarsrah und rieb sich mit einer mächtigen Pranke den Schädel.

„Donner und Wolkenbruch!“ grollte er. „Irgend so eine verdammte Nebelkrähe hat was Hartes fallen lassen. Man sollte dieser Fledermaus eine ganze Muck voll Öl einflößen, damit’s auch weicher geht. Man kriegt ja Beulen auf dem Verstand!“

Offenbar war ihm irgend etwas auf den Kopf gefallen, und da er nach oben blickte, konnte man leicht absehen, daß er Sir John, den karmesinroten Aracanga-Papagei in Verdacht hatte. Zu allem Überfluß begann Sir John in diesem Augenblick auch noch auf seinem Lieblingsplatz, hoch oben auf der Vormars, mit den Flügeln zu schlagen und laut zu krächzen.

„Alles klar zum Gefecht!“ dröhnte es auf die lachenden Männer herunter. „Nieder mit den Heringen!“

Der Profos, der einst den bunten Vogel im Amazonasgebiet selbst an Bord gebracht hatte, hob drohend die Fäuste.

„Laß dich heute nicht mehr in meiner Nähe blicken, du kariertes Suppenhuhn“, wetterte er, „sonst werde ich dir, so wahr ich Edwin Carberry heiße, die Haut in Streifen von deinem – von deinem verdammten Vogelarsch ziehen!“

Und damit schritt er weiter, der Back entgegen. Doch die Ursache seines Ärgers war noch nicht beseitigt. Schon nach den ersten Schritten begann er erneut zu fluchen. Weitere „harte Brocken“ mußten ihn getroffen haben. Nachdem er mit einem ellenlangen Satz alle Heiligen vom Himmel heruntergeholt hatte, bückte er sich, als wolle er auf den Decksplanken nach Spuren suchen. Er wurde sogar fündig.

„Ha!“ brüllte er mit Donnerstimme. „Endlich weiß ich, was hier gespielt wird.“ In seinen Händen hielt er plötzlich einige harte, runde Bohnen.

Auch den „Rübenschweinchen“ waren einige davon vor die Scheuersteine gepurzelt. Als sie – gleich dem Profos – nach oben blickten, erkannten sie, daß Sir John völlig unschuldig war. Dafür aber turnte Arwenack, der Bordschimpanse, laut kekkernd in den Wanten herum. Und er schien sich auch noch riesig über seine Treffsicherheit zu freuen, das sah man ihm an.

Gerade als der Profos damit beginnen wollte, ihm die fürchterlichen Folgen für seinen „hinterhältigen Luftangriff“ vor Augen zu führen, wurde er von Batuti unterbrochen, der mit steinernem Gesicht über die Kuhl marschierte und seinen linken Arm umklammert hielt. Zwischen seinen Händen tropfte Blut hervor, aus seinem Arm ragte ein riesiger Holzspan.

Vergessen war in diesem Augenblick die Attacke Arwenacks, der sich wohl heimlich an den Bohnenvorräten des Kutschers bedient hatte.

Carberrys Stimme wurde plötzlich um einige Töne milder. Eigentlich war es der zweite, der innere Edwin Carberry, der jetzt die Stimme erhob.

„Was ist passiert, du Stint?“ fragte er beinahe liebevoll. „Seit wann spießt du dich selber auf?“

Batuti, der schwarze Riese, rollte nur mit den Augen. Dann eilte er zum Niedergang, um sich so rasch wie möglich vom Kutscher verarzten zu lassen.

Und so mancher der Seewölfe, dem schon seit einer Weile der Magen knurrte, begriff in diesem Moment, daß es bis zum Frühstück wohl doch noch etwas dauern würde.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 237

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