Читать книгу Die Schändung des Oliver S. - Frank Reise - Страница 5
-III-
ОглавлениеBrötchen und Müsli, und endlich einen Kaffee, sein Lebenselixier, das Frühstück erscheint ihm wie ein First-Class Menü. Ein Pfleger hilft ihm beim aufstehen und begleitet ihn ins Bad, wo er sich duschen will. Oli fühlt sich etwas wackelig auf den Beinen, er muss sich an die aufrechte Haltung erst wieder gewöhnen. Ihm ist es unangenehm, dass der Pfleger ihm helfen muss, sein Krankenhaushemd abzulegen und seinen gezeichneten Körper sieht, andererseits ist ihm bewusst, dass der Pfleger so etwas wohl täglich erleben würde.Trotzdem plagt Oli ein Schamgefühl, sich vor dem etwa Mitte 30 jährigem Mann mit dem Goatee nackt zu zeigen. Bisher hatte Oli mit Nacktheit vor anderen Personen, etwa in der Dusche des Sportstudios oder in der Sauna, nie Probleme. Der Pfleger hat zwischenzeitlich den Mischhebel der Duscharmatur betätigt und eine angenehme Temperatur eingestellt. Auch erkundigt er sich ständig nach dem Befinden von Oli und hat angekündigt, die gesamte Zeit im gleichen Raum zu bleiben, für den Fall, dass Oli die Kräfte ausgehen oder der Kreislauf versagt. Anfangs brennt das Wasser der Dusche etwas auf der Haut, doch mit der Zeit wird es angenehmer und Oli genießt das sanft auf ihn plätschernde Nass. Er gibt etwas Duschcreme auf seine Hände und wäscht damit seine Achseln, sein Geschlecht und die Pospalte, den Mut, auch seinen restlichen Körper mit dem Reinigungsmittel in Berührung zu bringen, fehlt ihm, aus Angst, das Mittel könnte in den verkrusteten aber noch vorhandenen Wunden brennen. Der Pfleger sitzt derweil, in sein Handy vertieft, auf einem Hocker, wirft nur ab und zu mal einen besorgten Blick auf seinen Schützling. Beim trocknen erforscht Oli dann in Ruhe den Zustand seines Körpers; geschunden, blaue verblassende Flecken, kleine runde Wunden, Verkrustungen an seinen Brustwarzen, Gott sei Dank haben seine Hoden wieder ihre normale Form und schmerzen nicht mehr, dafür entdeckt er, als er seine Vorhaut zurückzieht, darunter Rötungen. Sein Rücken schmerzt noch, aber es ist nur ein Spiegel über dem Waschbecken und in dem kann Oli keinen Blick darauf werfen, es gelingt ihm nicht, den Kopf so weit zu drehen.Alles, was er betastet und abfühlt, erscheint ihm fremd. Die Muskeln haben nicht mehr die gewohnte Festigkeit, seine Haut ist ungewohnt rau, das ist nicht sein bekannter Körper. Mit der ihm zur Unterstützung der Heilung verschrieben Salbe cremt er sich, soweit es geht, ein. Der Pfleger versorgt seinen Rücken und die übrigen Stellen, die er nicht erreichen kann, dann hilft er Oli die Boxershorts und den Jogginganzug anzuziehen, die seine Eltern ihm mitgebracht haben und begleitet ihn zurück ins Bett, auf das er sich erschöpft nieder lässt. Bei der morgendliche Visite bekommt Oli den Tagesplan mitgeteilt; Vormittags würde er Physiotherapie zum Muskelaufbau bekommen, nach dem Mittagessen sollte dann ein ausführliches Arztgespräch unter Beisein der Polizei stattfinden.
Um 14 Uhr erscheint er, wie vereinbart, mit seinen Eltern an dem Arztzimmer. Dort warten schon Doktor Kleinschmidt sowie zwei ihm unbekannte Männer.
Doktor Kleinschmidt nimmt ihn zur Seite, „Es wäre vielleicht besser, wenn Ihre Eltern bei dem Gespräch nicht dabei wären“.
„Warum?“, will Oli wissen.
„Es könnten Dinge zur Sprache kommen, von denen Sie eventuell nicht wollen, dass Ihre Eltern sie erfahren, vertrauen Sie mir, Sie können ihnen ja nach dem Gespräch alles erzählen, wenn Sie wollen“, ermahnend wirkt Doktor Kleinschmidt auf Oli ein.
Oli bittet daher seine Eltern in der Cafeteria auf ihn zu warten, die ihn zwar verwirrt ansehen, dann aber seinem Wunsch entsprechen und sich entfernen.
Die beiden Herren stellen sich als Beamte der Kriminalpolizei vor, Müller aus Koblenz und Biermann aus Nürnberg. Letzter erklärt, er wäre extra angereist, weil man beschlossen hätte, die Ermittlungen am Ort des Verschwindens zu koordinieren.
Der kleine runde Tisch, um den alle Vier Platz nehmen, ist übersät mit Akten, erkennbar von Krankenhausdokumenten und polizeilichen Mappen.
„Herr Schwarze“, beginnt Doktor Kleinschmidt, „Sie wurden hier vor nunmehr 6 Tagen, also am 22.09., bewusstlos von zwei Beamten der Schutzpolizei eingeliefert. Sie wurden von den Beiden nackt mit erheblichen Verletzungen im Hunsrück, nähe Boppard-Buchholz aufgefunden und sind während der Fahrt Ohnmächtig geworden. Bei der Erstanamnese wurden folgende Verletzungen festgestellt“, er nimmt seine Akte und fängt an zu blättern, „direkt ersichtlich war Ihr gesamter Körper, d.h. Beine, Arme, Bauch, Brust, Rücken und Gesicht, mit Hämatomen überzogen, ältere, schon verheilende, und auch jüngere. Brandverletzungen, mutmaßlich entweder von Zigaretten oder heißem Wachs, fanden sich auf dem Rücken, der Brust und Ihrem Penis. Nadeleinstiche konnten an Ihren Brustwarzen, zwischen den Zehen und unter den Fingernägeln ausgemacht werden. Ihre Hand- und Fußgelenke wiesen Spuren von Fesselungen auf, an Ihrem Hals waren Hinweise auf Strangulationen. Wenn Sie Fragen haben oder eine Pause brauchen, melden Sie sich bitte“, unterbricht er mit einem unsicheren Blick auf Oli kurz seine Ausführungen.
„Wow, geht es noch weiter?“, mit Bitterkeit in der Stimme versucht Oli zu scherzen.
„Entschuldigung, möchten Sie etwas trinken?“, Doktor Kleinschmidt bemerkt aufmerksam Oli´s Verzagtheit.
Nachdem er Oli ein Wasser gereicht hat, fährt er fort, „Striemen und offene Wunden auf Ihrem Rücken lassen vermuten, dass Sie gepeitscht worden sind. Das Nasenbein war gebrochen, Ihre Hoden waren geschwollen und“, er zögerte, „ihr Analbereich wies Risse auf, vermutlich infolge gewaltsamer Penetration“.
Das ist zu viel für ihn, Oli springt auf reißt die Tür auf und rennt den Flur entlang bis zum Ende, wo er Licht erblickt, alles um ihn herum ignorierend, öffnet er die Tür zu dem dort befindlichen Balkon und tritt hinaus. Er lehnt sich auf die Brüstung, blickt mit leeren Augen in die Tiefe und atmet die kühle frische Herbstluft ein. Dabei hat er das Gefühl, tonnenschwere Steine, auf seiner Brust liegend, wegdrücken zu müssen. Hinter sich hört er Jemand, ohne sich umzudrehen weiß er, es würde einer der drei Männer sein, mit denen er eben noch zusammengesessen hat, „Ich werde nicht springen, geben Sie mir nur ein paar Minuten“.
Die Tür schließt sich. Entführt, gefoltert und vergewaltigt, es will ihm nicht in den Kopf, wie ihm so etwas hat zustoßen können, ihm, dem zielstrebigen erfolgreichen Frauenverführer. Sicher war ihm die ganze Zeit bewusst, dass mit ihm schreckliche Dinge geschehen waren, sein verunstalteter Körper zeigte es nur zu deutlich, aber es jetzt zu hören, aus dem Mund des Arztes, im Beisein der Polizisten, machte es noch ein Stück wirklicher. Er stützt sich an den weißen Rohren des Balkongeländers ab und stiert, ohne wirklich etwas wahrzunehmen, in die Tiefe. Wer hat mir das angetan, ist die nächste Frage, die ihn beschäftigt. Er muss zurück, mit Hilfe der Polizisten könnte er vielleicht die Antwort zumindest darauf herausfinden. Obwohl er sich schämt, den Personen in die Augen zu sehen, die von seiner Schande wissen, kehrt er zurück. Nicht die unübersehbare Tatsache, dass er verletzt wurde, macht ihn so verlegen, vielmehr beschäftigt ihn, dass er vergewaltigt wurde. Ich bin gefickt worden, ein Schwanz (oder vielleicht auch mehrere) war in mir drin, der Gedanke versetzt ihn in Panik, ich bin nicht schwul. Jetzt begreift er auch, warum Doktor Kleinschmidt nicht wollte, dass seine Eltern bei dem Gespräch anwesend wären, sie dürfen es nie erfahren, keiner soll es erfahren.
„Ich brauchte nur mal frische Luft“, entschuldigt sich Oli, die Tür zu dem Zimmer hinter sich schließend, „ Ich bin nicht schwul“, ein unwiderstehlicher Drang zwingt ihn dazu, den Männern seine sexuelle Orientierung zu offenbaren.
Die Drei, deren Gesichter Erleichterung über seine Rückkehr widerspiegeln, blicken sich ratlos an, wissen nicht, was sie darauf erwidern sollen.
„OK“, vernimmt er nach einer Weile von Dr. Kleinschmidt.
Einer der Polizisten bemerkt; „Das hat keinen Einfluss auf unsere Ermittlungen, Herr Schwarze“.
Oli blickt verlegen unter sich und wendet das Wort wieder an seinen Arzt, „Was haben Sie mir sonst noch zu sagen?“
„Um die Bestandsaufnahme zu beenden“, fährt Doktor Kleinschmidt fort, „Sie waren komplett enthaart und vor der Ablage gewaschen worden, wir gehen davon aus, um Spurensuche zu erschweren, an Ihrem Körper wurden nur Schmutzreste aus dem Graben sichergestellt. Haben Sie soweit Fragen?“
„Vorerst nicht“, Oli´s Blick geht ins Leere und er spricht mit schwacher Stimme, er muss dass ganze erst mal verdauen.
„Gut, wir haben dann entschieden, Sie in ein Koma zu versetzen, um Ihnen die Schmerzen durch die vielen Verletzungen zu ersparen. Die durchgeführte Blutentnahme diente zum einen der Suche nach Betäubungsmitteln, zum anderen haben wir auf mögliche Krankheiten getestet, unter anderem haben wir auch einen HIV Schnelltest durchgeführt, bis jetzt waren alle Tests negativ, hier sollten Sie aber in einem halben Jahr noch einen Test durchführen lassen. Ihre Verletzungen haben wir mit Wundheilmitteln behandelt, der Heilerfolg war so gut, dass wir Sie aus dem Koma haben erwachen lassen. Sie werden noch einige Zeit im Krankenhaus verbringen müssen, wir werden weiterhin die Wundheilung vorantreiben, zudem sind Physiotherapien zum Muskelaufbau vorgesehen. Soweit habe ich damit alles wesentliche gesagt“, beendet Doktor Kleinschmidt seinen Bericht.
„Was ist mit meinen Hoden?“, er hatte zwar noch nicht über Kinder nachgedacht, aber diese Frage würde wohl jeden Mann brennend interessieren.
„Die Prellungen haben wir durch Kühlung behandelt. Ob die Funktionsfähigkeit beeinträchtigt ist, kann nur durch eine später durchzuführende Spermizitenuntersuchung bei einem Urologen festgestellt werden“, ist die sachliche Antwort.
„Werde ich ansonsten irgendwelche Narben zurückbehalten?“, Oli fürchtet um sein Aussehen, auf das er immer sehr viel Wert gelegt hat.
Zögernd versucht Doktor Kleinschmidt die Fakten zu formulieren, „auf Ihrem Rücken wird Narbengewebe bleiben, die Hautverletzungen durch das vermutete Auspeitschen waren so tief, dass eine völlige Regeneration nicht zu erwarten ist. Die Anderen Wunden werden höchstwahrscheinlich vollständig abheilen“.
Er würde also sein Leben lang von seinem Körper an etwas erinnert werden, an dass er keine Erinnerung hat, „wieso kann ich mich an nichts erinnern?“
„Also wir gehen davon aus, dass Ihnen die Droge „GHB“ verabreicht worden ist, das Mittel macht die Opfer willenlos und verursacht Erinnerungslücken. Hinzu kommt, dass das Mittel schon nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar ist, weswegen wir auch bei den Bluttests nichts gefunden haben“, mutmaßt Doktor Kleinschmidt.
„Haben die Drogen längerfristige Auswirkungen auf meinen Körper?“
„Nein, alle Tests haben ergeben, das durch die Drogen keine langfristigen Schäden entstanden sind.“
Während der schweigsamen Pause, die entsteht, erforscht Oli sein Gedächtnis, aber es bleibt dabei, die Feier in der Bank ist seine letzte Erinnerung, danach der Graben neben dem Feldweg, dazwischen nichts. Unbewusst schüttelt er den Kopf leicht. Von der sonoren Stimme eines der Kripobeamten wird er aus seinen anstrengenden Überlegungen zurückgeholt.
„Herr Schwarze, wir von der Kripo sind zu einen hier um Ihre Aussage aufzunehmen, zum anderen, um Sie über den Stand unserer bisherigen Ermittlungen zu informieren. Erstmal möchte ich mein Bedauern ausdrücken, über das, was Ihnen zugestoßen ist“, meldet sich Hauptkommissar Biermann aus Nürnberg zu Wort.
Oli nickt dankend, „Womit wollen wir anfangen?“
„Erzählen Sie bitte, woran Sie sich erinnern“, fordert Biermann ihn auf.
„Gut“, Oli stützt, den linken Arm auf den Tisch gelehnt, seinen Kopf mit der Hand an seiner Stirn ab, die Augen geschlossen, um sich besser konzentrieren zu können. Er beginnt, „Ich bin an dem Freitag Morgen etwas früher aufgestanden, hab mich auf die Arbeit vorbereitet, bin mit einem Taxi, welches ich schon Tags zuvor geordert hatte, zur Bank gefahren, weil ja Nachmittags eine Feier geplant war und ich von dort nicht alkoholisiert nach Hause fahren, aber auch meinen Wagen nicht bei der Bank stehen lassen wollte. Das Tagesgeschäft verlief normal, ein paar Kundengespräche, kurze Mittagspause in einem Café in der Nähe mit zwei Kollegen, danach noch etwas Aktenarbeit, dann ab 16 Uhr die Feier, ein, zwei Gläser Sekt und dann der Graben“.
„Haben Sie an dem Tag oder den Tagen davor Jemanden bemerkt, der Ihnen gefolgt ist oder den Sie mehrmals gesehen haben?“, die Zeugenbefragung hat also begonnen.
„Nein, mir ist Niemand aufgefallen, ich habe mir darüber auch schon das Hirn zermartert“, Oli sitzt nun zurück gelehnt auf dem Stuhl, die Beine weit ausgestreckt unter dem Tisch.
„Hatten Sie Probleme mit Kunden?“
„Nein“.
„Affären, ein eifersüchtiger Ehemann/Freund?“
„Nichts außergewöhnliches, keine aggressiven Vorkommnisse“, über all das hatte sich Oli auch schon Gedanken gemacht
„Bitte jetzt nicht falsch verstehen, Sie sind vergewaltigt worden, und trotz Ihrer Bemerkung von eben muss ich nochmal nachfragen, hatten Sie gleichgeschlechtliche Beziehungen?“, Biermann sieht Oli dabei starr an, die Frage scheint ihm selbst unangenehm zu sein.
Oli starrt entsetzt zurück, „Nein, wie schon gesagt, bin ich nicht schwul, auch nicht bi, ich bin 100% hetero, ich hatte noch nie was mit einem Mann, bin auch nach meiner Erinnerung nie angeflirtet worden.“ Genau das, hatte er befürchtet, man wird ihn für ne Schwuchtel halten, jeder wird denken, er blase Schwänze und halte seinen Arsch hin. Niemand sollte je das ganze Ausmaß seiner Verletzungen erfahren, schwor er sich, Niemand!
Die Befragung liefert den Beamten keine neuen Erkenntnisse. Ihr anschließender Bericht über den Stand der Ermittlungen macht auch Oli nicht schlauer. Der Feldweg, wo er zu Bewusstsein gekommen war, hatte, obwohl er von Kriminaltechnikern abgegangen worden war, keine Spuren geliefert, keine Reifenabdrücke, nichts. Oli´s Wohnung war spurentechnisch untersucht worden, weil seltsamerweise alle seine Sachen, die er an dem Freitag an und dabei hatte, in der Wohnung gefunden worden waren, seine Schlüssel, seine Brieftasche, sein Aktenkoffer, der Anzug, den er getragen hatte, alles. Die Kripo hatte versucht, die Aufnahmen der Sicherheitskameras aus der Bank auszuwerten, es gab aber keine, die Anlage war sabotiert worden. Es gab also nichts über den Tathergang, den oder die Täter oder ein Motiv.