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Ankunft in der Fremde

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Sabina stand vor ihrer neuen Herrin am Bug des Segelschiffes und schaute

nach vorn. Langsam kamen die Palisaden und Wachtürme in Sicht. Dorthin,

ins Land ihrer Feinde, brachte man sie nun als Ryns - als Sklavin.

Sie senkte den Blick als sie die Stimme der jungen Frau hörte, die sie nun als

Herrin ansprechen musste.

„Habe keine Sorge. Ich werde Acht geben, dass du in gütige Hände kommst.“

Sabina nickte stumm. Nun - sie hatte mehr Glück als diejenigen, die bei der

Verteidigung von Tjale gefallen waren. Mehr Glück als diejenigen, die in den

Häusern verbrannt waren. Dieser entsetzliche Krieg, den ihr hochmütiger

König vom Zaun gebrochen hatte - sie hatte ihn nicht gewollt. Die meisten

freien Bürger von Tjale hatten ihn nicht gewollt.

Aber es war geschehen. Und als vor 17 Tagen die Segel der Schiffe am

Horizont entdeckt worden waren, war man in Tjale siegessicher gewesen.

Selbst als die Zahl der ausgemachten Schiffe immer größer wurde, hatte es

niemanden wirklich beunruhigt. Nie zuvor waren die Mauern von Tjale

durchbrochen worden. König Claudon hatte in seinen Reden, die er an das

Volk richtete, keinen Zweifel daran gelassen, dass die Vingar keine

ernstzunehmenden Gegner seien.

Doch dann waren die Wesen am Himmel aufgetaucht. Und Tjale zerfiel in

rauchende Trümmer. König Claudon verbrannte in seinem Palast und als die

Söldner, die die Vingar unterstützten an Land gingen, herrschten Chaos und

Entsetzen unter den Überlebenden. Auch sie hatte sich ergeben und so

überlebt. Sie war mit erhobenen Händen auf Skjold zugegangen - die nun

ihre Herrin war. Skjold war jung - keine 18 Sommer konnte sie erlebt haben.

Doch im Volk der Vingar war dies ohne Bedeutung. Skjold hätte sie ohne zu

zögern mit ihrem Speer durchbohrt, wenn Sabina versucht hätte, ihr zu

widerstehen. Sabina hatte ihr Leben in die Hand der Götter gelegt und diese

hatten entschieden, dass Skjold mehr Gefallen daran fand, Gefangene zu

machen statt Blut zu vergießen.

Und nun, da Skjold mit ihrer Beute heimkehrte, würde sich zeigen, ob

wahrhaftige Güte im Herzen dieser jungen Frau herrschte, oder ob Skjold

sich so gebahren würde wie die männlichen Krieger auf diesem Schiff. Die

behandelten ihre Gefangenen roh und verächtlich - spukten ihnen gern ins

Gesicht und... ja, sie nahmen sich von den Frauen, wonach ihnen gelüstete.

Skjold hatte Sabina einen ovalen, als schwarz bemaltem Holz bestehenden

Kragen angelegt, auf dem sie ihren Namen eingeritzt hatte. Sabina verstand

die Sprache der Vingar kaum, aber sie kannte die Gebräuche der Vingar, was

deren Umgang mit ihren Sklaven betraf. Viele Vingar kennzeichneten ihre

Sklaven und betrachteten sie als schützenswertes Eigentum, welches einen

möglichst guten Preis erbringen sollte. Skjold hätte jeden mit ihrem Speer

durchbohrt, der Hand an Sabina gelegt hätte. Und eben deshalb hatte Sabina

sich einer jungen Frau ergeben. Skjold schien nur zu gut zu verstehen, was

nun in Sabina vorging. Und es war ihr nicht gleichgültg. Zumindest hoffte

Sabina es.

Aber wer konnte schon wissen, was in den Vingar vorging ? Sie waren seit

jeher ein wildes, unabhängiges Volk gewesen, dass keinem König Gehorsam

zu schulden glaubte.

Alte Legenden berichteten, dass sie sogar Verbündete fliegender Wesen sein

sollten, denen sie Opfer dar brachten, um sich ihrer Loyalität zu versichern.

Aber dies war sicherlich nichts weiter, als pure Angeberei. Mit solchen

Behauptungen war es den Vingar vielleicht in früheren Jahren gelungen, ihre

Feinde in Furcht und Schrecken zu versetzen. Doch gesehen hatte niemals

jemand diese fliegenden Wesen. Bis zu dem Tag, als die Vingar Tjale

angriffen.

Ein grausiger Gedanke stieg in ihr hoch. Ob sie und die, die nun das Los der

Sklaverei mit ihr teilten, den Drachen als Opfer dargebracht werden würden ?

„Was schaust du so grimmig“, wurde sie nun von Skjold getadelt, „lächle.

Zeige Kraft und Würde - ich will einen guten Preis für dich haben.“

Sabina wandte den Kopf und blickte Skjold ins Gesicht. Sie verzog die Lippen

zu einem dünnen Lächeln, das aber sogleich wieder der Bitterkeit wich, die

sie spürte, seit sie den Holzkragen trug. Noch immer fragte sie sich, warum

Skjold es vermochte, sich in ihrer Sprache mit ihr zu unterhalten. War sie

vielleicht keine echte Angehörige des Volkes der Vingar ? Die männlichen

und die wenigen weiblichen Krieger der Vingar, die sie auf diesem Schiff

umgaben, hatten glattes blondes, oder dunkelblondes Haar. Skjold jedoch

hatte kupferrotes, naturgewelltes Haar, das sie kurz trug. In ihren grünen

Augen glomm ein unbändiger Stolz und auch wenn sie schlank und zierlich

wirkte, so besaß sie zweifellos die Entschlossenheit und Kaltblütigkeit, um

keiner Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen.

Skjold würde ihr keine Antwort auf die Frage geben, was mit ihr geschehen

würde. Wahrscheinlich wusste sie es selbst nicht.

Nun trat Skold an sie heran und tippte kräftig mit ihrem Zeigefinger auf

Sabinas Stirn: „ Was geht da drinnen vor ? Sag es mir !“

Sabina reagierte auf diese Provokation, indem sie Skjolds Handgelenk ergriff

und aus ihrem Gesicht führte. Was hatte sie schon zu verlieren ?

„Was glaubst du, dass in mir vorgeht ? Ich fürchte mich !“

Skjold schaute auf ihr Handgelenk und Sabina löste ihren Griff und ließ es

los.

„Bei den Göttern, du hast Kraft. Warum bist du wie ein Schaf auf mich zu

getrabt und hast nicht den ehrenvollen Tod im Kampf gesucht ? Hat dein

Mann dir die Hausarbeit überlassen, um selbst in der Schenke von seinen

Siegen zu prahlen ?“

„Es gibt keinen Mann und kein Kind, um das ich trauern muss. Ich war nicht

vermählt.“

„Dann warst du eine Priesterin eurer schwachen Götter oder die Gespielin

eines der Höflinge eures Königs.“

„Ich war niemandes Gespielin.

„Was dann, eine Schankmagd ?“

„Nein !“

Sabina mühte sich, ihre Haltung zu bewahren. Während der ganzen

Überfahrt hatte Skjold sich kaum darum gekümmert, ob sie überhaupt noch

am Leben war. Sie hatte die quälend langen Tage angekettet unter Deck

verbracht, hatte unter Seekrankheit gelitten und wie alle anderen Sklaven den

Kopf gesenkt, wenn die Vingar Eimer voller Seewasser über ihnen

ausschütteten, um alles, was ihre Körper verlassen hatte, weg zu spülen.

Zweimal hatte man sie von den Ketten befreit, damit sie gemeinsam mit

anderen Sklaven diese Ausscheidungen zusammenschob und in Eimern an

Deck brachte, um sie über Bord zu entleeren.

Ja, es hatte Momente gegeben, in denen sie es bereut hatte, nicht einen

Speer von einem der gefallenen Krieger zu ergreifen und sich in einen

hoffnungslosen Kampf zu stürzen, als Tjale fiel. Aber der Anblick der kläglich

verbrennenden Menschen hatte sie in eine Art verzweifelter Dunkelheit

gestoßen, aus der sie auf irgendeinem Weg lebend entrinnen wollte. Doch sie

war nun hier und sie würde ihr Schicksal nicht länger in den eigenen Händen

halten.

„Warum fragt ihr mich, Herrin ? Ist es nicht gleich, was ich war ?“

Skjold streckte die Hand aus und strich durch Sabinas rotblondes Haar.

„Vielleicht sollte es mir gleich sein.“

„Etwas bedrückt euch, Herrin.“

„Ich bin niemandes Herrin“, sagte Skjold leise.

Schweigend standen sie nebeneinander am Bug des Schiffes, während

dieses sich unaufhaltsam auf die Siedlung zu bewegte.

Als die Steege in Sicht kamen, an denen die Schiffe festmachen würden,

blickte Skjold sie an und sagte: „Ich bin niemandes Herrin und du wirst

niemandes Sklavin sein. Du wirst mir folgen, wohin ich auch gehe. Aber wenn

du versuchst, mich zu hintergehen, töte ich dich.“

Sabina ahnte, dass Skjold ihr damit ein unwürdiges Leben, wenn nicht gar

den Tod auf dem Opferaltar ersparte. Sie fragte sich nicht, was sie bewogen

hatte, diese Entscheidung zu treffen. Aber sie dankte den Göttern dafür, das

sie dieser jungen, unerschrockenen Frau begegnet war, die wie ein Bote im

Inferno des Todes und der Zerstörung erschienen war, um einen Teil des

Ruhmes zu beanspruchen. Ja, sie würde ihr Schicksal in Skjolds Hände

legen und ihr dienen - so wie sie einst dem König von Tjale gedient hatte.

Auf der linken Seite des Palisadenwalls, etwa fünf Schiffslängen von den

Landungssteegen entfernt, befand sich ein Tor. Dieses gab den Weg ins

Innere der Siedlung frei. Eine schmale, mit grauem Stein gepflasterte Straße

führte in die Siedlung hinein. Zur Rechten lag ein langgezogener Hügel aus

aufgehäuftem Seesand. Dieser stützte den Palisadenwall nach hinten ab und

mochte so dafür sorgen, dass der Palisadenwall im unteren Bereich selbst

dem Beschuss mit Katapulten standhielt. Auf diesem Hügel ragten die

Wachtürme in den Himmel, von denen aus die Bogenschützen ein sehr gutes

Schussfeld hatten, wenn die Siedlung von der Seeseite her angegriffen

werden sollte.

Zur Linken die Häuser der Vingar die Straße. Sie waren in

Fachwerkbauweise gebaut und die Dächer waren mit Holzschindeln

gedeckt.Die Vingar waren als einfallsreiche Handwerker weithin bekannt. Als

Sabina an den Häusern vorbeiging, bewunderte sie die kunstvollen

Schnitzereien in den Fensterläden. Ihr Blick schweifte nun über die Dachfirste

hinweg hinüber zu dem Berg, der an den Palisadenwall grenzte und steil in

die Höhe ragte.

Und als sie nun über den Marktplatz gingen, in dessen Mitte ein seltsamer

Brunnen stand, bemerkte sie, dass links vom Marktplatz ein unbefestigter

Weg in den Berg hinein führte. Eine mannshohe Öffnung im Gestein schien

einen Höhleneingang darzustellen und.... Sabina schaute zweimal hin, als sie

im Gestein des Berges über dem Höhleneingang die Gesichter sah. Wie zwe

dämonische Fratzen waren die Gesteinsschichten oberhalb des

Höhleneinganges geformt. War dies das Werk der Vingar, oder hatte etwa die

Natur dieses schaurige Werk vollbracht ?

Aber es war nun nicht an der Zeit, darüber nachzudenken. Der Zug der

Sklaven und Krieger hatte den Marktplatz erreicht und der Anführer dieses

Zuges brüllte seine Kommandos. Er war ein hochgewachsener, brutal

aussehender Kerl, dessen Vollbart bereits grau war. Seine Lederrüstung wies

die Spuren von zahlreichen Kämpfen auf, die er offensichtlich überlebt hatte.

Als er den Spangenhelm vom Kopf nahm, gab dieser das harte Gesicht eines

Mannes frei, der zweifellos ein Vergnügen daran hatte, zu kommandieren und

zu herrschen. Sie bemerkte, das Skjold, die schweigend neben ihr stand, die

Fäuste um den Schaft ihres Speeres ballte. Ob sie Furcht oder Hass

verspürte, wusste Sabina nicht, doch sie ahnte, das das Leben der jungen

Frau unter den Vingar kein leichtes war.

„Wenn man das Wort an dich richtet, schweige. Ich werde sprechen“ raunte

Skjold ihr nun zu und Sabina nickte. Nun begann der Verkauf der Sklaven.

Schnell waren die Bewohner der Siedlung auf dem Marktplatz versammelt.

Solche Ereignisse schienen eine willkommene Abwechslung zum tristen

Alltag der Menschen zu sein.

Sabina drehte sich der Magen um, als die Sklaven nacheinander auf eine

hölzerne Plattform geführt und präsentiert wurden. Die meisten, die ein

Kaufinteresse hatten, waren Männer. Und für die waren natürlich sowohl

kräftige Männer von Interesse, als auch die jungen Frauen, die man gefangen

hatte. Es gab wenig, was man den präsentierten Sklaven ersparte, bevor die

kaufinteressierten Männern begannen, ihr Gebot abzugeben.

Sie wandte den Blick ab von der jungen Frau, die von einem stämmigen

Mann begutachtet wurde, als der anfing, an ihren Haaren zu riechen. So

bemerkte sie, das Skjold angespannt neben ihr stand und auch wenn Skjold

sich mühte, ihre Haltung zu bewahren - zitterten ihre Lippen. Was, so fragte

sich Sabina stumm, bewog diese junge Frau ?

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