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Alte Wunden
Es war ein mehr als beklemmendes Gefühl gewesen, vor ihr zu stehen und sich an das zu erinnern,
was vor sechs Jahren geschehen war.
Damals waren Tanja Thomacz und er spinnefeind gewesen. Nun hatten ihre Wege sich erneut
gekreuzt. Und ebenso wie er hatte sie nichts vergeben und vergessen. Er las es in ihrem Blick, als er
die Tür zu ihrem Büro geöffnet hatte, um einzutreten.
Sie erkannte ihn erst auf den zweiten Blick, ihn jedoch hatte schon der Name an alles erinnert, was
gewesen war. Aber war sie noch dieselbe Frau ?
„Guten Tag, Herr Ronis“, sagte sie, als er ihr Büro betreten hatte. Sie stand auf, ging auf ihn zu und
reichte ihm die Hand. Professionell und business- like. Ihm, Robert, waren im Laufe der letzten Jahre
sicherlich nicht weniger Menschen begegnet, wie ihr. Seit er gemeinsam mit Tanja vor sechs Jahren
die Abschlussprüfung an der IHK zu Köln bestanden hatte, hatte er sich hochgearbeitet und
repräsentierte nun seinen Arbeitgeber – auch ihr gegenüber.
So schob er die dunklen Gedanken beiseite, erwiderte den Händedruck und hielt sich an die Regeln,
die im Kaufmannsberuf eben keinen Unterschied zwischen Freund und Feind zuließen.
„Guten Tag, Frau Thomacz. Ich freue mich, dass Sie so schnell Zeit gefunden haben, sich unseres
Anliegens anzunehmen.“
„Die Firma Heklon ist stets an guten Angeboten interessiert.“
„Und wir sind stets bemüht, unseren Partnern solche zu präsentieren.“
„Nehmen Sie doch Platz und befriedigen Sie meine Neugier.“
Sie lächelte charmant und wandte sich um, um sich wieder an ihren Schreibtisch zu setzen. Robert
ließ seinen Blick durch das Büro schweifen und entdeckte den schwarzen Helm und die
Lederkombination, die auf dem Aktenschrank lagen.
„Bitte“, sagte sie und machte eine einladende Geste, indem sie auf den Ledersessel deutete, der vor
ihrem Schreibtisch stand. Er widerstand dem Drang, sie zu fragen, ob sie sich nicht endlich vertragen
sollten ? Aber machte das Sinn ? Hatte sie nicht alles längst vergessen ? Er nicht. Und es war auch
nicht an der Zeit, darüber nachzudenken.
Er setzte sich in den Sessel und öffnete seinen Aktenkoffer. Währenddessen schaute sie auf den
Monitor und suchte offensichtlich nach der Offerte, die er an die Firma Heklon gesandt hatte und
aufgrund der er nun hier war. „Zum Teufel mit dem, was vergangen ist. Sie macht ihren Job, und du
machst deinen – nicht mehr und nicht weniger“, dachte er schließlich. Er würde ihr, der
Abteilungsleiterin, den Respekt zollen, der ihr gebührte und er würde das private und persönliche
wie immer zurückstellen, wenn er seinen Job machte… .
„Du hast dich kaum verändert.“
Ihre Worte lösten eine Mischung aus Wut und Reue aus, doch er verbarg sie.
„Ich denke, dass die Zeit jeden formt, Frau Thomacz – Tanja.“
Er hatte es getan. Und als ihr Blick ihn traf, war alles wieder so, wie damals, als ihre Wege sich
getrennt hatten. Ein Jahr lang hatten sie nicht miteinander gesprochen, waren sich aus dem Weg
gegangen.
„Du bist weit gekommen“, sagte sie. Und er las etwas in ihren graublauen Augen, dass er in den
Tagen, als sie Schulfreunde gewesen waren, nur selten gesehen hatte. Angst.
„Dank dir. Es war damals überhaupt nicht fair, was du getan hast, aber es war eine nützliche
Erfahrung. Ohne Respekt und eine gehörige Portion Vorsicht im Umgang mit Kollegen und
Vorgesetzten kommt man nicht weit.“
„Das hast du gut erkannt.“
„Aber mich hättest Du nicht zu fürchten brauchen. Und ich bin dir nicht aus dem Weg gegangen, weil
Du mich wegen Nachstellung angezeigt und dich bei der Schulleitung beschwert hast, sondern weil
ich dich verstanden und eben respektiert habe.“
„Du hast nie verstanden, wie ich mich gefühlte habe.“
„Ich habe dich gemocht. Ducati ?.“ Er deutete auf den Helm und die Lederkombination.
„Ist es dir peinlich ?“
„Ich habe es ewig bereut, ich denke, das weißt du.“
„Intruder.“
Die hat dir schon damals gefallen.
„Es tut mir leid. Ich war ein Miststück.“
„Schwamm drüber.“
„Hast du diesen alten, klapprigen Roller noch ?“
„Für eine 1000er Fazer hat es mittlerweile gereicht.“
„Wow, gratuliere“.
„Alles hart erarbeitet. Aber genug davon. Wir sind wohl beide dort angekommen, wohin wir gewollt
haben.“
„Bist du verheiratet ?“
„Seit drei Jahren.“
„Ich nicht mehr. Aber du hast Recht – genug davon.“
„Du hast dich verändert.“
„Das Leben ändert uns alle“, sagte sie bitter und schaute auf das Foto auf ihrem Schreibtisch.
„Sie war schon damals dein Ein- und Alles. Sympathisches Lächeln. Wie geht es ihr ?“, rutschte es
Robert heraus, als er das Foto betrachtete, dass Tanja Thomacz gemeinsam mit einer jungen Frau im
Teenageralter zeigte. Ihre Tochter Mareen, die schon damals allzu oft genau das Gegenteil von dem
tat, was ihre Mutter für richtig hielt.
„Kommen wir zur Sache Herr Ronis, wir sind neugierig auf Ihr Angebot.“
Die Besprechung zog sich über mehr als eine Stunde und Robert erkannte, dass Tanja Thomacz sich
nicht in den Grundzügen ihres Charakters verändert hatte. Als Verhandlungspartnerin war sie zäh,
wenig kompromissbereit und ließ sich schwer überzeugen. Aber wenn es jemanden gab, der ein
Stück von ihr kannte, das sie gern verbarg, war es Robert. Tanja Thomacz hatte Angst. Sie war schon
vor Jahren ein Angst-Mensch gewesen, wie er es ausdrücken würde.
Ihm selbst hatte diese Eigenschaft zu damaliger Zeit eine gehörige Portion Ärger eingebracht.
Dennoch empfand er ihr gegenüber jetzt dasselbe, was er schon vor sechs Jahren empfunden hatte –
Mitleid.
Als er sie verließ, war der Vertrag abgeschlossen und der Job war erledigt. Seine Vorgesetzten
konnten zufrieden sein. Tanja Thomacz ebenso, denn er hatte den Spielraum, den man ihm zur
Verfügung gestellt hatte, voll ausgereizt – im Sinne der Firma Heklon.
Er würde zu seinem Wagen gehen und in den wohlverdienten Feierabend starten, denn es war
bereits nach 16:00 Uhr.
Als er in den Audi einstieg, schlug ihm die Hitze entgegen, die sich im Innenraum entwickelt hatte,
während er mit Tanja Thomacz verhandelt hatte. Er öffnete die Fenster aller Türen und rief seine
Frau an, nachdem er seine Krawatte und sein Sakko auf dem Beifahrersitz gelegt hatte. Sandra würde
auch heute mit dem Essen auf ihn warten, denn der Feierabendverkehr in Köln war wie immer – eine
Geduldsprobe für jeden Autofahrer.
Während er mit seiner Frau sprach, sah er auch Tanja Thomacz, die in ihrer Lederkombination nun
das Firmengebäude verließ. Sie sah ihn kurz an und folgte dann dem Fußweg, der um das
Firmengelände herumführte.
„Schatz, ich fahre in einer Viertelstunde los. Jetzt im Moment startet jeder in den Feierabend, da hat
es keinen Sinn. Bis später.“
Die Viertelstunde machte praktisch wenig aus, der Feierabendverkehr würde erst in fast einer Stunde
wieder nachlassen. Hier und jetzt aber wollte Robert ein altes Kapitel in seinem Leben endgültig
beenden, dass ihn nie ganz losgelassen hatte. Sie hatten sich nie vertragen, sich nie vergeben. Er ging
ihr nach – folgte dem Fußweg, passierte eine recht hohe Hecke und hinter dieser stand Tanjas Suzuki
Intruder.
Eine Augenweide für jeden Motorradfan. Tanja hatte sich an den Fahrersitz gelehnt, hielt den
Motorradhelm in der linken Hand und die rechte vor ihr Gesicht. Robert hatte vor sechs Jahren oft
Wut auf sie empfunden, wenn sie gemeinsam mit anderen Umschülern über ihn hergezogen hatte.
Nun aber bot sich ihm ein Anblick, den selbst ein grausamer Mensch nicht als Genugtuung hätte
empfinden können. Tanja Thomacz, die zielstrebige Karrierefrau, weinte hemmungslos.
Er überlegte, ob er sich zum Gehen wenden sollte. Was verband sie noch nach all den Jahren, außer
einer Erinnerung an Vergangenes, dass im Grunde längst keine Bedeutung mehr hatte. Sie war doch
diejenige gewesen, die sich damals gegen seine Versuche gesträubt hatte, sie unterstütze zu wollen.
Sie war diejenige, die mit einer Beschwerde reagiert hatte, weil er die Absicht hatte, sie bei ihren
damals noch schlechten Fähigkeiten in Handelsenglisch und dem formulieren von Geschäftsbriefen in
deutscher Sprache zu unterstützen.
Aber er würde ihr zeigen, dass er sich in diesem Punkt nicht geändert hatte – nicht, wenn es um sie
ging. Noch bevor sie ihn bemerkte, bevor ihr wütender Blick sie traf und bevor sie ihn anfuhr, was er
von ihr wolle, hatte er eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Hemdes gezogen. Er trat an sie
heran, legte die Karte wortlos auf den Sitz der Intruder neben sie und ging.
„Musst du nicht heim zu Deiner Frau ?“, rief sie ihm nach.
„Bei dem Verkehr spielt es keine Rolle, ob ich jetzt fahre, oder erst in einer halben Stunde. Aber keine
Sorge, ich werde dich nicht belästigen.“
Erst jetzt wurde Robert bewusst, dass die Fenster des Audi noch immer geöffnet waren. Doch der
Moment, in dem er abwesend gewesen war, hatte kein Risiko dargestellt. Bei der Firma Heklon
wurde bis 16:30 Uhr gearbeitet. Bis zu diesem Zeitpunkt würde er Tanja Thomacz und alles, was
damals gewesen war, hinter sich gelassen haben. Jedenfalls hatte er diesen Gedanken gefasst, als er
den Motor des Audi startete und den Heimweg antrat.