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5. KAPITEL DRESDEN, RIESA, HALLE

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ULLI THOMALE | Dynamo Dresden wandte sich irgendwann an die Funktionäre des FSV Lok Dresden, weil Dynamo-Trainer Walter Fritzsch mich wollte. Fritzsch hatte gesagt: „Den brauch ich.“

Und wenn er diese Worte aussprach, begannen die Rädchen zu arbeiten. Dynamo war inzwischen sehr beliebt in Dresden, zu uns kamen ein paar tausend, zu Dynamo zehntausende. Da hat keiner gesagt, Dynamo ist Stasi oder Volkspolizei. Das hab ich nie begriffen. Mich hat’s ein bisschen erstaunt, weil eigentlich hätte der Lieblingsclub der Dresdner der SC Einheit Dresden sein müssen. Dynamo ist nach dem Krieg entstanden. Über die VP, die hießen eine Weile VP Dresden, kamen eigentlich aus Leipzig beziehungsweise Berlin, die Entstehung von Dynamo Dresden ist eine ganz merkwürdige Geschichte. Gut, die Dresdner liebten freiwillig Dynamo, einen Polizeiverein, war nun mal so.

Jedenfalls wollte Walter Fritzsch mich 1969 haben und hat sich an die Funktionäre gewandt, die sollten das mit mir klären. Ich und ein Torhüter sollten rüber, im Rahmen eines Ringtauschs. Die Spieler wurden als Letzte gefragt. Über Wechsel entschieden Funktionäre.

Aber ich sollte und wollte zu Dynamo. Doch meine FSV-Lok-Funktionäre blockierten den Wechsel. Die mochten mich nicht abgeben. Als ich das erfuhr, wollte ich den Verein unbedingt verlassen. So bin ich 1970 kurz darauf zu Stahl Riesa in die Oberliga gewechselt, in die höchste Spielklasse der DDR. Ich wurde nicht delegiert, ich meldete mich in Dresden ordnungsgemäß ab und in Riesa ordnungsgemäß an.

Bei Stahl Riesa absolvierte ich im rechten Mittelfeld beziehungsweise vorn rechts leider nur 14 Spiele. Ich hab ein Tor daheim erzielt, Flugkopfball gegen Vorwärts Frankfurt.

In Riesa wurde ich als Diplomsportlehrer für Massensport eingestellt und habe Kindern am Abend Sportunterricht gegeben. Eine verschleppte Gelbsucht machte mir wahrscheinlich zu schaffen, die ich mir bei der NVA zugezogen hatte.

Ich sah mich noch als Spieler, ich wurde zu einer Reha geschickt. Es wurde nicht besser, ich hab noch gespielt und nicht schlecht. Als ein Riesaer Arzt bei mir eine residuale chronische Hepatitis feststellte, war meine Spielerkarriere beendet.

Dieser Internist einer Riesaer Poliklinik meinte nach einer durchgeführten Leberbiopsie mit dem Befund in der Hand: „Herr Thomale, wenn Sie alt werden wollen, dann hören sie mit Leistungssport auf.“

Als ich mit aufhören musste, war ich sechsundzwanzig, im besten Fußballeralter. Das war eine sehr bittere Entscheidung.

Ich hab in Riesa im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks an einer Tribüne mitgebaut und mich so im Stadion verewigt. Leider hatten wir schlechte Trainingsmöglichkeiten. Wir sind häufig mit einem Robur-Kleinbus durch die Landschaft getuckert, um bei kleineren Vereinen einen Platz am Rand der Stadt zu finden, sehr amateurhaft, trotz Oberligazugehörigkeit. Auf einem holperigen Hartplatz haben wir manche Athletikeinheit absolviert.

Mein Grundgehalt betrug in Riesa 900 DDR-Mark. Wenn man im Leistungssport als Trainer gearbeitet hat, waren diese 900 Mark das Grundgehalt. Als Spieler bekam man in Riesa 1970 weniger.

Dann haben sich die Ereignisse überschlagen. Der Riesa-Trainer Karli Schäffner hatte mich nach meiner Diagnose in den Trainerstab eingebaut, ich war fürs Warmmachen zuständig und fürs Erste damit nicht unzufrieden. Zu dem Zeitpunkt war mir klarer als je zuvor, dass ich nur Fußballtrainer werden wollte. Regine und ich bekamen 1971 in Riesa unseren ersten Sohn Michael. Wir haben in Riesa endlich gemeinsam gewohnt, Stahl Riesa hatte uns die erste eigene Wohnung besorgt.

Plötzlich wandte sich der Hallesche FC Chemie an mich. Der damalige Clubvorsitzende Hans Schmidt des Halleschen FC war ein feiner Mensch. Er hat mich nach Halle zum Nachwuchs gelotst. Ein Trainer ging für’n halbes Jahr zur Armee, und der Posten des Oberliga-Junioren-Trainers war frei. Der HFC war ein Fußballclub, Stahl Riesa eine kleine Betriebssportgemeinschaft. Ich überlegte keine Zehntelsekunde und sagte zu.

Der Job in Halle war eine berufliche Verbesserung, bedeutete aber auch die Trennung von der Familie. Ich bekam anfangs neben dem Club-Sekretariat eine kleine Wohnung in Halle, später hab ich mit einem Kollegen eine Kleinstwohnung in Halle-Neustadt bezogen.

Arbeits-Alltag: Montag bis Freitag Spieler trainiert. Ganz früh hatte ich eine KJS-Klasse. Anderthalb Stunden später die nächste KJS-Klasse. Dann bin ich zu Fuß oder mit der Bahn zum Clubgelände. Mittagessen. Am Nachmittag wieder die beiden KJS-Klassen. Danach kamen die Lehrlinge, also Spieler, die wegen ihrer schulischen Leistungen nicht auf der KJS waren. Die hab ich auch trainiert. Dann ab in mein Schlafobjekt. Am nächsten Tag ging wieder von vorn los.

Nur am Freitag zum Abschlusstraining hatte ich die Lehrlinge und die Jungs von der KJS zum gemeinsamen Training. An den anderen Tagen immer nachmittags den größten Teil der gesamten Mannschaft. Trotzdem sind aus einigen Lehrlingen gestandene Oberligaspieler geworden. Samstag fanden Punkt- und Pokalspiele statt. Häufig als Vorspiel vor den Oberligabegegnungen. Das war eine gute Idee. Weil die Jungs vor Zuschauern spielten und die Oberliga-Trainer teilweise zusahen. Leider nur bei schönstem Wetter, um den Platz zu schonen. Diese Vorspiele wurden auf einen Nebenplatz verlegt, sobald ein Tropfen Regen fiel.

Der Sprung von der Jugend- zur Männer-Mannschaft war schwer. Ein normaler Prozess. Wir haben von einer Pyramide gesprochen. Du darfst dich auf den Weg zur Pyramidenspitze nicht verletzen. Oder Überlastungserscheinungen haben. Du musst fleißig trainieren und den Freuden der Jugend abschwören.

Aus welchem jungen Mann mal ein toller Spieler wird, ist nicht einfach feststellbar. Wir haben gegrübelt: Wird das einer oder nicht?

Es wurden im Nachwuchs Altersbestimmungen durchgeführt, wo man die Handwurzelknochen untersuchte, um festzustellen, der ist in seinem Wachstum hinterher, kann aber noch werden. Es sind viele Fehler gemacht worden. In allen Vereinen. Gute Spieler fielen durchs Raster, weil sie kleine Schönheitsfehler hatten. Heiko Scholz zum Beispiel. Er war in Dresden an der Kinder- und Jugendsportschule. Aber weil er so’n Hänfling war, man in ihm kein Potenzial erkannte, wurde er nicht entsprechend gefördert. Scholz ist später richtig durchgestartet, weil er an sich geglaubt hat und niemals aufgab. Viele junge Spieler hatten diesen Ehrgeiz und Willen nicht.

Trainer im Nachwuchs waren in der DDR oft erpicht, mit ihren Mannschaften gut abzuschneiden, darum setzten sie lieber die Großen und Kräftigen ein.

Den guten Fußballer, vielleicht etwas klein, den ließen sie unbeachtet liegen. Das war nicht gut. Weil jeder Kleine die großen Kerle in zwei Monaten spielerisch überholen konnte.

Ich hatte ’n paar richtig gute Fußballer in Halle. Bei denen es mich wunderte, dass sie es nicht in die OberligaMannschaft schafften. Die letzte Stufe der Pyramide, das erkannte ich bei meiner nächsten Station in Jena, ist die schwierigste. Dort scheiden sich die Geister. Aufkommende Sexualität, Wochenendvergnügen, das Erwachsenwerden. Wenn der Spieler nicht erkennt: Was ist mein Hauptjob? Wo will ich vorwärtskommen? Wenn er alles mitnehmen will, mit den Mädels – ich will ausgehen, ich will vielleicht rauchen und Alkohol trinken. Ist nicht unnormal, dass jeder sich ausprobiert. Aber so verplemperten sich viele gute Fußballer. Ich habe oft zu den Jungs gesagt: „Ihr habt nicht so viele Jahre als Fußballspieler. Versucht das Optimale rauszuholen.“

Man soll fröhlich sein oder ein Mädel haben, aber alles in Maßen. Das Schlimmste ist, wenn du mit fünfunddreißig vorm Fernseher hockst, und dann spielt in der Flimmerkiste einer, der einst mit dir auf gleicher Stufe stand, es aber begriffen hat. Und du: „Ahh … das hätt’ ich doch auch …“ Ich war ein halbes Jahr in Halle, bis der eigentliche Trainer von der NVA zurückkam. Ich wär’ gern geblieben, weil mir’s dort gefallen hat. Es waren meine ersten Schritte als Fußballtrainer, die ich mit energischem Schwung absolvierte. Ich spürte, der Fußball wartete auf mich, bald würde sich ein neues Fenster öffnen.

REGINE THOMALE | Ein Jahr bevor ich mit dem Studium fertig wurde, heirateten wir. Weil seinerzeit die meisten Junglehrer nach Mecklenburg-Vorpommern versetzt wurden. Das wollten wir vermeiden. Wir sagten uns, heiraten tun wir sowieso irgendwann, also heiraten wir jetzt und gut. Ich musste als eine der wenigen Junglehrerinnen nicht nach Mecklenburg-Vorpommern und bekam eine Stelle in meiner Heimatstadt Meißen angeboten.

Man bot uns ’ne Wohnung an: ein Zimmer in der zweiten Etage, das andere Zimmer in der ersten Etage. Und ’n Waschbecken mit kaltem Wasser war auf dem Gang. (LACHT) Und da haben wir gedacht: „Scheiße, also das ist ja … ‚romantisch‘ …“ Das wollen wir eigentlich nicht. Bis dahin hatten wir keine gemeinsame Wohnung.

Dann bekam Ulli ein Angebot von Stahl Riesa, einem Oberligisten. Es wurde nicht diskutiert, wir gingen nach Riesa. Für mich war das auch klar. Gehen wir nach Riesa, vielleicht funktioniert das mit der Wohnung besser. Ullis Trägerbetrieb, das Stahlwerk Riesa, hat uns eine Neubauwohnung in der Platte organisiert. Die war schön für mich, ich war inzwischen dreiundzwanzig. Neubauwohnung, vierte Etage, aber Zentralheizung, warmes Wasser und so.

Stahl Riesa hat mir gleichzeitig eine Stelle organisiert. Lehrerstellen gab’s in der DDR eigentlich immer, weil viele Lehrer am Schulalltag scheiterten und den Abflug machten, um in der Partei die Karriereleiter zu erklimmen.

Wenn es politisch gewollt war, fand sich immer eine freie Stelle beziehungsweise wurde freigeräumt. Ich wusste nicht, dass für mich, damit der Ulli in Riesa Fußball spielen konnte, eine Stelle freigeräumt wurde. Es wurde eine Kollegin, die eine Klasse geführt hatte, zur Seite gedrängt, damit ich diese Stelle kriegte. Entsprechend sauer waren die Kollegen auf mich, als ich kam.

In der DDR gab es Spezialschulen, in denen ab der 3. Klasse Russischunterricht vermittelt wurde, für ausgewählte Schüler. Man hat gesagt: Der Kultursamen der Republik, also die Besten von überall, die kriegen so’n Platz, weil sie die frohe Zukunft des Landes sind. Diese sehr guten Schüler hatten nebenbei Russischunterricht. Meine erste Schule war so ’ne Schule. Es gab dort aber auch normale Klassen, ohne Extrarussisch. Die Schüler in diesen normalen Klassen würden heute als Schüler einer Brennpunktschule bezeichnet werden.

Die Riesaer Stahlöfen kochten vierundzwanzig Stunden am Tag Stahl. Im Stahlwerk Riesa arbeiteten viele Angestellte in der rollenden Schicht. Das bedeutete, eine Woche Frühschicht, nächste Woche Mittagsschicht, dann Spätschicht, dann Nachtschicht. So haben die meisten dort geschafft.

Oft arbeiteten beide Eltern in der rollenden Schicht, und manche Kinder wurden sich selbst überlassen, waren den ganzen Tag in irgendwelcher Betreuung. So ’ne Klasse hatte ich, heute würde man mein erstes Jahr dort Referendariat nennen. Ich war etwas überfordert von den sozialen Problemen, die mich neben dem Unterricht beschäftigten. Mir fehlten die Erfahrung und der Rückhalt in der Lehrerschaft. Die Schule war politisch klar auf DDR-Kurs, der Schulleiter hat mich drangsaliert: „Na, Frau Thomale, zeigen’se mal her, was Sie heute vorbereitet haben.“

Wenn du jeden Tag fünf Stunden unterrichtest, musst du die Vorbereitungen kürzen, sonst wirst du überhaupt nicht fertig und sitzt die ganze Nacht am Schreibtisch. Der Schulleiter hat mir nicht geholfen, sondern immer nur moniert, dass alles Mist sei, was ich machte. Dass ich keine Ahnung habe, obwohl ich meinen Abschluss mit „sehr gut“ gemacht hatte. Dass ich eine Fehlbesetzung sei. Nach einem Jahr Bewährungsprobe wurde an deiner jeweiligen Schule entschieden, ob du als Lehrer geeignet warst oder nicht.

Der Schulleiter hat sich angekündigt, er wollte eine Stunde überprüfen, ich hatte ’ne dritte Klasse, wir behandelten die Nationalhymne der DDR. Das war im Lehrplan vorgesehen. Und in der DDR-Nationalhymne gab es die Passage: Deutschland einig Vaterland.

An meiner Behandlung dieser Passage hat der sich aufgezogen und mich fertiggemacht. Ich hab nicht sonderlich herausgestrichen, was Deutschland einig Vaterland in der aktuellen politischen Gemengelage bedeutet. Dass es die deutsche Einheit nach DDR-Lesart nie geben wird. Ich hab diese Einig-Vaterland-Problematik untern Tisch fallen lassen und hab mich an den anderen Sachen langgehangelt. Der Schulleiter wollte mir daraufhin meine praktische Anerkennung als Lehrer verweigern, das war furchtbar. Es endete damit, dass ich mir beim Rat des Kreises Hilfe holen musste. Dort arbeitet eine Person, die Junglehrer unterstützte. Dieser Mensch ist mir dankenswerterweise beigesprungen, und ich bekam meine Anerkennung.

Für mich war klar: Das mach ich nicht weiter. Ständig dieser Druck und dieses politische Gekäse dort, das ist nix für mich. Ich wollte Kinder unterrichten, ihnen die Augen für die Schönheit der Welt öffnen.

Wir haben zwei Jahre in Riesa gewohnt, dort wurde unser Sohn Michael 1971 geboren. Nach dem einen Jahr Riesa ging Ulli als Jungtrainer nach Halle. Wir lebten wieder getrennt. Ich musste den Säugling früh in die Krippe schaffen und danach in die Schule fahren. Ein kleines Kind ist auch mal krank. So kam der nächste Stress in der Schule. Der Knüller war, ich musste samstags arbeiten. Samstags war die Kinderkrippe geschlossen. Ich sah keine andere Möglichkeit, als Michael mit in die Schule zu nehmen. Keine Betreuung, unser Kind stand auf dem Gang oder auf dem Schulhof. Der schreckliche Schulleiter sagte: „Entweder Sie finden eine andere Lösung oder Sie brauchen nicht mehr zu kommen.“ Er schikanierte mich, wo er nur konnte.

In der Folge sind abwechselnd Ullis und meine Mutti nach Riesa gefahren und haben unser Kind betreut. Nach zwei Jahren war mir klar, diese Schule macht mich fertig. Ich höre auf. Es kam nicht dazu, weil wir wegen Ullis Arbeitswechsel nach Jena gingen.

»Ich bin Trainer, kein Diplomat!«

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