Читать книгу Süffiger Single Malt für MacDonald - Frank Winter - Страница 8
ОглавлениеBalmorals feine Whisky-Bar
MacDonald schlief unruhig. Alpträume wechselten sich ab, und am Morgen war er froh, aufstehen zu können. Neben seinem Kopfkissen lag ein Zettel, auf dem groß »Karen« stand. Er wollte seine Herzensdame bereits am Abend anrufen und ihr den Menüvorschlag präsentieren, doch nach dem flüssigen Schock verließ ihn die Stimmung. Er nahm den vermeintlichen Glen Garioch und brachte ihn außer Sicht im Schrank unter. Nach einem gemütlichen Vollbad begab er sich nach unten, in den Frühstücksraum. »Nummer 326«, informierte er den langen Gentleman in weißem Hemd und schwarzer Hose, der hinter der Theke stand. Die anderen Angestellten traten ganz in schwarz auf. Er musste der Chef sein. »Sie haben freie Tischwahl, Sir.«
Ein Nordire, dachte MacDonald. Die grüne Insel war gut vertreten.
»Tee oder Kaffee, Sir?«
»Tee, bitte.«
Der Mann nickte und schritt mit riesigen Schritten in die Küche. MacDonald ging zu seinem Tisch. Hohe, schlanke, mit Leder bezogene Holzstühle standen an dunkelbraunen Tischen. Durch zwei bodenlange, karierte Vorhänge wurde der lange Raum geteilt. MacDonald verstaute seine Aktenmappe auf der Fensterbank, ging in den Nebenraum und holte sich am Buffet Müsli und Orangensaft. Auf dem Tisch dampfte aus einem Kännchen sein Tee. Hätte der Oberkellner nicht an ihm vorbeikommen müssen? Ein Brummen in seiner Tasche lenkte ihn ab. »Angus Thinnson MacDonald. Alberto, schön, dass du anrufst. Ich muss dir dringend etwas erzählen.« Als er mit seiner Glen-Garioch-Story zu Ende war, blickte er sich im Raum um. Ein kleiner Mann asiatischer Provenienz kippte ruckartig den Kopf nach unten. Der Bursche hatte seine Konversation belauscht! Lustlos beendete MacDonald sein Müsli und holte sich nur Eier und Speck. Als er zurückkam, waren sowohl Oberkellner als auch Beobachter verschwunden. Was für ein komischer Morgen. Er ging in sein Zimmer, putzte sich die Zähne und verbrachte die nächsten Stunden damit, an den neuen Rezepten zu feilen. Falls Karen seine fleischlichen Versöhnungsmenüs nicht zusagten, würde er sich mit einer Kreuzung zwischen schottischem und orientalischem Essen lieb Kind machen. Feuriger Rote-Bete-Salat, Gerstentopf und süßsauer eingelegter Kürbis.
Gegen halb zehn wandelte er die enge, steinerne Treppe nach unten, zur Straße. Die Linie Elf fuhr um diese Uhrzeit sehr häufig und so musste er nicht lange auf den nächsten Doppeldecker warten. Er schob seine Karte über den elektronischen Scanner, bedankte sich beim Fahrer und setzte sich in den vorderen Bereich. Die Morningside Road war schon immer eine seiner liebsten Straßen in Edinburgh. All die vielen kleinen Geschäfte bewiesen, dass sich mit einem treuen Kundenstamm eine Existenz abseits von Ladenketten führen ließ. Er fuhr bis zur Princess Street, nahm von dort ein Taxi in die Old Town und ging noch einige Meter zu Fuß, um etwas für seine Gesundheit zu tun. Was er von weitem sah, als er sich Imperial Whiskys näherte, konnte nicht wahr sein! Somerled, der komische Stellvertreter, schloss die Tür ab und drehte das Schild mit dem Hinweis »Sorry, we are closed« nach außen. Angesichts der Tatsache, dass sie in fünf Minuten öffnen sollten, war das bodenlos! Dann streckte der Kerl auch noch den Daumen nach unten! Was bildete er sich ein, nach zwei Flaschen Fusel! So einfach käme er ihm nicht davon. Wenn er vor der Tür stehen blieb, erschiene niemand. Auf der anderen Straßenseite würden sie aber nicht merken, dass er observierte. Er musste nur noch für eine gute Verkleidung sorgen. In einem der Touristengeschäfte wurde er fündig: ein Schlapphut mit angenähter, roter Perücke und ein Schal im Royal-Stewart-Tartan aus Polyacryl sollten genügen. Seine Mappe steckte er in eine große Plastiktüte und fertig war der Zwei-Tage-Stadtbesucher. Etwa dreißig Minuten später riss ein Mann in Tour-de-France-Montur die Ladentür auf, Sturzhelm auf dem Kopf und Rad auf dem Rücken. Der unhöfliche Verkäufer! »Hallo, Sie da!«, rief MacDonald laut und eilte über die Straße. Als Somerled ihn ausmachte, sprang er aufs Rad und strampelte davon, mit der Linken abermals den Daumen nach unten richtend. Auch ein schlankerer Mensch hätte den Mann nicht stellen können. MacDonald klopfte an die Tür und rief nach dem Besitzer. »Kevin Wordie, bitte für ein klärendes Gespräch erscheinen.« Im Geschäft fiel eine Flasche auf den Boden. Ob Wordie seine falschen Whiskys zerstörte? Er konnte ihn leise wimmern hören. Was hatte der Mann bloß? Am besten warten, bis er ebenfalls das Geschäft verließ. Doch war nicht gesagt, wie das vonstattengehen würde. Wordie kam vielleicht auf einer Kanonenkugel geflogen! Nein, da ging er lieber zum Coffee-Shop in der Blackwell’s-Buchhandlung und trank eine schöne Tasse Kaffee. Über drei Scones kam die Mittagszeit und er schlenderte ins Kebab Mahal am Nicholson Square, um seinen gewohnten Imbiss zu nehmen: Chicken Curry mit Cashewnüssen, Reis und Naan. Um sich eines Völlegefühls zu entledigen, würde ein Spaziergang hilfreich sein, in die Whisky-Bar des Balmoral Hotel, für weitere Ermittlungen …
Im Jahr 1902 unter dem Namen North British Station Hotel eröffnet und direkt am Waverley-Bahnhof gelegen, war das Balmoral der Inbegriff eines gediegenen Etablissements. Wie eine Burg ruhte es in der Stadt. Nicht zufällig war Balmoral das gälische Wort für majestätisches Gebäude. Etwa 460 Scotch Whiskys, und nur solche, konnten in der Whisky-Bar verköstigt werden, denn niemand reiste nach Edinburgh, um Bourbon zu trinken. Gordon and MacPhail, der Händler und Abfüller von raren Whiskys, hatte bei der Bestückung der Bar geholfen. Alle 122 Malt-Destillerien waren vertreten. Es gab Whiskys zu einem Betrag in dreistelliger Höhe und Flaschen für 8.000 Pfund, etwa einen Benromach, Jahrgang 1970. Doch auch für wenige Pfund konnte man ein Gläschen trinken. Natürlich versuchte keiner der drei Whisky-Botschafter, so hießen die versierten Barkeeper, Gäste reinzulegen. Man war bemüht, im Zwiegespräch ein passendes Tröpfchen zu finden. Zwischen 35 und 40 Flaschen sehr alter Scotch wurden offeriert, von stillgelegten Destillerien wie Port Ellen, Rosebank oder Little Mill. Die Whisky-Botschafter, alle sehr nett, teilten sich die Bar. Da die meisten Gäste aus dem Hotel stammten und sich nicht zwangsweise mit Scotch auskannten, waren die Herren immer erfreut, MacDonald zu sehen. Der wiederum hoffte, den Jüngsten von ihnen anzutreffen. Es war beeindruckend, wie gut der Herr sich bereits mit Scotch Whisky auskannte. Als der Gourmet das Hotel betrat, bereute er es fast, sich nicht hier einquartiert zu haben: Eine von seinen Eltern tradierte Vorsicht im Umgang mit Geld hatte ihn davon abgehalten. An der Rezeption fiel ihm ein Mann auf, der mindestens 2,20 Meter groß war, karierte Hose und Gehrock trug. Gehörte er zum Personal? MacDonald sah durch die Glastür in die Bar. Blitzblank poliertes Parkett aus Kiefernholz, eine Theke aus Kirschbaum, davor schwarze Hocker mit schwarzweißem Schaffell, die Bar dreigeteilt mit einem dunkelbraunen Regal in der Mitte. Links und rechts davon standen in beleuchteten Glasschränken Whisky-Flaschen. Sein favorisierter Botschafter war zugegen und bislang noch ohne Gäste. Da ließ es sich gut plauschen. Der junge Mann polierte Gläser und lächelte ihm zu. »Mister MacDonald, wie schön, Sie zu sehen.« Er trug einen Kilt in Farben, die mit Whisky harmonierten: gold, beige und braun, dazu weißes Hemd, Krawatte und schwarze Weste, die Haare akkurat gescheitelt.
»Ganz meinerseits, Mister Weir.«
»Geht es Ihnen gut, Sir?«
Er hätte seinen Wasserschaden erwähnen können, aber wie die Queen von England zu sagen pflegte: »Never complain, never explain«, sich niemals beschweren oder für irgendetwas entschuldigen. »Danke, alles bestens bei mir.«
Die Antwort schien Mister Weir zu verunsichern. »Sind Sie sicher?«
Wieso sollte er sich irren? »Ja, keine Sorgen.«
»Was darf ich Ihnen eingießen?«
»Gute Frage. Es ist noch früh, vielleicht einen Auchentoshan zum Start?«
»Bitte?!«
MacDonald nahm auf einem der sandfarbenen, um ein Tweed-Sofa gruppierten Sessel Platz. »Au-chen-to-shan, von den Lowlands.«
»Ich weiß, Mister MacDonald. Es ist nur so, dass ich gestern Abend die letzte Flasche ausgegossen habe und noch kein Nachschub eintraf.«
»Bitte? Ausgegossen?«
»Verbraucht, ausgeschenkt, meinte ich.«
Bei einem Haus wie dem Balmoral durfte so etwas nicht passieren. »Dann nehme ich einen Glen Garioch.«
»Puh!«
»Wie meinen?«
»So leid es mir tut, aber damit haben wir ebenfalls einen Engpass.« Weir sah über MacDonalds Haupt hinweg.
»Zwölfjährigen Highland Park, bitte. Am Orkadier wird sich hoffentlich niemand vergriffen haben?«
»Haha, aber nein.«
Der junge Mann klang komisch. Wenn MacDonald nur den geringsten Fehlton entdeckte, würde er in Zukunft Whisky anderer Länder trinken! Ohnehin wollte er das profunde Buch Canadian Whisky seines Kollegen Davin de Kergommeaux studieren. »Wissen Sie was, ich nehme einen Doppelten.«
Weir holte eine Flasche Highland Park aus dem Regal, schenkte vier Zentiliter in ein Gläschen und stellte es ihm hin. MacDonald zog einen Bogen weißes Papier aus seinem Jackett und hielt den Whisky davor. »Bernsteinfarben. Wie er sein sollte.«
»Darf ich Ihnen einen Snack reichen, Mister MacDonald?«
»Nein, danke. Im Moment nicht.« Warum war der junge Mann so fahrig?
»Wildschweinsalami, dunkle Schweizer Schokolade, geräucherte Mandeln, auf Kosten des Hauses selbstverständlich. Nur wenn Sie möchten …«
Der Gourmet schüttelte den Kopf. Nicht unhöflich, aber entschieden genug, um nicht weiter behelligt zu werden. »Nun zum Geruch oder zur Nase, wie wir sagen.« Er führte das Gläschen zum linken Nasenloch, dann nach rechts.
»Alles in Ordnung?«
»Oh ja, rauchige Kartoffelfeuer-Süße, wie mein Freund Michael Jackson meinte. Heidekraut und Sherry.« Er nahm ein Schlückchen und ließ es im Mund kreisen. »Perfekt.«
Weir tupfte sich Schweiß von der Stirn. »Da bin ich aber erleichtert!«
»Sie meinen das ironisch«, erwiderte MacDonald stirnrunzelnd.
»Natürlich, ja.«
»Er prostete ihm mit dem Gläschen zu. »Süßer Heidehonig und ein Malzton. Rundum köstlich. Eine herausragende Destillerie, in der man die Gerste noch selbst mälzt. Hatten Sie schon Gelegenheit, die Damen und Herren auf Mainland/Orkney zu besuchen, Mister Weir?«
Der Whisky-Botschafter trat einen Schritt zurück. »Nein, warum?«
»Ich frage nur, weil Sie mir einmal erzählten, dass Sie gerne Destillerien besichtigen.«
»Stimmt, aber auf den Orkney-Inseln war ich leider noch nicht.«
»Ihr Steckenpferd sind die Flaschen der Flora-und-Fauna-Serie, nicht wahr?«
»Mortlach und Rosebank interessieren mich auch!«
»Wo erstehen Sie die Flaschen?«
»Bei verschiedenen Händlern.«
Unpräziser ging es nicht. »Imperial Whiskys?«
»Nicht mehr so oft«, rutschte es dem Barkeeper heraus.
»Hat die Qualität nachgelassen?«
»Dazu würde ich keinen Kommentar abgeben wollen. Ich dachte mehr an den Service der Angestellten …«
»Ich empfinde es ebenso. Kevin Wordie ist allerdings ein nobler Mann, der seine Whiskys kennt.«
»Sie hatten Grund zur Beanstandung?«, fragte Weir etwas zu neugierig.
»Auchentoshan und Glen Garioch.«
»Umso mehr tut es mir leid, dass wir die beiden nicht vorrätig haben.«
»Wann rechnen Sie mit einer neuen Lieferung?«
»Da müsste ich Mister Cipriano fragen. Er kommt leider erst in zwei Stunden. Wenn Sie so lange warten möchten …«
»Haben Sie herzlichen Dank, Mister Weir. Das wird nicht nötig sein. Sie veranstalten regelmäßig Seminare mit Destillerie-Managern? « »Äh, ja …?«
»Hatten Sie in der letzten Zeit Glen Garioch oder Auchentoshan zu Gast?«
»Nicht, dass ich mich erinnere. Vielleicht haben die beiden Destillerien gegenwärtig zu viel Arbeit? Extrem schwer zu sagen.«
Ob der Bar auch falscher Whisky untergekommen war? Wusste Mister Weir Kompromittierendes über die beiden Destillerien? Auch wenn es so wäre, könnte der junge Mann diese Fragen nicht bejahen. MacDonald verließ das Balmoral und trat auf die Princess Street. Er wollte ein wenig über die Einkaufsmeile schlendern, um seine Gedanken ins Reine zu bringen. Obwohl kein Freund von Ladenketten, bedauerte er, dass die East-End-Filiale der Waterstones-Buchhandlung ihre Pforten geschlossen hatte. Sie führten stets seine Bücher. Auch die Filiale in der George Street musste dichtgemacht werden. Desweiteren eine zweite Buchhandlung in der Straße. Kein Wunder, wenn träge Kunden alles übers Internet bestellten! So praktisch er das Medium für vergriffene Bücher fand, würde er niemals ein neues Werk darüber beziehen. Als er beim Scott Monument ankam, atmete er bereits stakkatohaft und stieg in den nächsten Bus, um ihn dann vor der West-End-Filiale von Waterstones zu verlassen. Ein Kassierer, der ihn bemerkte, grüßte respektvoll. Bislang hatte er aus jedem seiner neuen Bücher gelesen. So etwas merkten sich Buchhändler und schätzen es, wenn ein bekannter Autor keine Allüren hatte. Er nahm den Lift ins oberste Stockwerk, wo die Kochbücher feilgeboten wurden. Seine letzte Arbeit, »Currys für Connaisseure«, stand im Regal und war mehrfach auf einem der Tische ausgelegt. Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte MacDonald das Gefühl, beobachtet zu werden.
Als Alberto den Frühstücksraum seines Guest Houses mit einer zweiten Kanne Tee betrat, hoffte er, schleunigst aus dem Alptraum zu erwachen. Die vier Chinesen, älteres und jüngeres Ehepaar – so wie seinerzeit bei den japanischen Gästen! Böses Omen! – packten die Bestandteile seiner professionell gekochten Full Breakfast zwischen Toastscheiben! Porca miseria! Waren die von allen guten Geistern verlassen? »Darf ich fragen, was Sie da machen?«
»Gutes Frühstück, Mister Vitiello«, antwortete der Sippenvorstand. »Sehr gut.«
»Si, das weiß ich! Nun?«
»In China machen wir gerne, wie sagt man …« Seine Frau flüsterte ihm diskret ins Ohr. »Experimente.«
Am liebsten hätte Alberto gesagt, dass sie sich nicht in Asien, sondern in Edinburgh, Scotland, befanden. Doch im Zeitalter extremer politischer Korrektheit und auch weil Maria ihn wegen seines Umgangs mit Gästen rügte, nickte er nur düster.
»Wir wollen finden, wie ein Full-Breakfast-Sandwich schmeckt.«
Alberto bemerkte eine farbige Substanz in einem der Brote. »Haben Sie etwa auch Marmelade reingeschmiert?«
»Alles, natürlich. So will es Experiment.«
Warum nicht noch eine Serviette zur Krönung! Gut durchgekaut, sollte das unproblematisch sein! Vitiello stellte die Teekanne auf den Tisch und ging in die Küche, wo Maria gerade sehr laut Teller in die Spülmaschine räumte. Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, um so mit etwas Glück das drohende Gespräch zu vermeiden.
»Hast du dich mit unseren neuen Gästen auch schon angelegt?«
»Besucher haben Rechte und Pflichten.«
»Was bedeutet, dass sie deiner strengen Regimentordnung folgen müssen. Warum bringst du deine Gebote nicht an zentralen Plätzen des Hauses an?«
Alberto setzte sich, was bedeutete, dass er interessiert war.
»Denk nicht darüber nach. Ich habe nur Spaß gemacht.«
»So schlecht ist deine Idee …«
»Alberto!«
»Überleg doch mal. Wenn alle die Regeln kennen und sich daran …«
»Basta cosi!«
Selten wurde seine Frau so wütend. Es war besser, den Rückzug anzutreten. »Ich schau mal, ob die Gäste noch etwas brauchen.«
»Ottima idea! Tolle Idee!«
Alberto klatschte in die Hände, als es an der Haustür klingelte. »Ciao, Angus, wie schön, dich zu sehen.«
»Oh, vielen Dank.« MacDonald hatte damit gerechnet, dass sein Freund auf die geschäftige Frühstückszeit verwies und war deshalb hocherfreut über die nette Begrüßung. »Ich schlief wieder sehr unruhig und …«
Alberto hob den Zeigefinger vor den geschlossenen Mund. »Lass uns nach oben gehen. Zimmer eins ist frei.«
»Sind noch Gäste im Frühstücksraum?«
»Die Chinesen!«
»Müssen wir unbedingt die Treppe hoch?«
»Si! Es sei denn, der Raum kommt zu uns geflogen!«
»Dicke Luft in der Küche?«
»Kann man wohl sagen. Hast du deine Ärztin angerufen, Angus?«
»Leider habe ich Sie, äh, noch nicht erreicht. Ich würde gerne über den Fall mit dir sprechen. Bei Imperial Whiskys bin ich nicht weitergekommen und schätze, morgen wird die Tür wieder verschlossen werden, sowie ich mich nähere. In der Balmoral-Whisky-Bar konnte ich auch nichts Sachdienliches ermitteln. Rufst du den Indianer an?«
»Hat das nicht Zeit, bis er die Arbeit in deinem Haus beginnt?«
»Ich fürchte nein, denn es ist die einzige Spur, die wir haben.«
Alberto grinste, verließ das Zimmer und kehrte erst nach fünf Minuten zurück. »Alles klar. Wir sehen ihn heute Abend um sieben Uhr in der Bow Bar.«
»Können wir uns nicht woanders treffen? Ich bin dort bekannt und möchte meinen schönen Pub nicht in Verruf bringen.«
»Genug, ich werde MacCracken nicht noch einmal anrufen.«
»Wird er gefedert erscheinen?«
»Non so. Weiß ich nicht!«
Wer Campbeltown-Whiskys im Sortiment hatte, so wie die Bow Bar, besaß MacDonalds Sympathie. Von einst stolzen 21 Brennereien im Jahr 1885 (1794 waren es sogar 34 gewesen) existierten nur noch drei: Springbank, Glen Scotia und Glengyle. Er war etwas früher erschienen, um einen Tisch zu besetzen. Keinesfalls wollte er mit MacCracken am Tresen stehen. Ein zehnjähriger Springbank würde ihn aufheitern. Sämtliche Produktionsschritte fanden in der Destillerie statt. Außer Springbank stellte man noch Longrow und Hazelburn Scotch her. Die Whiskys wurden keiner Kühlfilterung unterzogen. Er führte das Gläschen zur Nase. Die Marketingmenschen von Springbank verglichen den Geruch mit einem Obstgarten. Wem das zu allgemein war, der durfte mit der in Klammern aufgeführten Birne glücklich werden! MacDonald roch Eiche, Torf und eine exotische Frucht. Der Geschmack war salzig und pfeffrig, leicht getorft, mit einem würzigen Ende. MacCracken kam laut tönend herein, einen Kumpel, ohne Irokesenbürste, aber mit knallgelben Haaren, im Gefolge. Der Klempner blieb dicht hinter der Tür stehen und betrachtete aufmerksam alle vier Wände. Vorsichtsmaßnahme oder suchte er instinktiv nach einem lukrativen Wasserschaden? Er nickte seinem Begleiter zu und ging, das sah MacDonald erst jetzt, auf riesigen, breiten Füßen zur Theke. Im Ernstfall würde er keine Schneeschuhe benötigen! Die beiden Männer gaben ihre Bestellung auf. Mit vier Pints (!) kamen sie an seinen Tisch und setzten sich, ohne ein Wort zu verlieren.
»Guten Abend, Gentlemen.«
Der Handwerker und sein Kumpel leerten ihre Gläser mit aufdringlichem Geräusch, das sich wie »gulp-gulp« anhörte. MacCracken streckte ihm den Zeigefinger entgegen. »Ihnen will ich mal was sagen, MacArthur …«
»MacDonald ist der Name, mit Angus und Thinnson davor.«
Der Klempner streichelte seine Irokesenbürste. »Sie ham was anderes vor?«
»Möchten Sie mir Ihren Begleiter vorstellen?«, antwortete MacDonald, auf die stupide Frage nicht eingehend.
»Hä? Ach, so. Billy ist das.«
Der Mann lehnte sich zurück und lachte wie ein Truthahn. »Bin aber nicht verwandt mit Connolly, hohoho.«
»Ihr Bruder?«
»Nein!« Erneut sah MacCracken sich im Pub um.
»Sie kennen die Bow Bar gut, nicht wahr?«
»Sagt wer?«
»Mister Vitiello.«
»Viti…, was, wer soll das sein?«
»Der italienische Gentleman, den Sie unlängst im Baumarkt trafen.«
»Kann sein. Treff ’ ne Menge Leute. Das mit Ihrem Rohrbruch geht mindestens zwei Wochen, wenn nicht länger. Hab Ihrem Kumpel, dem Italo-Mann, schon alles erzählt.«
Wieso hatte Alberto ihm nicht berichtet? Lag es am Stress mit seinen neuen Gästen? Dem Himmel war es gedankt, dass er just in diesem Moment erschien. Er nickte allen zu und holte sich am Tresen einen Orangensaft. »Habt ihr ohne mich angefangen?«
»Ja!«, antwortete MacCracken bellend und leerte das zweite Glas, imitiert von Billy.
Alberto sah zu Angus: »Wenn du so gut wärst?«
»Wie bitte? Ach, so, ja, natürlich! Das Gleiche noch mal, meine Herren?«
Sollte er zwei oder vier Pints kaufen? Er konnte sich an keinen Präzedenzfall erinnern. Besser vier! Noch einen Ardmore Legacy, leicht getorften Highlander, für ihn. Bestellen war nicht schwierig, das Balancieren von vier Pints schon eher! Er wankte zum Tisch zurück. »Können wir bitte zur Sache kommen?« MacCracken und Billy leerten ihr drittes Glas Bier. Wenn irgendjemand Kampfschlucker genannt werden sollte, dann die beiden, dachte MacDonald.
Des Handwerkers Halsadern schwollen an. »Wir haben schon geredet!«
Wie viele Menschen bezog MacDonald seine Kenntnisse über Native Americans von Filmen und befürchtete, dass der Mann ihm gleich einen Tomahawk an die Gurgel drückte!
»Ich bin sicher, Mister MacDonald hat es nicht so gemeint«, versuchte Alberto zu schlichten. »Er holt Ihnen später auch wieder etwas zu trinken.«
»Auf gar keinen Fall!«, sagte MacDonald lautstark.
MacCracken bekam Respekt. Jemanden, der sich wehrte, mochte er leiden. »Okay! Was wolln Se hören?«
Angus war über diesen Sinneswandel ebenso erstaunt wie Alberto, ließ sich jedoch nichts anmerken. »Wir würden gerne wissen, welcher Whisky Ihnen hier illegal angeboten wurde.«
»Auchentoshan und Glen Garioch.«
»Wirklich?«
»Warum sollte ich ’n das erfinden?!«
»Da muss ich ihm recht geben«, sagte Vitiello.
MacCracken breitete die Hände auf dem Tisch aus und betrachtete sie wie Kunstwerke. »Was noch?«
»Wann war das?«
»Vor ’n paar Wochen. Immer sonntags kommt der Typ.«
»Woher wussten Sie, dass es gefälschter Whisky war?«
»Drei Mal dürfen Sie raten. Eine Flasche sollte sieben Pfund kosten!«
»Erinnern Sie sich noch an den Verkäufer?«
»Klar. Der hatte so ’nen komischen Bart und Koteletten wie Elvis.«
»Ich fasse es nicht!«, sagte Angus so laut, dass einer der beiden Barkeeper zu ihm sah.
»Wieso nich?«
»Dass ihm das erlaubt wurde, meine ich.«
»Quatschen Se von den Jungs da drüben? Sonntags haben sie ’ne Menge Drinks auszuschenken. Da bleibt keine Zeit, um sich groß umzusehen. Um noch mal auf Ihre Rohre zurückzukommen, Mister …«
»Jetzt nicht, bitte«, sagte MacDonald und eilte aus dem Pub.
»Was hat er denn?«, fragte der Klempner.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Vitiello und eilte seinem Freund hinterher.
Angus stand vor der Tür. »Können wir endlich gehen?«
»Du nimmst dein häusliches Problem auf die leichte Schulter!«
»Geht es wieder um Karen?«
»Was? Nein, obwohl wir darüber auch reden müssen. Ich erkläre es dir, Angus. In Schottland ist es einfacher, in der Lotterie zu gewinnen als einen Handwerker aufzutreiben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie außergewöhnlich es war, den Mann zu treffen.«
»In einem Baumarkt.«
»Wo sonst? Im Blumenladen vielleicht? Ein Handwerker benötigt Ersatzteile!«
»Ich finde den Mann verdächtig. Hast du seine Adresse überprüft?«
»Si, was denkst du denn? Bereits im Supermarkt, mit meinem Telefonino.«
»Das ist ein Mobiltelefon, ja?«
»Sisi. Allora, was machen wir?«
»Nach Hause fahren und schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Aber Signor MacCracken?«
»Er kann bis auf Weiteres bei mir arbeiten.«
»Sehr großzügig von dir! Ich darf den Herrn beaufsichtigen?«
»Wenn du so liebenswürdig wärst, ja.«
»Mille grazie und arrivederci! Viel Spaß beim Detektiv spielen.« Alberto rannte davon. An das impulsive Verhalten seines italienischen Freundes hatte MacDonald sich gewöhnt. Doch das nun war sehr barsch gewesen. Er nahm sich ein Taxi und fuhr zum Braid Hills. Sollte er noch einen schönen Schlummertrunk zu sich nehmen? Lieber nicht! Wer konnte wissen, was für ein Gebräu ihn dieses Mal erwartete! Er winkte dem Nachtportier mit angewinkeltem Arm und ging die hölzerne, mit flauschigem Teppich belegte Treppe hoch. Etwa zehn Minuten später kam er leicht überhitzt in seinem Zimmer an und freute sich über die vielen blinkenden kleinen Lichter auf der Straße. Der nächste Ermittlungsschritt war klar. Nach dem Frühstück würde er die Stadt verlassen!
»Campbeltown Loch, I wish you were whisky
Campbeltown Loch, och-aye,
Campbeltown Loch, I wish you were whiskyI would drink you dry.«
Schottisches Lied