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Ende September 2011 – Fast zwei Jahre später

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Thomas war zweiundzwanzig, als ein Freund von ihm Mitte der Achtziger Jahre seinen ersten Ironman in Roth gemacht hatte, er weiß noch, wie sich das damals angefühlt hat: „Damals hatte die Veranstaltung nur ein paar hundert Teilnehmer. Da ist da noch gar keiner hingefahren, der kam zurück, der war der Held! Dass ich das jetzt, in einem glücklichen Familienleben verwirklichen kann, das ist nochmal ein i-Tüpfelchen auf allem.“

Vor zwei Wochen haben wir gemeinsam den Basel-Marathon „Run to the Beat Basel 2011“ gefinisht.

Nun sitzen wir bei Thomas zuhause im Wohnzimmer und reden darüber, dass sich REM aufgelöst haben. Die Hardrocker um den charismatischen Frontmann Michael Stipe aus Georgia USA hatten einunddreißig Jahre lang die Musikwelt begeistert. Wir sind, wie so viele andere musikinteressierte Menschen weltweit, perplex.

Einunddreißig Jahre sind eine lange Zeit. Eine so lange Zeit, dass man zwar darüber trauern mag, dass es diese famose Band nun nicht mehr gibt, aber andererseits auch voller Respekt anerkennen will, dass sie nun einen sauberen Abgang hingelegt haben. Das gelingt nicht allen. Chapeau!

Einunddreißig Jahre, ähnlich lange träumt Thomas Schmidt von einer Teilnahme bei einem Ironman-Wettkampf. 2012 soll es endlich soweit sein.

Thomas und Heikes Kinder sind groß, das Haus ist gebaut, das berufliche Fundament stabil, Thomas hat sich in Frankfurt angemeldet, er will sich endlich seinen großen Traum erfüllen: Das Finish über die Volldistanz.

Wir sitzen auf der Couch und trinken darauf: „Prost Frankfurt!“

Der Waldaschaffer Tausendsassa hat schon viel mitgemacht und erlebt: Er war als junger Pfälzer, der er war und ist, ambitionierter Fußball-Torwart. Außerdem ist er schon immer viel geschwommen: „Schwimmen war immer ein Ausgleich für mich“, sagt er. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass er in der jüngeren Vergangenheit bereits Langdistanz-Luft geschnuppert hat, als kraulender Staffelteilnehmer in Roth 2010 und 2011.

Thomas ist ein Mensch mit vielen Facetten. Er ist ein kreativer Kopf, arbeitet als selbstständiger Mediengestalter, er ist gesellig. Zur Zeit hat er einen herausnehmbaren Schneidezahn, den er (nur zuhause) manchmal auszieht, was ich ausnehmend cool finde, weil es einen vollendeten Piraten aus ihm macht. Er ist ein famoser Grillmeister, mag kleine Weißbierflaschen und ist ein totaler Familienmensch. Obwohl er sich einen seiner Daumen beim Holzmachen zur Hälfte weggesägt hat, lieben ihn seine Jungs Max und Leon, oder gerade deshalb? Sein Hund hört auf ihn und seine Frau lacht immer. Noch was? Ja. Thomas sieht immer gut aus (egal wie ungekämmt er ist) und trägt vorzugsweise Heinerman-Finishershirts. Beim sogenannten Heinerman-Wettkampf im hessischen Darmstadt gibt es tatsächlich die mit Abstand schönsten Finishershirts auf diesem Planeten! Nicht wenige Triathleten gehen nur wegen der jedes Jahr anders gestalteten Langarm-Shirts dort an den Start.

Das alles ist schön und macht neugierig.

Ich möchte wissen, wie sich so ein bewundernswert normaler Mensch verändert, während der Vorbereitung auf einen Ironman-Wettkampf.

Das enorme Trainingspensum wird den Familienalltag durcheinanderwirbeln. Ich möchte wissen, wie er das macht, wie er das hinkriegt mit seinem Leben und dem seiner Lieben. Wie sich seine unmittelbare Umgebung mit allen Unwägbarkeiten auf ihn einnordet und er sich auf sie. Oder wird er nur in sich sein? In sich ruhen? Fragen über Fragen.

Um Antworten zu finden, habe ich Thomas gefragt, ob er damit einverstanden ist, wenn ich ihn in unregelmäßigen Abständen besuche, um mich mit ihm zu unterhalten über seinen Weg nach Frankfurt. Der Beginn unserer Unterhaltungen sollte unmittelbar nach der TV Goldbach - Marathonreise nach Basel 2011 sein. Das ist jetzt. Krönender Abschluss der Gesprächsrunden in lockerer Atmosphäre wird dann hoffentlich ein grandioses Finish am 08. Juli 2012 am Frankfurter Römer sein.

Wir sind zu viert, außer Thomas und dessen Frau Heike komplettiert meine Frau Tina die Runde.

Meine erste Frage geht an Heike: „Heike, wie denkst Du über die Pläne Deines Mannes?“

Ich kenne Thomas jetzt achtzehn Jahre und das erste, was mir Thomas von sich damals erzählt hatte, war, dass er am darauffolgenden Wochenende eine Mitteldistanz in Erlangen machen würde. Ich konnte damals mit dem Begriff Mitteldistanz gar nichts anfangen und er musste mir erst erklären, was Triathlon überhaupt ist, ich hatte keine Ahnung. Gleich im Anschluss sagte er mir, dass sein großer Traum eine Ironman-Teilnahme sei. Das waren so mit die ersten Sätze, die wir gewechselt haben. Ja, und jetzt, nach achtzehn Jahren, ist es eben soweit.“

Tina stellt fest, dass in den vergangenen achtzehn Jahren viel geschehen ist und die Kinder groß geworden sind. Thomas bejaht das und überlegt gründlich, bevor er fortfährt: „Man sagt immer so lapidar, man hat keine Zeit, oder man hat keine Zeit für so was. Ich sage, die Zeit hat man immer, man muss sie sich nur anders einteilen. Und das will man halt manchmal nicht. Davon abgesehen, für so einen großen Wettbewerb denke ich schon, dass man das auch nicht alleine entscheiden kann. Es sind Verpflichtungen gegenüber der Familie da, es ist nicht einfach, so eine Entscheidung zu treffen. Wenn man in einer Partnerschaft lebt, was ich mit Leib und Leben tue, dann muss bei so einem Entschluss, der ja auch sehr egoistisch ist, wirklich alles passen: Die Ehe, der Beruf, man muss seinen Ausgleich haben. Und das gilt nicht nur für mich, das gilt auch für alle anderen im Umfeld. Heike hat jetzt auch eine Arbeitsstelle, bei der alles passt. Auch sie hat ihren Ausgleich, ihren Chor, das ist alles sehr schön. Die Kinder sind groß und selbstständig. Dazu kam ein Schlüsselerlebnis!“

Das Schlüsselerlebnis

Heike hatte mich in all den Jahren zu allen Wettkämpfen begleitet und hat 2010 selbst am eigenen Leib gespürt, wie elektrisierend das Erlebnis eines erfolgreichen Finishs ist. Sie hat eine Sprintdistanz bewältigt und bei zwei Staffeln mitgemacht“, erzählt Thomas nicht ohne Stolz. „Kurz darauf hat der Familienrat getagt und es wurde beschlossen, dass es 2012 soweit sein soll meinen Traum zu verwirklichen. Und jetzt freue ich mich innerlich wie ein kleiner Bub.“

Ich selbst muss schmunzeln, als Thomas das sagt. Er spricht von sich als einem „kleinen Bub“. Man muss wissen, dass Thomas drei Geschwister hat, drei Schwestern! Und er ist der Jüngste. Wenn man das Glück hat (und ich hatte das schon oft) mit diesem Mann einen genauso redseligen, wie kulinarisch genussvollen Abend verbringen zu dürfen, bekommt man irgendwann erzählt, wie sehr „der kleine Bub“ heute noch zum Leben erwacht, wenn er mal heimfährt in die Pfalz. Da wird alles stehen und liegen gelassen, es wird Kuchen gebacken und alle Leibspeisen des inzwischen Erwachsenen werden aufgetischt, den wann kommt schon mal „der Bub“ heim! Thomas genießt das und gibt es auch unumwunden zu, er strahlt dann über beide Ohren und freut sich herrlich über seine Mittelpunktrolle in seiner Pfälzer Familie.

Ich will wissen, wann der Moment da war, in dem Thomas voll realisiert hatte, dass die Sache mit dem Ironman jetzt wirklich gefixt ist. Von der blanken Idee an, die jetzt ausgesprochen ist, bis zu dem Punkt, wo er wirklich gemerkt hat, dass es tatsächlich Wirklichkeit wird.

Es war nicht der Moment, ab dem ich dort gemeldet war“ antwortet Thomas und fügt hinzu: „Die Erkenntnis kam erst nach Basel. Unmittelbar nach Basel war ich Montags auf der Kerb in Waldaschaff (Ank. d. Autors: wo sich Thomas quasi komplett „resetet“ hat, alle lachen..) und habe dann im Anschluss eine Woche lang gar nichts gemacht. Dann habe ich realisiert, dass der Tag X jetzt ansteht und dass mein Training dafür jetzt beginnt.“

Basel hat also positiv gewirkt in Thomas, jetzt ist er kopfmäßig voll auf Frankfurt gerichtet und „freut sich total“.

Wie wird die Familie das packen? Das beschäftigt ihn im September 2011 mit am Meisten.

Dass er das packt, davon geht er aus. Es ist ihm vollkommen wurscht, in welcher Zeit, betont er.

Thomas kann aber keine vier Stunden Fahrrad fahren, wenn er weiß, dass zuhause etwas nicht stimmt. Das muss sich noch setzen, das wird spannend die nächsten Monate, sinniert Thomas.

Thomas ist ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Streit und Zank sind ihm fremd.

Thomas würde sein Vorhaben auch abbrechen

Hündin Anka nennt er seine „Trainingspartnerin“. Und die Familie, wieder die Familie, natürlich, soll am Wettkampftag dabei sein.

Und wenn die aus irgendeinem Grund nicht kann, die Familie?“, frage ich.

Ja. Dann starte ich auch nicht. Wenn irgendetwas passiert, wenn ich merke, das tut uns allen nicht gut, dann breche ich ab.“

So wichtig wäre es dann doch nicht?“, hake ich nach.

Nein“, antwortet Thomas und führt aus: „Der Sport ist zwar wichtig für mich. Wenn ich täglich Sport machen kann, bin ich ausgeglichener, entspannter. Ich habe dann auch eine andere Ausstrahlung, was sich auch wieder positiv auf das Leben von uns allen hier auswirkt. Aber die Familie und das Wohl von uns allen hier geht vor und wird immer Vorrang haben. Wenn irgendetwas passiert, breche ich ab. Ohne Wenn und Aber.“

Ich denke mir nur, dass es diese Art von Situation sicher schon öfter gegeben hat und wünsche mir, dass Thomas die Erfahrung eines DNF (did not finish), aus welchen Gründen auch immer, erspart bleiben wird. Die nächsten Monate, vielleicht schon die nächsten Gespräche mit ihm, werden Aufschluss darüber geben.

Ein wesentlicher Aspekt, der das Abenteuer Ironman für Thomas möglich macht, ist, bestätigt Heike, dass die Kinder jetzt groß sind und Sie ja auch recht stolz sind auf Ihren Vater.

Thomas ergänzt nur kurz: „Zeitverschwendung ist die leichteste aller Verschwendungen.“

Heike: „Du musst es ja auch von Deiner Freizeit abknapsen. Die war halt auch extrem knapp die letzte Zeit. Die Arbeit in der Firma hatte und hat absoluten Vorrang.“

Ja, der Beruf stützt natürlich alles, wir haben uns hier etwas erschaffen, das hat oberste Priorität“. Nur für einen Augenblick schaue ich in ein ernstes Gesicht. Schon eine Sekunde später blitzt wieder der Schalk aus Schmidts Mund: „Egal wie, für mich wird an dem Tag in Frankfurt die Sonne scheinen! Ha! Prost!“

Der Begriff des „sich Freuens“ schleicht sich mittlerweile ständig wie ein Dèjávu in dieses Gespräch, ganz gleich aus welchem Blickwinkel man herangeht… Das geht mir alles zu gut, denke ich. Ist eine beschlossene Ironman-Teilnahme wirklich so ein Gute-Laune-Faktor?

Nur noch einen Marathon…

Thomas Schmidt weiß, dass er gut schwimmen kann. Er weiß jetzt, nach Basel, dass er einen Marathon auch anders laufen kann. Frankfurt 2009 hing ein Jahr wie ein Damoklesschwert über dem Sportler.

Er hat für sich entschieden, dass er kein Trainingslager besuchen wird, wie es so viele andere zum Beispiel in Fuerteventura tun. Er will sich ganz normal vorbereiten, Gradmesser soll die Art Vorbereitung sein, die er vor zwei Jahren auf der Mitteldistanz in Kulmbach gefahren ist. „Das ist damals spitze gelaufen“, führt er aus.

Die Radstrecke in Frankfurt will Thomas vorab zwei- bis dreimal abfahren, die Marathonstrecke wird er vorher nicht testen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Goldbacher Tria-Haudegen Andreas Hasenstab in der Hotellobby des Ibis in Basel, am Vorabend des „Run to the Beat Basel Marathon“ vor zwei Wochen. Eine Essenz seines Ironman-Erfahrungskontos an diesem feuchtfröhlichen Abend lautete: „Wenn Du nach 3,8 Kilometer Schwimmen und nach 180 Kilometer Radstrecke vom Bike steigst, denkst Du dir, und jetzt nur noch einen Marathon, hahaha! Kannst du Dir das vorstellen? Hahaha! Nur noch einen Marathon! Hahaha!“

Ich konnte mir das nicht vorstellen. Ich konnte auch nicht so sehr darüber lachen, wie Andreas. Aber womöglich lag das ja daran, dass ich selbst mein Marathondebut hatte in Basel und zum Zeitpunkt dieser Ironman-Unterhaltung einfach nur Fracksausen hatte ohne Ende vor „nur“ einem Marathon.

Das Motorrad wurde verkauft für ein Fahrrad

Thomas zählt seine selbstgesteckten Aufgaben für die nächsten Wochen auf: „Den Kalender mit Leben füllen..“, er muss jetzt sehen, wo er welche Trainingszeiten hineinpackt. Der Urlaub für 2012 muss geplant werden, alle Abläufe erfordern eine akribische Planung. An diesem Punkt sieht er sich jetzt gerade. Hier steht er.

Radkilometer müssen es mehr werden, das seien in 2011 bisher gerade Mal zweihunderteinundvierzig gewesen. Deshalb hat sich Thomas ein neues Fahrrad geleistet, den Kick hat er gebraucht, sagt er schmunzelnd, um noch einmal den Traum zu pushen: „Dafür habe ich mein Motorrad verkauft, das hat auch weh getan!“

Tina weiß es besser: „Von wegen Kick! Du hast Dein Altes konsequenterweise beim Heinerman dieses Jahr zu Schrott gefahren“, verrät sie lachend.

Ja, klar, das habe ich ja gerne gemacht!“, erwidert Thomas mit gespieltem Sarkasmus. Um seine Reaktion zu verstehen, muss man wissen, dass Thomas bei der beliebten Darmstädter Veranstaltung im Juni dieses Jahres gestürzt war.

Abschließend will ich wissen, was das Sinnbild ist, in ein Wort gepackt, für den Tag hier und heute, knapp zehn Monate vor dem Wettkampf. Thomas antwortet mit einem Wort: „Familienglück“. Wieder das Dèjávu, ha! Ertappt.

Er schweigt einen Moment, bevor er noch etwas sagt: „Ich habe auch schon das Bild vor mir. Mein Zieleinlauf wird so sein, dass meine Kinder, die Heike, entweder links oder rechts stehen. Ich komme vierhundert Meter vor dem Ziel um die Ecke. Ich reiße mir das T-Shirt vom Leib und ziehe mir ein anderes an, das mir jemand reicht, und darauf steht dann einfach nur Danke. So dass es nur meine Liebsten lesen können. Dann kommen alle zu mir und wir laufen zu viert über die Ziellinie. Das ist dann mein Glück.“

Wo ist Schmidt?

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