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Zur Einführung in die „Anleitung zum frommen Leben."
Оглавление1. Ihre Entstehung.
Der Aufenthalt des hl Franz von Sales zu Paris im Jahre 1602 und zu Dijon im Jahre 1604 bedeuten die Wende des Heiligen vom Apologeten zum Seelenführer.
In Paris kam er mit heiligmäßigen Seelen und berühmten Seelenführern zusammen. Er konnte die Früchte seiner Studien und Erfahrungen mit denen anderer messen. Es waren Monate stillen Fragens, Lernens und Reifens, aus denen er mit fertigen Überzeugungen, mit einem vollständig ausgebauten System aszetischer Lehren und Methoden hervorging. Sofort nach diesem Aufenthalt in Paris setzten seine Briefe der Seelenführung ein, und schon in den ersten dieser Briefe tritt die charakteristische Eigenart des Heiligen im System wie in der Methode seiner Führung vollendet hervor.
Bereits in Paris empfand er deutlich den Mangel eines Buches, das die Hauptlehren der Frömmigkeit für Weltleute zusammenfaßt. In Dijon lernte er 1604 eine Reihe hervorragender Menschen kennen, die sich unter seine Leitung stellten; ihnen schickte er nicht nur Briefe, sondern auch kleine Abhandlungen, die sie untereinander austauschen sollten. Im gleichen Jahr stellte sich auch Frau von Charmoisy unter seine Seelenleitung. Wie den anderen sandte auch ihr der Heilige nicht nur einzelne Ratschläge, sondern eine Reihe von Abhandlungen über verschiedene wichtige Fragen des geistlichen Lebens (vgl. Vorwort).
Wir dürfen wohl annehmen, daß dem Heiligen bei Abfassung dieser ausgedehnten Arbeiten der Gedanke, sie einmal in ein großes Werk zusammenzufassen, vorschwebte. Den unmittelbaren Anstoß dazu gab Frau von Charmoisy; sie zeigte diese Abhandlungen dem Pater Fourier SJ., der von ihnen so begeistert war, daß er den Heiligen drängte, sie zu veröffentlichen. Franz von Sales verlangte die Abhandlungen von Frau von Charmoisy zurück, sah sie durch, fügte verschiedenes hinzu und konnte im August 1608 das fertige Werk an den Buchdrucker Thibaut nach Lyon schicken; dort erschien es Ende 1608 oder Anfang 1609. Franz von Sales hat selbst noch weitere vier Auflagen vorbereitet; schon die zweite war bedeutend reichhaltiger. Die 5. Auflage (1619), der unsere Überzeugung folgt, enthält 16 Kapitel mehr als die erste Auflage, sie war auch sonst in vielen Teilen erweitert.
2. Ihr Erfolg.
Dem Buch war ein außerordentlicher Erfolg beschieden. Im Jahre 1620 konnte der Heilige schreiben, daß sie bereits mehr als vierzigmal allein in französischer Sprache gedruckt worden war. In rascher Folge kamen die Übersetzungen; im Jahre 1656 gab es solche bereits in 17 Sprachen. Zeitgenossen bezeugen, daß die Buchhändler kaum die benötigte Zahl von Exemplaren beschaffen konnten. Der hl. Vinzenz von Paul sagt im Heiligsprechungsprozeß des hl. Franz von Sales aus, daß man überall auf ihn hinwies mit den Worten: Das ist der große Bischof Franz von Sales, der die Anleitung zum frommen Leben geschrieben hat." Im Jahre 1651 berichtet der Gesandte des Herzogs von Savoyen, daß am kaiserlichen Hof in Wien alle fürstlichen Persönlichkeiten, Herren und Damen die Anleitungen stets zur Hand hatten. (s. Oeuvres, Band 3, XXIV, Anm.).
Die Päpste wetteiferten im Lob der ³Anleitung". Es genüge, hier anzuführen, was Pius IX. im Breve vom 28. Dezember 1877 schreibt: ³Franz von Sales hat in seiner Anleitung die Tugend in lebhaften Formen gemalt, hat schlechte Wege gerade gemacht, holperige geebnet, allen getreuen Christi einen so leichten Weg zu Ihm hin gezeigt, daß seither die Frömmigkeit überallhin ihr Licht verbreitet..." Pius XI. schreibt in der Enzyklika vom 26. Januar 1923: Möge dieses Buch, das die Zeitgenossen in jenen Tagen für das vollkommenste in seiner Art hielten, auch heute von allen durchgearbeitet werden, wie es zuvor so lange Zeit hindurch in den Händen aller war; dann würde die christliche Frömmigkeit bei allen Völkern wieder emporkommen und die Kirche Gottes würde sich über die gemeinsame Heiligkeit ihrer Kinder freuen..."
Vor der Größe dieses Buches beugen sich nicht nur die Wortführer der katholischen Religion. Zur Zeit seines Heiligsprechungsprozesses berichteten zeugen unter Eid, daß im kalvinistischen Genf, das ihn zu seinen Lebzeiten so heftig bekämpft und gehaßt hatte, nun die ³Anleitung" in keinem guten Haus fehlte. Der gleiche begeisterte Empfang wurde dem Buch auch im protestantischen England zuteil (s. Oeuvres, Band 3, XXVIII f).
3. Vorurteile.
Im deutschen Sprachgebet wird die Anleitung zum frommen Leben" gern ³Philothea" genannt. Hier ist dieser Name nur als Untertitel genannt. Wir hoffen damit auch beizutragen, daß ein Vorurteil verschwindet, dem leider auch manche Vorreden neuerer Übersetzungen Nahrung geben: die Anleitung sei nur oder besonders für Frauen geschrieben. Schon Franz von Sales glaubte, sich gegen diese Auffassung verwahren zu müssen. Wer die ³Anleitung" wirklich genau kennt und ebenso durch eine jahrelange seelsorgliche Betreuung von Männern Kenntnis der männlichen Seele besitzt, wird wissen und immer wieder erfahren, wie überaus wertvoll die zeitlos gültigen Ratschläge des Heiligen für Männer ebenso wie für Frauen sind.
Ein weiteres Vorurteil, die Anleitung" sei nur für Anfänger im geistlichen Leben geschrieben, erledigt sich bei genauerer Kenntnis des Buches von selbst. Den Anfängern ist nur der erste Teil der Anleitung" gewidmet, und sogar darin gibt es vieles, was jedermann angeht (z. B. Kapitel 1 bis 4, 22 bis 24). Die vier übrigen Teile behandeln Fragen, die uns alle das ganze Leben hindurch beschäftigen, Aufgaben, die uns immer gestellt sind, Gefahren, die uns dauernd bedrohen, auf welcher Stufe des geistlichen Lebens wir stehen und welchen Standes immer wir sein mögen. Die ³Anleitung" ist wohl für den Christen überhaupt geschrieben, nicht für Mönche und Priester im besonderen, hat aber auch diesen Wesentliches zu sagen, wie ja auch das Evangelium die Norm für jeden Christen ist, ebenso aber auch für Priester und Ordensleute Richtschnur ihres Strebens nach Vollkommenheit.
4. Die neue Übersetzung.
Wir legen hier eine neue Übersetzung der Anleitung" vor, bemüht, den Gedankeninhalt dieser berühmten Schrift auf das genaueste wiederzugeben, ohne allerdings sklavisch am Wort zu hängen. Worte haben ja nicht immer den gleichen Sinngehalt in den verschiedenen Sprachen, so daß eine wörtliche Übersetzung oft den Sinn unrichtig wiedergibt.
Das soll freilich nicht heißen, daß der Übersetzer frei schalten und walten dürfe unter dem Vorwand, Franz von Sales hätte heute anders geschrieben als zu seiner Zeit. Es handelt sich hier um einen Klassiker unserer Religion, um das Werk eines Kirchenlehrers. Es kann nicht gestattet sein, unter seinem Namen eigene Ansichten zu verbreiten, mögen sie auch noch so richtig und zeitgemäß sein. Wenn auch nicht wortgetreu, so muß die Übersetzung doch absolut sinngetreu sein.
Wir sehen keinen Grund, von den vielgeschmähten Vergleichen abzurücken, die der Heilige naturwissenschaftlichen Anschauungen seiner Zeit entnimmt. Jedermann weiß, daß Franz von Sales um die Wende des 17. Jahrhunderts geschrieben hat und nicht im 20. Jahrhundert. Kein vernünftiger Leser wird daran Anstoß nehmen, daß seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse nicht die unserer Zeit sind. Beispiele und Vergleiche sind nichts anderes als Bilder, mit denen er die Wahrheit anschaulich macht. Und wer möchte Bilder missen wie das von den zwei Herzen der Wachteln von Paphlagonien oder das Bild vom Mandelkern mit den eingekerbten Worten und so viele andere, die wissenschaftlich wohl unrichtig, aber so überaus anschaulich sind? Wir haben in der Übersetzung alle diese Bilder beibehalten, ausgenommen ganz wenige unübersetzbare.
Großes Gewicht legten wir auf die Herausstellung des Gedankenganges und des Gedankeninhalts. Dazu dienen typographische Mittel, wie Gliederung des Textes in kleine Abschnitte und Hervorhebung durch Kursivdruck, ferner Anmerkungen, die auf beachtenswerte Gedanken aufmerksam machen sollen, die wegen der schlichten anspruchslosen Darstellung des Heiligen leicht übersehen werden.
Man hat in den letzten Jahren viel von der Notwendigkeit einer Laienaszetik gesprochen. Hier liegt sie vor uns, geschrieben von berufenster Hand. Mögen viele katholische Männer und Frauen der oben angeführten Mahnung des Heiligen Vaters Pius XI. folgend die Anleitung" oft durchlesen, durchbetrachten und ihre Weisungen auszuführen suchen"; so werden sie ihren Wert erkennen und reichen nutzen daraus ziehen. Dies ist der sehnliche Wunsch des Übersetzers und seiner Helfer, zugleich reicher Lohn für ihre Mühen.
Zitat: P. Dr. Franz Reisinger OSFS