Читать книгу Ach, das liebe Geld! - Franziska zu Reventlow - Страница 6

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Du – ich fange an, wieder an Wunder zu glauben. Lache nur nicht, man findet ja im Lauf der Zeit manchen alten Glauben wieder, zum Beispiel den an ein zweites Leben, in dem man entweder Geld haben oder keines mehr brauchen wird. Ja, ich könnte mich sogar mit dem Tod aussöhnen, der mir früher so unsympathisch war – denn, selbst wenn nichts anderes mehr käme, so wird’s doch wenigstens keine Gläubiger und keine Rechnungen mehr geben. Wie gut, dass man nicht fromm ist, sonst würde ich mir vorstellen, die ewige Verdammnis bestände darin, dass sie einen auch dorthin verfolgen.

Also eure Gebete sind sichtlich erhört worden, lass dir nur erzählen. Vorgestern ging ich wieder einmal mit dem Atheisten und der Baulöwenwitwe, die sich uns manchmal anschließt, ins Dorf hinunter. Wir haben aus lauter Verzweiflung angefangen dort nachmittags Kegel zu schieben. Alle drei fühlten wir uns etwas unglücklich und jammerten rechtschaffen über unser elendes Dasein und über unsere Nerven. Als wir dann zwischen dem Kegeln eine Erholungspause machten, sah ich im Wirtsgarten einen Herrn sitzen, der mir merkwürdig bekannt vorkam. Ja nun, es war tatsächlich Henry – wir hatten uns jahrelang nicht gesehen und ich war sehr überrascht, ihn so unverändert wiederzufinden. Damals, als er nach drüben ging, dachten alle, er würde Karriere machen, als Millionär im Bauch und Berlocken wiederkommen und uns alle finanzieren. Als er dann nie mehr schrieb, gab man ihn wehmütig auf. Aber er ist wieder da, ist immer noch derselbe, gründet immer noch, es geht auch immer noch schief, und dann hat er gleich wieder eine neue und fabelhafte Chance an der Hand.

Sein Erstaunen, mich hier mit den beiden beim Kegelschieben zu finden, war ebenso groß wie meines und wuchs noch, als ich ihm erzählte, dass wir droben in das Sanatorium gehörten. Wohl über übel musste ich dann die anderen an den Tisch holen. Es ging auch ganz gut, die Witwe schloss ihn gleich ins Herz und erzählte von ihrem Baulöwen. Henry überlegte sofort, wie man die Gläubiger überlisten und das verkrachte Vermögen retten könne. Später gingen die anderen voran, um ihre Abendbehandlung nicht zu versäumen, ich blieb noch eine Weile und ließ mir erzählen. Er ist hergekommen, um Terrains für eine Fabrik anzukaufen und will noch eine Weile bleiben, weil ihm der Ort gefällt und er dringend etwas Erholung braucht. Im Laufe des Gesprächs fiel mir auf, dass er sich doch verändert hat, er ist schweigsamer geworden, und manchmal schaut er so merkwürdig vor sich hin in die Luft und sein Blick wird ganz starr.

»Woran denkst du denn, Henry?«

»Ich rechne.«

»Immer?«

»Immer.«

»Dann hast du auch einen Geldkomplex.«

»Was hab’ ich ?« – er wusste nur von Häuserkomplexen, Baukomplexen, Terrainkomplexen. Ich erklärte es ihm, so gut ich konnte und fürchtete beinahe, er möchte es übel nehmen, aber er stürzte sich förmlich darauf wie auf eine neue Spekulation. Vielleicht berührte es ihn auch wie ein heimatlicher Klang, eben weil er beständig mit seinen Käufer-, Bau- usw. Komplexen zu tun hat. Aber dieser Mann hat viel mehr Illusionsfähigkeit als ich, er fand die Möglichkeit einer Heilung durch Analyse ganz einleuchtend und will meinen Freudianer unbedingt kennen lernen, sobald er kommt. Das ist mir ganz recht, so kann ich mich vielleicht um die Behandlung drücken, zu der ich schon längst keine Lust mehr habe.

An dem Abend verspätete ich mich arg, und der Professor machte mir einen richtigen Krach. Er hat von unseren Ausflügen Wind bekommen, warf mir vor, dass ich den Atheisten zum Weintrinken verführt habe, auch die Witwe sei heute Abend ganz außer Rand und Band, und meine eigene Behandlung lasse ich überhaupt völlig außer Acht.

Ach, mir wäre bald die Geduld gerissen, und ich war nahe daran, in offene Rebellion auszubrechen, zu sagen, dass mir ja absolut nichts fehle und man mich um Gottes willen in Ruhe lassen solle. Es ist wirklich hart genug, sich auf Schlaflosigkeit und dergleichen behandeln zu lassen, wenn man einen so gesunden Schlaf hat wie ich, und überhaupt ...

Aber seit der letzten wirtschaftlichen Krisis bin ich völlig charakterlos geworden, ich habe nicht mehr den Mut, den Ast abzusägen, auf dem ich sitze ... das wohl bekannte Gefühl, wenn er plötzlich kracht und man drunten liegt ... nein, das kann ich nicht mehr. Jedes Mal, wenn ich aufbegehren möchte, sehe ich wieder wie in einer Vision den Professor als Gläubiger vor mir und werde sanft wie ein Lamm.

Die Kegelausflüge haben wir also aufgeben müssen, dafür habe ich Henry bewogen, als Neurastheniker ebenfalls in das Sanatorium zu ziehen. Er findet sich ganz gut hinein und man macht sich gegenseitig das Leben so angenehm wie möglich. Jetzt im Sommer ist es überhaupt erträglicher, man hat den großen Speisesaal mit der deprimierenden langen Tafel verlassen und nimmt die Mahlzeiten auf der Terrasse an einzelnen Tischen. Henry, Doktor Lukas, der Knabe Gottfried und ich haben einen Tisch am oberen Ende, wo man alles übersehen kann und doch etwas für sich ist. Die Witwe wollte sich anschließen, aber es war zum Glück kein Platz mehr. So gastiert sie nur bei uns, und damit sie nicht allzu störend wird, erziehen wir sie zu unserer Anschauungsweise. Kurz, wir haben hier mitten in dieser fremden Welt eine Art eigenes Milieu gegründet.

Du kannst dir denken, dass Henry und ich uns viel zu erzählen haben und endlos von alten Zeiten reden. Wir rechneten aus, wie lange wir uns jetzt schon kennen. Es sind ungefähr acht Jahre, und die Bekanntschaft begann mit einer sehr schönen, sehr langen und sehr kostspieligen Reise, von der wir ohne einen Heller zurückkehrten. Er gab dann seine bisherige wissenschaftliche Tätigkeit auf und verlegte sich auf Unternehmungen. Der erste Anlass dazu war ein Exfreund, dem er ein beträchtliches Kapital ins Geschäft gesteckt hatte und der es nicht wieder herausrücken wollte. Der Exfreund wurde verklagt, gepfändet, jedoch umsonst. Er hatte vorgesorgt und alles rechtzeitig seiner Tante zediert. Aber er hatte irgendeine viel versprechende Erfindung gemacht, das Patent auf diese Erfindung konnte er wohl nicht gut der Tante zedieren, und Henry ließ es beschlagnahmen. Damals lernten wir, seine näheren Bekannten, ihn bewundern; er hatte uns vorher wohl allerlei Pläne entwickelt, aber wir verstanden wenig von solchen Dingen und hielten sie deshalb für phantastisch. Ich sehe ihn noch, wie er dann eines Tages plötzlich auf den Tisch schlug und sagte: »Jetzt hab’ ich’ s.«

Acht Tage später hatte er auf die Erfindung des Exfreundes eine GmbH gegründet, hatte ein elegantes Büro mit zahllosen Plänen, Grundrissen und Gipsmodellen und telefonierte den ganzen Tag. Wenn ich mich recht erinnere, handelte es sich um einen feuersicheren Kinema-Saal, brach aber doch einmal Feuer aus, so würde wenigstens keine Panik entstehen, weil er in einer halben Minute geräumt werden konnte. Wie die Geschichte ausging, bringe ich nicht mehr zusammen, und es tut auch nichts zur Sache. Jedenfalls begann er damit seine Laufbahn als Gründer. Übrigens hat Henry ebenso wie ich einen rätselhaften Unstern in finanziellen Dingen gehabt, er konnte wohl auch nicht die richtige persönliche Beziehung zum Geld finden. Mich hat es dann schließlich ernst genommen, ihn foppte es auf unqualifizierbare Weise. Böse Zungen behaupten heute noch, es sei bei all seinen Unternehmungen nie etwas herausgekommen, aber das kennt man ja und man soll kein Gewicht darauf legen. Einerlei, er blieb unbeugsam, fragte man ihn, wie steht es denn mit der oder jener Geschichte?, so hieß es: Schlecht, gerade im entscheidenden Moment kam etwas dazwischen, aber ich habe jetzt eine neue Sache an der Hand, und wenn die nicht einschlägt, soll mich der Teufel holen. Manchmal verschwand er auch für eine Weile, und man hatte Angst, er sei verkracht, aber er war nur rasch in Südamerika oder sonst wo gewesen, um irgendein Unternehmen ›in die Wege zu leiten‹. Dann tauchte er wieder auf und mit ihm ein neues Büro, ein imponierendes Türschild, das wieder eine neue GmbH verkündete, Modelle, Telefongespräche und Aktionäre.

Du siehst, Maria, er ist auch diesmal wiedergekommen und hat sich drunten in unserem Städtchen ein Büro eingerichtet, wo er täglich ein paar Stunden mit seinen Aktionären telefoniert. Wir schwelgen in alten Erinnerungen: wie ich einmal Geld hatte ... wie du einmal Geld hattest ... oder: als es mir damals ernstlich an den Hals ging ...

Unsere Schicksale hatten immer eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, so musste es wohl auch kommen, dass wir uns hier im Sanatorium mit unseren beiderseitigen Geldkomplexen wiederfanden und doch beide nach altem Brauch auf eine günstige Lösung warten ... ich auf meine Erbschaft, er auf einen großen Coup, der seiner Meinung nach dieses Mal nicht fehlschlagen kann.

Beklag dich, bitte, nicht wieder über meine Briefe, Maria. Aber ich interessiere mich momentan so grenzenlos für meine eigene Existenz, dass nichts anderes übrig bleibt. Auch darin verhext einen die ewige Geldfrage, möchtest du’s nur nie an dir selbst erfahren. Alle schönen Eigenschaften des Herzens, alles Eingehen auf andere geht dabei zum Henker ...

Ach, das liebe Geld!

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