Читать книгу Ninas Geschichte - Fríða Á. Sigurðardóttir - Страница 7
ОглавлениеDas ist die Stunde des Vogels. Und des Felsens. Die Stunde der Betriebsamkeit und des Abenteuers in einer stillen Bucht im hohen Norden.
An regnerischen Tagen steht man früh auf und schüttelt sich den Schlaf unsanft aus den Gliedern. Dann geht man los. Man geht schräg über die grasigen Bergterrassen hinauf, höher und höher, um zum Felsen zu gelangen. Eine Gruppe von Menschen mit Kiepen auf dem Rücken und voller Spannung, denn niemand weiß, was der Tag bringt.
Ganz oben auf dem Felsen wartet das Seil, aufgerollt wie ein Lindwurm aus alten Erzählungen. Das ist der Wurm, der Gold gibt. Wenn Gott will. Alles geht nach Gottes unergründlichem Willen.
Die Leute trocknen sich die triefenden Nasen. Der Morgen ist kühl und man geht zügig voran. Die Rücken krümmen sich beim letzten Stück, und die Muskeln spannen sich. Wieder will man alles wagen und den Felsen besiegen.
Kalt starrt der Felsen seine Besucher an. Er sieht keinen Unterschied zwischen Mensch und Vogel. Die schwarzen Felswände wimmeln von Leben, alles wimmelt hier von Leben, bis ganz hinunter in den Abgrund, wo die weiße Gischt der Brandung harmlos gegen die tangbewachsenen Steine spült. Lautes, geschäftiges Leben. Aber auch Tod. Ein Stein fliegt mit lautem Sausen vorüber, und die Bewohner eines Felsenabsatzes sind ausgelöscht, verschwunden; übrig nur noch ein paar Fetzen, die dem fallenden Gestein folgen, blutgetränkte Fetzen. Ein paar Federn schweben leicht in den Frühlingsmorgen hinaus. Hinab in diese seltsame, kreischende Welt soll es jetzt gehen, diese gefahrvolle Welt der Fruchtbarkeit und der Vernichtung, wo die Pranke des Todes lauert, um jeden wegzureißen, der es wagt, dem Felsen die Stirn zu bieten.
Die Stunde des Felsens. Die Stunde der Lebensgefahr. Aber auch die Zeit, zu der fremde Schiffe am Horizont auftauchen. Mit weißen Segeln suchen sie diese Buchten im Norden auf und werfen Anker. Spiegeln sich erhaben in der blanken Oberfläche der Bucht, während die Segel eingeholt werden. Diese geheimnisvollen Märchenschiffe, die den unbekannten Duft ferner Länder mit sich führen, der ganz anders ist als der schwere, herbe Geruch des Felsens. Und in der Morgensonne legt ein Boot vom Schiff ab und nähert sich dem Ufer.
Im Haus singt die alte Sina mit ihrer rauhen Greisinnenstimme beim Stricken vor sich hin:
Es gehen die Mädchen
nach Süden am Strand,
mit ihren langen Schürzen
und blauer Leinewand.
Soll es so sein,
eine davon will ich frei’n.
Dann verstummt sie und untersucht die graue Socke, denn da ist etwas nicht so, wie es sein soll, und schau her, hatte sie es doch geahnt, hier hat sie eine Masche fallen lassen und müht sich ab, die verflixte Masche wieder auf die Nadel zu holen, ohne aufziehen zu müssen, was ihr schließlich auch gelingt, auch wenn es zuerst Schwierigkeiten macht; und wieder singt sie den Vers von den Mädchen am Strand.
»Eine davon will ich frei’n«, singt sie mit neuer Kraft, verstummt dann und schaut still vor sich hin, wobei sie ein wenig hin und her schaukelt. »Ach ja, lange ist es her«, murmelt sie, und kratzt sich mit einer Stricknadel im schütteren Haar unter dem Kopftuch. Blickt mit ihren halbblinden Augen auf den Sonnenstrahl, der voller Lebenskraft den Weg durch das Rauchloch gefunden hat, verfolgt ihn dorthin, wo er auf dem Stubenboden zerbricht, ein heller Streifen auf dem dunklen Boden. Der Frühling ist auf dem Hof eingekehrt. Und mit ihm kommen die Eier, die gesegneten Eier. Der alten Sina läuft das Wasser im Munde zusammen und sie fährt fort, alte Weisen und Verse vor sich hinzusingen, die zum Tage passen.
Auf dem Hofplatz steht die Bäuerin und hält, die Hand über den Augen, Ausschau. Ihr Gesicht verrät nicht, was sie denkt.
Niemand weiß, wo Stefan, der Bauer, seine junge Braut hergeholt hat. Manche sagen, aus dem Norden oder Osten, oder gar aus dem Süden, andere flüstern von fernen Ländern oder der Welt der Elfen. Aber wie dem auch sei, so erschien dieser gut fünfzigjährige Witwer eines schönen Tages hier mit einem blutjungen Mädchen an seiner Seite, der zukünftigen Bäuerin. Ein schweigsames Mädchen mit blondem Haar und wundersam unergründlichen Augen, die allen nahegingen, die zu lange in sie schauten. Und die ganze Gegend war entrüstet und schlug sich auf die Schenkel und harrte mit erwartungsvollem Schaudern der Ereignisse. Aber nichts geschah. Es wurde nicht einmal ein Kind geboren. – Sunneva, ein heidnischer, fremdartiger Name. Die Leute in dieser Gegend kannten ihn nicht. – Aber tüchtig war sie, das mußte man ihr lassen, machte jede erdenkliche Arbeit, eine Frau, der man ihre Leichtigkeit und Beweglichkeit ansah, nie war auch nur ein Staubkörnchen an ihr zu sehen. Es hieß, sie sei so reinlich, daß man es kaum mehr natürlich nennen konnte. Sunneva. Die Leute sagten, sie verstünde sich auf so einiges. Was genau, wußte man nicht, nicht direkt, aber sie war anders, das war nicht zu übersehen. Manchmal hörte man sie eigenartige Lieder singen, und es hieß, wer ihr zuhöre, sei danach nicht mehr derselbe. Und sie lachte, wo andere keinen Grund zum Lachen sahen. Verschwand auch manchmal zu abendlicher Stunde, wenn alle gewöhnlichen Christenmenschen schlafen gegangen waren. Sprach wenig über das, was sie tat. Es hieß, sie sammle Kräuter. Und man sagte, sie verstehe sich auf sie. Und manchmal konnte man in der Dämmerung diesen geheimnisvollen Gesang hören, hohe Töne, die direkt in den Himmel zu fliegen schienen, und jeden mit sich zu ziehen, der zuhörte. Deshalb war es besser, vorsichtig zu sein. Oft steckt ein Wolf im Schafspelz. Das wußten die Menschen in dieser Gegend. Und obwohl alles genau mitverfolgt wurde, schien doch nichts darauf hinzudeuten, daß sie ihrem Mann nicht genau die Frau war, die er haben wollte. So seltsam das auch sein mochte.
Und der Tag vergeht.
Der Abend bricht an, hüllt das Meer, die Erde und den Himmel in ein unwirkliches Licht. Und an der Grenze zwischen Tag und Nacht tauchen die Leute vom Felsen mit ihrer Bürde auf, treten mit ihren Kiepen und Bündeln wie fremde Wesen oder Fabeltiere aus dem Abend heraus. Der Tag war ergiebig. Der Kampf mit dem Felsen ist überstanden, der Sieg errungen. Für diesen Tag.
Am Rand der Anhöhe bleiben sie stehen und verschnaufen. Die Bucht liegt vor ihnen im Abendlicht, eng und karg von hier aus gesehen, ein Fleck, der sich aus der Umklammerung des Bergriesen dem Meer zuwendet.
Aber was liegt dort und schaukelt am Strand?
»Ein Boot?« sagt Thorkell, Stefans Sohn, mit Verwunderung und Sorge in der Stimme.
Und sicher, es sieht aus wie ein Boot. Aber nicht wie eines, das sie kennen. Die Leute schauen einander an, und ein böser Verdacht macht sich breit. Der Bauer Stefan zieht die Augenbrauen hoch, sagt aber wenig und beschleunigt seinen Schritt den Berghang hinunter. Ihm folgt sein Neffe, der Vogelfänger Jakob, der dreiste Kerl, von dem gesagt wird, er fordere den Felsen und das Schicksal mit gottlosen Sprüchen heraus, während er sechzig Klafter tief an der Felswand hängt. »Es ist nur Gottes besonderer Milde und Barmherzigkeit zu verdanken, daß er die bösen Geister und Ungeheuer der Klippen noch nicht auf sich gezogen hat«, sagt die alte Sina. Und Jakob lacht. Die bösen Geister des Felsens fürchtet er nicht, nur die eigene Angst. Die ist unmännlich und wird niemals zugegeben. Und es wäre ja auch zwecklos. Denn Nahrung muß man besorgen. Deshalb lacht er. Aber als er jetzt bergabwärts rennt, lacht er nicht, er hat Stefan weit überholt, besinnt sich aber schließlich und bleibt mit verbissenem Gesicht stehen. Man sagt auch, daß er zuweilen recht lang in die klaren Augen der jungen Hausfrau geschaut habe. Hinterdrein kommen Thorkell und Einar, der Knecht, zuletzt Gudridur und Fridmey. Alle wissen, daß man sich nur wenig auf die Ehre jener ausländischen Ritter verlassen kann, die über die Meere segeln, man kann nie wissen, was man von ihnen zu erwarten hat, selbst wenn ihre Waren gut sind. Sunneva hat sich allerdings als geschickt im Umgang mit ihnen erwiesen. Tanzte ihren sonderbaren Tanz mit diesen dunkelhaarigen Männern, einen Tanz, den sie offensichtlich zu schätzen wußten; schwirrte von einem zum anderen, eine Hand strich über blonde Zöpfe, streckte sich nach der schmalen Taille, Finger näherten sich Brüsten, die in einem dunklen Mieder steckten, aber dann war alles verschwunden, ein Trugbild nur, das sich in Luft auflöste, während ausgelassenes Lachen erschallte. Am Abend hatte sie die Waren ergattert, die sie haben wollte; mit vergnügtem Gesicht und Glanz in den Augen blickte sie den ablegenden Booten nach. Stand eine Zeitlang regungslos. Verschwand dann im Haus. Hörte nicht auf die Warnungen der Frauen, die erfahrener waren als sie. Brachte sie nur mit ihrem Blick zum Schweigen. Und Stefan sagte nichts. Er sagte nie etwas.
»Der Tag der Abrechnung ist gekommen«, murmelt Gudridur vor sich hin, aber so leise, daß es niemand hört, nicht einmal Fridmey. Das ist auch gut so, denn sie darf kein schlechtes Wort über ihre junge zukünftige Schwiegermutter hören.
Ein Boot liegt am Strand. Ein unbekanntes Boot von einem weißen Schoner, der nicht weit vom Land ankert. Und es wird schon dunkel. Die Leute gehen, so schnell sie können, hinter Jakob und dem Bauern Stefan her.
Plötzlich steht Sunneva zwischen ihnen, als wäre sie aus dem Boden geschossen, ruhig wie immer, die Augen vielleicht ein klein wenig dunkler als gewöhnlich, und mit einer Falte um den Mundwinkel, die Stefan dort noch nie gesehen zu haben glaubt. Sie reicht ihm einen großen, schön gearbeiteten, schmiedeeisernen Schlüssel.
»Der Speicherschlüssel«, sagt der Bauer Stefan verwundert. »Was ist los?«
»Nicht gerade viel«, antwortet Sunneva, und die Falte wird tiefer. »Aber ihr schaut vielleicht einmal dort hinein, wenn ihr vorbeigeht«, fügt sie hinzu, dreht sich um und ist verschwunden.
Die Männer blicken einander an. Es ist eine Erleichterung zu sehen, daß Sunneva wohlauf ist, das ist klar, aber genauso klar ist, daß hier etwas nicht stimmt. Sunneva hat nicht die Angewohnheit, ihnen entgegenzugehen, wenn sie vom Felsen kommen, und noch weniger würde sie eine so seltsame Bitte aussprechen, ginge alles mit rechten Dingen zu. Spannung und böse Vorahnungen erfassen sie, und Fridmey erblaßt; Gudridur aber bekreuzigt sich und bittet den Schöpfer um Schutz und Beistand.
An der Hauswand legen sie ihre Bürden ab und eilen zum Speicher hinüber, dem stattlichsten Gebäude des Hofes, aus dem der süße Geruch von Trockenfisch dringt, obwohl der Speicher geschlossen und halb leer ist. Dort stehen in guten Jahren Fässer und Bottiche voll mit köstlichem Essen und Getränken, wenngleich man nun nach einem langen Winter wenig davon sieht; auf dem Dachboden gut verschlossene Truhen und daneben ein ansehnlicher Haufen Dorschköpfe, an den Sparren da und dort einige Heilbuttflossen und anderer Trockenfisch, nicht zu vergessen die Streifen vom Haifisch, das Angelzeug und allerlei Tauwerk, sowie andere Gerätschaften. Aber nun ist da offenbar noch mehr als das, was den Magen füllt.
Die Männer stellen sich vor der Speichertür auf. Fäuste ballen sich und Augen funkeln.
Der Abend ist ruhig, kaum, daß eine Welle gegen die Steine am Strand spült. In der Stille hört man ein fernes Krächzen, drohend und unheilverkündend, und die Frauen schauen einander mit weit aufgerissenen Augen an.
Stefan geht zur Tür und macht sich an ihr zu schaffen.
Alle warten gespannt.
Die Stille wird länger.
Wieder hört man ein Krächzen in der Ferne.
Schließlich reißt Stefan die Tür mit einem Ruck auf, und die Männer heben ihre Fäuste.
Aber nichts geschieht. Aus dem dunklen Innern des Speichers hört man keinen Ton.
Die Männer gehen vorsichtig hinein, Stefan als erster, Jakob dicht hinter ihm, dann Thorkell und Einar. Die Frauen folgen mit einigem Abstand.
Im Dunkeln zeichnen sich drei unförmige Haufen weiter hinten auf dem Fußboden ab.
»Großer Gott«, schluchzt Gudridur und klammert sich an Fridmey. »Sie hat sie umgebracht!«
»Haben das Fäßchen geleert«, murmelt Stefan da, und mit einem Mal erhebt sich einer der Haufen blitzschnell vom Boden, wie eine Schlange, die zubeißen will, und Gudridur erschrickt so sehr, daß sie vor Entsetzen fast ohnmächtig wird. Es ist ein hochgewachsener Mann von finsterem Aussehen und zu allem fähig; ein dunkeläugiger Mann mit schwarzen Augenbrauen und einer Adlernase, das Haar ungekämmt und lockig. Seine weißen Zähne blitzen, als er die Leute vom Hof ansieht.
»Eve«, ruft er plötzlich, wahrscheinlich, um sie zu verfluchen, und Gudridur bekreuzigt sich.
»Eve«, ruft er abermals und lacht, und seine Stimme klingt triumphierend, als er einen Satz auf Gudridur zu macht, die eilends durch die Tür zurückweicht und Fridmey in die Arme sinkt. Der Mann bleibt stehen und schaut abwechselnd die beiden Frauen an, als ob er etwas durcheinander sei, und blickt dann auf den Bauern Stefan und seine Männer.
Jakob zittert. Jeder Nerv seines Körpers ist angespannt. Es ist etwas in den Augen dieses Mannes, etwas in seinem Gesichtsausdruck, das in Jakob den heftigen Wunsch weckt, die Fäuste sprechen zu lassen. Er muß seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ruhig stehen zu bleiben.
Der Mann sagt etwas Unverständliches und wendet sich dann seinen Kameraden zu, tritt sie kräftig mit den Füßen. Die murmeln etwas und drehen sich weg. Erst nach zwei weiteren unsanften Tritten kommen sie zu sich, blicken sich entsetzt um und springen dann mit erhobenen Fäusten auf. Der Mann aber winkt sie zurück und plappert wieder etwas, aus dem niemand schlau wird, nicht einmal Stefan, der sich im allgemeinen leidlich verständigen kann mit diesen von weit her gekommenen Leuten. Nur dieses eine Wort, das sie immer wieder hören, erkennen sie: Eve. – Eve. Und jedes Mal, wenn er dieses Wort ausspricht, leuchtet ein Lächeln in seinen Augenwinkeln auf, ein Lächeln, das Jakob noch unangenehmer berührt als alles andere. Ein Lächeln, das nicht zu ertragen ist.
»Jakob«, sagt der Bauer Stefan scharf. Und Jakob hält inne. Kehrt widerwillig an seinen Platz zurück.
»Hinaus!« sagt Stefan plötzlich streng. »Hinaus von hier!« Und es liegt Zorn in der Stimme, eine Wucht, eine ungewöhnliche Wucht, die überrascht, die genauso unangemessen ist wie Jakobs Heftigkeit, die noch in der Luft vibriert. Denn schließlich ist hier nichts weiter geschehen, als daß ein Fäßchen Branntwein daran glauben mußte. Das ist natürlich ärgerlich genug, aber was ist es schon gegen die Greuel, die hätten geschehen können?
Die Menschen sind einiges gewohnt hier im Norden, sie müssen meist selbst sehen, wo sie bleiben, meinen aber auch, daß es so am besten sei, und verlassen sich nur selten auf die Anordnungen einer nicht immer sehr weisen Obrigkeit. Man hat also durchaus Anlaß, sich zu freuen. Trotz allem. Und die höheren Mächte für ihre feste und barmherzige Führung zu preisen. Denn es ist ganz klar, wer hier den kürzeren gezogen hat, und das gegenüber einem einzigen Frauenzimmer. Sicher wird man einen so jämmerlichen Aufenthalt wie das Eingesperrtsein im Speicher am hellichten Frühlingstag nicht so bald vergessen. Eigentlich müßten diese ausländischen Tölpel ihr Gesicht verstecken vor Scham darüber, daß sie sich auf so schmähliche Weise zum Narren halten ließen. Aber dieser Mann da scheint solche Gefühle nicht zu kennen.
Dennoch zeigt der Nachdruck in Stefans Stimme Wirkung, denn der Mann gibt seinen Leuten ein Zeichen. Aber da hat Jakob schon das Hohnlächeln bemerkt, das in dem Augenblick, in dem er sie ansah, über das dunkle Gesicht huschte, ein Ausdruck der Verachtung in dunklen Augen. Und jetzt kann ihn nichts mehr halten. Koste, was es wolle, der Mann mit dem höhnischen Grinsen und dem eingebildeten Blick soll Blut schmecken. Soll bekommen, was er verdient hat.
Aber Stefan steht im Weg. Schwer und unerschütterlich steht er da, während die zwei Männer ihre Holzschuhe vom Boden aufheben und hinauseilen, um schnell über den Kies zum Strand hinunterzulaufen, zu ihrem Boot. Der große Mann läßt sich Zeit. Sie sehen, wie er sich am Strand umdreht und zum Haus hinaufschaut; er hebt die Hand, als wolle er jemandem zuwinken, dann steigt er ins Boot und verschwindet hinaus in die Dämmerung.
Eine Unterhaltung über das, was da eben geschehen ist, will nicht zustande kommen, während die Eierausbeute verteilt wird, ganz gleich, womit begonnen wird. Vielleicht ist es Jakobs Blick, der über allem wacht, scharf und stechend. Die Leute verstummen mitten im Satz, ihr Lächeln verfliegt. Und Stefan kommt nicht darauf zu sprechen. Auch nicht Sunneva. Sie spricht nur über die alltäglichsten Dinge. Und lächelt. Als sei nichts Bewegendes geschehen. Und Stefan stellt keine Fragen.
Gudridur schnauft laut und macht den Mund auf. Aber den Augen Jakobs entgeht nichts, und die Worte ersterben ihr auf den Lippen. Völlig überrascht starrt sie Jakob an, dann wendet sie sich ab. Nie hätte sie geglaubt, daß er, daß Jakob, der Junge, den sie aufgezogen hat, seit Stefan ihn hierher brachte, nachdem sein Vater im Meer ertrunken war und der Haushalt aufgelöst wurde, daß er, der als Kind in ihren Armen schlief, dem sie Geschichten erzählte und einen guten Bissen zusteckte, sooft sie konnte, daß er sie einmal mit solchen Augen anschauen würde! Das ist Hexerei! Und sie weiß auch, wessen Schuld das ist.
Das Schweigen folgt den Menschen ins Haus hinein. Man spricht nicht einmal richtig über die Wetteraussichten für den nächsten Tag, sagt nur ein paar vereinzelte Sätze. Bloß die alte Sina murmelt ununterbrochen etwas vor sich hin, während sie zu Bett geht. Gudridur meint, alte Gebete zu hören, oder sogar Beschwörungen. Gegen böse Mächte. Was sicher nicht schadet, denn hier scheint einiges in der Luft zu liegen, und zwar nichts Gutes.
Allmählich wird es still in der Stube, das Räuspern und Schnupfen verstummt und das Schnarchen beginnt, die feuchte, schwere Luft zu teilen. Zusammen mit Sinas Gemurmel. Ab und zu verstummt sie eine Weile, dann hört man sie schimpfen und fluchen, sogar ausspucken, schließlich beginnt das Gemurmel von neuem. Gudridur sagt alle Gebete auf, die sie kann, leiert sie immer wieder Wort für Wort herunter, aber nichts hilft. Es will ihr einfach nicht gelingen einzuschlafen, trotz der vielen Gebete. Sie ist voller Unruhe, immer verfolgen sie Jakobs Augen. Und sie stöhnt und wirft sich hin und her. So scheint es aber auch noch anderen zu gehen, denn die Leute schlafen ungewöhnlich unruhig in dieser Frühlingsnacht, die nie ein Ende nehmen will.
Aber sie endet doch. Wie andere Nächte. Und am Morgen erhebt man sich und macht sich wieder auf den Weg zum Felsen.
Es ist kurz vor sechs Uhr abends, als ein Mädchen hoch oben am Berg auftaucht. Wie ein herabstürzender Vogel wirft sie sich die Hänge hinunter, fliegt über Steine und Geröll, Moospolster und Moorsenken, fällt in einen Bach, der nach dem Tauwetter stark angeschwollen ist, rappelt sich aber gleich wieder auf und stürmt weiter; ein dunkler Vogel, der direkt auf den Hof zu hält.
»Alles in Ordnung hier?«
Ein Gesicht in der Tür, ein Lächeln. Nicht Margret, die mit mir in dieses Zimmer kam, in dem die Freesien duften, leise, aber festen Schritts, die Beine voller Krampfadern unter den dicken Gummistrümpfen. Ein Mädchengesicht, jung.
Hastig verdecke ich das Blatt mit meinen Händen, schaue sie an, gebe keine Antwort.
»Alles in Ordnung hier?«
Eine unverständliche Frage, zu absurd, als daß man darauf antworten könnte.
»Möchtest du vielleicht eine Tasse Kaffee?« fragt sie weiter, die Stimme etwas leiser, verlegener, das Lächeln verschwunden.
Ich schüttle den Kopf, will keinen Kaffee, ich bin beim Laufen, mit Fridmey, bin in eine Geschichte verstrickt; der schwere, nasse Rock flattert um meine Beine, hemmt bei jedem Schritt, ich hätte den Rock aufschürzen sollen, der eine Schuh ist auseinandergegangen und außerdem ist der Riemen gerissen, ich habe den Geruch des spät erwachten Frühlings in der Nase. Es juckt mich unter den nassen Wollsocken, aber Fridmey rennt weiter. Und während sich in einer anderen Welt eine Tür schließt, gehe ich ihr nach ins Haus hinein, in diese jämmerliche Hütte, die in meinen Augen keine menschenwürdige Behausung ist, ihr aber großartig vorkommt; ich weiß, daß dieses Haus mit dem Loch, in dem ihre Eltern wohnten und immer noch wohnen, nicht zu vergleichen ist, und weiß all die Verbesserungen zu schätzen, die Sunneva mit der Zeit veranlaßt hat: Die holzverkleidete Dachschräge schmückt sich mit neuen Brettern, die Fußböden sind erneuert, die Wände repariert und die Fenster vergrößert. Nicht zu vergessen die Sauberkeit. Ein weiterer Grund für Gudridurs Ärger und Verbitterung. Sogar den alten Knecht Einar hat Sunneva dazu gebracht, sich mit der Lauge zu waschen, die sie zusammenkocht und die von allem Ungeziefer befreit. Aber Fridmey läuft weiter, verschwindet in dem dunklen Gang, vorbei an der Küche und der Speisekammer, der Schiebetür zum Stall und zur Scheune, in die Stube hinauf, wo die alte Sina am hellichten Tag dösend auf ihrem Bett liegt, untätig, wie sonst nie, die Stricknadeln sind auf den Boden gefallen. Ich bin ganz benommen von dem Erdgeruch und der Feuchtigkeit, der stickigen Luft, der Dunkelheit. Und Sinas Gemurmel über Gäste, hier sei ein Gast gekommen, zum zweiten Mal, verliert sich in Übelkeit und Schwindel. Doch Fridmey ist verschwunden, steht auf dem Hofplatz und sieht sich um, Entsetzen im Gesicht. Sunneva. Eine warme Hand an ihrer Wange, ein Gesicht, das sie anlächelte, als sie es zum ersten Mal sah, sagte, jetzt werde alles gut, sie müsse sich vor nichts fürchten, sie, die junge Magd auf dem Hof. Sunneva. Die Mutter, die Schwester, das Licht des Lebens.
Nimm dich in acht, Fridmey, stell keine solchen Forderungen.
Und Fridmey läuft schon wieder los. Hat Sunneva am Strand erspäht. Schreit ihren Namen. Es wird aber nur ein heiseres Flüstern.
Am Strand steht eine Frau, die Fridmey nicht kennt, noch nie gesehen hat: ein schlaffes Gesicht, von einem stummen, gierigen Glanz erfüllt, die Lippen geschwollen, die Augen glasig. Eine Unbekannte.
»Sunneva«, flüstert Fridmey, aber die Frau hört und sieht sie nicht. Sie sieht nur das Boot, das sich vom Land entfernt.
»Sunneva!« ruft Fridmey, und die Frau löst widerwillig ihren Blick von dem schwarzen Kopf und den breiten Schultern, die sich so schnell, so schnell entfernen; sie blickt das Mädchen an, als hätte sie es nie zuvor gesehen. Und Fridmey sinkt auf dem Strand zu Boden.
»Sunneva«, flüstert sie ins Gras, »Sunneva.«
»Ja«, sagt die Frau, und aus ihrer Stimme klingt Ungeduld. Auch ihre Stimme ist fremd. »Was willst du?«
Fridmey richtet sich auf und blickt dem Mann nach, der an Bord des weißen Schoners klettert. Einen Augenblick lang hebt er sich deutlich gegen die helle Schiffsseite ab, und es sieht so aus, als ob er eine Kutte trägt, eine schwarze Kutte, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, sie sieht, daß er zum Land hin winkt, sieht, daß Sunneva ihren Arm seinem Arm entgegenstreckt und ein Lächeln über ihr Gesicht huscht, ein geheimnisvolles Lächeln auf einem fremden Gesicht, und sie würde am liebsten den ausgestreckten Arm packen und rufen: Nein! Nicht winken! Siehst du nicht, wer das ist! Aber sie tut es nicht, wagt es nicht angesichts des Zaubers, der hier in der Luft liegt, sondern schreit: »Es hat einen Unfall gegeben«, aber die Worte bleiben ihr im Hals stecken.
Sie steht dort am Strand, die weiße Hand erhoben, die dicken, blonden Zöpfe haben sich gelöst und fluten ihr über den Rücken, leuchten in der Sonne; sie lehnt sich vor, ihr Körper ist kraftlos und schwer, als sei sie eigenartigen Mächten ausgeliefert. Die Luft um sie vibriert in rötlichem Schein, einem Feuer, das sie im nächsten Augenblick zu verschlingen droht.
»Ein Unfall. Es hat einen Unfall gegeben. Sunneva.«
»Ein Unfall«, wiederholt die Frau am Strand, als verstehe sie das Wort nicht, das Bild des dunklen Mannes hält ihre Augen fest, will sie nicht loslassen. »Ein Unfall?« sagt sie nochmals fragend und dreht sich langsam Fridmey zu, als sehe sie das Mädchen erst jetzt, die Augen rastlos, als erwache sie aus einem Traum. »Wer?« fragt sie dann scharf.
Fridmey öffnet den Mund, um Antwort zu geben, aber statt Worten bricht Schluchzen hervor, ein schwerer Schmerz, der sie fast erstickt. »Jakob«, gelingt es ihr schließlich hervorzustöhnen. »Ein Stein«, stöhnt sie weiter und versucht aufzustehen. Jakob. Etwas durchbohrt sie, zerreißt sie innerlich, so daß sie wieder niedersinkt und anfängt, sich in den Tang zu übergeben.
Jakob.
Sie, ein erst vierzehnjähriges Mädchen, Magd, ein armes Ding im Aschehaufen. Er, vom Fischen zurück, kräftig, anders als alle anderen, bereits ein Vogelfänger, der Ziehsohn auf dem Hof. Lachen, Scherzen, ein Kuß in dunklen Gängen. Schmerz. Süßer als alles andere. Leben. Traum.
An diesem Tag wird deine Seele von dir genommen.
Woher kommen diese Worte?
Ein Blick –
»Lebt er?« fragt Sunneva. Die Frau, die hier am Strand stand und durch Fridmey hindurchsah, ist verschwunden, das Gesicht ist wieder das Gesicht Sunnevas. Sunneva, die sie um ihren Traum betrog, als sie hier vor fünf Jahren auftauchte. Vor sechs. Ein Blick nur, und sie wußte es. Wußte, daß es nur die Phantasien eines einsamen, dummen Dings waren, und Gudridurs Widerwillen und ständiges Nörgeln daher unnötig. Jakobs Augen sagten es. Blickten Sunneva an. Verfolgten sie. Immer.
An diesem Tag wird deine Seele –
»Fridmey«, sagt die Stimme wieder, mild, beruhigend, wie die kühle Hand, die unter ihre Stirn gelegt wird, während sie weint und sich erbricht. Sunnevas Hand.
»Lebt er, Fridmey?« fragt die Stimme weiter, lauter, und sie versucht zu antworten, während weiter grüngelbe Galle aus ihrem Mund quillt. Lebt, Flüstern der Wellen, der Mund voller Galle, stößt die Hand von ihrer Stirn. Weg. Weg mit dieser Hand. Hat alles vergessen, was Sunneva ihr beigebracht hat, die Mutter vergessen, die Schwester, das Licht eines neuen Lebens, eines besseren Lebens – erinnert sich nur an ihren Schmerz.
An diesem Tag –
Jakobs Körper, der am Seil hängt – ein blutiger Kopf, der sich in Stefans Armen zur Seite neigt – Gudridurs Stimme, ein hoher, einförmiger Ton, der immer lauter wird, fällt über den Felsen hinab, verliert sich im Geschrei der Vögel, im Tumult, im Lärm. Nein. Gudridurs Gesicht. Ein Stein. Gudridur, die vielleicht auch ihren Traum hatte, sich vielleicht bestimmte Vorstellungen gemacht hatte, all die Jahre, in denen sie das Haus versorgte, nachdem Rebekka starb, die Bäuerin. Bevor Sunneva kam und alles änderte. Änderte –
Jaakoob
Ein stechender Schmerz, und sie wird zur Seite geschleudert, das Geschrei verstummt. Sunneva hat sie geohrfeigt. Reicht ihr etwas Feuchtes, um sich das Gesicht abzuwischen. Fridmey erhebt sich langsam auf die Knie, streicht sich über das Gesicht, wischt Tränen und Erbrochenes ab. Sie zittert. Steht dann unsicher auf den Beinen, weist Sunnevas Hand zurück. Fridmey. Nicht mehr dieser schluchzende Körper, der sich zwischen den Steinen am Strand krümmte, sich in dem schwarzen Schreien auflöste; Fridmey, die Verlobte Thorkells, des Sohnes auf dem Hof mit seinen blaßblauen Augen, die Freundin Sunnevas, Fridmey.
»Komm«, sagt Sunneva und zieht Fridmey das nasse Tuch aus den Händen. »Jetzt ist keine Zeit für Tränen.«
So sehe ich sie. immer vor mir. Zwei Frauen, die eine blond, die andere dunkler, beide zerzaust wie nach einem Kampf, auf dem Weg zu dem grasbewachsenen Haus, das längst eingestürzt ist. Mehr als ein Jahrhundert später sitzt Nina auf den Ruinen und sieht, wie sie aus der Dämmerung kommen. Sie gehen schnell, Sunneva ein kleines Stück voraus, Fridmey hinterher, beide nach vorn gebeugt, als duckten sie sich vor einem Sturm, die Hände an den Seiten. Im Hintergrund ein heller Schoner, der vom Land wegsegelt, blaugrüner Schimmer auf dem Gras im Abendlicht. Dunkel gekleidete Frauen im Schatten des Felsens, sie gehen mit schnellen, entschlossenen Schritten; keine von ihnen blickt sich um.
»Sie hat Sunneva nie vergeben«, sagt Marias Stimme durch die Jahre.
»Dummes Zeug«, hört man Thordis’ Stimme von weit her sagen, Mutters Stimme. »Es wurde immer gesagt, daß Schwiegermutter und Schwiegertochter besonders gut miteinander ausgekommen seien. Nie ein kränkendes Wort zwischen ihnen. Und was gab es da schon zu vergeben?«
»Nichts«, sagt Marias Stimme. »Und vielleicht doch alles.«
»Ach gute Maja!« Und in der Stimme liegt Unwille, der an Scham grenzt, fast schon an Schmerz, über solche Gefühlsduselei und Sentimentalität, solche Romantik. »Sie wohnten Seite an Seite auf demselben Grasbuckel, über vierzig Jahre lang.«
»Und was ändert das, liebe Schwester?«
»Niemand wohnt all die Jahre in Uneinigkeit.«
»Du bist ein Kind, Thordis.«
Aber das Mädchen Nina Katrin Sunneva weiß, daß Fridmey Sunneva nie vergeben hat. Sie weiß es. Sie ist elf Jahre alt, bald zwölf, und hat über schwere Schicksale und die Liebe in Büchern gelesen. Kann es kaum erwarten, selbst an diesem aufregenden Tanz teilnehmen zu dürfen.
»Jakob«, fragt sie ungeduldig, verärgert darüber, daß ihre Mutter so ablehnend reagiert und in eine Geschichte eingreift, die sie nichts angeht. »Was wurde aus Jakob?«
»Was soll das eigentlich, dem Mädchen solche Geschichten zu erzählen. Ich glaube, es wäre besser, du würdest mir beim Abwasch helfen, statt deine Urahnin der Hurerei zu bezichtigen, von allem anderen ganz abgesehen.«
»Ja, aber liebe Disa, ich will viel lieber Geschichten erzählen.«
Und Marias Lachen schallt durch die Stube.
»Jakob«, quengelt Nina wieder und will am liebsten die Tür zur Küche schließen, damit ihre Mutter aufhört, sich einzumischen und alles kaputt zu machen. »Was wurde aus Jakob?«
»Jakob«, sagt Maria und zögert, den Namen auszusprechen, sieht vielleicht in den Augen des Mädchens den Wunsch, daß alles gut ausgehen soll, aber dahinter auch das Verlangen nach Tragik, Schrecken und Tod. »Jakob,« sagt sie wieder, und ihre Augen verdunkeln sich, die Geschichte nähert sich von neuem.
Nina kuschelt sich tiefer in den Sessel und sieht gebannt zu, wie Maria einen braunen Zigarillo aus einem Etui auf dem Tisch schüttelt und ihn anzündet. Eine dünne Goldkette umschmeichelt die helle Seidenmanschette, als sie die lange, dünne Zigarre an ihre Lippen hebt, und das Mädchen atmet den Duft tief ein, den Duft Marias. Dieser Schwester ihrer Mutter, die wie ein Bild aus einer Zeitschrift oder aus dem Kino aussieht, obwohl sie älter ist als Mutter, und im Ausland gelebt hat. Maria, eine rauhe, bezaubernde Stimme, eingehüllt in Zigarrenrauch und einen schwachen Duft von Chanel No. 5.
Jakob.
In der Abendbrise ein starker Geruch von Eigelb, Vogelkot und Blut, der Geruch des Frühlings, mit Blut vermischt.
Eine traurige Prozession nähert sich von den Felsen her. Eine schweigende Prozession, die sich gebückt über den Hang hinab bewegt, ein schwarzer Punkt in der unendlichen Landschaft, der sich langsam vorwärts schiebt. Ein trauriges Häufchen, mit schwerem Schritt, unter einer noch schwereren Last.
Der Hieb ist gefallen, die graue Pranke hat ihre Macht gezeigt.
Es ist Sunneva, die dieser dunklen Gruppe entgegenläuft. Hat Fridmey angewiesen zu warten, die Glut anzufachen und Wasser auf dem Herd abzukochen, ihm ein Bett zurechtzumachen, zu warten. Und das Bett wird sie ihm weich zurechtmachen, so weich sie nur irgend kann, während ihre Ohren jedes Geräusch wahrnehmen, jede Bewegung während des endlosen Wartens, das ihr beinahe den Verstand raubt. »So ist es eben«, murmelt die alte Sina und humpelt umher, will helfen, darf aber nichts anfassen. Muß sich wieder aufs Bett zu ihrem Strickzeug zurückziehen. Aber sie berührte Fridmey leicht an der Wange, als sie vorbeihumpelte, vielleicht zufällig, vielleicht auch nicht, wer weiß. Doch wie auch immer, es war wie ein Licht, das in der Dunkelheit aufleuchtete. Nicht lange. Aber dennoch, ein kleines Licht. Eine kleine Weile.
Sunneva untersucht Jakob schweigend, streicht vorsichtig Blut von seinem Gesicht. Seine Augenlider beben, öffnen sich nicht, die Haut ist über die hohen Wangenknochen gespannt, grau und fahl. Sie kennt diese Farbe. Die offene, zerrissene Wunde vom Scheitel bis über das Ohr hinunter klafft ihr entgegen. Der Körper gekrümmt, als habe ein Riese ihn in seiner Faust zerquetscht. Sie wischt halbgeronnenes Blut vom einen Mundwinkel ab, und eine seltsame Ahnung überkommt sie, eine Erkenntnis, die sie von sich zu schieben versucht, während sie an Jakobs Seite geht. Denn es ist Einbildung, Unsinn. Niemand kann so etwas so schnell wissen. Aber sie kann sich nicht dagegen wehren, so stark drängt es sich ihr auf. Sie weiß, weiß, daß ein neues Leben in ihr gefruchtet hat. Weiß es mit vollkommener Sicherheit.
Ihr wird schwarz vor den Augen, sie kommt erst wieder zu sich, als sie unsanft angestoßen wird, so unsanft, daß sie stolpert.
»Laß ihn in Ruhe!« Es ist Gudridur, die Stimme kalt wie eisiger Stahl, der sich ins Fleisch schneidet. Die Männer blicken ausdruckslos vor sich hin, tun, als hörten sie nichts. »Jetzt wirst du ihn in Ruhe lassen! Du hast schon genug getan …« fährt sie fort, verstummt aber und starrt mit offenem Mund auf das Tuch, das aus Sunnevas Hand auf den Boden gefallen ist. Ausgebreitet liegt es da auf der rotgetränkten Erde, blau mit breiter Bordüre und Fransen, ein Schultertuch, das nicht von hier stammt, das ist sicher, es bewegt sich leicht wie ein Lufthauch auf Erde und Steinen, mit einem Duft von unbekannten Welten in seinen Farben. Ein Geschenk dieses Tages, mit Blut befleckt, mit Tränen und Erbrochenem.
Einen Augenblick lang starrt auch Sunneva, dann reißt sie das Tuch vor Gudridurs Augen an sich, knüllt es fest in ihren Händen zusammen, während ihr Blick auf ihren Ehemann fällt, der sich sogleich abwendet.
Etwas wie ein Lächeln überzieht Gudridurs Gesicht, eine lächelnde Grimasse.
Aber nichts kann die wundersame Gewißheit zum Schweigen bringen, die sie in ihrem Innern aufwühlt, nicht Gudridurs Lächeln, nicht Stefans Augen. Nicht einmal Jakob in seinem Blut kann diese sündige Freude ersticken. Ein Leben hat gefruchtet. Endlich hat Leben gefruchtet.
Sunneva schüttelt die Erde von dem Schultertuch ab und legt es zusammen, steckt es darauf sorgfältig unter ihre Schürze. Richtet sich dann langsam auf.
Von Jakob hört man ein schwaches Stöhnen, und unwillkürlich weicht Gudridur zurück, Sunneva aber nimmt ihren Platz wieder ein. Sanft streicht sie über das reglose Gesicht, hält Ausschau nach Lebenszeichen. Grauweiße Lippen, eine leicht gebogene Nase, größer als sonst, in dem mageren Gesicht, die Augen geschlossen. Nur das blonde Haar, blutverklebt, bewegt sich bei jedem Schritt.
Jakob, ihr Freund und Bruder, umgeweht wie ein Grashalm.
Und voller Schmerz und Reue faßt Sunneva Jakobs kraftlose Hand, hält sie fest in der ihren, drückt sie, als wolle sie ihr Leben in ihn hinüberströmen lassen, läßt sie nicht mehr los, während man das letzte Stück Wegs bis zum Hof geht. Sunneva und Jakob. Ihre Hände zusammengeschlossen, eine Faust gegen den Himmel, Hände im Gebet.
»Er lebte noch sechs Tage.«
Ein schwaches Klagen durchbricht die Stille.
Nina springt von den Ruinen auf, ein schlankes Mädchen in einer schwarzen Hose und einem groben Wollpullover, mit dunklem, offenem Haar. Sie lauscht in die Stille hinaus, diese Stille, die keine Stille ist, sondern etwas ganz anderes, sie ist anders als alles, was sie kennt: ein leises Säuseln vom Strand her, aufdringlich, flüsternd, das Rauschen eines Flusses, vielstimmiges Rascheln im Gras. Diesem hohen Gras, das überall ist, wucherndes Gras, das sich einem um die Beine schlingt, alles verdeckt, verschluckt. Sie kneift die Augen zusammen und späht die Berghänge hinauf, in die Bucht hinein, aber es ist niemand zu sehen, nirgends jemand unterwegs. Nur sie hier in dieser gigantischen Landschaft. Allein.
Auf einem Stein ein Stück weit weg sitzt ein Vogel und blickt das Mädchen an. Einen Augenblick lang starrt sie zurück. Kleine Augen leuchten ihr rot entgegen, blitzen boshaft in der Abendsonne.
Die Schatten breiten sich an den Berghängen aus, rükken näher. Dunkel werdende Farben, durchlässig, man kann durch sie hindurch fallen, abstürzen. Und überall dieser starke Duft von Pflanzenwuchs, wildem, saftigem Pflanzenwuchs, vermengt mit dem Fäulnisgeruch des darunterliegenden alten Grases, ein weicher, verrottender Teppich, der bei jedem Schritt nachgibt. Stickiger Pflanzenduft. Darin eine salzige Note, roh, nach Strand, Wasser, Gebirge.
Hinter ihr ein Hof mit einem toten Mann, die Ruine eines Hofes voller Tod, und ich spüre noch immer, wie das Entsetzen seine Krallen ausstreckt, ich sehe, daß sie rasch zurückschaut, um sich zu vergewissern, daß die Ruine des Hofes noch an ihrem Platz ist, daß sie hier ist, jetzt, nicht in einer Geschichte aus vergangenen Zeiten, einer Geschichte, die sie nicht betrifft, daß sie auf Helgi und Arnar wartet, die in diese trügerischen Berge hinauf verschwunden sind, wo die Gefahren lauern, der Tod wartet; sie haben sie hier allein zurückgelassen, allein in dieser Stille.
Der Vogel fliegt mit lautem Sausen auf. Schwebt über die Meeresfläche, eine unglaubliche Flügelspannweite für einen so kleinen Vogel, er kreist, läßt sich plötzlich fallen. Setzt sich am Strand auf einen Stein, der vom Wasser überspült wird, und hat etwas Zappelndes in seinem rötlichen Schnabel.
Nina ballt ihre Fäuste.
Fünf Stunden, bald sechs.
Sie späht wieder in die Bucht hinein, die steilen Hänge hinauf. Bilder aus Reiseprospekten: majestätische Schönheit – großartige Natur – die Nähe ist anders, die Nähe ist gefährlich.
Zwei Stunden, sagten sie. Höchstens drei.
»Reg dich nicht auf, Mädchen! Sie werden schon kommen«, sagt sie laut und erschrickt vor ihrer eigenen Stimme. Zuckt dann mit den Schultern und greift nach einer Zigarette. Will sich eine anzünden.
Die Streichholzschachtel ist leer.
Sie watet durch das Gras zum Gepäck hinüber. Wühlt in den Rucksäcken.
Nichts.
Zerrt Sachen heraus, wirft sie durcheinander.
Knorr, Heinz, Melroses, grelle Farben weit im Gras verstreut. Winston, Sirius –
Ihre Hände schütteln die Rucksäcke, grapschen im Gras, wühlen, weiße Hände, die Fingernägel rot lackiert, der Lack blättert ab, schmutzig vom grünen Gras, von der Erde.
Die Hände Sunnevas und Jakobs –
Wieder hört man das Klagen, langgezogen, traurig.
Die Hände erstarren. Das Entsetzen krallt sich fest, läßt nicht mehr los, dasselbe Entsetzen wie am Morgen, als sie an einer Felsnase hing, ganz oben am Berg, und sich verzweifelt mit einer Hand festklammerte, das Geröll unter sich wegrutschen hörte. Spürte, wie es unter ihren Füßen nachgab, spürte, wie sie mitrutschte, suchend umhertastete, ins Leere griff, und dann endlich Halt, dieser Felsvorsprung, während das Geröll sich mit dröhnendem Lärm den Berg hinunterwälzte, und unterhalb nur Geröll, Steinhalden, und irgendwo weit weg etwas Grünes, unendlich weit weg –
hing in der Leere – eine Ewigkeit – allein –
schaffte es schließlich irgendwie, sich hochzuziehen, weiß nicht wie, stöhnte, schnaufte, schrie nicht, das Entsetzen war zu groß. Und dann schließlich ein sicherer Platz. Groß genug, um sich zusammenzukauern, sie will dort bleiben, weigert sich, weiterzugehen, die Lippen so starr, daß sie kaum das Nein über sie bringt, nein, nein, bleibe hier, rühre mich nicht vom Fleck.
Dann Helgis und Arnars Lachen. Und in ihr reiner Haß. Ein Gefühl, das sie noch nie erlebt hatte. Kalt, rein – Wälzt sich über das Geröll, das Lachen, steigt durch die Fußsohlen auf, während sich ein Strick um ihre Taille schnürt. Und Helgis Stimme, trächtige Kühe würden diesen Weg laufen, ohne zu schnauben, kommst du allein Bankastraeti hinunter, das ist genauso steil, und in ihr dieser Haß, eine Blume auf einer reinen, kalten Fontäne, erblüht in diesem Lachen, während die beiden sie an einen Strick gebunden hinunterziehen.
Helgi und Arnar, die Retter in der Not, der Bruder und der Verlobte. Die sie auf diese Reise gelockt haben. Knüpfen einen Strick um ihre Taille, lachen laut. Das Dreigespann Helgi, Nina und Arnar ist verloren, verschwunden, hat es nie gegeben. Und sie lacht mit, falsch, voller Rachedurst, lacht und weiß, daß sie niemals diese Wanderung über das Geröll voller Lachen vergessen wird.
Ein Windstoß, und das Wuchergras wogt, wiegt sich hin und her. Ein Tanz im Gras, langsam, faszinierend.
Ein Geruch nach feuchtem Asphalt, erleuchtete Schaufenster, Menschen in Eile, Gelächter, Rufe. Legt dem Lärm, der sich hier breitmacht, Fesseln an, hält ihn im Zaum.
Lebte noch sechs Tage –
Vielleicht haben sie sich verlaufen. Sind abgestürzt. Hat das Land sie verschluckt. Sie sind verschwunden wie Jakob. Und sie selbst ist allein in dieser Einöde, dieser menschenlosen, von Felsen umgebenen Bucht, nur ein Abschnitt aus einer verlorenen Geschichte, wie Jakob und Sunneva, und Marias Flüstern aus dem Gras. Dieses Flüstern, so voller Wehmut, erfüllt von einer Nähe, die die Zeit außer Kraft setzt, sie auflöst, damals und jetzt und damals und damals kurzschließt, zu einem Blitz werden läßt, zu ein und demselben Augenblick.
Noch immer hört man das Klagen. Vielleicht ein Vogel. Oder ein Fuchs. Oder ist das vielleicht ein Stöhnen, ein Seufzen aus vergangenen Tagen? Oder aus der Zukunft?
Nina kauert sich zusammen, dreht dem Hof, dem Flüstern im Gras, den Rücken zu. Macht sich zu einer Schnecke, einer tauben Schnecke. Nina, so jung, hat sich, wie seinerzeit Eirikur, verführen lassen vom Gerede über die eigenen Wurzeln und die Seele des Volkes. Nina, das Stadtkind, sehnt sich nach Straßen, Cafés, geschäftigem Treiben, und kauert hier im Gras, eingeschlossen, ohne Feuer, allein; eine Närrin im Schatten der Felsen.
Der Vogel fliegt auf, beschreibt einige Kreise über ihr, setzt sich dann wieder auf einen Stein, streckt sich und öffnet seinen Schnabel, lacht. Der Vogel lacht.
Nina springt schnell auf, läuft über den Strand hinunter zum Wasser, packt dort einen Stein und schleudert ihn mit aller Kraft nach dem Vogel.
Der Vogel schwankt. Dreht sich langsam halb herum. Fällt dann ins Meer. Langsam. Unendlich langsam.
Verständnislos sieht Nina, wie der Vogel fällt, sieht, wie die weichen Wellen ihn entgegennehmen, ihn hin und her wiegen, her und hin, ein bewegungsloser Vogel in der sanften Brandung, treibt still aufs Ufer zu – –
Stefan hebt einen Vogel am Strand auf, betrachtet ihn abwesend und schleudert ihn dann von sich. Verdorben, nicht einmal das Gefieder zu gebrauchen, halb verwest; ein Opfer des Felsens, von einem Steinschlag getroffen, der Kopf zerschlagen, der Körper zerquetscht, ein Festessen für den Raben.
Stefan wischt sich die Finger am Hosenboden ab und setzt sich auf einen Stein, blickt auf den Vogelkadaver, ohne ihn wahrzunehmen.
Er weiß nicht, was er hier am Fuß des Felsens verloren hat, mitten in der Nacht, er hat nichts zu tun hier, nichts zu erledigen, er sollte lieber versuchen zu schlafen, oder Einar helfen, den Sarg zu schreinern. Aber der Schlaf meidet ihn in diesen Tagen, und seine Hände scheuen die Arbeit, die Finger sind unwillig, steif.
Einen Sarg schreinern. Zu oft hat er das tun müssen in seinem Leben.
Sechs Kinder hat ihm Rebekka geboren. Von ihnen lebt nur noch Thorkell. Die anderen starben. Die vier Mädchen, und dann der kleine Junge, der seine Mutter mitgenommen hat. Aber er ist damals nicht verzweifelt und verzweifelt auch jetzt nicht, auch wenn sein Haarkranz und sein Bart noch grauer geworden sind, als ob bei diesem warmen Wetter Rauhreif daraufgefallen sei, und auch wenn er hier in der Nacht auf einem Stein am Strand sitzt und nicht weiß, warum, den schwarzen Felsen im Rücken. Er verzweifelt nicht.
Er ist die letzten Tage nicht aus den Kleidern gekommen, genausowenig wie Sunneva. Er konnte nicht zur Ruhe kommen, nirgends Atem schöpfen. Hat ihr nachts von seinem Bett aus zugeschaut, sie beobachtet, gewußt, daß sie nun all ihre Kunst einsetzen muß. Doch auch gewußt, daß es nicht ausreichen würde. Diesmal nicht. Gewußt? Vielleicht eher geahnt. Schon seit er Jakob aus den Klauen des Felsens holte, ihnen die Beute entriß, ja, schon seit dem Augenblick, als er den blutigen Körper am Seil hängen sah, hatte er es gewußt –
Jakob. Mein Sohn Jakob.
Sein Herz zieht sich zusammen, und das Atmen fällt ihm schwer, er muß sich einige Male laut räuspern, um die Schwere aus der Brust zu vertreiben.
Nein, deine Tropfen und Salben, Umschläge und Abkochungen halfen diesmal nicht, kleine Sunneva.
»Du mußt dich ausruhen«, hatte er eines Abends gesagt. Es wurde trotz allem zu schlimm, das blasse Gesicht zu sehen, die dunklen Ringe unter den Augen. »Heute nacht werde ich wachen.«
Und sie hatte ihn angesehen, er bemerkte, daß sie erschrak, er hatte nicht viel mit ihr gesprochen während dieser Tage, und schon gar nicht in diesem Ton. Sie hatte ihn angesehen, ihn eine Weile angeschaut, und es durchfuhr ihn, daß sie sein Geheimnis kannte, wußte, daß er Jakob mehr als seinen eigenen Sohn liebte, mehr als sein eigenes Seelenheil; das war seine Sünde, sein Geheimnis, das er tragen mußte, niemals ausgesprochen hatte. Er hatte auch kein Wort über das Schultertuch verloren, das auf sonderbaren Wegen in sein Haus gelangt war. Aber vergessen ist es nicht. Nein. Nicht einmal hier an Jakobs Bett ist es vergessen.
»Ich werde wachen«, sagte sie und beugte sich wieder über Jakob, tröpfelte weiter einen Sud auf die blauen, leblosen Lippen, einen Sud, der gleich wieder aus seinen Mundwinkeln auf das Kissen hinabrann.
»Niemandem ist geholfen, wenn du auch noch krank wirst«, sagte er nach kurzem Schweigen.
»Ich werde nicht krank,« antwortete sie und trocknete die Flüssigkeit vom Kissen. Blickte dann nochmals zu ihm auf, und auf ihrem Gesicht erschien dieses seltene, leuchtende Lächeln, ein Lächeln, das direkt in seine Augen flog, ihn blind machte, wie ein Schlag ins Gesicht war, die Sünde leugnete, sogar den Tod leugnete.
»Wenn das vorbei ist, will ich, daß du gehst, Sunneva.«
Hatte er gesagt. Ja. Wenn das vorbei ist, will ich, daß du gehst. Und gesehen, wie die Flamme in der Lampe flackerte, als wolle sie bei diesen Worten ausgehen. Er hörte, wie die anderen in ihren Betten ringsherum nach Luft schnappten, fühlte, wie alles ein einziges, zitterndes, wachsames Ohr wurde, ein Ohr, das diese schrecklichen Worte aufsog, die ihm unversehens entfahren sind, unbeabsichtigt, die ihn schutzlos machen, nackt. Und er fühlt, wie ihm der Schweiß auf die Stirn tritt, er schwankt, muß sich einen Augenblick auf den Bettpfosten stützen. Dann richtet er sich langsam auf und lockert seine zur Faust geballten Hände, die es danach verlangt, sie an den Schultern zu packen und zu schütteln, um ihr dieses Lächeln auszutreiben, das schon längst verschwunden ist, das nur ein Aufblitzen war, ein Lichtstrahl in der Dunkelheit. Er dreht sich schwerfällig um, vermeidet es, sie anzusehen, sieht dennoch mit einem Seitenblick, daß sie wieder Jakob umsorgt, als sei nichts gesagt worden, nichts geschehen, aber vielleicht noch bleicher als vorher. Und er geht schnell über den schwingenden Stubenboden, an den lauschenden Betten vorbei, er muß hinaus, koste es, was es wolle, muß er hinaus.
Stefan sitzt auf dem Stein und schaukelt sich vor und zurück. Er weiß, die unbedachten Worte, die ihm über die Lippen geschlüpft sind, lassen sich nicht zurücknehmen, so sehr er sich das auch wünscht, er weiß, daß sie ihren Ursprung tief unten in jenem dunklen Irrgarten haben, von dem er nicht geglaubt hatte, daß er sich jemals in ihm verirren würde, den er stets gemieden hatte.
Und sitzt jetzt hier.
Als noch Hoffnung war, hatte er versucht, mit dem Herrn zu feilschen, versucht, ihm das, was er besaß, anzubieten, wie in einem Fieberwahn. Wenn er am Leben bleibt, hatte er gedacht, denn er kannte Jakobs Gedanken, wußte, wovon er all die Jahre geträumt hatte, o ja, das wußte er, und dennoch, dachte er, dennoch, wenn er nur am Leben bleibt, werde ich sie gehen lassen, werde ich sie ihm geben, alles, alles, wenn er bloß am Leben bleibt, alles.
Gnade, hatte sein Herz gefleht. Gnade. Dieses eine Mal.
Sogar in Sinas alten Weisheiten hatte er Zuflucht gesucht. Gegen seinen Willen, gegen jede Vernunft. Im Widerspruch zu allem, was er für richtig hielt. Brachte sein eigenes Seelenheil in Gefahr. Ohne nachzudenken.
Alles, wenn er bloß am Leben bleibt.
Und jetzt haben ihn beide verlassen. Die beiden, die er am wenigsten entbehren konnte. Das weiß er jetzt. Und kein Weg führt zurück.
Er war gegen sechs Uhr morgens nach Hause gekommen, zwei Nächte später, oder drei, vielleicht auch vier, er weiß es nicht, die Tage und Nächte fließen in seinen Gedanken zusammen, sind eine Zeit ohne Zeit, Chaos, er war nach Hause gekommen, hatte gesehen, wie sich Gudridur über den Herd beugte, als er vorüberging, ihr Gesicht, das sich ihm einen Augenblick zuwandte, verdunkelt, erstarrt im Schmerz, und er wußte, was ihn erwartete. Er ging weiter, sonderbar steif in allen Gliedern, die Treppe hinauf, hob die Luke, wußte, was ihn erwartete. Die Bodenbretter knarrten bei jedem Schritt, das hatte er vorher nie bemerkt. So laut, dieses Knarren, rastlos, es ging einem durch Mark und Bein. In dem Bett, das sie mit Gudridur teilte, die kleine Fridmey, das Gesicht zur Wand, eine Hand ins Kissen gekrallt, ein Zucken in den schmalen Schultern. Neben ihr die alte Sina, seine Amme, mit ihrem Strickzeug, schüttelt unablässig den Kopf, blickt ihn nicht an. Das laute Schnarchen des alten Einar. Thorkel nirgends zu sehen. Und dann das Bett Jakobs, des Jungen. Ja.
Sie hatten den Leichnam zurechtgemacht, ein Schweißtuch über das Gesicht gelegt, die Hände auf der Brust gefaltet. Er hatte am Bett gestanden, auf die aufgeschürften Hände geblickt, die Wunden fast alle verheilt, kräftige Arbeiterhände, so hilflos diese Hände, weiß, unbeweglich.
Und er fühlte eine kleine, kalte Hand langsam in der seinen warm werden und ernste, fragende Kinderaugen auf sich ruhen, eine Antwort suchen auf etwas, das sich nicht beantworten ließ. Ein sechs Jahre alter Junge. Wie konnte man solchen Augen den Verlust des Vaters und die Trennung erklären? Den Weltuntergang?
Er hatte das Tuch angehoben und in ein schwarzblaues Gesicht geblickt, es war nicht wiederzuerkennen gewesen, das Gesicht des Jungen, der die Kraft und Ausdauer seiner Familie geerbt hatte; der mit scharfen Augen in die Welt geblickt hatte und gelernt, spöttisch zu grinsen, auch wenn die Gefahren des Felsens ihn zu guter Letzt täuschten. Des Felsens? Die Gefahren lauerten nicht nur in den Klippen des Felsens. Und seine Ratschläge hatten nicht viel genützt. Seine Antworten sich heute wie damals als unbrauchbar erwiesen. Und er hatte den Kopf gesenkt und das Tuch sorgsam wieder über das Gesicht gelegt.
Da bemerkte er, daß Sunnevas Truhe verschwunden war. Die Truhe, die am Fußende ihres Bettes gestanden hatte, seitdem Sunneva hergekommen war. Das einzige, was sie mitgebracht hatte. Eine grüne Truhe mit einem Blumenmuster auf dem Deckel, in das die Anfangsbuchstaben ihres Namens und ihr Geburtsjahr eingeflochten waren. Weg. Und er taumelt hinaus, hört nicht das Rufen Gudridurs, schiebt seinen Nachbarn Sveinn zurück, der aus der nächsten Bucht gekommen war, um mit seinen Leuten hier im Felsen Eier zu sammeln, und dann Thorkell drinnen beim Schafpferch, der ihn am Arm packt, und den er abschüttelt, wie einen lästigen Hund, er sieht ihn fallen, er erinnert sich an Thorkells Augen, ja, und dann ist er am Fuß des Felsens angelangt, soweit man überhaupt kommt, steht zitternd da, die Flut hat eingesetzt, und er ist wie von Sinnen, in seiner Brust ein stechender Schmerz, quälend, so quälend, ein Schmerz, den er seitdem nicht mehr losgeworden ist.
Und alles, was er erlebt hat, wird unwirklich gegen diese Stunde, wird Täuschung –
So war das.
Sunnevas Lächeln.
Weit hat es ihn gebracht, dieses Lächeln. So weit, daß er sich selbst nicht mehr kennt, daß er wie der Vogelkadaver ist, mit dem die Brandung spielt und den sie nach Belieben hin und her wirft.
Geh, sagte er, und sie ging. Verschwand in die Frühlingsnacht hinaus, als habe es sie nie gegeben. Fügte ihm unendliche Schmach zu.
Rebekka. Nie hätte sie so etwas getan.
Und er sehnt sich zurück in jene Zeit, als das Leben noch einfach war, rein war, gut, und nicht voll dunkler Träume, Sünde, Auflösung.
Alles um ihn herum bricht zusammen.
Und die anderen starren ihn an, warten darauf, daß er aus den Trümmern wieder alles aufbaut. Hol sie, sagen ihre Augen, hol sie.
Aber das kann er nicht.
Sunnevas Lächeln. Dieses Lächeln voller Unschuld, voller Freude, bezauberte ihn gleich beim ersten Mal, da er es sah, rührte etwas tief in ihm an, etwas, das er nie zuvor gespürt hatte.
»Unschuld!« sagt er laut und bricht in schallendes Gelächter aus, das in einer Art Wimmern endet.
Doch, er war zufrieden damit, eine Frau zu haben, von der er wußte, daß andere sie begehrten, er war sogar heimlich stolz darauf gewesen und hatte sich an dem Wissen gefreut, daß er allein es war, der nachts auf ihrem weißen, weichen Arm ruhte, daß er allein das ungeteilte Recht auf sie hatte. Ein Dummkopf war er. Ein alter Trottel. Zweifelte nie an ihrer Treue. Und glaubte, was er sah. Dachte, sie, die Magd, sei zufrieden mit ihrer Aufgabe als Hausfrau, ja sogar dankbar für ihre Rolle, auch wenn der Hof klein war und die Arbeit hart. Er beobachtete sie bei Arbeit und Spiel und sammelte dieses seltene Lächeln wie Kostbarkeiten in einer Schatztruhe, verwehrte ihr überhaupt nichts. Dumm, wie er war. Bis sie vor ihm stand und unter seinem Blick erblaßte.
Geh, hatte er gesagt. Und sie ging. Eine folgsame Frau, Sunneva.
Eva, nannte er sie, der sich hierher verirrte. Er kennt andere Namen, Stefan, die besser zu ihr passen würden. Ja, das ist sicher.
Zweifellos hatte sie auch Jakob das gewährt, was ihr fremdländische Geschenke einbrachte und die Schamröte ins Gesicht trieb, vielleicht noch anderen, was weiß er. Der Student, der damals hierherkam, überallhin lief er ihr nach, verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Und noch andere. Er kann noch andere nennen. Und er tut es, während die Geißel der Eifersucht ihn peinigt, ihm das Fleisch von den Knochen schlägt.
Die Brandung zischt zwischen den Steinen, und bedrohliche Bilder tauchen vor seinen Augen auf, Fieberträume, die sich wie eine Sturmbö auf ihn werfen, über ihn hereinstürzen, ohne daß er sich dagegen wehren kann. Nur ein Bild ist deutlich, deutlicher als alle anderen: Sunnevas heller Leib, der sich in Wollust windet, wie er es nie gesehen hat, sich in hemmungsloser Lust um einen jungen, kräftigen Männerkörper schlingt, einen unbekannten, und doch bekannten, die Glieder ungezügelt vor Begierde, sie strecken sich wie Schlangen, ein Schlangenknoten aus Fleisch, pulsierend und zappelnd in hemmungslosem Rausch. Rundherum in der Dunkelheit tanzende Menschengestalten, nein, es sind keine Menschengestalten, sondern Teufel, Dämonen, die wüste Beschimpfungen ausstoßen, die Gesichter zu widerlichem Grinsen verzogen, lodernd vor Bosheit und Gier; Gesichter, die er kennt. Ein Bild nach dem andern, und dahinter das wachsbleiche Gesicht des Jungen, Jakob, der ihn mit schwarzen, fremden Augen anschaut, von einer kahlen Stelle auf dem Stubenboden, an der vorher eine grüne Truhe mit Blumenbildern auf dem Deckel stand, daraus wird das Gesicht Sunnevas, durch eine Grimasse der Lust entstellt, die am ehesten einem Grinsen ähnelt, einem Todesgrinsen auf einem leichenblassen Gesicht, einem so weißen, Hände gefaltet auf der Brust, die nicht mehr atmet, knochige Hände, kräftig, die Wunden fast alle verheilt, reglos –
Und ein Schluchzen steigt aus seiner Kehle auf, er versucht zurückzugehen, einen Weg zu finden zu jener Wirklichkeit, die er hier in der Nacht auf einem Stein am Strand verloren hat. Den sicheren Boden wiederzufinden, auf den er sein Leben gebaut hat, so daß es in die Tiefen verschwinde, dieses dunkle Grauen, das ihn zu sich ziehen will; diese Fieberträume, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, sind auf keine Weise mit ihm verbunden, sondern Teil von etwas ganz anderem, von etwas, das er immer gefürchtet und gemieden hat – und vielleicht hat er deshalb darauf gewartet.
Es ist die dunkelste Stunde der Nacht, bewölkt, und die See liegt blauschwarz vor ihm, hellgraue Flecken weiter draußen, in dem dunklen Blau verstreut, das draußen am Horizont mit dem düsteren Himmel zusammenfließt. Das Licht der Nacht ist verschwunden. Hat es nie gegeben. Nur dieser weißliche Widerschein vom Treibeis am Horizont, und er fühlt, wie die Dunkelheit ihn bedrängt, sich über seinem Kopf schließt, hört die alte Sina von der Strafe für Hochmut und Stolz murmeln, während er durch die Leere irrt. Und dann plötzlich ein Lichtstrahl in der Dunkelheit, ein Lächeln, und er greift danach, krallt sich krampfhaft fest, um nicht zu fallen, nicht abzustürzen –
Sunnevas Lächeln.
Und er wundert sich noch immer über diese seine junge Frau, die meinte, Freude sei den Menschen geläufiger als Kummer. Die sich über einen Vogel im Flug freuen konnte, eine Eisschicht auf einer Pfütze oder sogar nur über eine Fliege an der Wand. Die Blumen sah, wo andere nur Unkraut sahen. Und plötzlich, wie ein Pfeilschuß mitten in all dem Grauen, trifft ihn die Erkenntnis, daß die Freude, von der sie spricht, etwas ist, das außerhalb seines Verständnisses liegt, etwas, das ihm nicht gegeben ist, er weiß jetzt, daß sie das Leiden nicht ausschließt, auch nicht den Tod, dies nicht als Widerspruch oder Gegensatz auffaßt, sondern als etwas, das zusammenpaßt, zusammengehört, leise in die gleiche Richtung weiterfließt.
Dann ist es verschwunden, zurück bleibt nur bitterer Schmerz, der schwer wie ein Felsbrocken auf ihn fällt.
Hol sie, jammern die Augen Fridmeys, die nachts neben Jakobs Leiche sitzt und nicht schlafen kann. Hol sie, flüstern die tödlich verletzten Augen Thorkells, der am Eingang zum Speicher auf Fridmey wartet. Hol sie, dröhnt der Hammer des alten Einar, Schlag auf Schlag, hol sie, hol sie. Sogar Gudridurs Augen blicken ihn fragend an.
Doch er schiebt sie zur Seite, schüttelt sie ab, wie einen Hund, der ihm die Hand schlecken will.
Er kann es nicht. Kann es einfach nicht. Auch wenn er es wollte, er kann es nicht.
Und läßt den Kopf hängen, ein Mann mit grauem Haar, klein und stämmig, die Schultern vorgebeugt, wie unter einer drückenden Last, in ihm eine Angst, die ihn vermutlich nie mehr verlassen wird.
Er sitzt dort auf einem Stein in der düsteren Nacht, gefangen in einer Situation, aus der es keinen Ausweg gibt. Er weiß nicht, daß bald ein kleiner Pfropfen links in seinem Kopf ihn flach vor Thorkells Füße legen wird, genau an jenem Ort, an welchem Nina viele Jahre später wie eine Schnecke im Gras sitzt. Ein Pfropfen, der ihm eine Gasse aus der aussichtslosen Lage sprengen wird, in der er sich befindet, und ihm wiedergeben wird, was er endgültig verloren glaubte, Sunneva. Es wird seinen Preis kosten, einen hohen Preis, aber den bezahlt er, ohne mit der Wimper zu zucken. Kein Preis ist zu hoch, um Sunneva zurückzubekommen, um dem Dunkel zu entfliehen. Er weiß auch nicht, daß dunkle, fremdartige Augen ihn verfolgen werden, solange er lebt, freundliche, stolze Augen, die einem kleinen Mädchen gehören, das knappe acht Monate später erscheinen wird, einem Mädchen mit schwarzen Locken, das aus allen Kräften in die Welt hinausschreit, und ihm lieber wird als alles andere, und dessen Augen im düsteren Alter für ihn sehen werden.
Aber nichts hiervon weiß er, als er in der Nacht zitternd auf einem Stein am Strand sitzt, allein im Schatten des Felsens, zu seinen Füßen ein toter Vogel, mit dem das Meer spielt, das ihn hin und her wirft am Strand, und auf einem Grashügel in einiger Entfernung ein Hund, der leise und kläglich wimmert.
Nina nippt wieder an der Kognakflasche. Courvoisier, drei Sterne. War in Helgis Tasche. Das wärmt. Läßt sie das Klagen vergessen, das ihr der Wind zuträgt, den toten Vogel am Strand vergessen, die offenen Vogelaugen, die ins Leere starren.
Lebte noch sechs Tage –
Nina kauert sich zusammen, nippt nochmals an der Flasche, greift nach ihrem Anorak und zieht ihn über. Ein Frösteln in ihr, das sie nicht verläßt.
»Geht nur«, sagte sie. »Ich mag nicht«, sagte sie. »Ich hab etwas anderes vor.« Keß, cool. Kannte die Stille nicht. Das Flüstern im Gras. Das Tosen der blutfarbenen Berge. Das alles sind Geschichten, Märchen, die sie nichts angehen, sie gehören nicht in die Gegenwart, in ihr Leben.
Sie sitzt dort im Gras auf halbem Weg vom Strand zum Hof, es wird schon Nacht. Die Nebelschwaden oben an den Bergkanten kommen langsam die Hänge herabgeschwebt, schicken einen naßkalten Windhauch voraus.
Nina, ein Kind ihrer Zeit, kam hierher auf der Suche nach etwas, von dem sie selbst nicht wußte, was es war, ließ sich locken von alten Geschichten, von farbenprächtigen Worten, wenn die Welt schwarzweiß ist, das Dasein Verzweiflung, Leere. Nicht die Leere, die ihr entgegenklaffte, als sie ganz oben am Berg an einem Felsvorsprung hing, eine andere Leere, in der sich Raubfischetummeln: Hiroshima, Nagasaki, Berlin, Ungarn, Fische, die Worte verschlingen, sie sinnlos machen, obszön. Ideale, Glaube, Freiheit, Schönheit, Hoffnung. Kein Faden mehr in den Händen, kein Knäuel, dem man folgen könnte, nichts – das Wort der Zeit. Der Einsame schwebt durch die Leere, verwirrt, gequält, keine Zeit für X-beinige Greise und alte Weiber, die längst begraben sind, für längst untauglich gewordene Worte.
Das Flüstern im Gras wird lauter.
Doch Nina hört es nicht. Sie schließt ihre Augen und Ohren. Nippt am Kognak.
Unterdrückt den Gedanken, sie müsse den Gesang des Windes verstehen lernen, die Poesie der Wellen, das Leben des Landes, sie müsse fühlen, wie das Blut pulsiert, um die Welt hinter der Welt erreichen zu können. Müsse den Geruch nach Moder, Furcht, Lust und Haß kennen; auf dem falben Pferderücken sitzen und auf die Stelle schauen – siehst du nicht den weißen Fleck in meinem Nacken, Garun, Garun – und nicht loslassen, nicht vom Pferd herunterspringen. Die Maden im Fleisch krabbeln spüren, um die Widersprüchlichkeiten des Lebens zu erfassen.
Aber sie wendet sich ab. Will andere Wege gehen. Vorwärts, nicht zurück. Wenn sie bloß fortkäme von hier.
Noch immer hört sie das Klagen, schmerzlich, jammervoll.
»Alles«, murmelt sie, »wenn ich nur fortkomme von hier.« Weiß nicht, was sie meint. Zu wem sie spricht. »Alles, wenn sie nur kommen.« Hat das Seil um ihre Taille vergessen und den Gang über das Geröll voller Lachen. »Alles.« Und versucht, sich an etwas zu erinnern, das ihr helfen könnte. Ein Boot in vier Tagen, in einer ganz anderen Bucht. Die sie nicht findet. Über unzählige Berge, blutfarbene Berge.
Ein Rabe fliegt krächzend über sie hinweg. Läßt sich auf dem halbverfallenen Schornstein der Ruinen des Hofes nieder, blickt neugierig auf das Wesen, das halb versteckt im hohen Gras sitzt. Hat zwei andere gesehen, hoch oben im Gebirge, humpelnd, sie können nicht fliegen, und ein drittes auf einem Stein am Strand, draußen unter dem Felsen, zu seinen Füßen Atzung, von einem wimmernden Köter bewacht.
Kra, schreit er, krra, als gleichzeitig laute Rufe vom Berg herab zu hören sind: Nina! Sie hallen in den Bergen ringsherum wider. Nina – Nina! Wo bist du – bist du – bist du –