Читать книгу Nick 1 (Pionier des Weltalls): Start in die Unendlichkeit - Fred Hartmann - Страница 9

Kapitel 2 Eine Wunderwaffe

Оглавление

»Du hast schon wieder in Mathematik nur eine miese Durchschnittsnote nach Hause gebracht!« Vater Banks beäugte seinen Sohn Gordon mit strenger Miene, seine Lippen hatte er zu blutleeren Strichen zusammengepresst, farblos, bedrohlich und erbarmungslos hart.

»Bitte, Papa …« Ein 10-jähriger Junge in blauem Overall stand mit hängenden Schultern vor seinem Erzeuger, zitternd und zagend, bittend und bettelnd. Aber alles Flehen und Flennen blieb vergeblich – ein abgezogener Ledergürtel und der schroffe Befehl »Beug dich vornüber!«, dann brachen wütende Schläge und eine harsche Moralpredigt mit der Heftigkeit entfesselter Naturgewalten über ihn herein.

»Nichtsnutz!«

»Faulpelz!«

»Schande der Familie!«

Resigniert ließ sich der Wurm wie ein Verurteilter in seine Zelle führen. Die Verschlussleuchte blinkte auf. Die Tür war elektronisch blockiert.

Verzweifelt und hilfesuchend sah sich Gordon in dem großzügig eingerichteten Zimmer mit Monitor und Spielkonsolen um, aber sein Schicksal für diesen Tag war besiegelt:

in den nächsten Stunden eingesperrt

keine Computersimulation

keine Visiphon-Konferenz mit seinen Freunden

kein selbstvergessenes Gleiten auf seinem neuen Schwebe-Board über die Betonpisten des Stadtparks.

Er konnte seinem Vater nicht genügen.

Er war wertlos.

Nutzlos.

Gescheitert.

Überflüssig.

*

Zwanzig Jahre später.

Die Vorbereitungen für die große Expedition kamen gut voran – technisch und auch personell. Alle Beteiligten waren in gespannter Vorfreude, der Bedeutung ihrer ungewöhnlichen Mission bewusst.

Einer aber konnte diese Freude nicht teilen, obwohl er mit dabei war: Gordon Banks, Leitender Offizier des 5. Geschwaders der terranischen Raumflottille und mitverantwortlich für das Sol-Sicherheitssystem – gegen Gefahren von außen und innen. Ein Karrieremensch, jung und ehrgeizig, aber von beidem eine gehörige Portion zu viel.

Fassungslos und mit zorngeröteten Augen saß er an seinem Bürotisch im Weltraumforschungszentrum in Nevada und starrte auf die Personalliste der Lascasas. Der Kaffee neben ihm war kalt geworden. In seinem kantigen Gesicht zuckte es unmerklich.

Auf diesem Schiff werde ich nur stellvertretender Kapitän sein, mehr nicht. Und André Coomb, dieser Schwächling, ist mein Vorgesetzter. Warum er und nicht ich?

Schweigend saß Gordon an seinem Platz, eine Haarsträhne glitt ihm langsam in die Stirn. Seine Lippen waren bleich und schmal, wie die seines Vaters. Immer und immer wieder betrachtete er die Hierarchie.

Ich halte das nicht mehr aus! So weit habe ich es gebracht, den vernichtenden Prognosen meines verdammten Vaters zum Trotz. Kommandeur eines Schiffes der terranischen Raumflotte bin ich geworden, mitverantwortlich für die Sicherheit im Sol-System – und immer loyal zur Weltregierung. Kein Opfer habe ich gescheut, habe meinem Heimatplaneten in jeder Minute gedient, habe auf Familie und Urlaub verzichtet, keinen Auftrag zurückgewiesen. Ich kann jedes Raumschiff steuern. Mein Leben gehört der Raumfahrtbehörde.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

Was habe ich bloß verkehrt gemacht? Wo habe ich versagt? Ich werde es diesen Hunden zeigen! Ich werde allen beweisen, dass ich der Beste bin und eigentlich ich das Recht habe, das Schiff zu führen. André ist mein Vorgesetzter. Ich bin ihm zum Gehorsam verpflichtet. Aber ich bin besser als er. Jawohl! Und ich werde es allen beweisen. Ich muss nur eine günstige Gelegenheit abwarten – und dann werde ich handeln …

Gordon Banks erhob sich von seinem Platz. Sein Entschluss stand fest: Er würde André Coomb die Aufgabe nicht leicht machen.

*

»Die Sternenschiffe sind mit der modernsten Technik ausgestattet.« Stolz führte Professor Raskin seine Freunde durch die weiten Gänge des riesigen Kugelraumers, der mit seinen dreihundert Metern Durchmesser selbst die gigantischen Ausmaße seiner Vorgänger noch übertraf.

Die kleine Gruppe war fasziniert. Neben zehn Beibooten von unterschiedlicher Größe – alle auch mit R4-Licht- und Hyperantrieb ausgestattet – sowie mehreren Amphibienfahrzeugen, Maulwurf- und geländegängigen Allzweckwagen beeindruckte das Schiff auch durch zahlreiche Labors auf dem neusten Standard sowie durch perfektionierte 3D-Drucker einschließlich Scanner mit mehreren Millionen Kilometern Reichweite, Fernortung von Objekten in Hausgröße über Lichtjahre Entfernung, Dimensionsstrahler5 und beste Waffentechnik.

»Der R4-Lichtantrieb stellt eine verbesserte Version dar, die ich erst in den vergangenen drei Monaten entwickelt habe«, erklärte der Professor und erinnerte die Zuhörer in seinem Eifer an einen ehrgeizigen Touristen-Guide, der eine Gruppe Reisender durch die Ruinen antiker Metropolen führte. »Wir können damit in viel kürzerer Zeit als bisher bis zu 98 Prozent LG erreichen.«

Tom starrte den Professor mit weit aufgerissenen Augen an, seine Miene verriet Unverständnis. »Und wie steht es mit der Zeitdilatation? Ich will bei meiner Rückkehr keine Erde antreffen, auf der inzwischen Tausende von Jahren vergangen sind.«

Raskin lächelte. »Das wird auch nicht passieren. Ich erinnere Sie an die Fahrt mit der Plato, als Sie Miss Lee und mich aus dem energetischen Fesselfeld der degenerierten Ree befreit hatten und auf der Suche nach uns 90 000 Jahre in die Vergangenheit versetzt wurden.«

Toms Gesicht hellte sich plötzlich auf. »Ja, natürlich, jetzt wird mir wieder alles klar. Wir hatten die Rückkehr in unsere Gegenwart mit knapper Unterlichtgeschwindigkeit und ausgeschaltetem Dilatationsdämpfer geschafft, sodass für uns in wenigen Wochen Flug 90 000 Jahre vergingen6

Raskin nickte. »Genauso war es und unsere Schiffe werden selbstverständlich auch mit dieser Technologie ausgestattet sein.«

»Alle Wetter!«

»Lassen Sie mich weiter erklären«, fuhr der Professor mit leidenschaftlichem Engagement fort, seine Stimme bebte vor Begeisterung. »Mit dem Hyperenergiekonverter können wir Überlichtsprünge in beliebiger Länge vornehmen.«

»Wie funktioniert denn das Ding?«, wollte Xutl wissen. Seine Frage klang etwas salopp, aber das störte Raskin nicht im Geringsten – oder er hatte es überhört.

»Details muss ich Ihnen in einer stillen Stunde erklären. Hier nur das Wichtigste: Wie ich Ihnen schon bei Mr. Marsh erklärt hatte, erzeugt der Konverter für den Bruchteil einer Millionstel Sekunde eine Öffnung zum Hyperraum, saugt Hyperenergie an und konvertiert sie auf die Schwingungsebene unseres vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums.«

»Das klingt spannend.« André nickte anerkennend, aber Nick war noch nicht zufrieden. »Moment!«, warf er zweifelnd ein. »Ich erinnere mich an unseren Sprung von der Galaxis Lorgos am anderen Ende des sichtbaren Kosmos zu uns nach Hause. Das waren mehr als 13 Milliarden Lichtjahre. Fast hätten wir das nicht überlebt. Wir lagen für lange Zeit in Ohnmacht. Noch einmal möchte ich so etwas nicht durchmachen.«

Raskin wehrte mit beiden Händen ab. »Keine Angst. Das wird uns nicht wieder passieren. Inzwischen habe ich ein Gerät entwickelt, das die physischen Belastungen derartiger Sprünge neutralisiert – ähnlich wie damals, als wir bei unserem Flug zur Venus von dem gefürchteten Andruck nichts mehr gespürt hatten, weil in dem Schiff ein Andruckneutralisator eingebaut war. Das Gerät zur Vermeidung physischer Belastungen infolge überlanger Hypersprünge habe ich »Hypereffektneutralisator«, oder einfach HEN getauft.«

Tom schien zufrieden. »Haben Sie noch weitere Wunderwerke?«

»Einiges kennen Sie schon, aber ich habe die Technologien in den letzten Monaten optimiert: ein Anti-Ortungssystem, das jetzt nicht nur die Radarortung, sondern auch die optische umfasst, dann ein verbesserter Energieschutzschirm und ein Dimensionsfeldspürer zum Auffinden von Teleportationsfeldern*, ähnlich wie ihn schon Dr. Novarra auf der ersten Sternenschiffexpedition konstruiert hat, nur eine viel wirksamere Weiterentwicklung. Dr. Novarras Gerät hat die Felder nur indirekt aus der Messung der Strahlenschutzschirme ermittelt, mit der die Supermenschen7 ihre Teleportationsanlagen geschützt haben, wir dagegen können mit dem Dimensionsfeldspürer die Teleportationsfelder direkt erfassen.«

Raskin hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er voller Stolz fort: »Und wir verfügen jetzt auch über eine Zeitkanone, wie wir sie von den Lorgs kennen.«

Jane zuckte zusammen und wurde plötzlich ganz bleich. »Herr Professor, wollen Sie das Universum zerstören? Sie wissen …«

»Die Lorgs hatten ihre Energie für verhängnisvolle Zeitexperimente aus dem Kristall eines besonderen Elements bezogen und gingen damit unkontrolliert um. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Wir haben es gelernt, die Energien zu kanalisieren, sonst wären auch wir schon längst in einem atomaren Holocaust untergegangen.«

Jane war noch nicht zufrieden. »Ich habe nie so richtig verstanden, wie diese Waffe funktioniert. Könnten Sie uns das noch einmal erklären?«

Raskin lächelte. »Gern. Das Prinzip ist ähnlich, wie wir die Zeitversetzungen bereits früher genutzt haben: Wenn wir den Schutzschirm eines Gegners nicht durchbrechen können, schicken wir eine Bombe in einem Zeitfeld in die Vergangenheit, und zwar in eine Zeit, als sich der Schirm oder auch das Zielobjekt noch nicht auf dieser Position befunden haben. Das Zeitfeld ist so programmiert, dass es unmittelbar nach dem Sprung in die Vergangenheit erlischt. Das wiederum hat zur Folge, dass die Bombe in die Gegenwart zurückversetzt wird, diesmal innerhalb des Schutzschirms, und dann detoniert. Die Lorgs hätten uns mit dieser Technik fast den Garaus gemacht.«

Etwas entspannter fuhr der Professor fort: »Wir verfügen aber nicht nur über die Zeitkanone – auch das technische Equipment für Zeitreisen befindet sich an Bord. Wir könnten damit Ausflüge in die Vergangenheit und in die Zukunft unternehmen.«

»Das ist lebensgefährlich!«, platzte Jane empört dazwischen.

Raskin ließ sich nicht beirren. »Ich habe die negativen Effekte in den Griff bekommen. Vielleicht erinnern Sie sich an Platos Aussage, dass Zeitreisen doch nicht so gefährlich sein sollen, wie Nator* es ursprünglich verlauten ließ8. Ich konnte jedenfalls feststellen, dass das Hauptrisiko im übermäßigen Einsatz der dafür benötigten Energien liegt.«

»Wie es das Schicksal von Lorg ja auch gezeigt hat«, resümierte Xutl.

Raskin wurde plötzlich sehr nachdenklich. »Ja, die Atomkraft und das schreckliche Ereignis von London im letzten Jahrhundert haben uns gelehrt, dass jegliche Nutzung von Energie fatale Folgen haben kann, wenn man sie nicht beherrscht. So gesehen bleiben Zeitreisen ein hohes Risiko. Wir sollten solche Ausflüge nur im äußersten Notfall unternehmen.«

Tom stand vor Bestürzung der Mund offen. »›Ausflüge‹ nennt der das …«

»Und noch etwas wird mit an Bord sein, was Sie bereits von früheren Einsätzen kennen: der Rekapitulator.

»Re-ka-pi-tu-la-tor?« Andrés Gesichtszüge spannten sich.

»Ganz recht. Mit diesem Gerät können vergangene Ereignisse rekapituliert, d.h. rekonstruiert werden. Von jedem Vorgang in unserer Welt – zum Beispiel von diesem Gespräch hier, das wir gerade führen – gehen mehrdimensionale Impulse aus, die im Hyperraum Spuren hinterlassen. Der Rekapitulator kann diese Spuren erfassen und auswerten. Damit werden Personen, Gegenstände und Handlungen in ihrer zeitlichen Einbindung rekonstruiert.« Er atmete einmal tief durch und sah jeden Einzelnen herausfordernd an. »Mit diesem Gerät können wir Rätseln aus der Vergangenheit nachgehen, ohne durch die Zeit reisen zu müssen.«

Er wandte sich wieder der gesamten Gruppe zu. »Äh, und da ist noch etwas, das Sie auch schon kennen, was ich aber technisch optimiert habe: den Universaltranslator.«

Nick zeigte sich von allen am interessiertesten. »Erklären Sie!«

»Nun, dieses Gerät erfasst die Schwingungen einer Sprache und kann sie in Sekundenbruchteilen analysieren, Bezüge zu verwandten Sprachen herstellen und als Übersetzer in beiden Richtungen fungieren. Die auf Terranisch formulierten Worte werden auf der Schall-Ebene in jede gewünschte Sprache transformiert.«

»Das setzt aber voraus, dass dem Gerät grundlegende Strukturen anderer Sprachen bekannt sind«, warf Xutl ein und fuhr im selben Atemzug fort: »Für die Sprachen in der Galaxis hat das funktioniert, aber wenn wir durch das gesamte All gondeln?«

»Können Sie sich daran erinnern, was uns Nator einst erzählte?«

Nick erinnerte sich. »Ja, der Nator erzählte uns, dass er aus seinem sterbenden Universum zu uns gekommen sei und die Keime des Lebens mitgebracht habe. Sie wurden auf die unterschiedlichsten Welten verteilt und deswegen gibt es auch so viele Ähnlichkeiten, z.B. zwischen uns, den Ree, den Marsianern und vielen anderen humanoiden Völkern der Galaxis.«

Nick legte eine kurze Denkpause ein, dann hakte er nach:

»Und Sie meinen, dass diese Verwandtschaft der Lebewesen über den sichtbaren Kosmos hinausreicht?«

Raskin wurde nachdenklich und kratzte sich, etwas nervös geworden, sein Kinn. »Vielleicht«, entgegnete er schließlich, »um das herauszufinden, wollen wir ja diese Fahrt unternehmen, und ich bin mir sicher, da wird uns noch einiges begegnen.«

Nick lächelte. »Wir sind nicht verwöhnt, Professor.«

Raskin grunzte unmerklich. Das war wieder typisch Nick. Er scheute vor keiner Gefahr zurück.

»Möchten Sie noch etwas wissen?«, fragte er schließlich seine Freunde.

Jane ergriff das Wort. »Ja. Mir ist aufgefallen, dass es nur wenige Roboter an Bord gibt, weder auf der Krankenstation, wo wir früher Medo-Robots hatten, noch im Service-Bereich. Müssen wir unsere Kabinen jetzt wieder selbst ausfegen?«

»Wir haben die Zahl der Roboter so weit wie möglich reduziert und sie wieder durch Menschen ersetzt. Sie sollen – mit Ausnahme von Kampfrobotern und der üblichen Elektronik – nur im Notfall Verwendung finden. Keine Maschine kann menschliche Nähe und Wärme ersetzen und unsere Expedition soll unter den besten psychologischen Voraussetzungen stattfinden.«

Jane freute sich. »Sehr umsichtig, Professor! Endlich ist man in der Weltraumbehörde zur Vernunft gekommen. Viele meiner Tiere lassen sich auch nicht von seelenlosen Blechkisten abspeisen. Oder möchten Sie von einer Metall- oder Plastikhand gestreichelt werden?«

»Ha! Ha! Nein, natürlich nicht. Schön, dass Ihnen dieses Konzept gefällt«, entgegnete Professor Raskin und musste schmunzeln.

Tom verzog dagegen sein Gesicht, seine Lippen standen quer. Ihn beschäftigte ein anderes Problem. »Wir haben nun eine Menge über die Ausstattung des Schiffes gehört. Aber wie steht es mit uns ganz persönlich, wenn wir in Gefahr kommen? Gibt es da auch neuere Entwicklungen, die uns helfen, dass wir uns bei Bedrohung besser verteidigen oder schützen können?«

Raskin hob und senkte bestätigend sein Haupt in einer weit ausladenden Bewegung. Seine Stimme klang wie die tröstenden Worte eines Vaters, der sein Kind vor den Ängsten der Nacht bewahren wollte.

»Aber natürlich. Ich führe Sie jetzt zu unserem Waffenspezialisten. Er wird Ihnen die modernste Entwicklung unserer Strahlenpistolen präsentieren.« Nach einer kurzen Atempause fügte er bedeutungsvoll hinzu: »Sie werden staunen. Die neuen Strahler sind ein wahres Wunderwerk.«

*

»In der Größe werden Sie keinen Unterschied zu den alten Modellen bemerken.« François Neige, Leiter der waffentechnischen Abteilung, hielt einen Strahler in seiner rechten Hand und präsentierte ihn stolz seinen Zuhörern.

»Aber er hat zwei Läufe und einige Schaltflächen mehr«, deklamierte Nick. Interessiert betrachtete er die untereinander angeordneten Rohre.

Dann zog er seine Augenbrauen tiefer und betrachtete konzentriert die komplex anmutende Apparatur. Eine Anzahl Mini-Screens mit optisch deutlich wahrnehmbaren Farbunterschieden bildeten je nach Farbe eine andere geometrische Figur: ein Dreieck, ein Viereck und ein Achteck, darunter in waagerechter Anordnung je vier Screens in zwei Reihen und mehrere Knöpfe, Regler, Screens und Fächer auf der anderen Seite des Strahlers sowie auf der Oberseite und der Rückseite. Was sollte das bedeuten? Viele Buchstaben an den Eckpunkten der Figuren waren ihm bereits bekannt, aber er ließ sich ihre Bedeutungen noch einmal geduldig erklären.

»Einige Funktionen kennen Sie schon von den alten Modellen, aber ich beginne einfach mal ganz von vorn«, erläuterte Neige, emsig darum bemüht, seinen Zuhörern die Vielseitigkeit der Waffe so transparent wie möglich zu machen. »Für die Einstellung des Strahlers gibt es drei Domänen«, fuhr er jedes Wort betonend fort und zeigte auf das orangefarbene Dreieck. »Für die erste Domäne steht das ›K‹, und das meint die Konsistenz des Strahls. Neben dem Standardstrahl ist noch der Streustrahl für eine größere Breitenwirkung möglich und der Nadelstrahl, den Sie zum Punktieren von kleinsten Flächeneinheiten benötigen. Mit einem einfachen Fingerdruck auf die entsprechende Ecke der jeweiligen geometrischen Figur können Sie Ihre Waffe auf die gewünschte Funktion einstellen.«

»Wie ist es mit dem Einsatz des Strahlers unter Wasser?«, wollte Nick wissen. Er erinnerte sich an ihr erstes Abenteuer auf der Venus und die Begegnung mit zwei unterseeischen Zivilisationen, die miteinander Krieg führten. Nick hatte die Koralianer im Kampf gegen die räuberischen Gors unterstützt und konnte dabei seine Strahlenwaffe auf dem Meeresgrund nur wegen der auf der Venus sehr geringen Wasserkonsistenz einsetzen, anderweitig wäre er Gefahr gelaufen, von den reflektierenden Strahlen selbst getroffen zu werden.

»Mit einem einfachen Fingerdruck auf die entsprechende Ecke der jeweiligen geometrischen Figur können Sie Ihre Waffe auf die gewünschte Funktion einstellen.«

Neige beruhigte Nick. »Die Entwicklung der Unterwasserstrahlen konnten wir jetzt auch in die neusten Modelle integrieren. Der Strahler ist sowohl über- als auch unterseeisch verwendbar.«

»Bekannt«, konstatierte Xutl. »Was ist mit den anderen Domänen?«

Neige zeigte auf das grüne Viereck. »Dies ist die zweite Domäne, die mit ›A‹ betitelt ist. ›A‹ steht für ›Ausrichtung‹. Sie können in drei Richtungen schießen, nach vorne, das ist der Standard, dann mit der Funktion ›B‹, die für ›Backstrahl‹ steht, nach hinten, das ist sehr nützlich, wenn Sie zum Beispiel einen Gegner haben, der in Ihrem Rücken steht und sie von dort bedroht oder angreift. Aber passen Sie auf, dass Sie die Waffe weit genug neben sich halten, sonst werden sie selbst von der Ladung getroffen. Als Drittes gibt es den Knickstrahl, den Sie bereits kennen. Diese Ausrichtung hat sich bewährt, wenn man um die Ecke schießen muss. Auf einem Zählwerk können Sie einstellen, ab welcher Entfernung der Strahl einen Knick vollziehen soll. Auch eine Einstellung des Winkels ist möglich, aber das werden Sie noch lernen. Sie bekommen für die Bedienung der Waffe eine Hypnoschulung und zur Anwendung ein mehrmonatiges Training, bis Sie alle Funktionen im Schlaf beherrschen.« Er machte eine kurze Pause und sah plötzlich sehr ernst aus. »Es wäre schon fatal, wenn Sie jemanden nur betäuben wollen, aber aus Versehen auf Desintegration stellen.«

»Damit kämen wir zur dritten Domäne: ›O‹, meint sicher ›Optionen‹«, drängte Nick ungeduldig und wies mit seinem rechten Zeigefinger auf das hellrote Oktogon. »Da sehe ich acht Funktionen. So viele kenne ich noch gar nicht. Was um alles in der Welt ist da noch hinzugekommen?«

François Neige lächelte. »Einiges! Hitzestrahlen, Desintegrator und Lähmungsstrahlen kennen Sie ja schon von früheren Einsätzen – ich glaube, den Traktorstrahl zum Fortbewegen schwerer Objekte auch. Aber dazu muss ich noch etwas Wichtiges ergänzen: Wir sind noch nicht so weit, dass Sie bei aktiviertem Traktorstrahl auch andere Optionen derselben Domäne nutzen können, was heißt: Wenn Sie diese Funktion aufrufen müssen, um zum Beispiel einen verwundeten Kameraden aus einem gefährlichen Bereich zu ziehen, können Sie mit Ihrer Waffe nicht gleichzeitig auf mögliche Gegner schießen. Sie würden dann Ihren Freund gefährden.«

»Ich weiß«, bestätigte Nick. »Deswegen empfiehlt es sich, immer eine zweite Waffe bei sich zu haben.«

Neige nickte und zeigte wieder auf den Strahler. »So weit zu den bekannten Optionen. Jetzt zu den Neuerungen!« Mit diesen Worten tippte er auf eine linke untere Ecke des Screens. »Das ›Hy‹ steht für ›Hypnosestrahl‹. Damit können Sie jedem Gegner Ihren Willen aufzwingen.«

»Auch einem Telepathen, der sich Suggestionseinflüssen entziehen kann?« Xutl musste sich an die deprimierende Erfahrung mit den Ewigen erinnern, deren Willensstrahlen selbst ihn trotz seiner telepathischen Begabung gefügig machen konnten. Gegen natürlich-mentale Beeinflussung war er aufgrund seiner paranormalen Eigenschaft bisher immer resistent geblieben, aber bei elektronisch generierter hatte sich diese Fähigkeit als nutzlos erwiesen.

Neige nickte und wusste offenkundig Bescheid. Er kannte die Geschichte des Marsianers. »Wir haben die Wirkung bei paranormal Begabten anderer galaktischer Völker bereits erprobt. Die Ergebnisse waren unterschiedlich. Bei einigen Probanden erwies sich der Hypnosestrahl als sehr erfolgreich, andere Telepathen entwickelten solch eine enorme Widerstandsfähigkeit, dass wir mit dieser Strahlung keine Wirkung erzielen konnten. Eine Erklärung dafür haben wir noch nicht, aber unsere Spezialisten vermuten, dass die Frequenzen ihrer Mentalschwingungen mit denen der Hypnosestrahlen nicht kompatibel sind. An einer Verbesserung wird noch gearbeitet.« Er wandte sich wieder den anderen zu. »Wie Sie bei dem Einsatz der Strahlen mit der Zielperson kommunizieren können, erkläre ich Ihnen später. Dafür gibt es an der Waffe noch eine besondere Funktion. Aber zunächst einmal die anderen Optionen der Domäne ›O‹: ›K‹ meint ›Kältestrahl‹, damit können Sie ihren Feind vereisen und jedes Feuer löschen. Die Temperaturen sind variabel einstellbar und reichen maximal bis kurz vor dem absoluten Nullpunkt von 0 Grad Kelvin bzw. -273 Grad Celsius.«

André pfiff anerkennend durch die Zähne, doch da setzte Neige seine Ausführungen bereits fort: »Eine Neuheit ist auch der Explosionsstrahl, den Sie bisher nur von Kanonen kennen. Das Projektil aus konzentrierter, reiner Energie funktioniert wie eine Bombe, die bei einem Ziel mit elastischer Membran in das Objekt eindringt und im Innern explodiert, bei festem Material explodiert sie davor. Wenn eine starke Panzerung durchbrochen werden muss, ist die Explosionsstrahl-Option wegen der schnelleren Wirkung auf jeden Fall effektiver als Hitze- oder Desintegrationsstrahlen.«

»Ich erinnere mich«, wusste Jane zu berichten, »bei der Invasion mit der Gedankenbombe konnte auf diese Weise eine Riesenamöbe vernichtet werden.«

»Stimmt«, bestätigte der Waffentechniker, »damals gab es diese Technologie nur als Kanone, jetzt konnten wir sie auch auf Strahler konvertieren.«

»Eine beeindruckende Waffe«, resümierte Nick, »aber etwas bereitet mir dabei Sorgen.«

»Und das wäre?« Neige musterte ihn mit neugierigen Blicken.

»Gesetzt den Fall, aus irgendeinem Grund fällt sämtliche Energie aus, so dass der Strahler nicht mehr funktioniert. Was dann?«

»Auch die beste Technik hat ihre Grenzen«, räumte Neige ein, »aber ein Energieausfall dürfte relativ unwahrscheinlich sein, denn diese Waffe speist sich aus zwei Quellen: Zum einen kann sie Lichtenergie aus ihrem direkten Umfeld aufnehmen und in einem Akku speichern, zum anderen ist die Waffe auch auf Batteriebetrieb umstellbar.«

»Nicht schlecht«, musste Xutl zugeben, doch Tom blieb skeptisch. »Und wenn das alles nichts nützt?«, brachte er seine Zweifel stirnrunzelnd zum Ausdruck, »zum Beispiel, wenn der Feind über einen Energieblockierer verfügt?«

Neige zeigte oben links des Oktogons auf den Buchstaben R. »Sehen Sie dieses ›R‹? Es steht für ›Revolver‹. Der Strahler enthält zehn Patronen, die mit geringen Mengen Schießpulvers ein Metallprojektil abfeuern können. Das ist von jeder elektronischen Energiezufuhr unabhängig und im äußersten Notfall Ihre letzte Verteidigung.« Nach einer kurzen Pause gab er zu: »Ob sie allerdings bei einem Gegner wirksam ist, der die Energie Ihrer Strahler blockieren kann, muss eine offene Frage bleiben.«

»Trotzdem eine geniale Idee«, lobte Nick, »aber die Umstellung auf andere Funktionen kann doch nur elektronisch vorgenommen werden. Wie soll ich die Revolverfunktion aufrufen, wenn die Waffe keinen Saft mehr hat?«

»Auch dafür gibt es eine Lösung«, entgegnete der Techniker. »Die R-Funktion ist die einzige, die mechanisch einstellbar ist. Sie brauchen nur auf den entsprechenden Knopf zu drücken, die Umschaltung erfolgt dann unabhängig von jedweder Energiezufuhr.«

»Sie haben wirklich an alles gedacht.«

François schien Nicks Kompliment überhört zu haben, denn unbeirrt setzte er seine Ausführungen fort: »Es gibt noch weitere wichtige Einstellungen«, erklärte er und zeigte auf die unteren Reihen, die aus je vier Tastfeldern bestanden. »Die neuen Strahler sind ein überzeugendes Multifunktionsgerät mit einigen sehr nützlichen Extras«, dozierte er. »Sehen Sie hier die Buchstaben auf den Screens, ich erkläre Ihnen jetzt, was sie bedeuten: ›T‹ steht für ›Teleportation‹. Wenn Sie die Funktion auf diesem Feld aktivieren, ist ihre Waffe teleportierbereit, das heißt, auf Gedankenbefehl kann sie jetzt in besonders gefährlichen Situationen aus dem Holster in Ihre Aktionshand teleportiert werden. Ein schnelles Ziehen ist nicht mehr nötig. Damit werden Sie selbst Wyatt Earp und Billy the Kid Konkurrenz machen. Der Vorgang gelingt aber nur über ein Passwort, das Sie als Befehl denken müssen, und damit das Ganze auch richtig funktioniert, müssen Sie sich einer ausgiebigen mentalen Schulung unterziehen.« Mit diesen Worten zeigte er auf das ›I‹. »Die ›Individual-Funktion‹ schützt Ihre Waffe vor Missbrauch. Früher haben wir das mit Fingerabdruck gemacht, jetzt läuft es über einen Individualsensor, der auf die körperspezifischen Energieschwingungen programmiert ist. Nur der Träger oder eine registrierte andere Person kann die Waffe dann benutzen, bei Nichtregistrierten verweigert sie ihren Dienst.«

Nick hatte verstanden. »Wenn es also einem Gegner gelingen sollte, mir die Waffe zu entwenden, kann er damit nichts anfangen.«

»Höchstens als Keule«, lachte François, dann ergänzte er: »Aber die Waffen werden auf jeden Fall auch für andere aus der Crew freigeschaltet sein. Das könnte sogar einmal lebenswichtig werden.« Er zeigte ihnen ein Feld und zwei Schalter auf der schmalen Rückseite mit der Aufschrift S. »Das steht für ›Scan‹«, erklärte er. »und mit dieser Funktion können Sie jede beliebige Person für den Gebrauch dieser Waffe freischalten oder wieder löschen.«

Nun war das Zeichen K an der Reihe. »›K‹ steht für ›Körper‹ und aktiviert den Körperenergieschirm. Niemand kann Sie dann mehr erschießen, und er schützt sogar vor Stürzen aus vielen hundert Metern Höhe. Beim Aufprall passiert dem Träger nichts. Es kommt dann lediglich zu einem Bungee-Effekt.« Er grinste. »Das kann vielleicht sogar Spaß bringen. Wollen Sie es mal ausprobieren?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er mit seinen Erklärungen fort. Er war so richtig in seinem Element. »Der Schutzschirm wird übrigens aus der unteren Lauföffnung gespeist. Sie ist der Austritt für die Energie, die ihn um ihren Körper herum aufbaut. Wir haben diesen Weg gewählt, damit Sie bei Kampfhandlungen nicht nur geschützt sind, sondern gleichzeitig auch schießen können. Diese Doppelfunktion wäre bei nur einer Mündung nicht möglich gewesen.«

»Wie kann der Strahl aus dem Inneren des Schirms nach außen treten, ohne dass er am Schirm reflektiert und ich dann selbst die Getroffene bin?«, wollte Jane Lee wissen.

Neige räusperte sich. »Das war bei früheren Modellen wirklich ein Problem. Damit der Schuss durch den Schirm konnte, musste sich um die Mündungsrohröffnung herum eine Strukturlücke befinden.« Er unterbrach seine Erklärungen und sah bedeutungsvoll auf Nick, »wie bei Ihrem Abenteuer in Ekuador, wo Sie ein Duell mit dem Diktator Drago ausgetragen hatten.«

Nick musste lachen. »Sie haben sich meine Biografie gut eingeprägt«, lobte er und fügte einen Moment später bestätigend hinzu: »Ja, Sie erinnern sich richtig. Dragos Schirm wurde von einem Gerät gespeist, das er auf dem Kopf vor den Augen anderer verborgen unter seiner Mütze trug, aber um aus seinem Schutz herausschießen zu können, musste der Schirm um die Mündung seiner Pistole herum unterbrochen sein. Das war damals meine Chance. Es gelang mir, einen Schuss direkt in den Lauf seiner Waffe zu platzieren. Die Pistole explodierte und verletzte ihn. In dem dadurch entstandenen Chaos konnte ich unbemerkt fliehen.«

»Das ist bei diesem Schirm anders«, erklärte der Waffenexperte. »Wie bei den Raumschiffen ist es uns technisch jetzt auch gelungen, die Körperenergieschirme von innen durchlässig zu halten, egal ob es feste Substanzen sind oder Energie.«

Jane begriff. »Das ist wie bei Textilien aus Synthetikfasern. Die sind von außen wasserdicht, verfügen aber über eine feinporige Membran, die den Wasserdampf von innen nach außen lässt.«

»Nein, nicht ganz so«, widersprach François Neige. »Das ist hier etwas anders. Der Schirm hat auf der Innenseite ein Dimensionsfeld, das jeden Gegenstand und jeden Strahl von innen nach außen teleportiert. Richtung und Ziel sind immer gleich, sodass ein komplexes Justierungssystem entfällt.«

»Ja«, bestätigte Raskin begeistert, »so funktioniert das auch bei den Energieschirmen von Raumschiffen.«

Jane war noch nicht alles klar. »Was passiert, wenn ich meine Waffe im Kampf fallen lasse und noch dazu gegen den Schirm stürze. Teleportiere ich mich dann selbst nach außen?«

François Neige schüttelte den Kopf. »Nein. Das Dimensionsfeld, das zusammen mit dem Schirm aufgebaut wird, funktioniert ähnlich wie der Individualsensor. Es reagiert auf die körperspezifischen Energieschwingungen und würde bei dem Träger der Waffe keine Teleportation vornehmen.«

»Beeindruckend!«, äußerte sich Xutl.

»Leider hat so ein Körperschutzschirm aber einen erheblichen Nachteil«, schränkte Neige die Euphorie seiner Zuhörer ein. »Sie können ihn eigentlich nur im Kampf benutzen. Wir sind technisch noch nicht dazu in der Lage, dass er den Körper wie eine zweite Haut umgibt, sondern immer einen Abstand von etwa zwanzig Zentimetern bis einen halben Meter zu Ihnen hält. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet?«

Tom wusste sofort Bescheid. »Ich würde keine Pflanzen mehr einsammeln können.«

»Und ich kein Tier mehr streicheln«, lamentierte Jane.

»Und man würde überall anecken und anstoßen«, ergänzte André.

»Kann ich dann überhaupt gehen?«, wollte Tom wissen, »wenn ich wegen des Schirms zwanzig Zentimeter über dem Boden hänge, stelle ich mir das recht schwierig vor.«

»Das ist kein Problem«, beruhigte Neige. »Der Schirm ist wie eine Haube, die man über Sie gestülpt hat, so dass Ihre Füße zum Gehen frei sind.«

»Dann bin ich ja bei Stürzen gar nicht hundertprozentig geschützt!«, warf Jane erschrocken ein.

»Doch, sobald Sie den Boden unter den Füßen verloren haben, schließt sich Sekunden später der Schirm um ihren Körper wie ein Deckel, der von einem Arbeitsroboter auf eine Kanalöffnung gelegt wird. Und damit auch bei unsanfter Landung Ihre Beine geschützt bleiben, kann die Deckelfunktion nur per Knopfdruck wieder aufgehoben werden.« Mit diesen Worten zeigte er auf einen winzigen Knopf neben dem Buchstaben »B« an der rechten oberen Ecke der ersten Domäne.

Nach einer kurzen Pause ergänzte er: »Leider hat der Schirm noch eine weitere Achillessehne.«

Jane schaute ihn etwas konsterniert an. »Noch eine?«

»Ja, er schützt Sie zwar vor Beschuss, aber nicht vor starkem Druck. Ein Traktorstrahl kann Sie zum Beispiel vom Boden fegen, so, wie der Orkan eine Feder in jede beliebige Richtung treibt.«

Xutl war mit der Antwort noch nicht ganz zufrieden und hakte nach: »Wie sieht das denn bei Hitzestrahlen aus? Gibt es bei ihnen einen ähnlichen Effekt?«

»Nein, Sie sind vor der Temperatur geschützt, aber die Strahlen bewirken, dass Ihr Schirm hell aufleuchtet und Ihnen für einen ganz kurzen Augenblick die Sicht nimmt. Sie können dann nur noch blind schießen.«

Ohne eine weitere Frage abzuwarten, wechselte Neige das Thema und erklärte die nächste Anwendung.

»Das ›A‹ meint die ›Antigrav-Funktion‹. Wenn es Ihnen auf dem Boden mal zu gefährlich werden sollte, schweben Sie einfach wie eine Schwalbe davon. Die Höhen- und Richtungssteuerung finden Sie auf der rechten Seite der Waffe.«

»Ich wollte schon immer mal ein Vogel sein«, träumte Jane mit abwesendem Blick, während Tom ins Leere starrte. Er begann sich zu langweilen, Xutls Gesichtszüge dagegen waren angespannt, er wurde immer nachdenklicher.

»Ich bin gleich fertig«, beruhigte der Techniker die Gruppe, »aber ich halte es für sinnvoll, wenn ich Sie über alles Wichtige aufkläre.« Er tippte mit der linken Zeigefingerkuppe auf das ›S‹. »Die ›Sprach-Funktion‹ brauchen Sie für den Einsatz der Hypnosestrahlen. Die Waffe enthält einen Mini-Translator, der die Verständigung regelt, damit Ihr Gegner auch weiß, was er nach Ihrem Willen tun soll.« Er zeigte auf ein Feld, das mit D gekennzeichnet war. »›D‹ steht für ›Deflektor‹. Damit können Sie sich unsichtbar machen. Die von Ihrem Körper ausgehenden Lichtimpulse werden um die Sehorgane ihrer potenziellen Gegner herumgeleitet, sodass Sie optisch nicht wahrgenommen werden können. Ähnlich funktioniert auch der erweiterte Ortungsschutz.«

»Phantastisch«, brummte Xutl anerkennend, »aber hat auch diese Funktion einen Haken?«

Neige nickte. »Leider ja. Wenn Sie mit mehreren Leuten im Einsatz sind, können Sie sich auch gegenseitig nicht sehen. An polarisierenden Ent-Deflektorgläsern wird noch gearbeitet, aber das ist leider ein sehr komplexer Vorgang, weil das umgeleitete Licht in der richtigen Kombination wieder auf Ihre Augen gerichtet werden muss, dazu fehlt uns noch die richtige Schlüsselfrequenz. Ob wir sie bis zum Start der Expedition gefunden haben, ist sehr fraglich.«

»Haben wir jetzt alles kennen gelernt?«, fragte Jane etwas geistesabwesend. Auch ihre Geduld schien erschöpft.

»Fast«, entgegnete der Waffenexperte, dann hielt er die Waffe gegen eine Wand und berührte ein rotes Feld auf der Oberseite der Kugel an den Mündungsrohren. Plötzlich leuchtete es hell daraus auf und ein scharfgebündelter Lichtfinger ließ die avisierte Wandfläche in gleißender Grelle aufstrahlen.

»Mit dem roten Touch auf der Sensorkugel können Sie eine Lampenfunktion für Einsätze im Dunkeln aktivieren.« Mit diesen Worten nahm er die Kugel in seine Hand und drehte sie um 90 Grad. Mit einem kaum hörbaren Klick rastete sie ein. Jetzt leuchtete sie in alle Richtungen in grellen Blinkintervallen und der Raum war urplötzlich von einem hochfrequenten auf- und abschwellenden Sirenenton erfüllt, der in den Ohren gellte und Mark und Bein erschüttern ließ. Erschrocken hielten sich Nick und seine Freunde ihre Hände vor die Muscheln.

Neige drehte die Kugel wieder zurück. Sofort war das Licht verloschen und das durchdringende Geheul verstummt.

Neige erklärte: »Wie Sie gerade gesehen und gehört haben, sendet der Strahler bei einer Drehung um 90 Grad ein optisches und akustisches Notsignal aus. Damit können Sie bei Ausfall des Kommunikators eine Suchmannschaft auf sich aufmerksam machen.« Er schaltete das Licht wieder aus, zeigte anschließend auf einen Knopf mit der Aufschrift ›P‹, der sich etwas abseits von den übrigen Schaltflächen auf der linken Oberseite der Waffe befand, und schloss seine Demonstration mit den Worten: »Hier können Sie von Einzelschuss auf ›Persistenz‹ schalten, das bedeutet ›Dauerstrahl‹.«

Aber dann hatte er doch noch eine wichtige Eigenschaft der Waffe zu erklären: »Die Funk- und Peil-Funktion ist permanent aktiviert, damit man weiß, wo Sie sich befinden und Sie bei Ausfall anderer Kommunikatoren – ich denke da in erster Linie an das Handgelenkvisiphon – mit dem Schiff oder den anderen Mannschaftsmitgliedern in Kontakt bleiben können. Sollte es notwendig sein, Funk- und Peilfunktion aus irgendeinem Grund zu deaktivieren, drücken Sie einfach das entsprechende Feld!«

Er hielt einen Augenblick inne, atmete tief durch und legte eine zufriedene Miene auf, seine Gesichtszüge entspannten sich, die Lehrstunde schien beendet – aber nur fast.

»Ein Letztes …«, legte er nach, »ohne Ihre Geduld zu lange in Anspruch nehmen zu wollen (gequältes Grinsen aus erschöpften Gesichtern), muss ich aber doch noch ergänzend auf eine wichtige Eigenschaft von Deflektor und Energieschirm hinweisen: Beide Funktionen schließen Kleidung – auch in mehreren Schichten – sowie Werkzeugtaschen. Rucksäcke und alles Sonstige ein, womit Ihr Körper in Berührung kommt. Ihre Schwingungsfrequenzen übertragen sich auf diese Objekte, so dass der Schirm sie mit unter seinen Schutz nimmt.«

»Auch Lebendes?«, wollte Jane wissen.

»Selbstverständlich. Wenn Sie im Ernstfall jemand anders schützen wollen, nehmen Sie ihn einfach an die Hand, dann legt sich der Schirm um beide Personen.«

»Händchen halten fand ich schon immer romantisch«, witzelte Nick.

Jane funkelte ihn böse an. »Untersteh dich, allen möglichen Frauen beistehen zu wollen, du alter Casanova!«

Nicks Kinnlade klappte nach unten, dann konterte er schlagfertig: »Danke für den Hinweis. Dich kann ich ja bei der nächstbesten Gefahr als Erste loslassen«, aber seine Entgegnung ging im allgemeinen Gelächter unter.

François Neige blieb als Einziger emotionslos-sachlich. Mit unveränderter Stimmlage fragte er in die Runde hinein: »Hat jemand noch etwas wirklich Ernsthaftes zu kommentieren?«

»Ein tolles Modell«, lobte Xutl, von der enormen Vielseitigkeit des Strahlers sichtlich beeindruckt. »Ich möchte wissen, wie die Menschen auf eurer Erde vor über hundert Jahren ohne solche Waffen überlebt haben.«

»Naja«, scherzte Nick, feixte über das ganze Gesicht und breitete beide Arme gönnerhaft in Richtung seines marsianischen Freundes aus. »Sie sind ja auch alle gestorben.«

Brüllendes Gelächter, dann meldete sich Jane zu Wort. Grinsend verkündete sie: »Ich habe noch ein wirklich ernstes Anliegen.«

Neige schien erfreut. »Fragen Sie!«

»Enthält dieses Wunderding vielleicht auch Unterhaltungsprogramme – zum Beispiel nette Tierfilme über Exo-Zoologie – falls es mir während eines Einsatzes zu langweilig werden sollte?«

Erneutes Lachen. Die Stimmung war heiter und gelöst. Wenn es auf der großen Reise auch so lustig und entspannt zugehen sollte, würde die Durchquerung des Kosmos eher einem erholsamen Tagesausflug gleichen als einem wahnwitzigen Abenteuer, aber das konnte sich keiner von ihnen so wirklich vorstellen.

»Nehmen Sie unsere Heiterkeit nicht persönlich!«, versuchte Nick den irritiert dreinschauenden Waffenexperten wieder etwas aufzumuntern und klopfte ihm versöhnlich auf die Schulter. »Ihre Einführung in das neue Modell war wirklich beeindruckend und Ihre Erklärungen zeugen von hoher Sachkompetenz. Ich bin froh und glücklich, einen so fähigen Mitarbeiter wie Sie auf unserer Expedition dabei zu haben.«

Nick 1 (Pionier des Weltalls): Start in die Unendlichkeit

Подняться наверх