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Ende eines netten Abends

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Es war schon recht kühl an diesem Abend, kühler als üblicherweise zu dieser Jahreszeit. Frank Becker ging zurück zu seiner Wohnung. Besser traf der Begriff ›torkeln‹ die Art seiner Fortbewegung.

Er hatte einen netten Abend verbracht. Netter, als sämtliche Abende der vergangenen zwei Jahre, wenn er es richtig nahm. Im ersten Jahr, nachdem Kristin ihn verlassen hatte, zog er noch mit der Clique durch die Kneipen. Dann fiel er ohne Vorwarnung in dieses tiefe Loch. Er verspürte einfach keine Lust mehr, in Kneipen herumzuhängen und Frauen anzubaggern, die ja doch kein Interesse an ihm hatten oder an denen er das Interesse verlor, sobald sie den Mund aufmachten. Seine Freunde von damals gab es auch nicht mehr. Das heißt, die Jungs gab es schon noch, nur dass er jetzt nicht mehr zu ihnen gehörte.

Vielleicht hätte er damals nicht so laut seine Meinung sagen sollen. Was hatte Kristin noch so schön gesagt, als er sie das letzte Mal getroffen hatte? Er müsse aufpassen, mit seiner miesepetrigen, besserwisserischen Art, nicht auch noch seinen letzten Freund zu verlieren. Das war ein Jahr her, bei ihrem letzten Scheidungstermin. »Sie hat damit nicht ganz richtig gelegen«, dachte Frank zynisch. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon keine Freunde mehr.

Jedenfalls war er zwei Jahre lang nicht mehr feiern oder wenigstens ein Bier trinken gegangen. Auch an diesem Abend hatte er nicht vorgehabt, unter Leute zu gehen. Aber dann kam er an der Gaststätte vorbei, die auf seinem Heimweg von der Arbeit lag und in die er früher häufig eingekehrt war. Diese Kneipe hatte ihn in den letzten zwei Jahren nicht mehr gereizt, genauso wenig wie irgendeine andere.

An diesem Abend stand Tom vor dieser Gastwirtschaft. Tom gehörte früher auch zu der Clique. Allerdings hatte Frank ihn noch nie sonderlich gemocht. Der Kerl war ein Spinner, dazu noch einer von der üblen Sorte, rücksichtslos, und verlassen konnte man sich auf ihn auch nicht.

Normalerweise ging Frank dem Kerl, wenn es sich machen ließ aus dem Weg. An diesem Nachmittag ließ es sich nicht machen. Er stand ihm direkt im Weg.

»Äh Alter, was machst du denn hier?«, begrüßte er Frank, obwohl der Kerl ganz genau wusste, dass er von der Arbeit kam.

Er wollte schon etwas Knallhartes erwidern, aber bevor er nur zu Wort kam, hatte Tom ihn schon auf ein Bier eingeladen. Das war allerdings schon komisch, vielleicht ein Omen, früher hatte er sich immer nur durchgeschnorrt. Normalerweise wäre Frank trotzdem nicht mitgegangen. Eigentlich hatte er in den letzten Jahren immer eine Ausrede erfunden, wenn sich jemand mit ihm treffen wollte. Er verspürte einfach keine Lust, mit irgendwem über irgendwelche Oberflächlichkeiten zu reden. Darauf lief es doch immer hinaus. So gut kannte er mittlerweile niemanden mehr, dass er sich mit ihm über tiefsinnigere Dinge unterhalten konnte.

Aber an diesem Abend war es anders. Vielleicht lag es an dieser Sache. Endlich standen sie vor dem großen Erfolg und dann das! Ausgerechnet jetzt musste Thomas diesen Unfall bauen. Er hatte ja schon immer gewusst, dass dieser Spießer sich irgendwann mit seinem bescheuerten Sportwagen totfahren würde. Aber musste das ausgerechnet jetzt sein? Die ganzen letzten Jahre hätte er den Idioten am liebsten in die Wüste geschickt und jetzt, wo er tot war, fehlte er ihm. Mit wem sollte er jetzt noch über die Sache reden?

Vielleicht spürte er tatsächlich Trauer, vielleicht lag es aber auch an dem Mädchen, das Tom im Schlepptau hatte. Sie lächelte ihn so nett an und bettelte fast darum, dass er mitkäme. Jedenfalls hielt er es plötzlich für eine gute Idee, ein Bier zu trinken.

Gut, die Bezeichnung Mädchen traf vielleicht nicht ganz zu. Bei näherer Betrachtung handelte es sich dann doch eher um eine Frau in seinem Alter. Die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen, wie bei ihm selbst, aber sie sah trotzdem ungemein attraktiv aus. Auch egal, jedenfalls lächelte sie ihn dankbar an, als er mitkam. Es war ihm lange nicht mehr passiert, dass eine Frau ihn so anlächelte. Ihm wurde ganz warm in der Brust.

Der Gastraum der Kneipe war mit riesigen Fenstern in der Größe von Schaufensterscheiben ausgestattet. Als er dort noch als Stammgast ein- und ausging, hatte ihn das nicht gestört. Später fand er es schrecklich, dort zu sitzen und von jedem draußen begafft zu werden. Allerdings stieß es ihn genauso ab, in einer dieser geschlossenen Höhlen zu sitzen.

Egal, jedenfalls setzten sie sich in eines dieser Schaufenster. Frank wusste nicht, was er sagen sollte, dafür quatschte Tom umso mehr, irgendeinen Schwachsinn von alten Zeiten und so. Tom ging ihm dermaßen auf die Nerven, dass er froh war, als der Kerl endlich ging. Die Frau, von der er angenommen hatte, dass sie zu Tom gehörte, blieb sitzen. Er wollte schnell austrinken, aber da brachte der Wirt schon zwei neue Biere. Die hatte Tom bestellt und, man höre und staune, sogar bezahlt.

So saßen diese Frau und er sich gegenüber, beide mit einem vollen Glas Bier vor sich. Sie lächelte ihn noch immer warm an. Er fragte sich, was er mit ihr reden solle. Seit Kristin war er schließlich mit keiner Frau mehr zusammen gewesen. Und seit zwei Jahren redete er im Prinzip nur noch mit seinen Arbeitskollegen während der Arbeitszeit. Aber auch denen ging er aus dem Weg, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Er war verlegen und wusste nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Aber dann regelte sich alles von allein. Sie gehörte offensichtlich nicht gerade zu der schüchternen Sorte und hatte drauf los erzählt, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie hieß übrigens Jasmin, wie er wenig später erfahren sollte.

Mann, Mann, Mann, das war eine Frau! Frank musste sich kurz an einem Laternenpfahl festhalten. Der Fußgängerweg begann doch ganz beängstigend unter seinen Füßen zu schwanken. Er konnte wirklich nichts mehr vertragen. Die letzten zwei Jahre hatte er so gut wie keinen Alkohol mehr getrunken. Dass er allerdings so aus der Übung war, erstaunte ihn doch.

Jedenfalls beruhigte es, dass eine Frau wie Jasmin Interesse an ihm zeigte. Er musste zugeben, er war in den letzten drei Jahren ein wenig aus den Fugen geraten. Das hatte auch Kristin gesagt, damals vor einem Jahr, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er könnte sicher ein paar Kilo abspecken. Der nicht gerade berauschende Kantinenfraß in der Woche und das Fast Food am Wochenende trugen nicht gerade zu einem besonders ansprechenden Körper bei. Durch besonderen sportlichen Ehrgeiz hatte er sich ja noch nie hervorgetan, aber wenigstens ein bisschen Fahrradfahren oder Spazierengehen hätte er sich in den vergangenen drei Jahren gönnen sollen. Auch konnten seine Haare die eine oder andere zusätzliche Wäsche vertragen. Das wäre zumindest heute Abend von Vorteil gewesen. Vielleicht sollte er überhaupt mal zum Friseur gehen, mal etwas ganz Neues ausprobieren. Wer lief heute noch mit so einer Matte herum?

Frank stieß sich von dem Laternenpfahl ab und nahm schwankend seinen Weg wieder auf.

Es grenzte wirklich an ein Wunder, dass Jasmin etwas an ihm gefunden hatte. Sie musste seinen inneren Kern auch durch die etwas derangierte Hülle gespürt haben. Sie hatten sich jedenfalls prächtig unterhalten. Sie war eine Frau, die zuhören konnte. So etwas gab es nicht oft. Schon gar nicht, wenn er von seiner Arbeit erzählte. Aber Jasmin hatte ihm zugehört. Sie stellte sogar interessiert Fragen. Natürlich verstand sie vom Fach nichts, musste ja auch nicht sein. Sie stellte so herrlich naive Fragen. Aber sie wollte wirklich wissen, was er beruflich machte.

Es hatte lange niemanden mehr gegeben, der ihm zuhörte, wenn er über die Dinge sprach, die ihn wirklich beschäftigten. Gut, das lag sicher auch daran, dass er sich nur noch für seine Arbeit interessierte, sonst passierte in seinem Leben ja nicht viel. Jasmin hörte ihm zu, sie fragte nach und er erzählte ihr alles. Natürlich trug er etwas dick auf, machte seinen Job spannender, als er wirklich war. Ein klein wenig musste man die Sache natürlich schon interessant machen. Die Realität sah schließlich trübe genug aus. Das fanden zumindest die meisten Leute, denen er bis dahin von seiner Tätigkeit erzählt hatte.

Er sah das natürlich anders. Es war einfach spannend jemand anderem auf die Schliche zu kommen. Früher gehörte er selbst einmal zu denen, die unbedingt überall hinein wollten. Er hatte mehr als einen Rechner geknackt. Schon damals hatte es nur zwei Sorten von Menschen gegeben: Die einen, die es spannend fanden in einen fremden Rechner einzudringen, und die anderen, die es todlangweilig fanden, sich stundenlang mit den meist gescheiterten Versuchen zu beschäftigen. Die Letzteren konnten einfach nicht verstehen, wie es sich anfühlte, wenn man danach fieberte, endlich die Lösung zu finden, den Schlüssel, mit dem man in verbotene Zonen vordrang.

Jetzt stand er auf der anderen Seite. Er gehörte zum Team für IT-Sicherheit. Er versuchte diejenigen zu erwischen, die versuchten, in ›seine‹ Systeme einzudringen. ›Seine Systeme‹ waren eigentlich die Rechnersysteme der Bundesverwaltung. In den letzten Jahren hatte er sehr erfolgreiche Arbeit geleistet. Meistens konnte man einen Angriff abfangen, indem man neue informationstechnische Sicherheitsbarrieren aufbaute, die Firewalls neu konfigurierte oder Ähnliches. Er hatte sich aber auch schon ein Mal direkt auf die Jagd begeben und einen Hacker erwischt. Natürlich lieferte er nur die Zuarbeit, die Daten. Den Rest hatte dann das BKA übernommen.

Aber in der Vergangenheit hatte es sich nur um Peanuts gehandelt. Diesmal ging es um ein wirklich großes Ding. Durch reinen Zufall war er der Sache auf die Spur gekommen. Wer hätte auch gedacht, dass ausgerechnet aus dieser Richtung Gefahr drohte. Er deutete Jasmin die Geschichte natürlich nur an. Wirklich erzählt hatte er nichts. Dafür kannten sie sich dann doch noch nicht gut genug.

Frank fummelte mit seinem Schlüssel am Schloss der Eingangstür herum. Verdammt! Hätte er nicht ein bisschen weniger trinken können? Dabei war es gar nicht so viel gewesen, soweit er sich erinnerte. Gut diese zwei Schnäpse zum Schluss hätten es wirklich nicht mehr sein brauchen. Aber nachdem Jasmin eine Runde ausgegeben hatte, musste er sich ja schließlich revanchieren.

Endlich bekam er den Schlüssel ins Schloss und öffnete sie. Er schlüpfte hindurch. Die Haustür fiel krachend zu. Oh je, hoffentlich gab das keinen Ärger mit den Nachbarn. Der Schließmechanismus zog viel zu stark. Die Hausverwaltung hatte alle Bewohner des Hauses angehalten, die Eingangstür nachts leise zu schließen. So etwas war ihm seit Jahren nicht mehr passiert. Er hatte wirklich zu viel intus. Gut, dass Jasmin nicht hatte mitkommen wollen, er fühlte sich wirklich nicht in der Verfassung für eine erste Nacht. Jasmin musste ganz gut was wegstecken können. Sie hatte noch ganz nüchtern gewirkt, obwohl sie das Gleiche getrunken hatte wie er. Wirklich eine Teufelsfrau!

»Bis zum nächsten Mal. Du weißt ja, wo du mich findest«, hatte sie zum Abschied gesagt. Damit konnte nur die Kneipe gemeint sein. Wo sie wohnte, wusste er nicht. Wenn er es recht bedachte, hatte sie über sich fast nichts erzählt. Dafür hatte sie ihn ganz schön ausgefragt. Egal, das würde ihm nicht wieder passieren. Beim nächsten Mal würde alles anders werden. Er musste sich von seinem egozentrischen Verhalten lösen. Das hatte auch schon Kristin gesagt. Beim nächsten Treffen würde er sie ausfragen, einfach an ihrer Person Interesse zeigen.

Aber wie sollte er gerade jetzt diesen Vorsatz umsetzen? Diese Sache besaß einfach ein zu großes Ausmaß, sie nahm seinen ganzen Kopf ein. Und er hatte noch Größeres damit vor. Im Grunde war es sogar gut, dass er auf Thomas keine Rücksicht mehr nehmen brauchte. Der Spießer hatte doch nur an seine Karriere im Amt gedacht. Der hatte doch gar nicht kapiert, dass es sich dabei nur um Peanuts handelte. Und selbst wenn er es kapiert hätte, wäre der zu spießig gewesen, zuzugreifen. Er hätte sich sogar noch mit Ehrenhaftigkeit und Unbestechlichkeit herausgeredet. Thomas, der Gutmensch, wirklich zum Kotzen! In Wirklichkeit hätte der sich nie getraut, mal wirklich etwas zu riskieren.

Da war er selbst ganz anders. Er wusste, dass man aus dieser Sache ganz andere Dinge herausholen konnte. Er würde bald nicht mehr in diesem Loch von einer Wohnung hausen müssen. Die Schulden, die Kristin ihm während seiner Ehe eingebrockt hatte und die er seitdem mitschleppte, würden in ein paar Monaten der Vergangenheit angehören. Dann würde er über solche Beträge nur noch schmunzeln.

Er stand vor seiner Wohnungstür. Wieder fummelte er am Schloss herum. Diese blöden Sicherheitsschlösser, warum mussten diese Schlüssellöcher auch so klein sein? Warum hatte man nicht die schönen, großen, altmodischen Schlüssel für die Haustüren behalten können?

Endlich nahm er auch diese Hürde. Die Eingangstür führte in einen kleinen Flur. Er betätigte den Lichtschalter, aber es blieb dunkel. Schon wieder die Birne kaputt! Das hatte er morgens gar nicht bemerkt. Vielleicht war es aber auch besser, dass er sich im Dunkeln nur als Schatten im Spiegel sah. So blieb ihm das schlimmste Elend erspart. Das musste wirklich alles besser werden. Er würde sich ab morgen um seine Wohnung kümmern, neue Birnen in die Lampen schrauben, aufräumen, abwaschen. Ja vor allem putzen und abwaschen. Irgendwie roch es merkwürdig in seiner Wohnung. Auch das war ihm am Morgen noch nicht aufgefallen. Erstaunlich, was ein Gespräch mit einer Frau, einer sehr attraktiven Frau, ausmachen konnte. Und dieses Lächeln erst!

Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Auch hier brannte kein Licht. War die Sicherung durchgebrannt? Wirklich gut, dass Jasmin nicht mitgekommen war. Was hätte sie zu diesem Dreckloch gesagt. Morgen würde alles anders werden. Er würde die Wohnung in Ordnung bringen und sich selbst. Wenn er sie wiedertraf, wäre alles vorbereitet. Auch sein Äußeres würde hergerichtet sein, soweit sich das in ein oder zwei Tagen machen ließ, hieß das.

Er torkelte durchs Wohnzimmer zur Küche. Die Wohnung besaß keinen idealen Schnitt, man kam vom Flur ins Wohnzimmer. Von dort gingen Küche und Schlafzimmer ab. Das Bad befand sich sogar noch hinter der Küche. Ja, es wurde wirklich Zeit, dass er sich etwas anderes suchte.

Jetzt musste er erst mal in die Küche. Dort befand sich aus unerfindlichen Gründen der Sicherungskasten in diesem Altbauloch. Etwas trinken musste er auch. Dieser Schnaps hatte ihm die Kehle ausgetrocknet. Außerdem musste irgendetwas in der Küche sein. Von dort kam ein ganz merkwürdiger Geruch. Irgendwie kam ihm der bekannt vor, aber sein Hirn funktionierte nicht richtig, alles wirkte wie vernebelt. Konnte das wirklich von dem bisschen Alkohol kommen?

Er öffnete die Küchentür. Der Geruch wurde stärker. Ohne eine Wirkung zu erwarten, betätigte er den Lichtschalter. Als Letztes hörte er einen Knall, der ihm im wahrsten Sinne des Wortes das Trommelfell zerriss, und sah einen grellweißen Blitz.

Final Shutdown - Teil 1: Mysteriöse Todesfälle

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