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10. Februar 1595.

Die Welt bestand nur noch aus Himmel und Wasser, und es schien, als befänden sich die beiden Schiffe ganz allein auf einem riesigen Meer ohne Ende und Grenzen.

Beide Schiffe, die „San Lorenzo“ unter Jean Ribault und die „Estrella de Málaga“ unter Philip Hasard Killigrew, bewegten sich auf langgestreckter Dünung unter dem ewigen Rhythmus der See auf nordöstlichem Kurs. Sie segelten in Dwarslinie und liefen gute Fahrt, begünstigt von achterlich schiebender Strömung und Wind aus südlicher Richtung.

Innerhalb der letzten dreizehn Tage hatte sich keine einzige Mastspitze gezeigt. Einsam und verlassen lag die Weite des Pazifischen Ozeans vor ihnen.

Zweimal hatten sie einen Albatros gesehen. Heute bestand die einzige Abwechslung darin, daß sich ein einsamer Maskentölpel zeigte, der allerdings uneingeschränkte Bewunderung genoß. Sowohl die Arwenacks als auch die Mannen von Jean Ribault sahen ihm fasziniert zu.

Der Maskentölpel war schneeweiß, nur die Flügel hatten ein breites schwarzes Band. Seine Spannweite betrug fast zwei Yards. Die stechenden Augen des großen Vogels waren von einer schwarzen Maske umgeben. Er ließ sich vom warmen Aufwind tragen und flog eine riesige Kehre.

Dann, übergangslos, schoß er hinunter, die Flügel eng an den Körper gelegt. Er fiel mit rasender Geschwindigkeit wie ein Stein vom Himmel.

Der Decksälteste Smoky hatte es schon wieder mit seiner Wettleidenschaft.

„Wetten, daß er diesmal einen Fisch fängt?“ fragte er Stenmark.

„Wetten, daß er keinen fängt?“ fragte Sten zurück. „Zweimal ist er bereits vergeblich getaucht.“

Sie wetteten ein paar Münzen, um sich die Zeit zu vertreiben.

Der Maskentölpel raste wie eine Kanonenkugel ins Wasser. Um die beiden Schiffe schien er sich nicht zu kümmern. Fast hatte es den Anschein, als wollte er den Männern seine Kunststückchen vorführen.

In dem klaren Wasser war seine Bahn deutlich zu erkennen. Blasenwerfend stieß er unglaublich tief hinunter, mindestens zwanzig Yards tief, wie allgemein geschätzt wurde. Danach schoß er schräg aufwärts, schüttelte sich einmal wild im Wasser und tauchte mit einem Fisch auf, der in seinem ausgeprägten gelborangefarbenen Schnabel wild zappelte.

„Ha, hat ihn schon!“ sagte Smoky triumphierend. „Her mit den Möpsen, Sten. Wenn dein Schwedenkönig Sigismund wüßte, wie leichtsinnig du hier dein Geld verplemperst! Der würde dir was erzählen.“

„Kannst ihm ja ’ne Epistel rüberschicken, um ihm das zu verklaren“, brummte der blonde Schwede.

Jetzt erst setzte an Bord wieherndes Gelächter ein, denn nun begann der höchst belustigende Abflug des Tölpels. Der schwere Vogel hatte alle Mühe, das nasse Element zu verlassen. Außerdem hing ihm der schwere und heftig zappelnde Fisch im Schnabel, der sich hartnäckig sträubte, in die Luft gezerrt zu werden.

Die Schwingen des Tölpels schlugen und hieben wild auf das Wasser ein. Er erhob sich taumelnd, rannte über die Dünung, tauchte wieder ein, rannte flügelschlagend und kämpfend weiter. Dabei reckte er weit den Hals vor. Nach einer Ewigkeit gelang es ihm, abzuheben. Unter dem krakeelenden Gelächter der Männer gewann er Höhe. Es schien ihm direkt peinlich zu sein, von den Kerlen ausgelacht zu werden.

„Das ist jetzt die einzige Abwechslung“, maulte Mac Pellew, der auf der Kuhlgräting hockte und einen Messingkiekers polierte.

„Das Polieren oder der Tölpel?“ fragte der Kutscher, weil Mac offen ließ, was er meinte.

„Beides“, erwiderte Mac grämlich. „Da fährt man seit dreizehn Tagen zur See und sieht nichts anderes als Wasser und Himmel.“

„Du fährst doch schon länger als dreizehn Tage zur See, Mac“, sagte der Kutscher grinsend.

„Na ja, aber ich meine, seit dreizehn Tagen haben wir nichts anderes mehr gesehen, und so. Stinklangweilig ist das. Sollten vielleicht mal den Profos ein bißchen verkohlen, wegen der Abwechslung, und so. Kann sein, daß er sich dann aufregt.“

„Und so“, setzte der Kutscher hinzu.

„Wieso, und so?“ fragte Mac.

„Nur so.“ Der Kutscher war immer noch am Grinsen. „Wirst du heute noch mit dem Kieker fertig?“

Mac Pellew reichte den Kieker mit einem leisen Seufzer dem Kutscher und fragte: „Was willst du mit dem Ding?“

„Den Profos verkohlen.“

Klar, ein kleines Späßchen ist wieder mal fällig, dachte der Kutscher. Er nahm den Kieker, verschwand in der Kombüse und kehrte kurz darauf wieder an Deck zurück, immer noch etwas grinsend.

Zu diesem Zeitpunkt befanden sich beide Schiffe südöstlich der Galápagos-Inseln. Etwa hundert Meilen waren sie von den Inseln noch entfernt. Hasard hatte konsequent einen Abstand von der südamerikanischen Küste gehalten, der etwa fünfhundert Meilen betrug. Sie wollten jeder möglichen Begegnung mit spanischen Schiffen entgehen, denn inzwischen hatten die Dons längst begriffen, wer auf dieser Seite der Neuen Welt aufgetaucht war und sie zum Narren hielt. Kein anderer nämlich als El Lobo del Mar persönlich.

Der Kutscher hockte sich ebenfalls auf die Gräting und linste sehr aufmerksam und angestrengt durch das Spektiv, um die Aufmerksamkeit Carberrys zu erregen, die auch nicht lange auf sich warten ließ, denn den Profos plagte ebenfalls die Langeweile.

Zudem murmelte der Kutscher immer wieder leise: „Hm, sieh einer an! Donnerwetter! Ausgezeichnete Sicht heute, kein Wunder, daß man ihn so deutlich sieht!“

Der Profos stand jetzt neben dem Kutscher und äugte auf ihn hinunter, wobei er die Fäuste in die Seiten stemmte.

„Was gibt’s denn da zu glotzen?“ fragte er nach einer Weile. „Siehst du wieder Meermänner und Nixen, was, wie?“

„Wirklich erstaunlich“, murmelte der Kutscher wieder.

Mac Pellew stand daneben und grinste wie ein Ochsenfrosch, der unter der Maulsperre leidet.

„Was, zum Teufel, ist so erstaunlich?“ wollte Carberry wissen.

„Na, daß man an Steuerbord den Äquator sieht“, sagte der Kutscher, „zwar nur als feine Linie, aber immerhin, man sieht ihn, obwohl wir noch etliche Meilen entfernt sind.“

„Wirklich?“ fragte Carberry.

„Wenn ich es dir doch sage. Mac hat ihn auch gesehen. Man muß das Spektiv unter die Kimm halten, und zwar genau waagerecht, dann erkennt man die feine Linie. Willst du mal durchschauen?“

„Aber gern“, sagte Carberry bereitwillig und nahm den Kieker, den der Kutscher ihm zurechtfummelte. Dabei grinste er Mac Pellew verstohlen zu.

Als der Profos hindurchblickte, zuckte es in seinem narbigen Gesicht. Tatsächlich war da ein haarfeiner Strich auf der langrollenden Dünung zu erkennen. Carberry holte tief Luft.

„Das muß ich mir genauer ansehen“, murmelte er. „Stell dich mal hinter mich, Kutscher, und halte mir das Spektiv.“

Der Kutscher tat das mit einem fast diabolischen Grinsen, nahm hinter dem Profos Aufstellung und hielt das Spektiv fest, damit der Profos ausgiebig hindurchstieren konnte.

Gleich darauf schoß dem Kutscher allerdings das Wasser in die Augen, denn der Büffel von einem Profos trat einen Schritt zurück und stieg dem Kutscher mit seinem ganzen Gewicht auf die Stiefel, daß der glaubte, ihm würden jeden Augenblick die Socken platzen.

„Au, verdammt!“ entfuhr es dem Kutscher.

„Ja, bleib so stehen“, sagte Carberry begeistert, „jetzt sehe ich den Äquator ganz deutlich.“

„Du stehst auf meinen Latschen“, sagte der Kutscher unter Tränen.

Carberry drehte sich um, stieg dem Kutscher von den Latschen und gab ihm das Spektiv zurück. Dabei grinste er freundlich.

„Wenn du abgenagter Suppenknochen den alten Carberry verarschen willst“, sagte er, „dann mußt du dein Kombüsenfeuer morgens schon um vier entzünden, nicht erst um fünf. Aber die Idee war trotzdem nicht schlecht. Ich wette, du hast einfach ein Haar vor den Kieker geklebt, stimmt’s?“

„Stimmt“, sagte der Kutscher kläglich.

„Na, dann versuchen wir es mal bei Paddy“, sagte Ed. „Bis der das begriffen hat, sind wir längst über den Äquator weg.“

Paddy Rogers, immer etwas denkfaul, war für die Abwechslung dankbar und blickte durchs Spektiv.

„Heute ist ein ungewöhnlich klarer Tag“, sagte der Profos, „da kann man verdammt weit sehen. Du weißt ja, daß Nebel nie bei guter Sicht und klarem Wetter auftritt, oder?“

Paddy Rogers nickte und überlegte angestrengt.

„Stimmt“, sagte er dann, „bei guter Sicht und klarem Wetter gibt’s keinen Nebel.“

„Wenn man diese Erkenntnis gewonnen hat, sieht man auch den Äquator. Nun sieh ihn dir mal an.“

Paddy blickte angestrengt hindurch, bis er den feinen Strich vor seinem Auge erkannte.

„Jetzt sehe ich ihn“, sagte er entzückt. „Er steht genau senkrecht über der Kimm.“

„Quatsch, er liegt immer waagerecht. Du mußt das Spektiv weiter herumdrehen, bis die Linie unter der Kimm liegt.“

Auch das tat Paddy, bis der Strich waagerecht zu erkennen war.

„Genau! Jetzt ist er ganz deutlich. So was habe ich noch nie gesehen.“

„Kriegst du auch so schnell nicht mehr zu sehen“, versicherte Carberry. „Das ist sozusagen einmalig.“

Als Paddy Rogers abzog, verklarte er das „Einmalige“ sogleich seinem Freund Jack Finnegan, und obwohl der Bedenken anmeldete, ließ sich Paddy nicht mehr davon abbringen, den Äquator gesehen zu haben.

„So verarscht man die Leute“, sagte der Profos trocken. „Diesmal ist es mir gleich bei zwei Kerlen gelungen, nämlich bei dir und Paddy. Laß dir übrigens mal was Neues einfallen, Kutscher.“

„Na, war wohl nichts“, murmelte der Kutscher. „Offenbar hat er heute seinen geistreichen Tag.“

Ziemlich mißmutig sah er dem Profos nach, der sich vergnügt die Pranken rieb. Mac Pellew hingegen blickte sehr grämlich drein. Er sah aus, als hätte er Zahnschmerzen.

„Eine halbe Stunde Luftschnappen für den ehrenwerten Don Gaspar de Rojas“, sagte Hasard etwas später zum Profos. „Bring den Kerl an Deck, Ed, damit er in der Piek nicht austrocknet.“

„Aye, Sir“, sagte Ed, „aber der trocknet bestimmt nicht aus, weil er immer noch die Hosen voll hat.“

Sie hatten einen Gefangenen an Bord, den Kommandanten der aufgelaufenen Kriegskaravelle „Esmeralda“, Capitán Don Gaspar de Rojas, der aus Feigheit ein Duell mit Hasard verweigert hatte. Dieser aufgeplusterte Gockel hatte einen anderen spanischen Capitán praktisch wegen nichts erschießen wollen, und dieser feige Mord wäre ihm auch gelungen, hätten Hasard und seine Männer nicht eingegriffen. Als Hasard de Rojas zum Duell forderte, hatte der Capitán feige gekniffen. Daraufhin hatten sie ihn auf die „Estrella“ verfrachtet.

Hasard beabsichtigte, den Kerl auf einer Insel auszusetzen.

Der Profos holte den Kerl aus der Vorpiek, damit er zweimal täglich eine halbe Stunde lang Bewegung hatte und sich frischen Wind um die Nase wehen lassen konnte.

Das war jetzt schon zur reinen Gewohnheit geworden. Obwohl de Rojas wußte, daß er sich ausgerechnet an Bord jenes Mannes befand, den er jagen wollte, schlotterten ihm regelmäßig die Knie, sobald er an Deck war. Dann lag Entsetzen in seinem Blick, und er fühlte sich klein und häßlich.

Carberrys fromme Sprüche und sein Aussehen taten ein übriges, um ihn restlos zu demoralisieren. Das war auch jetzt wieder der Fall.

Aus dem aufgeplusterten Gockel war ein gerupftes Hühnchen geworden. Sein nichtssagendes Gesicht war bleich, aber auf seinen Wangen erschienen hektische rote Flecken, sobald er den Seewolf sah. Er stand an Deck, starrte die Planken an und zuckte jedesmal heftig zusammen, sobald jemand an ihm vorbeiging.

„Nun hab’ dich mal nicht so, du kastilianischer Entenarsch“, sagte der Profos. „Hier reißt dir keiner die Ohren ab. El Lobo del Mar wartet lediglich darauf, daß du dich endlich dem Duell stellst. Er hat gerade seinen Degen frisch gewetzt. Willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen? Du warst doch vorher so versessen darauf.“

„Nein, ich kämpfe nicht. Dann kann ich mich gleich selbst umbringen. Nein, nein, nein!“ keifte er. „Was geschieht mit mir?“

„Vielleicht rammen wir dich irgendwo ungespitzt in den Meeresgrund. Oder wir setzen dich auf einer Insel aus, wo es keine bösen Leute gibt, die dir was antun.“

De Rojas zuckte wieder zusammen, als ihn ein Blick des Seewolfs traf. Der Blick war sehr verächtlich, aber es stand auch eine unverhüllte Drohung darin.

Von dem Feigling hatten sie schon allerlei erfahren, das er aus Angst preisgegeben hatte. Die Spanier wußten, daß der Seewolf in der Neuen Welt aufgetaucht war. Wenn der Vizekönig in Lima erst einmal erfuhr, was in und um Potosi geschehen war, dann würden die Dons wahrscheinlich noch mehr Schiffe in Marsch setzen, um die „englischen Piraten“ zur Strecke zu bringen. Aus genau diesem Grund, um jegliche Begegnung mit den Spaniern zu vermeiden, segelte Hasard weit abgesetzt von der Küste nordwärts.

Bis jetzt hatte sich dieses Konzept bewährt, doch das sollte sich noch an diesem Vormittag ändern.

„Nun beweg’ schon deinen Bleihintern“, sagte Carberry. „Kannst ja ein paarmal das Schiffchen umrunden. Wir sind bestimmt keine Menschenfresser.“

De Rojas schüttelte verängstigt den Kopf. Er wollte nicht, er blieb lieber wie angenagelt stehen und rührte sich nicht. In Richtung Achterdeck wollte er schon gar nicht, denn beim Anblick des Seewolfs rann es ihm immer eiskalt über den Rücken.

Er fühlte sich erbärmlich. Da stand der Todfeind der spanischen Krone, auf dessen Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt war. Und hier stand er, de Rojas, ein Günstling des Vizekönigs von Lima, einstmals arrogant, eitel, dumm und unerfahren. Dumm und unerfahren war er immer noch, alles andere war ihm gründlich vergangen.

Er brauchte nur einen Degen zu ergreifen und das angebotene Duell anzunehmen. Wenn er dann den Todfeind der Krone bezwang, war er ein Held. Die anderen würden ihn nicht einmal in Stücke reißen, sondern als glorreichen Helden ziehen lassen, das hatte dieser Narbenmann immer wieder versichert, damit aber auch gleichzeitig kundgetan, daß wohl eher sämtliche Meere austrocknen würden, als daß de Rojas jemals El Lobo del Mar bezwang.

In der Piek hatte er sich schon ein paarmal ausgemalt, wie er als strahlender Sieger zurückkehren würde, aber dieses Wunschdenken verging ihm immer gründlich, sobald er nur einen der Seewölfe sah.

Dann sank ihm das Herz in die Hose, und er sah sich im Geiste von einer Degenklinge durchbohrt. Gegen diesen schwarzhaarigen breitschultrigen Riesen war er ein lächerlicher Zwerg, ein Nichts, ein Niemand. Er fühlte sich immer unbehaglicher, als spöttische und verächtliche Blicke ihn trafen.

„Kann ich wieder zurück?“ fragte er kläglich, obwohl die halbe Stunde noch längst nicht um war.

„Deine Nerven sind wohl nicht mehr die besten, was, wie?“ höhnte Carberry. „Als du den anderen Capitán erschießen lassen wolltest, warst du noch prächtig in Form.“

De Rojas zuckte zusammen. Ihm war immer noch nicht bewußt geworden, daß er im Begriff gewesen war, einen feigen und hinterhältigen Mord an einem ehrlichen Mann zu begeben.

„Na, dann ab in die Heia“, sagte Carberry spöttisch.

Richtig erleichtert ging de Rojas wie ein braver Hund vor dem Profos her zur Piek. Er hegte nicht einmal Fluchtgedanken, denn im Meer lauerten die Haie, und Land war weit und breit nicht zu sehen.

Carberry schloß den Feigling wieder ein. Auf das Essen hatte de Rojas freiwillig verzichtet. Ihm war wieder mal gründlich der Appetit vergangen, und er war heilfroh, wieder allein zu sein.

Eine halbe Stunde später kam Bewegung in Jeff Bowie, der im Ausguck stand. Ein paarmal setzte er den Kieker an, blickte aufmerksam hindurch und setzte ihn schließlich wieder ab. Dann rief er aus dem Großmars nach unten: „Deck! Mastspitzen Backbord achteraus!“

Auch der Ausguck auf der „San Lorenzo“ gab die Meldung fast im selben Augenblick an das Achterdeck.

Beide segelten immer noch in Dwarslinie mit Wind aus südlicher Richtung.

Hasard zeigte „Verstanden“ und blickte achteraus. Dan O’Flynn kniff die Augen zusammen und blickte ebenfalls in die angegebene Richtung.

„Stimmt“, sagte er, „wir sind nicht mehr allein. Da sind tatsächlich Mastspitzen zu erkennen. Ich sehe mir das mal von oben an.“

Er lief über das Deck und enterte in den Großmars auf. Dort stand immer noch Jeff Bowle mit dem Spektiv am Auge. Hin und wieder setzte er es ab, rieb sich das Auge und schüttelte den Kopf.

„Das sind merkwürdige Schiffe“, murmelte er. „Die erinnern mich an Kähne, die ich schon mal gesehen habe.“

Was Jeff hier oben durch den Kieker sah, erkannte Dan schon mit bloßem Auge. Es schien sich um Dschunken zu handeln, aber er wollte sich Gewißheit verschaffen und griff nach dem Kieker.

Die Schiffe rückten sprunghaft näher heran. Es waren Dschunken, daran bestand kein Zweifel. Sie hatten drei Masten mit den typisch zugeschnittenen Mattensegeln, deren Achterliek leicht gerundet war.

Drei Schiffe waren es mit ziemlich steilstehenden Gaffelrahen. Wie gebannt blickte Dan O’Flynn auf die durchlaufenden Decks. Dann spürte er ein leichtes Kribbeln unter der Kopfhaut. Auch in seinem Magen kribbelte es, als hätten sich dort Ameisen eingenistet.

Es waren chinesische Kampfdschunken, und sie hatten so viele Kanonen an Bord, daß Dan sie gar nicht erst zählte.

„Kampfdschunken“, murmelte er betroffen.

„Was für Dinger?“ fragte Jeff erstaunt.

„Chinesische Kampfdschunken, bis an die Zähne bewaffnet.“

Jeff Bowie staunte immer noch und sah Dan fragend an.

„Ja, sind wir denn hier in China?“ fragte er verdattert. „Oder etwa auf dem Weg dahin?“

„Eher umgekehrt. Die Chinesen sind auf dem Weg nach Südamerika.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, beugte sich Dan über die Segeltuchverkleidung und winkte Hasard zu.

„Drei chinesische Kampfdschunken, Sir!“ rief er. „Sie sind von vorn bis achtern armiert.“

An Deck standen die Arwenacks noch ziemlich dösig herum und starrten zu Dan und Jeff hoch. Einige grinsten ganz offen, als hielten sie die Meldung für einen Scherz.

Ähnlich erging es auch dem Profos, der kopfschüttelnd hochsah und die Fäuste in die Seiten stemmte – seine Drohpose.

„Hat die Welt je einen solchen Zimt gehört?“ knurrte er. „Ich kann dir nur empfehlen, Mister O’Flynn, ab und zu deine Klüsen zu waschen, sonst …“

Der Profos zuckte zusammen, als Hasard ihn streifte. Mit ein paar langen Sätzen war er am Mast und enterte blitzschnell auf.

„Hm, scheint doch was dran zu sein“, murmelte Ed. „Aber was haben denn diese gelben Rübenlümmel hier zu suchen?“

Hasard griff nach dem Kieker und nahm die drei Schiffe ins Visier. Als er hindurchblickte, war sein Gesicht ernst.

„Kein Zweifel“, sagte er, „es handelt sich tatsächlich um chinesische Kampfdschunken. Die Frage erübrigt sich wohl, was sie hier suchen – jedenfalls sind sie da. Sie scheinen allerdings auf die Küste zuzuhalten, denn sie laufen nordöstlichen Kurs.“

Aus dem Mars schrie er zu Ribault das hinüber, was sich deutlich im Spektiv gezeigt hatte. Auf der „San Lorenzo“ hatte man allerdings erkannt, was das für Schiffe waren.

Hasard wollte gerade abentern, da griff Dan nach seinem Arm.

„Sie ändern den Kurs. Offenbar haben sie uns jetzt ebenfalls gesehen. Sieht aus, als wollen die sich in unser Kielwasser hängen.“

„Verdammt, auch das noch“, sagte Hasard grimmig. „Mit Spaniern habe ich ja eventuell gerechnet, aber mit Chinesen ganz sicher nicht. Gib mir noch einmal das Spektiv, vielleicht sind es gar keine Chinesen, sondern anderes Piratengesindel mit chinesischen Schiffen.“

Es waren Chinesen, das erkannte der Seewolf ganz eindeutig an den Zöpfen, welche die Kerle trugen. Und die Zopfmänner waren ihm nicht gerade in allerbester Erinnerung. Mit denen hatten sie sich schon einmal eine Menge Ärger eingehandelt, auch wenn es lange zurücklag.

Sie hatten ihren Kurs jetzt geändert und segelten hinter der „Estrella“ und der „San Lorenzo“ her.

„Sie segeln leider etwas schneller als wir“, sagte er, „und sie sind auch sehr emsig beschäftigt.“

„Ja, an den Kanonen“, sagte Dan, „das sehe ich auch ohne Kieker. Und sie tragen Zöpfe und haben quittengelbe Visagen. Sie werden uns ganz sicher keinen Höflichkeitsbesuch abstatten.“

„Wie nett du das sagst. Räumt den Mars, wir machen sofort gefechtsklar.“

„Wirklich und wahrhaftig Zopfmänner?“ fragte Carberry. „Die haben bei mir noch eine Rechnung offen. Die Halunken haben mich mal im Land des Großen Chan an ein Faß mit Schießpulver gebunden und die Lunte gezündet. Wenn die Rübenschweine …“

„Jaja“, sagte Dan, „du hast es glücklicherweise überlebt. Aber jetzt machen wir erst gefechtsklar, denn wenn wir hier noch lange palavern, sind sie inzwischen auf gesegelt.“

Klarschiff zum Gefecht begann. Auch auf der „San Lorenzo“ herrschte jetzt emsige Hektik.

Hasard dachte flüchtig an Siri-Tong – die hätte er jetzt gern an Bord gehabt, denn die verstand sich auf chinesische „Rübenlümmel“.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 449

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