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1. Mai 1594, vormittags.

Über der Karibischen See ging groß und gewaltig das Flammenrad der Sonne auf. Scheinbar schwerelos tauchte der riesige Ball aus dem Wasser und stieg unmerklich höher.

Es versprach, ein heißer Tag zu werden.

Zwei Schiffe schienen genau in den sengenden Ofen hineinzusegeln. Das eine war die „Pommern“ unter Philip Hasard Killigrew, die Perlengaleone, die einst „Santa Clara“ hieß und vom Bund der Korsaren den Dons abgenommen worden war. Sie war umgebaut worden, so daß die Spanier ihr einstiges Schiffchen nicht mehr identifizieren konnten.

Das zweite Schiff wirkte ganz anders als die Galeone.

Es war ein düsterer, fast schwarzer Zweidecker mit starker Armierung. Als ihn jetzt die Sonne grell beschien, wirkte die „Caribian Queen“ fast noch unheimlicher. Auch sie hatte den Besitzer gewechselt und gehörte noch vor kurzem der Black Queen und ihrem Geliebten Caligula.

Jetzt, nach dem letzten Raid auf die Queen, gehörte sie dem Bund der Korsaren und unterstand dem Kommando von Dan O’Flynn. Auf ihr befanden sich auch Ferris Tucker, der Profos Edwin Carberry, Hasard junior, ein paar weitere Seewölfe und ein paar Männer von der „Wappen von Kolberg“.

Mit sechzehn Mann an Bord war sie genauso unterbemannt wie die Galeone „Pommern“. Was den Seewölfen jedoch an Hands fehlte, verstanden sie durch Können, harten Einsatz und Geschicklichkeit auszugleichen.

Der Wind wehte nur mäßig aus Nordost bei leichter langrollender Dünung.

Ihr Ziel war die Schlangen-Insel, um die Beute – in diesem Fall die „Caribian Queen“ – einzubringen und dem Bund der Korsaren zu überstellen, denn der Zweidecker war robust und stabil gebaut und konnte die Flotte tatkräftig unterstützen.

Hasard und Dan O’Flynn liefen hart unter der Küste von Kuba, um Höhe zu haben, wenn sie nach Passieren der Windward-Passage die nordöstlicher gelegenen Caicos-Inseln ansteuerten. Drehte der Wind dann nicht und blies immer noch aus Nordost, würden sie aufkreuzen müssen. Aber bis dahin blieb noch viel Zeit, denn die Küste zog sich endlos in die Länge.

Hier, im Osten Kubas, trat der Gebirgscharakter der Insel am deutlichsten hervor. Es gab nur drei gebirgige Stellen, aber dort, wo sich die Sierra Maestra erhob, wuchtete auch der höchste Berg der Insel empor – der Pico Turquino mit einer Höhe von zweitausendzweihundert Yards.

Hasard blinzelte in die grelle Sonne. Die Strahlen tanzten grell über die Sierra Maestra, die zum Meer hin in einer Bruchstufe steil abfiel.

Das Lichterspiel wurde immer bizarrer. Einige der Kettengebirge waren in hellen Sonnenschein gebadet, während andere düster und drohend und fast schwarz in den Himmel ragten. Der Pico Turquino trug eine grell flimmernde Lichthaube. Es sah aus, als würde der Gipfel in heller Glut brennen.

Unterbrochen wurden die parallel zum Meer verlaufenden Gebirgszüge nur hin und wieder durch einen schmalen Streifen Strand, ein paar Palmen oder durch tiefe Einschnitte. Mitunter sah man wie in eine gewaltige Höhle hinein. Dahinter verbargen sich geschützte kleine oder größere Buchten mit gefährlichen Kliffs und Untiefen.

Hasard warf einen Blick achteraus und nickte Shane zu, der mit beiden Händen durch seinen mächtigen grauen Bart strich.

„Dan segelt den Zweidecker hervorragend“, sagte er. „Man könnte glauben, er wäre schon jahrelang mit dem Ding vertraut. Dabei sind sie nur sechzehn Mann.“

„Die Black Queen hätte ihre Freude daran“, erwiderte Shane grinsend. „Jetzt gehört der Eimer uns, und es hat sich ausgequeent.“

Auch er warf einen Blick achteraus zum Zweidecker, der an Backbord leicht versetzt nachsegelte. Drüben hob der Profos Edwin Carberry die Arme und grinste ebenfalls. Auch Dan O’Flynn schickte winkend einen Gruß herüber. Sein Gesicht sah noch ein wenig lädiert aus, als sei er in ein Nadelkissen gefallen. Das war der Rest der Spuren einer weiblichen Hand, deren Krallen ihm durchs Gesicht gefahren waren, als sie zwei Kapitänen halfen, eine Meuterei zu beenden. Eine regelrechte Furie hatte sich dabei auf Dan gestürzt.

Der Zweidecker mit seiner starken Armierung war wirklich eine prächtige Beute. Das Schiff hatte ihnen unter der Black Queen schon oft genug zugesetzt und manchen Ärger bereitet. Das gehörte jetzt der Vergangenheit an. Es sollte auf die Schlangen-Insel gebracht und dort von Hesekiel Ramsgate überholt werden.

Der Pico Turquino sah jetzt von ferne aus, als würde sein Kegel in sattem Rot brennen.

„Wie der Feuerthron der Vulkangötter“, sagte Philip junior, dessen Zwillingsbruder auf dem Zweidecker fuhr. „Bloß dürfte selbst der Vulkangott da einen ziemlichen heißen Hintern kriegen“, schloß er seine lauten Überlegungen ab. „Nähern wir uns jetzt nicht der Reede von Santiago de Cuba?“ fragte er gleich darauf seinen Vater.

„Ganz recht“, sagte Hasard. „Das war über dreißig Jahre lang die Hauptstadt von Kuba. Die Dons haben sie vor genau achtzig Jahren gegründet. In der großen Kathedrale befindet sich auch das Grab von Diego Velázquez, der Kuba für Spanien eroberte.“

„Seitdem haben die Dons ziemlich viel Mist gebaut“, sagte Philip schnoddrig.

„Das kann man wohl sagen“, meinte Big Old Shane und begann leise zu lachen. „Und das wird immer noch schlimmer. Aber das ist uns ja zur Genüge bekannt.“

„Dann ist es nur recht, daß wir ihnen hin und wieder mal was aufs Maul hauen“, meinte Philip selbstbewußt.

Shane wies mit der Hand voraus, wo das Gebirge sich absenkte und zwischen zwei riesigen Hängen gleich der Hafen von Santiago de Cuba auftauchen mußte.

„Wir sollten vorsichtshalber etwas abfallen“, sagte er, „sonst segeln wir den Dons zu dicht über die Reede. Da sie bekanntlich neugierig sind, könnten sie sich für uns interessieren.“

„Dadurch verlieren wir zuviel Höhe“, sagte Hasard, „später müßten wir mühsam aufkreuzen, und das alles kostet Zeit. Bis die uns richtig bemerkt haben, sind wir längst weiter.“

„War nur ein Vorschlag, Sir“, murmelte Shane, „aber durch die Höhle des Löwen zu segeln, ist tatsächlich unauffälliger.“

Eine knappe Viertelstunde später waren zwei Ölmühlen zu erkennen, dann tauchte die Kirche San Francisco auf. Die Hafenkastelle rückten näher heran, und die von Hasard erwähnte Kathedrale mit dem Grab des spanischen Eroberers war ebenfalls zu sehen.

Im Hafen herrschte reger Verkehr. An den Piers wurden Schaluppen entladen, Boote fuhren hin und her, zwei Schaluppen näherten sich gerade der Reede.

Hasard pfiff leise durch die Zähne, als er die Ansammlung sah. Auf der Reede lagen sechs dickbäuchige Frachtgaleonen vor Anker, beladen bis an die Halskrause.

Diese sechs schwerbeladenen Galeonen waren am Vortag aus Spanien eingetroffen und hatten den Auftrag, hier ihre Ladung zu löschen.

Die Ladung bestand aus Kriegsmaterial der spanischen Flotte, das von Santiago de Cuba aus an die verschiedensten Stützpunkte der spanischen Marine verteilt werden sollte, vornehmlich nach Cartagena, wo sich einer der Hauptstützpunkte der Spanier befand.

Das Flottenkommando in Spanien hatte Order gegeben, daß die einzelnen Kriegsschiffseinheiten in der Neuen Welt die für sie bestimmten Ladungen in Santiago de Cuba selbst abholen sollten. Das erleichterte das Verteilungsverfahren beträchtlich, und so waren jetzt bereits Schaluppen und schnelle Boote unterwegs, um die Order an die Stützpunkte weiterzugeben.

Inzwischen wurde auf der Reede gelöscht, und eine Schaluppe nach der anderen kehrte beladen zum Hafen zurück. Das alles dauerte recht lange und ging fast schwerfällig vor sich, denn die Dons rissen sich kein Bein bei der Arbeit aus. Sie hatten Zeit, denn es würde eine beträchtliche Weile dauern, bis die Stützpunkte informiert waren.

Hasard griff zum Spektiv und warf einen langen Blick hindurch. Was er sah, stimmte ihn sehr nachdenklich. Er konnte sich ungefähr zusammenreimen, was da geschah.

Gerade wurde ein schweres Kanonenrohr in eine Schaluppe abgefiert. Das ging mit Geschrei und Gebrüll vor sich. Viele Hände packten zu, um das schwere Monstrum in die Schaluppe zu dirigieren. Dann wurde die Kanone langsam abgefiert, und die Schaluppe krängte über, als sie die schwere Last aufnahm.

Hasard schwenkte den Kieker zur nächsten Galeone. Dort wurde ein kleineres Boot mit Eisenkugeln beladen, die in Racks steckten. Ein Rack nach dem anderen mit pyramidenförmig aufgeschichteten Kanonenkugeln verließ den Bauch der Galeone und wanderte in das Boot.

Auf der dritten Galeone wurden Fässer abgefiert. Hasard brauchte nicht herumzurätseln, was die Fässer enthielten. Sie waren bis an den Rand mit Schießpulver gefüllt. Zu dem Artilleriegut, das dort verladen wurde, gehörten auch Lunten, Wischer, Kratzer, Ansetzer und Pulverschaufeln.

Es war eine unvorstellbare Menge Kriegsgut, das hier aus Spanien eingetroffen war, um die Macht der Dons weiter zu stärken.

Hasard setzte das Spektiv ab, denn jetzt konnte man die Arbeiten mit dem bloßen Auge erkennen.

Er sah, daß auch die Männer aus Kolberg, die gemischt zwischen den Seewölfen verteilt waren, aufmerksam zur Reede blickten.

Big Old Shane starrte düster zu den sechs Galeonen. Seinem Blick war anzusehen, was er dachte.

„Der Satan soll die Kerle holen“, brummte er. „Diese Ladung festigt die Macht der Dons noch mehr. Mit Hilfe des Kriegsmaterials werden sie immer mächtiger und aggressiver. Hörst du mir überhaupt zu, Sir?“

Hasard hatte nur mit halbem Ohr zugehört, aber jetzt schrak er auf. In seinen Augen lag ein eigentümlich kalter Glanz, der Shane an das blauweiße Eis der Gletscher erinnerte.

„Ja, ich höre dir zu, Shane“, sagte er leise, „ich dachte auch eben so ähnlich. Was diese sechs Galeonen in ihren Räumen haben, bedeutet Tod und Vernichtung, Unterdrückung und Sklaverei. Es wird ihnen helfen, sich noch weiter auszubreiten. Aber da ist noch etwas anderes, an das ich gerade dachte. Eines Tages wird man einen Teil dieser Waffen auch gegen uns einsetzen. Es kann sein, daß dort bereits für einige von uns der Tod in den Rohren lauert.“

Shane sah den Seewolf aufmerksam an.

„Hast du etwas vor? Immer wenn du diesen Blick drauf hast, dann braut sich etwas zusammen.“

Hasard gab keine Antwort. Er blickte über die Reede zum Hafen und sah sich die anderen Schiffe an. Dort lagen nicht nur Handelsfahrer, sondern auch Kriegs-Karavellen und zwei schwer armierte Kriegs-Galeonen.

Jetzt erhielten auch sie Nachschub an Pulver, Kugeln und Kanonen.

Eines Tages, überlegte er, würden die Dons die Schlangen-Insel entdecken, und dann würden sie erbarmungslos alles das vernichten und zerstören, was sich die Seewölfe in jahrelanger mühseliger Arbeit aufgebaut hatten. Sie würden mit einer Armada aufmarschieren, und von der Insel und ihren Bewohnern würden nur noch die Felsen übrigbleiben.

Als er immer noch auf Shanes Frage keine Antwort gab, dachte sich der Ex-Schmied von Arwenack seinen Teil.

Fast alle blickten zu den Galeonen und dem bunten Treiben auf Reede, und jeder von ihnen hatte einen gewissen scheelen Blick drauf, als sie die ungeheuren Mengen an Kriegsmaterial sahen. Und das war nur ein kleiner Teil dessen, was noch alles in den Laderäumen verborgen war.

Luke Morgan, der Hitzkopf unter den Seewölfen, sprach das aus, was auch die meisten anderen dachten.

„Jetzt müßte auf den Pulverkähnen ein kleines Feuerchen ausbrechen. Stellt euch nur vor, wenn ein einziger Kahn in die Luft fliegt. Das ist wie eine ansteckende Krankheit, dann kriegen die anderen auch die Pest, und die Dons würden dämlich in die Gegend glotzen.“

„Falls sie dann noch glotzen können“, sagte Stenmark einschränkend. „Die ehrenwerten Dons wären wohl etwas geblendet. Aber sie hätten ein paar hundert Tonnen Munition weniger.“

Sie wollten gerade ausgiebig ihrer Phantasie freien Lauf lassen, als aus dem Ausguck gewahrschaut wurde.

„Schaluppe nimmt Kurs auf uns!“ rief ein dunkelblonder Kolberger.

„Jetzt werden sie mißtrauisch“, sagte Shane. „Sicher wollen sie wissen, was wir hier zu suchen haben.“

Die Dons waren auch mißtrauisch, denn beide Schiffe, die „Pommern“ und die „Caribian Queen“ hatten keine Flagge gesetzt.

Es war unverkennbar, daß die Schaluppe Kurs auf sie nahm. Sie segelte rasch aus dem Hafen, brauste an den auf Reede liegenden Galeonen vorbei und jagte heran.

„Kurs halten, Sir?“ fragte Pete Ballie.

Hasard ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Wir bleiben auf Kurs“, sagte er. „Sicher ist das wieder so ein Wichtigtuer, der glaubt, die Welt gehöre ihm allein.“

Er griff wieder zum Spektiv und sah sich die Schaluppe an. Dann nickte er bestätigend.

„Ein Capitán der Marine“, sagte er. „Ein überheblicher und geschniegelter Stiesel, wie ich schon dachte. Das Kerlchen scheint ganz aufgeregt zu sein, daß wir es wagen, hier die Gewässer zu durchsegeln.“

Das mit dem geschniegelten Stiesel war keinesfalls übertrieben. Hasard wußte Gesichter und Mimik zu deuten.

Als die Schaluppe näher heransegelte, konnten sie neben den Seesoldaten den Capitán deutlich erkennen. Er war aufgedonnert, als wollte er zu einem Ball gehen. Sein Rüschenhemd war blütenweiß, die übrige Uniform offenbar ganz neu. Aber sein Gesicht war arrogant. Er wirkte schon von weitem hochnäsig und eingebildet. Die Soldaten hatten unter seinem Kommando sicher nicht viel zu lachen, man sah es an ihren mürrischen Gesichtern. Steif wie die Stockfische standen sie herum.

Der Stiesel mochte so an die dreißig Jahre alt sein, und nahm sich sehr wichtig. Er wölbte bereits drohend die Brust vor, um mit dieser Drohgebärde die Seewölfe einzuschüchtern. Bei den Dons klappte diese Geste immer, aber hier grinste man nur abwartend.

„Jetzt pumpt das Kerlchen sich auf“, sagte Shane. „Hoffentlich platzt er dabei nicht.“

Als die herkulische Aufblasgebärde ihre Wirkung verfehlte, lief der Capitán etwas rötlich an. Vermutlich nahm er an, die Kerle auf den beiden Schiffen würden sich jetzt ängstlich ducken. Doch die grinsten immer noch etwas milde, weil sie ihn offenbar nicht ganz für voll nahmen.

Mit Braßfahrt rauschte die Schaluppe heran, schlug einen Bogen und segelte parallel zur „Pommern“ her. Der Abstand betrug jetzt noch etwa zehn Yards.

Einen Gruß, wie er sonst üblich war, hielt der spanische Capitán wohl für überflüssig. Hasard verzichtete daher auch auf warme Worte. Er sagte überhaupt nichts, sondern blickte den Capitán nur einmal flüchtig an, was den bis zur Weißglut reizte.

„Ihr da!“ brüllte er. „Ihr habt keine Flagge gesetzt! Wie heißen die Schiffe, welcher Nationalität gehört ihr an? Ich will eine Antwort haben, sonst lasse ich euch aufbringen. Wer sind Sie?“ brüllte er noch lauter und sah Hasard dabei an.

Solche geschniegelten und anmaßenden Kerle gingen Hasard stets runter wie ranziges Öl. Der Blick seiner Augen wurde noch eisiger.

Der Capitán holte tief Luft. Aus funkelnden Augen blickte er nach oben zum Achterdeck.

„Woher und wohin des Wegs?“ rief er. „Wer sind Sie?“

Daß dieser schwarzhaarige Riese nicht kuschte und in sich zusammenkroch, erboste ihn immer mehr. Er fuchtelte aufgeregt mit den Armen.

Hasard brüllte im gleichen Tonfall zurück: „Ich bin der Radschah von Kalikut! Von Indien segelnd auf Pilgerfahrt zur Audienz Papst Clemens des Dritten nach Italien!“

Die Antwort verblüffte die Seesoldaten, den Capitán regte sie jedoch so auf, daß er zornig einen Schritt vorsprang und in seiner Aufregung fast über Bord fiel. Erst ganz dicht vor dem niedrigen Schanzkleid fing er sich, wobei er wild mit den Armen ruderte.

Die anderen waren jetzt noch mehr am Grinsen. Luke Morgan feixte niederträchtig, griff mit beiden Händen nach seinen Ohren und zog sie so vom Schädel ab, daß sie wie zwei Topflappen wirkten. Dazu streckte er die Zunge raus und brüllte: „Uäääähhhh!“

Der Capitán war drauf und dran, seine Autorität bei den Seesoldaten einzubüßen. Dieses Pack nahm ihn nicht für voll, denen mußte wohl erst eine harte Lektion erteilt werden, damit sie begriffen, wer hier zu befehlen und wer zu gehorchen hatte.

Sein Gesicht war jetzt knallrot. Er war so empört, daß er sich kaum beherrschen konnte.

„Drehen Sie bei!“ schrie er unbeherrscht. „Stoppen Sie! Beide Schiffe werden untersucht. Das ist ein Befehl!“

Der Befehl schien die Kerle noch mehr zu erheitern. Sie begannen schallend zu lachen und kriegten sich nicht mehr. Auch der schwarzhaarige Kerl auf dem Achterdeck lachte. Aber es war ein verächtliches Lachen, das hörte der Capitán deutlich heraus. Dann winkte er mit der Hand ab und segelte weiter, als sei nichts geschehen.

Fassungslos vor Wut brüllte der Capitán weitere Befehle. Die Schaluppe drehte leicht ab und hielt jetzt Kurs auf den düsteren Zweidecker, der im Kielwasser der Galeone segelte.

Für den Profos Edwin Carberry war die Szene erheiternd. Auch auf der „Caribian Queen“ grinsten die Kerle unverschämt und schienen sich prächtig zu amüsieren.

„Seht euch dieses aufgeblasene Rübenschwein an“, sagte der Profos. „Das Würstchen will hier befehlen. Dem sollte man mal gründlich die Haut in Streifen von seinem Affenarsch abziehen.“

„Genau!“ brüllten die Kolberger und Arwenacks.

Die Seewölfe kannten Eds Lieblingsspruch zur Genüge, die Kolberger dagegen hörten ihn nur sehr selten, und so begrüßten sie lautstark und freudig des Profos honorigen Vorschlag.

Interessiert wurde die heransegelnde Schaluppe mit dem aufgebraßten und erbosten Capitán gemustert.

In Dan O’Flynn kochte es bereits, weil sich der Kerl in überheblichem Ton anmaßte, die Schiffe zu untersuchen. Woher nahm er eigentlich das Recht, friedliche Handelsfahrer zu stoppen?

Jetzt segelte die Schaluppe noch näher heran. Der Kerl an der Ruderpinne erhielt von dem Capitán alle Augenblicke laut gebrüllte Befehle, wie er gefälligst zu segeln habe.

„Das sieht aus, als habe er die Absicht, bei uns an Bord zu klettern“, sagte Dan zu Ferris Tucker. „Der ist wohl nicht mehr normal, der Spinner.“

„Die Absicht hat er zweifellos, Dan. Der Kerl kocht vor Zorn. Der kriegt es fertig und versucht, den Grinsern eine Lektion zu erteilen.“

„Drehen Sie bei und stoppen Sie sofort!“ schrie der Don wieder.

Er hob die Faust und drohte Dan O’Flynn mit wütender Geste.

„Aus dem Kurs!“ rief Dan auf Spanisch zurück. „Ich fordere Wegerecht. Wir wollen ebenfalls zur Audienz zum Papst nach Italien.“

Den Capitán warf diese neuerliche Ungebührlichkeit fast um. Zu allem Überfluß grinsten und lachten sich die Kerle krank. Sie veralberten ihn, um es ganz klar auszudrücken, und sie veralberten ihn derart, daß er vor Zorn kaum noch Luft kriegte.

Er ließ die Schaluppe stur Kurs halten, wobei eine Ramming unvermeidbar schien. Mit krebsrotem Gesicht blickte er nach oben. Er mußte mächtig den Hals recken, um von der kleinen Schaluppe aus das Achterdeck einsehen zu können.

Der Kutscher trat grinsend aus der Kombüse. In den Händen hielt er den morgendlichen Abfallkübel, der schön matschig gefüllt war. Er sah Carberry an und plinkerte ihm zu. Die Augen des Profos nahmen einen fast überirdischen Glanz an, und er nickte begeistert.

Der Kutscher trat zum Schanzkleid, hob den Kübel und leerte ihn aus, wie er das jeden Morgen tat.

Als er den Kübel leerte, setzte er ein erschrockenes Gesicht auf, als hätte er die Schaluppe gerade jetzt erst entdeckt. Fast entsetzt blickte er hinunter.

Da war jetzt die Hölle los. Carberry stand am Schanzkleid und wimmerte erstickt, denn das Bild, das sich den Arwenacks und Kolbergern bot, war von einmaliger Pracht.

Die Masse aus Dreck, Matsch, Gemüseresten, Knochen und Sudbrühe klatschte dem geschniegelten Capitán voll auf den Schädel. Es gab ein lautes Platschen, und unter dem Gewicht der Abfälle ging der Capitán erst einmal hart in die Knie. Der Matsch erstickte sein Gebrüll und Geschrei zu einem dumpfen hilflosen Gurgeln.

Die Seesoldaten sprangen entsetzt zur Seite, um von dem unerhofften Segen nichts abzukriegen, doch der Matsch verteilte sich nach allen Seiten, und so war es kein Wunder, daß sie sich heftig die Augen rieben und die Nasen zuhielten. Der Matsch roch auch nicht gerade lieblich.

Den Capitán hatte es jedoch voll erwischt. Er stand in einer Schmiere aus allem möglichen Zeug, bekleckert von oben bis unten. Seine Uniform sah aus, als sei er soeben einer Suhle entstiegen. Auf seinem Schädel hing einsam ein zerfranstes Kohlblatt. Sein Kupferhelm lag in der Suppe an Deck. Das Prunkstück auf seiner linken Schulter war ein sauber abgenagter Knochen, der jetzt polternd zu Boden fiel.

„Oh, Verzeihung“, sagte der Kutscher, „ich wußte nicht, daß wir freundlicherweise eskortiert werden. Na, nichts für ungut, Señores, man kann ja nicht alles wissen.“

Die Seesoldaten standen wie erstarrt da, während der Capitán laut fluchend damit beschäftigt war, aus der Schmiere zu treten. Aber die hatte ihre Tücken und sich längst als matschige Pampe weiter auf dem Deck verteilt.

In dem Bemühen, wieder einen klaren Blick zu kriegen, glitt der Capitán aus, griff haltsuchend um sich und erwischte den Kerl an der Pinne, den er mit einem harten Ruck auf die Planken riß. Der Rudergänger schrie Zeter und Mordio, versuchte wieder aufzustehen, trat dabei dem fluchenden Capitán auf die Hände und wurde erneut umgerissen, als er sich gerade halb aufgerichtet hatte.

Ein Bild für die Götter war das, und natürlich wurde dieser Anblick sowohl von der „Caribian Queen“ als auch von den Kerlen der „Pommern“ begeistert genossen.

Als der Capitán endlich wieder armerudernd auf den Beinen stand, war es mit seiner Autorität endgültig vorbei. Zudem lief das Schiffchen durch den Ausfall seines Rudergängers aus dem Kurs und donnerte mit wüstem Gepolter an die eisenharte Bordwand des Zweideckers. Ein paar Seesoldaten, die steif wie Ladestöcke herumstanden, riß der harte Anprall von den Beinen.

Auch der Capitán landete wieder hart auf den Planken, weil er immer noch damit beschäftigt war, sich die Augen sauber zu reiben. Er war kein Mensch mehr in diesem Augenblick, er war nur noch ein vor Zorn brüllendes entstelltes Untier, das mörderische Schreie von sich gab und dem die Brühe vom Schädel ständig in den Kragen des vormals blütenweißen Rüschenhemdes rann.

Das Rüschenhemd war wohl nicht mehr zu retten, wie der Profos ganz sachlich und fachkundig feststellte. Aber der ehrenwerte Capitán würde nach einer entsprechenden Reinigung vermutlich wieder ganz manierlich aussehen, tönte er herum.

„Schnappt euch die Pützen“, preite er die lachenden Kerle an. „Wir wollen diese Stockfische mal etwas wässern, was, wie?“

Die Schaluppe schurrte an der Bordwand weiter, trieb zwei Yards ab und donnerte wieder heran wie ein grantiger Ziegenbock, der unbedingt mit den Hörnern stoßen möchte.

Arwenacks und Kolberger schnappten sich die Pützen, hievten sie an Deck und leerten sie wieder nach unten aus. Sie alle waren mit Feuereifer bei der Sache, um den Señor Capitán wieder auf Hochglanz zu bringen. Sehr erfreut schien er nicht darüber zu sein, denn das laufend von oben nachgegossene Seewasser verteilte den Matsch nur noch mehr auf den Planken, und so blieb es nicht aus, daß sich einige der Kerle wieder unsanft auf den Planken wiederfanden.

Carberry goß dem jetzt todbleichen Capitán machtvoll die nächste Pütz Seewasser aufs Haupt. Sie donnerte mit solcher Wucht heran, daß es den Capitán zwei Schritte zurücktrieb. Erneut war er sekundenlang blind und griff um sich, um nicht über Bord zu gehen.

Das war der Augenblick, in dem es der Rudergänger gerade geschafft hatte, wieder die Pinne zu erreichen. Diesmal kollidierte er mit dem Schädel seines Vorgesetzten und empfing einen Nasenstüber, an dem er fast erstickte.

Mit einem lauten Schrei taumelte er von der Pinne weg, beide Hände vor das Gesicht haltend. Keiner der anderen Kerle bequemte sich jedoch, das Verhängnis zu verhindern, indem er nach der Pinne griff. Sie waren wie gelähmt vor Schreck und Entsetzen, und sie wußten wohl auch nicht so recht, wie sie sich gegenüber ihrem dreckbesudelten Capitán verhalten sollten.

So nahm das Verhängnis seinen Lauf.

„Jetzt kracht’s“, sagte Ferris Tucker. „Jetzt nimmt er uns voll auf die Hörner. Himmel, Arsch und Kübelmatsch!“

Wie ein Rammbock donnerte die steuerlose Schaluppe heran. Eine leichte Dünung setzte sie gerade in diesem Augenblick tiefer in die Wellen, damit sie besser Anlauf nehmen konnte.

Die Seesoldaten brüllten, der Capitán hielt sich fest, und der Rudergänger irrte mit blutender Nase ziellos auf dem Deck herum.

Die „Caribian Queen“ hielt einen solchen Rammstoß unbeschadet aus, da knackten nicht mal ihre eisenharten Planken. Es gab nur eine recht dumpfe Erschütterung und zweimal hintereinander einen lauten Knall.

Aber die Schaluppe überstand das nicht ganz ohne Schäden.

Kaum war sie an die Bordwand gedonnert, da zersplitterte der Großbaum, die Gaffel ging zu Bruch, und das Großsegel zerfetzte mit einem häßlichen Geräusch.

Die eben noch in Braßfahrt befindliche Schaluppe wurde so jäh gestoppt, daß der herumirrende Rudergänger das Gleichgewicht verlor und mit Gebrüll über Bord ging. Im Wasser herumkrebsend, hielt er sich immer noch die Nase und nuschelte, man möge ihn, verdammt noch mal, sofort aus dem Bach ziehen, er könne nicht schwimmen.

Aber an Deck herrschte Wuhling, und dem Rudergänger blieb nichts anderes übrig, als noch eine Weile im Bach auszuharren. Trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen schwamm er ganz gut.

Unter dem Großsegel, das zerfetzt an Deck lag und in das der Wind hineinblies, krochen total entnervte Kerle hervor. Mit wüsten Worten befreiten sie sich von dem Tuch. Ein paar von ihnen rutschten erneut in der Schmiere aus und fluchten unbeherrscht, als die Schaluppe achteraus an dem Zweidecker vorbeitrieb.

„Ja – ja“, sagte der Kutscher tiefsinnig, „die Gelehrten nennen das den sogenannten koeffizienten Reibungseffekt, eine Zahl, die das Ausdehnungsvermögen eines Stoffes ausdrückt, in diesem Fall der Matsch aus dem Abfallkübel. Ich glaube, ein bißchen Schmierseife war auch noch in dem Kübel, was den Reibungseffekt unglaublich vergrößert. Er ist schon so manch einem zum Verhängnis geworden, wegen seiner Unberechenbarkeit. Noch besser geht das mit Knochenleim, Seife und Wasser. Da tanzen die ehrenwerten Dons stundenlang hausgemachten Flamenco.“

Die Kerle hieben sich auf die Schenkel und wollten sich krank lachen. Auch von der „Pommern“ drang brüllendes Gelächter herüber.

Der Profos lachte am lautesten. Er konnte sich kaum beruhigen.

„Das mit dem Klotz-Interessenten mußt du mir mal genauer verklaren“, sagte er zum Kutscher, der ihn unter gerunzelten Brauen ansah.

„Koeffizient heißt das“, sagte er mit Würde, „und nicht das, was du wieder verstanden hast. Wenn man beispielsweise die Planken wässert, Knochenleim und Schmierseife darüber verteilt, dann ist es ausgeschlossen, daß man sich auf den Beinen halten kann. Es sei denn, mit genagelten Stiefeln.“

„Haben wir so was an Bord?“ wollte der Profos wissen.

„Klar, zu jeder Zeit.“

„Hm, darüber sollte man mal nachdenken“, meinte Ed. „Wenn ein paar Schnapphähne entern wollen, sausen sie ab, was?“

„Wie durch Donegals Rutsche“, versicherte der Kutscher.

Sie blickten nach achtern und sahen Dan O’Flynn fröhlich winken. Die Dons waren mit ihrer beschädigten Schaluppe beschäftigt, und hatten gerade ihren Rudergänger aus dem Bach gezogen, der jetzt an Deck stand und wild gestikulierte. Der Capitán brüllte ihn an, die Soldaten brüllten ebenfalls. Dann brachten sie Riemen aus, denn an eine Reparatur war hier draußen nicht zu denken.

Die Arwenacks und Kolberger winkten den Dons fröhlich nach und bedachten sie mit geistreichen Sprüchen.

Langsam krebste die Schaluppe zum Hafen zurück. Der geschniegelte Stiesel hatte sich sehr zu seinem Nachteil entwickelt. Selbst aus der Ferne sah er immer noch sehr jämmerlich aus.

„Seine Vorgesetzten werden ihn sicher gebührend bestaunen“, sagte Dan, „und sich über seine Aufmachung wundern. Aber ein toller Spaß war das schon, gerade wegen des Abfallkübels. Ohne den Kutscher hätten die arroganten Kerle nie so läppisch ausgesehen.“

Auch Renke Eggens, der neben Dan auf dem Achterdeck stand, konnte sich lange nicht beruhigen.

„Bei euch geht das mit Witz und Humor über die Bühne“, sagte er anerkennend, „das hat mir eine Menge Spaß bereitet und hätte auch Arne köstlich amüsiert.“

Dan wies zur Reede.

„Die Kerle da drüben sind wie erstarrt. Die haben natürlich alles mitgekriegt.“

Auf den Galeonen und Schaluppen war die Arbeit unterbrochen worden.

Die Dons standen tatsächlich wie leblose Marionetten herum. Das seltsame Schauspiel war keinem entgangen.

Es kam erst wieder Bewegung in die Spanier, als die lädierte Schaluppe an ihnen vorbeigepullt wurde und Kurs auf den Hafen nahm. Diesmal sahen die Dons entgeistert den beiden davonsegelnden Schiffen nach.

Dan O’Flynn griff zum Kieker und beobachtete eine Weile schweigend den Hafen. Die Kriegs-Karavellen und die größere Galeone entgingen auch ihm nicht. Die Schaluppe pullte geradewegs auf sie zu.

„Vielleicht gibt das noch ein kleines Tänzchen“, sagte er. „Aber das werden wir ja bald sehen.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 385

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