Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 376 - Fred McMason - Страница 6

2.

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Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang wurde die kleine Jolle mit Angeln, kleinen Köderfischen, Netzen und Keschern ausgerüstet. Sie nahmen auch ein paar Musketen und Pistolen mit. Mel Ferrow lud Proviant für zwei Tage sowie ein Wasserfäßchen ins Boot, weil er nicht genau wußte, ob es auf der Insel Trinkwasser gab.

Es war gerade dämmrig, aber schon sehr warm, als Mel sein Hemd auszog und sich an die Pinne der Jolle setzte.

Der Engländer mit den wasserhellen Augen zog sehr selten sein Hemd aus, denn sobald er das tat, blickte er jedesmal in entsetzte und fassungslose Gesichter.

Auch Grand Couteau und Roger Lutz, den beiden Franzosen, verging das erwartungsvolle Grinsen, obwohl sie die Narbe nicht zum ersten Male sahen. Sie sah fürchterlich aus.

Von der breitausladenden Schulter zog sich bis weit über den Rücken und einen Teil der Brust eine dunkelrote, mehrmals durch fast weiße Stellen unterbrochene Narbe hin. Die dunkleren Punkte, groß wie ein Daumen, und sehr tief, zeigten die Abdrücke der Zähne eines Haifisches, der einmal zugeschnappt hatte, dann aber von seinem Opfer gleichzeitig aufgeschlitzt worden war. Das war Mels letzte Reaktion mit dem fürchterlichen Hai gewesen. Er hatte ihm gerade noch das Entermesser durchziehen können, danach war er bewußtlos und aus zahlreichen Wunden blutend an die Oberfläche getrieben worden.

Wochenlang hatten sie ihn zusammengeflickt und nicht geglaubt, daß er überleben würde. Die Rippen waren auf der Narbenseite krachend gebrochen, die rasiermesserscharfen Zähne des Hais hatten ihm tiefe Furchen gegraben, und die Haut hatte er ebenfalls eingebüßt.

Aber Mel Ferrow, zäh wie hundert Katzen, überlebte.

Daß er für Haie seither nichts mehr übrig hatte, war verständlich. Er hatte geradezu einen regelrechten Haß auf die Biester entwickelt und kriegte beim Anblick eines Hais „Zustände“.

Das war jedesmal wie ein kleiner Schock, er verkrampfte sich, sah wieder deutlich die Szene vor seinem geistigen Auge und entspannte sich danach nur langsam. Wie viele Haie er seither getötet hatte, wußte er nicht, aber es waren sehr viele.

Roger setzte das Segel, Grand Couteau, der schwarzhaarige Franzose, der so flink mit dem Messer war und so explosiv wie Luke Morgan, löste die Leine.

Das Wasser über dem Höllenriff war in kräuselnder Bewegung. Deutlich war zu sehen, daß sich der Mahlstrom nach draußen in Bewegung setzte.

Als sie durch den domartigen Bogen segelten, ging die Sonne auf und warf Silberblitze aufs Meer. Der Tag begann, ein verrückter Tag, der ihnen noch viel Kummer bereiten sollte.

Sie freuten sich, mal ganz allein für ein oder zwei Tage auf einer der kleinen Inseln Krabben fangen und ungestört fischen zu können.

Mel prüfte die Angelleinen und sah nach den lebenden Ködern, die sie auf der Schlangen-Insel in der Bucht gefangen hatten. Es waren handlange Fische, auf die besonders gern Zackenbarsche losgingen. Die Angelleinen hatten als Vorlauf dünne Eisenketten, denn die riesigen Barsche veranstalteten wilde Wassertänzchen, wenn sie erst einmal am Haken hingen. Manche zerfetzten oder zerbissen dann die starken zähen Sehnen, aus denen die Leinen bestanden, und verschwanden wieder.

Die Vorlaufkette aber schafften sie nicht.

Der Wind blies handig. Jeder der drei Männer hing seinen Gedanken nach oder döste etwas vor sich hin.

Vier Stunden später sahen sie die Inselgruppe vor sich, die ihr Ziel war. Es war eine Gruppe winziger Eilande, die im nördlichen Bereich der Caicos-Inseln lagen. An der Ostseite, dem Atlantik zugekehrt, gab es Korallenriffe, die Westseiten der Inselchen waren schneeweiß, mit langen fast unberührten Stränden, von Kokospalmen bewachsen und mit üppiger tropischer Vegetation. Nordwestlich der Inselgruppe verlief die Caicos-Passage.

Weit und breit gab es keinen Menschen. Kein einziges Schiff war auf dem Meer zu sehen. Sie hatten das Gefühl, als wären sie die einzigen Menschen auf der Welt.

„Die dritte Insel ist es“, sagte Roger, „da laufen Tausende von den Viechern herum. Couteau und ich fangen die Krabben, und du gehst inzwischen angeln, Mel. Einverstanden?“

„Klar“, sagte Mel strahlend, „angeln ist meine Leidenschaft, und hier gibt es jede Menge Fische, auch Zackenbarsche.“

Das Inselchen mit dem weißen Strand und den Hainen voller Kokospalmen wurde angesteuert. Dann lief die Jolle leicht auf den Sand und die Körbe zum Einfangen der Krebse und Krabben wurden entladen.

„Da gibt es auch Trinkwasser“, sagte Roger, „hier kann man es schon eine Weile aushalten.“

Sie nahmen die Musketen und Pistolen aus der Jolle, ließen aber jeweils eine Waffe im Boot, ein paar Pulverflaschen und den Proviant, den sie glatt vergaßen. Sie sahen nur auf den Dickichtgürtel und zu jener Stelle, wo die hohen Palmen standen.

„Seht euch nur mal die Dwarsläufer an“, sagte Couteau staunend, „da hast du aber nicht übertrieben, Roger. Die brauchen wir nur noch in die Körbe zu scheuchen.“

Die Dwarsläufer, handtellergroße Krabben, krebsten dort wild durcheinander, wo es etwas zu fressen gab. Manchmal war es das Fleisch aufgeplatzter Kokosnüsse, mitunter waren es tote Fische, die das Meer an den Strand gespült hatte. Alles, was irgendwie freßbar war, stopften die Viecher in sich hinein. Es war eine pausenlose und ununterbrochene Fresserei. Ein paar scherenbewehrte Exemplare waren darunter, an denen sie ihre helle Freude hatten.

Couteau wollte nach einem greifen, doch der blieb stehen, hob kampfeslustig die Schere und ging zum Angriff über, als er die Hand dicht vor sich bemerkte. Dann zuckte die Schere vor und schnappte zu.

„Nicht mit mir, Freundchen“, sagte der Franzose lachend. Blitzschnell griff er mit der anderen Hand zu und hob den Dwarsläufer hoch.

Sie bestaunten ihn gründlich von allen Seiten. Es war ein prachtvolles Exemplar.

„Calaloo“, sagte Mel grinsend, „jede Menge, bis zum Erbrechen. Jetzt müßte es noch ein paar Inseln mit Tomaten, Knoblauch und Zwiebeln geben, alles schön dicht beisammen. Dann könnten wir gleich abkochen. Helft mir mal, die Jolle ins Wasser zu schieben. Ich kann es kaum erwarten, bis der erste Bursche am Haken hängt.“

Ein paar der Dwarsläufer flüchteten in Sandlöcher, ins Wasser oder unter das Grün des Dickichts, als die Tritte der Männer in ihren unmittelbaren Nähen erklangen und den Boden erschütterten. Andere ließen sich überhaupt nicht stören.

Sie schoben die Jolle ins Wasser und gaben ihr einen kräftigen Stoß. Langsam driftete sie ins Meer hinaus, und Mel Ferrow spießte erwartungsvoll seinen ersten Köder auf den Haken.

Das Fischchen zappelte noch und erweckte die Neugier anderer, die größer waren und auf leichte Beute lauerten. In der Nähe der kleinen Landzunge war das Wasser tief und klar. Mel konnte weit hinuntersehen. Tief unter ihm wuchsen ein paar Korallenstöcke, dann war wieder fast weißer Grund zu erkennen, und darüber jagten verzerrte Schatten.

Gleich darauf verspürte Mel den Ruck an der Angelschnur, ein Zerren, ein weiterer Ruck. Er schlug den Haken an und gab Lose, fierte die Leine ein bißchen und hielt sie wieder fest.

Dann begann er einzuholen, und bald darauf hatte er den ersten Zackenbarsch im Boot. Er war mittelgroß, ein prächtiger Fisch, der wild herumsprang. Ein Jagdhieb mit dem Knauf des Messers, und der Zackenbarsch hörte auf zu zappeln und zu leben.

Den zweiten fing er schon ein paar Minuten später. Diesmal war es ein Exemplar, das etwa soviel wog wie ein zehnjähriger Junge.

„Calaloo!“ brüllte Mel erfreut und warf einen Blick zum Strand, wo Roger und sein Freund den Dwarsläufern nachrannten und sie einfingen.

Ein paar von ihnen verließen auch schon wieder heimlich die Körbe und eilten mit ihrem merkwürdigen Gang ins Wasser. Aber Couteau fing sie schnell wieder ein und legte die Bastmatten darüber, die mit Steinen beschwert wurden.

Der vierte Zackenbarsch, etwas später folgte der fünfte. Mel Ferrow war selig. Das ließ sich prächtig an und versprach, ein voller Erfolg zu werden. Er fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr.

Da waren der leuchtende Strand, der blaue Himmel, das herrliche klare Wasser und die laue Brise, die sanft über seinen Körper strich.

Er beschloß spontan, eine Art „Krabben-Kurierdienst“ einzurichten und öfter mal hierher zu segeln, um für den notwendigen Nachschub zu sorgen.

Der sechste Zackenbarsch zappelte am Haken. Er war reichlich klein, zappelte und tobte aber stärker als die anderen. Mel gab noch etwas Leine nach. Im selben Augenblick gab es einen harten Ruck an der Leine, durchs Wasser jagte ein Schatten, in der Tiefe brodelte es, und die Leine wurde ihm fast aus den Händen gerissen.

Neugierig starrte der Engländer ins Wasser und zuckte zusammen.

Da war wieder das Ziehen im Magen, die Verkrampfung und sekundenlang panische Angst, die jedoch schnell verging.

Am Haken hing ein Hai, kein Zweifel, und den hatte der zappelnde Barsch angelockt. Der Hai hatte sich sein Opfer geschnappt, zugebissen in seiner furchtbaren Freßgier und den Zackenbarsch samt Haken verschluckt. Jetzt hing er selbst dran.

Die Verkrampfung war vorbei. Mel konnte wieder durchatmen, doch ihm blieb keine Zeit, sich den Hai anzusehen. Das fürchterliche Monster unter dem Boot begann jetzt zu toben, um sich von dem Haken und der Schnur zu befreien. Die Schnur hielt, den eisernen Vorlauf schaffte auch der wütende Riesenfisch nicht.

Und dann zog er los, daß Mel die Schnur durch die Hände glitt. Jetzt flammte in dem Engländer der alte Haß auf die Haie wieder auf. Sein Gesicht war leidenschaftlich gerötet. Der Hai sollte nicht mehr von der Leine gehen.

Es gelang ihm gerade noch im letzten Augenblick, ein paar Törns der Angelschnur um den vorderen Poller zu legen, bevor die Leine ganz ausrauschte und mitsamt dem Hai verschwand. Dann hielt er fest und wartete ab, wie der große Fisch sich weiter verhalten würde.

Der Hai zog los und zerrte die nicht gerade leichte Jolle hinter sich her. Mel sah seinen Schatten unter Wasser, der gut und gern seine zwei Yards maß. Vielleicht erschien er unter Wasser auch größer, als er war, oder es war umgekehrt. Das war Mel jedoch egal. Er hatte das mörderische Biest am Haken und ließ es ziehen. Einmal mußte es ja seine Kräfte erschöpfen.

Roger feuerte gerade eine besonders hartnäckige Riesenkrabbe in den Korb und drehte sich um.

Zu seiner Verblüffung sah er, daß die Jolle mächtig Fahrt aufnahm, obwohl kein Segel gesetzt war. Mel stand im Boot und hielt eine Leine. Er warf keinen einzigen Blick zurück.

„Was ist denn mit dem los?“ fragte Roger verdattert. „Da ist doch gar keine Strömung, und dennoch prescht die Jolle nach Norden ab.“

Grand Couteau starrte ebenso verblüfft auf die Jolle mit dem entschwindenden Mel Ferrow. Achtlos ließ er die Krabbe in den Sand fallen, die er gerade in den Korb werfen wollte.

„Der hat was am Haken“, sagte er fassungslos.

„Die Wassermänner schieben ihn bestimmt nicht“, murmelte Roger. „Aber die Zackenbarsche können doch keine Jolle …“

Er brach schluckend ab. Fassungslos blickten sie ins Wasser vor der Jolle. Dort schien es einmal kurz zu brodeln, dann schoß der tobende Hai aus dem Wasser, drehte sich halb und klatschte in sein Element mit Wucht und Getöse zurück. Die Dreiecksflosse schnitt sofort wieder unter, als das Biest auf Tiefe ging.

„Ein Hai – mein Gott“, sagte Roger. „Der hat tatsächlich einen Hai am Haken. Ausgerechnet er, der Haie so innig liebt.“

„Warum kappt der Kerl denn nicht die Leine?“ schrie Grand Couteau. „Der will hier wohl den Helden spielen?“

Er lief weiter zum Strand hinunter, gefolgt von Roger Lutz und legte beide Hände an den Mund. Dann brüllte er aus vollen Lungen: „Die Schnur, Mel! Kapp die verdammte Schnur!“

„Ja, weg damit!“ brüllte auch Roger. „Hau sie durch, Mel!“

Couteau raufte sich fast die Haare.

„Der sture Hund hört uns nicht einmal!“ schrie er. „Der reagiert überhaupt nicht.“

„Der will nicht hören“, sagte Roger, „denn jetzt ist er in seinem Element. Das große Hai-Fieber hat ihn wohl wieder gepackt. Für den ist das eine reine Leidenschaft, fast ein Vergnügen.“

Die Jolle zog weiter nach Norden, während Mel ihnen den Rücken zuwandte und an der Leine hantierte.

„Schießen“, sagte Couteau, „vielleicht hört er den Schuß, wenn wir mit Musketen ballern.“

„Der hört nicht mal Kanonendonner“, erwiderte Roger abwinkend. „Außerdem umkurvt er da drüben das kleine Inselchen.“

„Wir rufen trotzdem noch mal“, entschied Couteau.

Beide brüllten zusammen aus vollem Hals und sahen der Jolle nach, die sich in ziemlich rascher Fahrt auf das Inselchen zubewegte. Sie beschrieb einen kleinen Bogen.

Mel Ferrow reagierte überhaupt nicht. Mit wachen Sinnen starrte er konzentriert ins Wasser.

Die Jolle jagte, wie von Geistern getrieben, weiter durch das Wasser, führte den angeschnittenen Bogen sauber aus und umkurvte die kleine Insel im Norden, bis sie ihren Blicken entschwand.

Die beiden Franzosen setzten sich in den weißen Sand.

„Und jetzt?“ fragte Couteau. „Jetzt hängen wir hier rum. Und den Proviant hat er auch mitgenommen. Was jetzt?“

Roger Lutz streckte sich der Länge nach aus. Mit der Hand beschattete er die Augen, um im Norden etwas erkennen zu können. Die Jolle mit Mel war jedoch verschwunden.

„Da drüben gibt’s Wasser“, sagte Roger, „und ganz in der Nähe gibt’s Kokosnüsse. Und Krabben gibt’s auch. Wir werden schon nicht verhungern.“

„Deine Ruhe möchte ich haben“, knurrte Couteau. „Ist dir klar, daß wir hier mutterseelenallein auf der Insel sitzen?“

„Klar ist mir das klar. Ist doch ganz klar.“

„Und das stört dich nicht?“

„Soll ich vielleicht hinterherschwimmen? Vorerst stört es mich nicht. Und irgendwann wird Mel den Hai schon erwischen. So ein Vieh ermüdet auch einmal.“

„Das kann dauern.“

„Er wird schon zurückkehren“, sagte Roger zuversichtlich. „Was soll schon groß passieren?“

Noch waren sie sorglos, eher verblüfft als erschrocken, denn daß Mel samt Jolle mit einem Hai abhaute, war doch ein dickes Ding.

„Was tun wir jetzt?“ fragte Couteau bohrend.

„Wir könnten ja mal“, erwiderte Roger, „ein Krabben-Wettrennen veranstalten, bis Mel zurück ist. Wir suchen uns zwei schöne große Brummer und lassen sie wetzen. Das hört sich zwar ein bißchen verrückt an, vertreibt uns aber sicher die Zeit.“

Etwas später waren die beiden sehr ernsthaft damit beschäftigt, zwei große Krabben über den Strand zu jagen und zu scheuchen. Roger hatte den Krabben abgebrochene Palmwedel zwischen die kampflustig erhobenen Scheren gesteckt. Die Krabben sahen aus wie kleine Buschteufel, hielten die Wedel fest mit den Scheren gepackt und wurden zum Laufen animiert.

Den Krabben gefiel der Zeitvertreib nicht sonderlich. Sie rannten ständig aus dem Kurs, mal nach links, mal nach rechts oder schoben sich dwars davon.

„Ein Scheißspiel“, sagte Grand Couteau nach einer Weile. „Die rennen dauernd dwars.“

„Deswegen nennt man sie ja auch Dwarsläufer. Sehen wir uns also ein wenig das Inselchen an. Vielleicht graben wir einen Piratenschatz aus.“

„Bestimmt sogar“, erklärte Couteau sarkastisch.

Sie blickten immer wieder nach Norden, wo Mel verschwunden war, in der Hoffnung, ihn bald wieder auftauchen zu sehen. Doch sie sahen ihn nicht mehr. Es war, als hätte das Meer ihn verschluckt. Am Strand hockten die beiden großen Krabben mit den Wedeln in den Scheren. Es sah so aus, als glotzten sie ebenfalls nach Norden. Dann verschwand die eine Krabbe im Wasser. Den Wedel hielt sie dabei eisern umklammert.

Sie schauten sich die Insel an. Aber die war so winzig, daß es nicht viel zu entdecken gab, außer Palmen, Büschen und jeder Menge Krabben.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 376

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