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2.

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Der Marsch über die Insel ähnelte einem Spaziergang durch ein Märchenparadies. Es gab immer wieder Neuigkeiten zu entdecken.

Sie gingen durch eine Ansammlung von Kokoswäldern, in denen es lieblich duftete. Über der ganzen Insel lag der Geruch nach Vanille und anderen Gewürzen, eine Mischung, die sich nicht definieren ließ.

Ein drosselähnlicher Vogel mit wohlklingendem Gesang begleitete sie fast den ganzen Weg. Später verschwand er in einer Kokospalme, wo er sein Nest hatte. Von oben ertönte Gezwitscher herab.

Auf der Insel wuchsen eine Menge Früchte und Beeren. Manche waren allerdings unbekannt, so daß der Kutscher vor ihrem Verzehr warnte.

Sie fanden eine Quelle mit klarem sprudelndem Wasser. Das war ein willkommener Anlaß zur ersten Rast.

Später, in südlicher Richtung, stießen sie auf dichte Mangrovenwälder. Ganze Kolonien von weißlichen Tölpeln hockten regungslos auf den Zweigen. Die grauen Schnäbel hatten sie weit vorgereckt und starrten die Arwenacks aus ihren dunklen Augen vertrauensvoll und neugierig an, als würde ihnen niemand etwas zuleide tun. Sie sahen etwas dümmlich aus, was ihnen auch ihren Namen eingetragen hatte. Vielleicht aber zogen sie auch nur so dümmliche Gesichter, weil die Fregattvögel ihnen ständig die Fische abjagten.

Der Kutscher blieb dicht vor den Vögeln stehen, die sich so gut wie gar nicht rührten. Nur ihre Augen waren in Bewegung. Dann deutete er auf die Fregattvögel, die ebenfalls auf den Ästen der Mangroven dicht beieinanderhockten.

„Das nennt man Friedfertigkeit. Sie hocken in aller Eintracht nebeneinander, und doch gibt es jeden Tag Streit zwischen ihnen. Die Fregattvögel jagen den Tölpeln die Fische ab, es gibt ein bißchen Ärger, und danach sitzt man wieder friedlich zusammen.“

„Wie bei uns“, sagte Carberry anzüglich. „Da streiten wir uns, und später sitzen wir auch einträchtig beieinander. Jetzt wirft sich nur die Frage auf, wer sich für den Fregattvogel und wer für den Tölpel hält. Was meinst du, Kutscherlein?“

Der Kutscher hob indigniert die linke Augenbraue.

„Du gestattest sicherlich, daß ich aus Gründen der Höflichkeit auf eine Beantwortung dieser Frage vorerst verzichte.“

„Gestattet“, erlaubte der Profos großzügig. „Du würdest wohl auch nicht wagen, mich als – als – na, eben diesen letztgenannten Vogel zu bezeichnen. Die Umstände könnten es sonst erfordern, daß ich dir ein paar Zähne abjage.“

„Ich zähle dich eher zu den Sulidae, eine Familie gänsegroßer, starkschnäbeliger Ruderfüßer.“

„Dachte ich mir“, sagte Carberry zufrieden. „Diese Sulimans sehen mir schon wesentlich ähnlicher.“

„So ist es“, sagte der Kutscher würdevoll, wobei er schamhaft verschwieg, daß er statt Tölpel nur den lateinischen Namen genannt hatte.

Als sie das Mangrovenwäldchen passiert hatten, tauchten wieder Kokospalmen auf. Diesmal traf den Profos allerdings fast der Schlag.

Er blieb stehen, sperrte den Mund auf und stierte aus hervorquellenden Augen zu den Palmen hinüber.

„Das gibt’s nicht“, sagte er ächzend.

Der Kutscher grinste bis zu den Ohren. Auch die anderen begannen immer stärker zu grinsen, als sie die Palmen sahen.

„Doch, das gibt’s“, sagte der Kutscher ruhig. „Du hast doch Affenärsche gesucht, die auf Bäumen wachsen. Wer suchet, der findet.“

„Affenärsche, die auf Bäumen wachsen“, wiederholte Carberry tonlos und stierte immer noch auf die seltsamen Kokosnüsse, von einer Sorte, die er noch nie gesehen hatte.

Es war die Seekokospalme, an der die monströse Seychellen-Nuß hing. Sie ähnelte tatsächlich in verblüffender Weise einem riesigen Hinterteil, denn jeweils zwei Nüsse schienen zusammengewachsen zu sein.

An fast allen Seekokospalmen hingen diese Nüsse. Sie waren so schwer, daß sie fast einen halben Zentner wögen.

Angesichts dieses „Naturereignisses“ brandete lautes Gelächter auf. Jetzt hatte der Profos das, was er angeblich suchte, und was von ihm nur als schlechter Witz aufzufassen war. Affenärsche auf Bäumen!

„Das gibt’s doch gar nicht“, wiederholte er fassungslos.

Die anderen, die seinen Spruch an Bord ebenfalls gehört hatten, begannen jetzt noch lauter zu lachen. Durch das homerisch brüllende Gelächter aufgescheucht, hoben ein paar Fregattvögel ab und strichen zum Wasser hin. Ein paar verstörte Tölpel folgten. Sie kapierten offenbar nicht, was diesen Gelächtersturm auslöste.

„Wenn dir davon eine auf den Schädel fällt“, sagte der Kutscher voller Genugtuung, „dann hast du dein letztes Halleluja gepfiffen. Das Gewicht allein sorgt für wohltuende Dunkelheit.“

„Glaube ich“, sagte Carberry, der es immer noch nicht fassen konnte.

Er, Smoky, Batuti, Hasard und ein paar andere traten näher an die riesige Palme heran, die eine Höhe von annähernd zwanzig Yards hatte. Vier dieser Riesennüsse hingen noch da oben. Eine andere hatte sich gelöst und lag am Boden. Der Blick, mit dem der Profos sie anstierte, war fast ehrfürchtig zu nennen.

Der Kutscher schlug ihm grinsend auf die Schulter.

„Gestern hast du an Bord noch laut über deine Kräfte rumgetönt“, sagte er ironisch. „Du gebrauchtest ein paar Worte, die ich hier nicht unbedingt wiederholen möchte.“

„Tu’s ruhig“, brummte Carberry. „Es ging um Kokosnüsse, die selbst von den stärksten Kerlen nicht mit den Händen geknackt werden könnten. Und ich sagte, daß ich so lausige Kokosnüsse mit den Arschbacken knacken würde …“

„So, sagtest du.“ Der Kutscher hüstelte. „Nun, dann versuche es doch mit dieser Nuß einmal.“

Aber der freundlichen Bitte konnte Carberry nicht entsprechen, und so kratzte er sich etwas verlegen das stoppelige Kinn, während er weiterhin die herabgefallene Riesennuß anstarrte.

Schließlich rang er sich mühsam zu den Worten durch: „Was sind denn das für Dinger? Habe ich noch nie gesehen.“

„Kein Wunder, es gibt sie auch nur hier. Es ist die Seekokospalme, an der diese Nüsse wachsen. Manchmal wurde sie allerdings auch an der Küste von Indien oder Ceylon gefunden, aber sie wuchs dort nicht. Sie wurde einfach nur an Land geschwemmt.“

„Soso“, sagte Carberry lahm.

„Man glaubte“, fuhr der Kutscher dozierend fort, „daß diese gewaltigen Nüsse auf einem Baum tief unten im Meer wachsen würden.“

„Gibt es nicht“, behauptete Carberry spontan. „Auf dem Meeresgrund wachsen keine Bäume.“

„Natürlich nicht“, sagte der Kutscher. „Auf dem Mond werden schließlich auch keine Rübenschweine gezüchtet. Es ist nur eine Sage.“

„Aber wenn …“

„Schluß jetzt, Mister Carberry!“ fuhr der Seewolf dazwischen. „Ich möchte mir die Ausführungen des Kutschers gern anhören, ohne daß du ihn ständig unterbrichst. Ist das klar?“

„Aye, aye, Sir“, murmelte der Profos kleinlaut.

„Also, der Sage nach wachsen sie im Meer“, erzählte der Kutscher weiter. „Die Nüsse konnten angeblich gegen die Meeresströmung schwimmen, und wenn sie an einer Küste angeschwemmt wurden, dann wanderten sie selbst den Strand hinauf. Ihrem weißlichen Fleisch schrieb man magische Kräfte zu, die jedem Gift in Speise und Trank entgegenwirkten. Sie sollten auch Lähmungen heilen oder Gallensteine verschwinden lassen. Außerdem“, der Kutscher grinste etwas, „nahm man an, ihr Fleisch würde die Manneskraft steigern. Diese Nuß nennt man auch noch Salomons Wundernuß. Das ist so ziemlich alles, was ich darüber weiß.“

„Eine erstaunliche Menge“, gab Hasard zu. „Woher hast du dieses Wissen?“

„Doc Freemont in England hatte darüber Literatur, und weil mich das von jeher fasziniert hatte, habe ich immer ein bißchen die Nase in seine Bücher gesteckt. Es war übrigens der Graf von Vidigueira, Vasco da Gama, der die Gruppe der Amiranten schon vor fast hundert Jahren besucht hat.“

„Wirklich erstaunlich“, murmelte Hasard beeindruckt. „Vasco da Gama war das, der Mann der den Seeweg nach Indien entdeckt hat.“

„So stand es in jener Chronik, Sir.“

„Die Nüsse sind eßbar?“ erkundigte sich Hasard.

„Ja, und sie geben außerdem eine Menge her.“

„Willst du nicht eine mitnehmen, Mac?“ fragte der Profos anzüglich Mac Pellew, der mit sorgenvoll-betrübten Blicken den Ausführungen des Kutschers lauschte.

Mac drehte sich zu Carberry um. „Zu was denn?“

„Na, du hast doch gehört, was der Kutscher sagte. Die Nüsse sollen die Manneskraft steigern. Früher, bei deiner Svanhild, haben dir geräucherte Heringe geholfen, aber hier gibt’s keine. Wenn du dir so ’ne Nuß um den Hals hängst, hast du jahrelang was davon und brauchst nicht immer mit Räucherheringen in den Taschen herumzulaufen.“

„Ich bin nie mit Räucherheringen in der Tasche rumgelaufen“, empörte sich Mac. „Außerdem habe ich so was nicht nötig. Häng du dir doch so eine Nuß um den Hals.“

„Hab’ ich erst recht nicht nötig.“

Der Profos klopfte dem griesgrämigen Mac auf die Schulter, grinste ihn an und folgte dann wieder den anderen.

„Auf dem Rückweg nehmen wir ein paar der Nüsse mit“, sagte der Kutscher. „Von einer Nuß allein wird eine ganze Mannschaft satt. Außerdem lassen sich aus ihrem Fruchtfleisch ganz sicher noch andere schmackhafte Gerichte zubereiten.“

Bis zum späten Nachmittag hatten sie eine Menge Neuigkeiten entdeckt. Hasard beschloß, umzukehren. Die Insel war groß, und sie konnten sich morgen ebenfalls in aller Ruhe umsehen.

Auf dem Rückweg wurden vier der Riesennüsse mitgenommen. Sie ließen sich wegen ihrer Unförmigkeit und Größe nur schlecht tragen. Carberry sah aus, als hinge ihm eine riesige Trommel vor dem Bauch. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen dicht an dicht.

„Wenigstens gibt es hier keine Affen“, stöhnte er. „Stellt euch nur vor, die hocken auf den Palmen und bewerfen uns mit diesen Dingern.“

„Das müßten dann aber sehr große Affen sein“, meinte Batuti grinsend.

„Große Affen gibt’s jede Menge“, tönte der Kutscher.

Der Profos warf ihm einen schrägen Blick zu, als fühle er sich wieder mal angesprochen, aber er sagte nichts.

Als sie an Bord waren, gingen der Kutscher und Mac sogleich daran, eine der Riesennüsse auseinanderzunehmen und zuzubereiten. Schon mit dieser einen Nuß hatten sie eine Menge Arbeit.

Inzwischen schlichen die Zwillinge, Hasard und Philip, ziemlich auffällig um ihren Vater herum. Hin und wieder tuschelten sie leise miteinander und grinsten dann, bis es dem Seewolf auffiel.

„Ist was?“ forschte Vater Hasard. Er musterte seine beiden Söhne, die ihn erwartungsvoll angrinsten. Wahre Kraftpakete sind das, dachte er. Die Kerle hatten ganz beträchtliche Muskeln entwickelt, breite Schultern, schmale Hüften. Alle beide waren sonnenverbrannt.

Nachdenklich blickte er auf die Haifischsymbole. Jung Hasard hatte das Hai-Symbol auf der rechten Schulter eintätowiert, Jung-Philip auf der linken. Nur durch diese Symbole hatte er seine Söhne damals unterscheiden und identifizieren können. Heute konnte er sie auch so unterscheiden, obwohl sie sich wie ein Ei dem anderen ähnelten. Sie hatten die gleichen schwarzen Haare und die eisblauen Augen wie er.

Jung Hasard war etwas cleverer als Philip, und so ergriff auch er gleich das Wort, noch bevor Philip etwas sagen konnte.

„Wir haben eine Bitte an dich, Sir.“

„Ich höre.“

„Phil und ich haben uns ein Spielchen ausgeheckt, und zwar nennen wir das Inselspringen.“

„Und was bedeutet das genau?“

„Von einer Insel zur anderen segeln, sie ein bißchen ausforschen, dann weiter ab zur nächsten und so fort.“

„Das tun wir im Prinzip schon seit Jahren“, sagte Hasard lächelnd. „So ganz neu ist das nicht gerade.“

„Für uns schon, Dad, Sir. Wir haben nämlich vor, das allein zu tun, ohne jede Begleitung. Hier gibt es doch jede Menge Inseln, außerdem bleiben wir ja noch ein oder zwei Tage hier.“

„So, das habt ihr also vor.“

„Natürlich nur mit deiner Erlaubnis, Sir.“

„Und weshalb ohne Begleitung?“

„Weil wir nicht unbedingt immer einen Aufpasser brauchen. Wir sind so gut wie erwachsen und haben ein Recht darauf, auch mal selbständig etwas zu unternehmen.“

Hasard kniff die Augen zusammen. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt.

„Sieh an, die Gentlemen sind also erwachsen und glauben, daß sie ein Recht haben, selbständig zu handeln. Interessant.“

„Pflichten haben wir jedenfalls – und somit auch Rechte. Eins ist so gut wie das andere. Vor den Pflichten drücken wir uns ja auch nicht.“

Jung Hasard sah seinem Vater etwas trotzig in die Augen und hielt auch dem etwas kühler gewordenen Blick stand.

„Ihr stellt also eine Forderung?“

„Eine Bitte, Sir, aber eine nachdrückliche, von der wir nicht erwarten, daß sie abgelehnt wird.“

Der Seewolf holte tief Luft.

„Jung-Rebellentum, was?“

„Bist du im Grunde genommen nicht auch ein Rebell, Dad, Sir?“ fragte Jung Hasard herausfordernd. „Sind wir im Prinzip doch alle.“

Vater Hasard blieb erst einmal die Spucke weg. Er blickte Philip an, dann Hasard, der jetzt ebenfalls die Augen etwas zusammenkniff und schmale Lippen kriegte.

„Und wenn ich ablehne?“

„Das bleibt dir überlassen“, erwiderte das Söhnchen kühl. „Aber dann reagiere ich mich in der nächsten Kneipe ab und fang ’ne mordsmäßige Schlägerei an.“

„Und ich“, tönte Philip unverfroren, „zieh mir in der nächsten Kneipe ein paar liederliche Frauenzimmer an Land und bringe sie mit an Bord. Das Recht nehme ich mir einfach. Alt genug sind wir schließlich dazu. Außerdem werden wir uns kräftig besaufen.“

„O Gott“, sagte Vater Hasard kopfschüttelnd. „Ihr wollt es wohl auf eine Kraftprobe ankommen lassen, wie?“

„Eines Tages“, sagte Jung Hasard diabolisch grinsend, „passiert das ganz zwangsläufig. Das ist das Gesetz der Natur. Dann messen sich die jungen Wölfe mit dem …“

„Sag nicht alten Wolf!“ fauchte Vater Hasard.

„… Leitwolf“, vollendete der Junior trocken. „Man kann auch Rudelführer sagen.“

Hasard holte zum zweiten Male tief Luft. Die zarten Knäblein haben heute nicht gerade ihren sanften Tag, dachte er. Man konnte auch sagen, daß sie ausgesprochen pampig waren.

„Ich lehne ab“, sagte er frostig.

„Begründung?“ fragte Jung Hasard ebenso frostig wie knapp.

„Verdammt noch mal, brauche ich vielleicht eine Begründung?“

„Natürlich, Sir, denn mit einer einfachen Ablehnung gebe ich mich nicht zufrieden. Das hört sich so diktatorisch an. Uns hältst du Predigten über Freiheit und Rechte, Pflichten und was weiß ich noch alles, aber hier sprichst du ein absolutes Nein, und damit sind wir ohne Begründung nicht einverstanden.“

In ihrem Eifer hatten sie gar nicht gemerkt, daß es auf der „Santa Barbara“ mittlerweile verdächtig ruhig geworden war.

Aus dem Kombüsenschott glotzten Mac und der Kutscher gleichzeitig hervor. Auf der Kuhl standen einige und grinsten bis zu den Ohren, und auf den Stufen der Niedergänge hockten etliche Arwenacks, die ebenfalls am Grienen waren.

„Nun laß die Kerle doch mal segeln“, mischte sich Old O’Flynn ein. „Schließlich sind sie keine Säuglinge mehr, die in ihren Windeln Rückenschwimmen veranstalten.“

„Halt du dich da raus, Mister O’Flynn!“ schnappte Hasard aufgebracht. „Du hast mir gerade noch gefehlt.“

„Klar, ich bin das Salz in der Suppe“, erwiderte Old O’Flynn ungerührt. „Immerhin sind das meine Enkelkinder, und da habe ich auch ein Wörtchen mitzureden. Und ich poche auf mein Recht, darauf kannst du dich verlassen.“

„Das Machtwort spreche ich, und nicht du!“

Old O’Flynn wurde gallig. Er sah jetzt wie ein bösartiger runzeliger Gnom aus, und er hob auch sofort die Stimme.

„Meine Enkelchen sind bei mir auf der ‚Empress‘ gefahren, und sie haben sich bestens bewährt!“ schrie er. „Das wird wohl niemand bestreiten können. Und daß sie dem Teufel zwei Ohren und den Schwanz absegeln und ihm bei einer Halse auch noch die Hörner stutzen, ist eine Tatsache. Und jetzt will ich, verdammt noch mal, wissen, warum sie nicht allein segeln dürfen.“

Hasard stand kurz vor einer Explosion. Zorn stieg in ihm auf, und dann wurde er unsicher, zum ersten Male seit langer, langer Zeit. Heute hatte sich offenbar alles gegen ihn verschworen.

Er spürte das Klopfen seiner Halsschlagader. Aber dann verflog dieser jäh aufgeflammte Zorn von einem Augenblick zum anderen wieder.

Er sah, daß sie ihn anstarrten und auf eine Antwort warteten. Und er sah auch die Blicke der anderen, die ihn ein wenig verständnislos anzublicken schienen. Oder bildete er sich das nur ein?

„Na schön“, sagte er leise. „Ich habe ganz einfach Angst, daß ihnen was passieren könnte. Das ist die Begründung.“

Eine Weile herrschte Schweigen. Die Gesichter der anderen entkrampften sich wieder.

Dann bemerkte er, daß die Zwillinge grinsten. Auch Old Donegal grinste wie ein Kobold.

„Eine gute Begründung“, sagte Old O’Flynn ruhig. „Aber die Begründung ist unbegründet. Wenn du immer nur Angst hast, daß ihnen was passieren könnte, dann werden sie in fünfzig Jahren noch an Krücken und nicht aufrecht gehen. Dann ist der liebe Daddy immer in der Nähe, damit sich die Kinderchen nicht in die Hosen scheißen. Und wenn sie mal heiraten, dann paßt der liebe Daddy auf, daß sie in der Hochzeitsnacht nicht aus dem Bett fallen.“

Hasard entspannte sich jetzt. Sogar ein kleines Lächeln stand plötzlich in seinem Gesicht.

„Du bist ein Spaßvogel, Mister O’Flynn“, sagte er. „Aber ich bin kein Sturkopf, der sich nicht überzeugen läßt. Trotzdem wirst du verstehen, daß es mir Sorge bereitet.“

„Versteh’ ich ja“, brummte der Alte. „Aber du mußt auch verstehen, Sir, daß die Kerle mal allein touren wollen. Ich war da nicht so zimperlich. Außerdem ist der Lümmel da ausgekniffen.“ Er zeigte mit der Hand auf seinen grinsenden Sohn Dan. „Dem ist auch nichts passiert, außer, daß ich manchmal mein Holzbein abgeschnallt und ihn ordentlich vertrimmt habe.“

„Alles in Ordnung“, lenkte Hasard ein. Ein wenig dachte er dabei an seine eigene Jugend. Da hatte er auch aufbegehrt, rebelliert, seinen Alten verdroschen und war seiner Wege gegangen. Auch er hatte keinen Aufpasser haben wollen.

„Ihr könnt segeln und Inselspringen“, sagte er. „Einen ganzen Tag lang. Ihr werdet Pistolen mitnehmen. Der Kutscher packt euch außerdem ein Freßpaket ein, und ein Fäßchen Trinkwasser nehmt ihr zur Sicherheit auch noch mit.“

Die beiden grinsten bis zu den Ohren.

„Und ’ne Buddel Rum auch noch“, sagte Jung Philip.

„Die ist abgelehnt“, sagte der Seewolf. „Diesmal ohne jede Begründung.“

Das Söhnchen wollte wieder aufmucken, doch da blinzelte ihm Old O’Flynn vertraulich zu. Er zwinkerte heftig mit dem linken Auge, und da begriff das Söhnchen ganz schnell, was gemeint war. Der „Admiral“ war doch ein feiner Kerl!

„Entscheidung akzeptiert“, sagten beide. „Keine Buddel.“

„Keine Buddel“, bekräftige Vater Hasard. „Ihr könnt morgen früh bei Sonnenaufgang losklüsen. Bei Anbruch der Dunkelheit seid ihr wieder zurück. Alles klar?“

„Alles klar – und vielen Dank, Sir.“

Hasard lächelte und sah ihnen nach, wie sie zum Kutscher gingen. Der hatte natürlich längst alles gespitzt und grinste ebenfalls.

„Sicherheitshalber werde ich euch doppelte Portionen mitgeben“, sagte er. „Man kann ja nie wissen …“

Die Zwillinge halfen kräftig mit und füllten auch ein Wasserfäßchen ab, falls sie beim Inselspringen kein Trinkwasser fanden.

Kurze Zeit später tauchte Old O’Flynn auf und grinste die beiden verschmitzt an.

„Seht euch morgen mal genau den Stauraum unter der achteren Sitzbank an“, murmelte er. „Da hab’ ich für euch ’ne prachtvolle Buddel hineingezaubert. Aber davon darf der Kapitän nie etwas erfahren, sonst besorge ich es euch mit dem Holzbein. Und noch etwas: Besauft euch nicht und nuckelt die Buddel auf einmal aus. Immer schön langsam, so wie wir das auf der ‚Empress‘ gehalten haben. Kapiert?“

„Ehrenwort“, versicherten beide. „Der Kapitän wird nichts erfahren, und besaufen werden wir uns garantiert nicht. So ’ne Buddel gehört aber einfach dazu, damit es echter ist.“

„Verstehe ich ja. Auch die Sorgen, die der Kapitän sich bereitet, wenn ihr allein unterwegs seid.“

„Uns passiert nichts“, versicherte Hasard. „Die Inseln sind nicht bewohnt, Piraten gibt es auch nicht, und für den Notfall haben wir Pistolen und Messer dabei.“

„Und damit könnt ihr ebenfalls umgehen, ich weiß“, sagte Old Donegal bekräftigend. „Dann bis morgen.

„Bis morgen, Granddad.“

Die Zwillinge konnten den Tagesanbruch kaum noch erwarten. Sie fieberten dem Zeitpunkt ungeduldig entgegen, zu dem sie endlich allein lossegeln konnten.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 536

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