Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 417 - Fred McMason - Страница 6

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London, Mitte Mai 1594.

Das Gesicht des Obersten Lordrichters war etwas grämlich verzogen, als er die beiden ehrenwerten Gentlemen empfing, die ihn nun schon zum zweiten Male aufsuchten.

Der Lordrichter war klein, wirkte verhutzelt und sah aus wie ein Relikt aus staubiger muffiger Zeit. Seine Hände, fast durchsichtig und pergamentartig, lagen auf der Tischplatte und bewegten sich nicht, als seien sie vor langer Zeit erstarrt.

Der eine der ehrenwerten Herren war Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, der andere war der ehemalige Marquess Henry of Battingham. Jetzt, nach dem Tode seines Vaters, hatte er den Titel geerbt und war Duke, Duke Henry of Battingham.

Duke Henry nahm zuerst Platz. Das stand ihm zu, denn schließlich hielt er sich für den Nabel der Welt. Seit er jedoch den Duke-Titel geerbt hatte, war er noch hochnäsiger geworden.

Er war mittelgroß, Ende Zwanzig, ein etwas dürrer Gockel mit wäßrigblauen Augen, einer nach oben gebogenen Nase und einem blassen Gesicht, in dem das Kinn nur sehr schwach ausgeprägt war.

Als er saß, räusperte er sich, wohl um dem Earl das Zeichen zu geben, daß er sich jetzt auch setzen dürfe, nachdem er, der Duke of Battingham, umständlich Platz genommen hatte.

Im Gesicht des anderen Erlauchten stand eine lauernde Boshaftigkeit, die ihm angeboren war. Seine Augen waren kalt und blaugrau, sein Mund schmal und verkniffen, die Nase gerade und hart. Etwas Menschenverachtendes ging von ihm aus. Sir Andrew war etwa zehn Jahre älter als Duke Henry, viel stämmiger, aber da wirkte auch der leichte Bauchansatz mit.

Seine Kleidung, an der er jetzt etwas herumzupfte, war überelegant betont. Auch er nahm nach einem leisen Räuspern Platz, nicht ohne sich peinlich genau zu vergewissern, ob der plüschbezogene Lehnstuhl nicht etwa von einem Stäubchen verunreinigt war.

Der Lordrichter hatte den Mund mit den gelblichen etwas vorstehenden Biberzähnen ein wenig geöffnet und blinzelte in die Maisonne, die schräg durchs Fenster einfiel.

„Ihrem Wunsch nach einer Audienz bei Ihrer Majestät der Königin, ist stattgegeben worden“, sagte er hüstelnd. „Natürlich war das nicht ganz einfach – Sie verstehen, Gentlemen?“

Die erlauchten Herren verstanden. Sie hatten schon vorher begriffen, und so zog der Duke wortlos einen braunen Umschlag hervor und schob ihn über die Tischplatte. Der Umschlag war ziemlich dick, ein Zeichen, daß der Oberste Lordrichter nur dann gut funktionierte, wenn er kräftig geschmiert wurde. Aber was waren die paar Pfund gegen die Sache, um die es ging! Ein Klacks, mehr nicht.

„Ja, ähem“, der Lordrichter hüstelte, „die Audienz ist gnädigerweise auf den sechzehnten Mai bestimmt worden und beschränkt sich auf vierzig Minuten. Vorher jedoch müssen wir noch einmal genau die einzelnen Anklagepunkte durchgehen, um uns abzustimmen, denn Ihre Majestät wünscht nur Fakten zu hören. Gerüchte hat es bereits zur Genüge gegeben.“

„Die Fakten allein sind ungeheuerlich genug“, sagte der Duke blasiert. „Es läßt sich natürlich alles beweisen.“

„So ist es“, sagte auch Sir Andrew, „alles läßt sich beweisen.“

Die beiden tauschten einen schnellen heimlichen Blick. Der Earl grinste unmerklich mit schmalen Lippen, während sich in dem Gockelgesicht des Duke die Nase noch höher hob.

„Am königlichen Hof hat sich ja so allerlei herumgesprochen“, sagte der Lordrichter, der wieder an den beiden Gentlemen vorbei in die warme Maisonne blinzelte. „Man hört da sehr viel. Was haben Sie nun im einzelnen gegen diesen Philip Hasard Killigrew vorzubringen? Zählen wir doch noch einmal die Fakten zusammen, als da sind.“

Die Stimme des Duke klang hämisch und schadenfroh. Das Mißtrauen gegen Killigrew war sorgsam und lange geschürt worden, und es war auch auf fruchtbaren Boden gefallen. Daß die angeblichen handfesten Beweise meist nur aus der Luft gegriffen waren, störte die beiden Gentlemen nicht. Sie intrigierten nach dem Motto, daß immer etwas hängenblieb, egal, was man vorbrachte. Und von den Anschuldigungen war bereits eine ganze Menge hängengeblieben.

„Punkt eins“, sagte der Duke, „ist wohl an Ungeheuerlichkeit kaum noch zu überbieten. Ihre Majestät hat einwandfrei einen Bastard zum Ritter geschlagen, der sich den Ritterschlag außerdem ebenso einwandfrei erschwindelt hat.“

„Beweise?“ fragte der Lordrichter desinteressiert. Er dachte an den braunen Umschlag, der jetzt in der Schublade lag.

„Mir ist aus Cornwall gemeldet worden, daß dieser Philip Hasard Killigrew, den man auch den Seewolf nennt, gar nicht der leibliche Sohn von Sir John und Lady Anne ist.“

„Sondern?“ fragte der Lordrichter wieder mit dem gleichen Interesse. Im Geiste öffnete er bereits den braunen Umschlag.

„Er ist der Bankert eines Deutschen und einer Spanierin. Logischerweise ist dieser Bastard dann nicht als Engländer, sondern als ein spanischer Feind anzusehen, ein Feind der Krone.“

„Beweise?“

Dem Lordrichter, der den braunen Umschlag bereits im Geiste geöffnet hatte, quollen Pfundnoten entgegen. Seine Lippen zuckten.

Der Duke grinste süffisant. Seine Stimme klang immer noch hämisch. Der Earl nickte bei jedem Satz bestätigend.

„Ein Beweis dafür, daß dieser Bastard auf der Seite Spaniens steht, ist sein Verhalten nach der ruhmreichen Schlacht gegen die spanische Armada. Er hat spanischen Schiffbrüchigen geholfen und ihnen sogar die Flucht nach Spanien ermöglicht, statt sie sofort aufzuknüpfen, wie sich das gehört.“

Der Lordrichter nickte. Aber sein Blick wurde etwas grämlicher, denn in dem braunen Umschlag war doch nicht soviel drin, wie er erhofft hatte. Er hatte es zwar noch nicht gesehen, aber das anfangs dick scheinende Bündel war wohl doch etwas mager ausgefallen. Hatte der Duke nicht eine riesige Erbschaft angetreten? Da waren doch Ländereien, mehrere Schlösser, Haus- und Grundbesitz.

„Soso, das ist allerdings sehr schwerwiegend. Aber es gibt sicher noch mehr Fakten?“

„Mehr als genug“, versicherte der Duke mit dumpfer Stimme. „Dieser Killigrew-Bastard hat in der Karibik einen geheimen Stützpunkt errichtet, wo er unvorstellbare Schätze hortet. Er könnte damit ganz England und noch ein paar weitere Länder kaufen.“

Der Lordrichter hörte auf zu blinzeln. Er öffnete den Mund und starrte die beiden durchlauchten Herren gierig an. Nein, in dem Umschlag ist viel zu wenig drin, entschied er. Wenn es um derartig unvorstellbare Reichtümer ging, dann konnte man sich nicht mit einem lächerlichen Almosen bescheiden. Da mußte schon eine größere Schatulle gefüllt werden, denn schließlich mußte er ja den Kopf bei Hofe für die ehrenwerten Gentlemen hinhalten. Und sie würden sicher noch mit ganz besonderen Wünschen an ihn herantreten.

„Er mißbraucht also eindeutig seinen von der Königin ausgestellten Kaperbrief“, führte der Duke weiter aus. „Er betrügt die Krone, hortet die Schätze selbst und denkt nicht daran, diese Reichtümer bei Hofe abzuliefern. Das ist Betrug und Unterschlagung Ihrer Majestät, der Königin, gegenüber.“

„Dazu kommen Hochverrat, Landesverrat, Pflichtvergessenheit“, sagte der Earl mit scharfer Stimme. „Dieser Bastard ist im Juni vergangenen Jahres mit insgesamt sechs Schiffen aus der Mount’s Bay verschwunden. Das ist jetzt fast ein Jahr her, aber er ist seither nicht mehr zurückgekehrt, um seine Schätze der Krone zu übergeben. Das beweist also“, fuhr der Earl mit erhobener Stimme fort, „daß dieser Betrüger tatsächlich über einen Stützpunkt verfügt, und zwar über einen recht großen für sechs Schiffe. Dort räubert, mordet und plündert er weiter, immer im Namen der Krone, bevollmächtigt durch den Kaperbrief Ihrer Majestät. Kein einziges seiner Schiffe ist bisher zurückgekehrt, kein einziges, obwohl zwischenzeitlich mindestens eins einen Beuteanteil nach London hätte bringen können.“

„Das alles sind schwerwiegende Vorwürfe“, sagte der Lordrichter. „Aber was können wir tun? Dieser Bastard ist nicht greifbar und kann daher auch nicht abgeurteilt werden.“

Earl und Duke sahen sich blasiert an. Offenbar zog der Lordrichter noch nicht so richtig.

„Vorwürfe?“ fragte Sir Andrew fast beleidigt. „Was wir hier zur Sprache bringen, sind eindeutige Beweise.“

Wieder sah der Lordrichter den Umschlag vor sich. Ein lächerliches, winziges Ding mit geringem Inhalt. Nein, das mußte unbedingt aufgepolstert werden, sonst konnte er mit den „Beweisen“ überhaupt nichts anfangen. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Platte und sah die beiden ehrenwerten Gentlemen erwartungsvoll an.

Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, blickte den Duke gleichfalls erwartungsvoll an. Begriff der nicht, auf was der Lordrichter abzielte, oder begann er zu knausern?

„Haben Sie die schriftlichen Beweise denn nicht mit sich, mein lieber Sir Henry?“ fragte er lauernd. „Ich sah doch einen weiteren Umschlag bei Ihnen.“

„Ja, richtig“, murmelte Sir Henry. Er zog einen weiteren Umschlag aus der Jacke und überreichte ihn dem Lordrichter, der ihn gnädig nickend in Empfang nahm und ebenfalls in der Schublade verschwinden ließ.

„Dann werde ich die Anschuldigungen unverzüglich weiterleiten, Gentlemen. Sie gehen noch heute dem Hofe zu. Es wird dann offiziell Anklage erhoben werden. Ich an Ihrer Stelle würde mich allerdings noch einmal genau vergewissern, ob dieser Bastard-Status stimmt, denn er ist einer der wichtigsten Punkte – ganz im Vertrauen gesagt.“

Die hochwohlgeborenen Gentlemen begriffen und nickten schweigend.

Der Lordrichter erhob sich und reichte jedem die Hand.

„Sie werden in den nächsten Tagen sicherlich noch auf meine Hilfe angewiesen sein“, sagte er, „aber ich verspreche Ihnen, daß ich alles unternehmen werde, um Ihnen behilflich zu sein. In jeder Sache, versteht sich.“

Auch im Geldabknöpfen, dachte Sir Henry. Aber ohne den Lordrichter und seine guten Verbindungen ging eben nichts.

Sie verabschiedeten sich und begaben sich nach draußen. Noch an der Tür hörten sie es leise rascheln. Der hohe Herr zählte jetzt offenbar ganz ungeniert die Möpse, nachdem er die beiden Umschläge geöffnet hatte.

„Der Anfang ist getan“, sagte Sir Andrew zufrieden. „Die Gerüchte haben Wirkung erzielt, und der Lordrichter wird Anklage erheben. Damit haben wir freie Hand und können die Jagd inszenieren, wenn wir ein paar weitere Klippen umschifft haben. Ich habe mich auf der Feste Arwenack bei Sir John nach dem Bastard erkundigt, doch uns fehlt der letzte Beweis. Sir John und seine beiden Söhne büßen im Kerker von Plymouth mehrjährige Gefängnisstrafen ab. Sie sollen damals schwere Gewalttaten verübt haben.“

„Ja, ich weiß. Der Alte hat das falsche Schiff versenkt und sich noch so allerlei geleistet“, sagte Sir Henry kichernd. „Wir sollten unverzüglich nach Plymouth reisen, mein lieber Sir Andrew, und den Alten selbst befragen. Für unsere Zwecke dürfte er der richtige Mann sein.“

„Da kann ich Ihnen nur zustimmen, mein lieber Sir Henry. Was steht uns also im Wege? Reisen wir nach Plymouth. Sir John ist sicher noch besser informiert als wir selbst. Wenn es uns gelingt, dem Bastard Killigrew die legendäre Schatzbeute abzujagen, können wir uns zu den reichsten Männern der Welt zählen.“

„Natürlich führen wir das alles an die königliche Schatulle ab“, sagte Sir Henry grinsend. „Wir sind doch gute Patrioten. Das Vaterland steht über allem.“

„Über allem“, versicherte der Earl. „Ich bin sicher, daß unsere gute Lissy das auch so sieht. Sie wird uns in ihrer Habgier bestimmt freie Hand lassen. Wir müssen das nur sehr geschickt aufziehen.“

Noch am selben Tag reisten die beiden ehrenwerten Gentlemen eilends in ihren Kutschen nach Plymouth.

Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Sir John, der Burgherr der Feste Arwenack, hatte sich so gut wie gar nicht verändert. Nur seine ehemals roten Haare hatten eine schmutzigfade Helle angenommen. Sein Genick war etwas bulliger und auch faltiger geworden. Geblieben aber war die bläulichrote Knollennase, die hellblauen Augen und das rote, stets versoffen wirkende Gesicht.

Sir John lebte nicht schlecht im Kerker von Plymouth, was sich auch auf seine beiden Söhne bezog. Er hatte seine Beziehungen spielen lassen und wurde gut versorgt. Er hatte sogar eine Art Sonderstatus im Kerker inne und sich zum Tyrannen über die anderen Gefangenen aufgeschwungen. Sein Essen und Trinken unterschied sich beträchtlich von der mageren Kost der übrigen Gefangenen.

Die ehrenwerten Gentlemen kannten sich nur vom Hörensagen. Sir Henry und Sir Andrew hatten keinerlei Schwierigkeiten gehabt, mit den Killigrews in einem gesonderten Raum eine Unterredung zu führen. Der Duke hatte nur mit ein paar Münzen geklimpert.

Etwas schockiert waren die Erlauchten allerdings doch, als sie Sir John und seine beiden Söhne sahen.

Der Alte war ein bulliger, hemdsärmeliger Säufer und Fresser, aber ein eisenharter Kerl von gewiefter Schlitzohrigkeit.

Einen seiner Söhne stellte er als Simon Llewellyn vor. Der Kerl war ebenfalls bullig, aber kleiner als sein Vater, um die Dreißig, mit blaßblauen Augen und roten Haaren.

Die Erlauchten verzichteten in stiller Übereinkunft, diesem Kerl die Hand zu reichen, denn der erinnerte sie mit seinen aufgeworfenen Lippen und der Nase an ein großes Ferkel.

Der andere hatte ebenfalls etwas Schweinisches an sich, fast das gleiche Ferkelgesicht wie sein Bruder. Er war etwas jünger und plumper in der Figur und pflegte ständig dümmlich vor sich hinzugrinsen, als nähme er alles nicht ganz ernst.

Die Hochwohlgeborenen waren etwas schockiert über den Anblick dieser plumpen Ferkelgesichter, ganz besonders der Duke, Sir Henry, denn er erinnerte sich unangenehm berührt daran, daß sein Vater ihn wegen seiner Übereifrigkeit auf seine Ländereien geschickt hatte, um dort die Ställe auszumisten. Da hatte der gute Sir Henry es auch immer mit Ferkeln zu tun gehabt. Zum Glück hatte der alte Herr das Zeitliche gesegnet, und er selbst war durch die Erbschaft vom Marquess zum Duke aufgestiegen. Jetzt sah er wieder zwei Ferkelgesichter vor sich, sah die fast wimpernlosen Augen und starrte auf die rötlich borstigen Augenbrauen, die ihn so sehr an Säue erinnerten.

„Ihr haut jetzt besser ab“, sagte der Alte nach der Begrüßung, „und verzieht euch.“

Thomas Lionel, wie der Jüngere hieß, grinste wieder dümmlich die beiden Gentlemen an, warf seinem Alten einen galligen Blick zu und verschwand nach einem mißglückten Kratzfuß mit seinem Bruder, der den Alten giftig anstarrte.

Sir Henry war erleichtert. Sir Andrew sah den beiden angewidert und verächtlich nach. Primitives Pack war das, Pöbel, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Mit so was an einem Tisch zu sitzen, hätte ihm die Galle überlaufen lassen. Da war ihm Sir John schon lieber, denn das war ein ganz anderer Kerl, wenn er auch wie ein vulgärer Hurenbock aussah. Aber mit dem Mann ließ sich etwas anfangen. Der war tückisch und verschlagen, aber von der Sorte, die nicht aufgab, auch wenn sie mal kräftig was aufs Maul kriegte.

„Wir haben etwas vor“, sagte Sir Andrew, „das sicherlich auch Ihr Interesse wecken wird, Sir John. Dazu bedarf es aber eines Beweises. Es betrifft Ihren Sohn Philip Hasard Killigrew.“

Bei der Erwähnung des Namens zuckte Sir John zusammen. Sein Gesicht verdüsterte sich, und in seinen Augen schimmerten Blitze.

„Der Bastard ist nicht mein Sohn“, sagte er hart und aufbrausend. „Er ist nie mein Sohn gewesen. Er ist ein Bankert, ein dreckiger Bastard.“

Sir Andrew lächelte freundlich. In seinen Augen blitzte es boshaft auf. Er knuffte den blassen Sir Henry mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Sieh an. Man behauptet aber, daß er Ihr Sohn sei.“

„Man behauptet viel. Aber ich muß es ja schließlich wissen. Woher kennen Sie ihn denn?“ fragte der Alte mißtrauisch.

„Wir sind einmal mit ihm aneinandergeraten“, sagte Sir Andrew lässig, „nichts Ernsthaftes. Es geht um etwas anderes.“

Er verschwieg die harte Schlappe, die sie beide von dem Seewolf eingesteckt hatten. Dieser Emporkömmling hatte sie tödlich beleidigt und ihre Ehre angetastet, hatte sie erniedrigt und gedemütigt. Aber das stand hier nicht zur Debatte.

„Und um was geht es?“ erkundigte sich der Alte lauernd.

„Um den Bastard, Sir John. Wir wollen ihn zur Strecke bringen. Er hat sich den Ritterschlag erschlichen, er ist ein Betrüger, ein Feind Englands und ein Agent der spanischen Krone. Verzeihung“, sagte der Earl süffisant, „das soll Ihnen gegenüber keine Beleidigung sein, aber Sie sagten ja selbst, daß er nicht Ihr Sohn sei.“

In den Augen Sir Johns glomm ein hinterhältiges Licht auf. Seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem heimtückischen Grinsen. Das war ganz nach seinem Geschmack.

Vielleicht tut sich jetzt etwas, überlegte er, denn diese Gentlemen haben Einfluß und können mir sicher helfen. Und sie wollten den Bastard zur Strecke bringen! Das ging ihm wie Öl runter.

„Ich schwöre Ihnen, daß er nicht mein Sohn ist“, sagte der Alte. „Die beiden anderen ja, und ein dritter Sohn von mir ist an – an einer, äh – Krankheit gestorben.“

Daß diese „Krankheit“ Big Old Shane hieß, verschwieg der alte Halunke, denn der hatte John Malcolm Killigrew ins Jenseits befördert.

Wieder warfen sich die beiden einen Blick zu. Ihre Herzen hüpften vor Freude, denn jetzt wurde ihnen genau das bestätigt, was sie vorher gerüchteweise schon gehört und verbreitet hatten. Ihr alter Erzfeind war also tatsächlich ein Bastard. Sir John mußte das ja schließlich genau wissen.

Auch das Herz von Sir John tat einen Freudensprung. Wenn diese beiden adligen Pfeffersäcke ihren Einfluß geltend machten, so überlegte er, versprach die Jagd auf den Bastard ein voller Erfolg zu werden.

„Ich könnte Ihnen bei der Jagd auf den Bastard natürlich behilflich sein“, sagte der Alte eifrig, „ich weiß auch genau, welche ungeheuren Schätze der Bastard bisher erbeutet hat. Es sind Reichtümer, wie man sie sich kaum vorstellen kann.“

„Wissen Sie auch, wo sich sein Versteck befindet?“ fragte Sir Henry.

Das alte Schlitzohr schien die Frage nicht gehört zu haben. Er zog ein betrübtes Gesicht und hob in scheinbarer Hilflosigkeit die Hände.

„Leider, leider“, sagte er bekümmert, „bin ich für einige Zeit noch unabkömmlich, obwohl man mich und meine Söhne zu Unrecht eingesperrt hat. Zu schade ist das. Da will man der verehrungswürdigen Majestät helfen und sitzt hilflos fest. Der Zorn könnte mich zerreißen, wenn ich daran denke, daß der Bastard Ihre Majestät mit einem Fingerhut voll aus seiner unermeßlichen Beute abgefunden hat. Dabei sitzt dieser Strolch auf Bergen von Gold, Silber, Perlen und kostbarem Schmuck. Und die englische Krone wird nach Strich und Faden betrogen“, setzte er heuchlerisch hinzu.

Vor Rührung kamen ihm fast die Tränen. Dabei belauerte er die beiden ehrenwerten Gentlemen in der Hoffnung, sie würden auf sein Gehabe hereinfallen und ihm behilflich sein.

Die beiden anderen dachten ähnlich. Im Prinzip waren ihre Motive die gleichen. Auch sie faselten von der Königin, die man betrogen hätte, und behaupteten frech, daß der Bastard Subversion mit dem Ziel betreibe, England zu schwächen und für einen zweiten spanischen Angriff reif zu machen.

Sir John ließ nichts anbrennen. Er bohrte gleich nach und erzählte wieder von den Reichtümern, weil er in den Augen der Gentlemen immer gleich ein begehrliches Funkeln sah, sobald die Sprache darauf kam. Er berichtete von faustgroßen Perlen, von Gold- und Silberbarren, von denen einer so schwer sei, daß ihn acht Männer tragen müßten, wisperte ihnen was von Schlupfwinkeln und Höhlen voller Gold und Schmuck in die erlauchten Ohren, bis Sir Henry und Sir Andrew aufgeregt auf ihren harten Stühlen hin und her rutschten.

Sir Henrys zweite übereifrige Frage nach dem Versteck des Bastards prallte wieder auf taube Ohren. Der Alte gab sich als Patriot aus, log und heuchelte das Blaue vom Himmel herunter.

Aber er kannte den Bastard, seine Tricks und Kniffe und konnte sich besser in ihn hineindenken als jeder andere, denn schließlich hatte er jahrelang auf Arwenack Castle gelebt. Sir John konnte sie zu dem Versteck führen, zu den Schlupfwinkeln des Piraten, der die Krone begaunerte und betrog. Sie brauchten ihn als ihren Verbündeten. Später würde man weitersehen, dann brauchte man ihn vielleicht nicht mehr, aber das hatte noch Zeit.

„In einem Jahr etwa oder noch länger“, sagte Sir John dumpf, „könnte ich Ihnen behilflich sein. Aber bis dahin ist der armen Majestät bereits ein unermeßlicher Schaden entstanden, und der wilde Wolf reißt weiterhin seine Beute, ungehindert und frei und häuft seine Reichtümer zu immer größeren Haufen an. Ganz davon abgesehen, daß er zusätzlich gegen England intrigiert und mit Spanien …“

Der Earl unterbrach den heuchlerischen Redefluß des alten Piraten mit einer schnellen Handbewegung.

„Etwas anderes, Sir John: Wir wissen jetzt, daß der Bastard nicht Ihr leiblicher Sohn ist. Gerüchteweise habe ich bereits darüber gehört. Aber wer ist er denn nun wirklich?“

„Er ist der Bankert eines Deutschen und einer Spanierin, das kann ich einwandfrei beweisen.“

Damit fand der Earl genau das bestätigt, was er bereits dem Lordrichter erzählt hatte. Der Punkt war also endgültig geklärt.

„Sehr gut“, sagte er, „dann hat alles seine Richtigkeit. Sie werden morgen von uns hören, Sir John. Ich werde mich bei dem Lordrichter für Sie verwenden.“

„Heißt das, ich komme frei?“ fragte Sir John heiser vor Aufregung und Freude.

Der Earl lächelte etwas blasiert.

„Noch heißt das gar nichts“, sagte er kühl. „Ich sagte nur, daß wir uns für Sie verwenden werden.“

„Sie werden es nicht bereuen, Gentlemen. Ich werde Sie zu unermeßlichen Schätzen und Reichtümern führen. Das alles gehört natürlich der Krone“, setzte er hastig hinzu, „aber Sie werden es schon dem rechtmäßigen Eigentümer zuführen.“

„Ganz sicher“, versprachen die beiden. Aber unter dem „rechtmäßigen Eigentümer“ verstanden sie alle etwas ganz anderes.

Auch das alte Schlitzohr von Arwenack Castle verstand etwas anderes darunter. Aber bevor er kräftig zulangen konnte, mußte er erst einmal hier heraus sein.

Als die erlauchten Gentlemen gingen, rieb er sich die Hände und ließ sich wieder in die Zelle zu seinen beiden Ferkelsöhnen führen.

Zwei Tage später war Sir John ein freier Mann. Auch seinen beiden Söhnen wurde die weitere Freiheitsstrafe erlassen. Die ehrenwerten adligen Herren hatten den Obersten Lordrichter noch einmal kräftig geschmiert, und so nahm alles seinen Lauf.

Die Audienz bei der Königin fand am nächsten Vormittag im großen Audienzsaal von Whitehall statt.

Sir John fühlte sich sehr unbehaglich. Er war zwar frisch gewaschen, trug feine Kleider und hatte gekämmte Haare, aber wenn er das Maul öffnete, sah man seine schlechten halbvergammelten Zähne.

Die anderen Gentlemen nahmen ihn auch gar nicht zur Kenntnis. Sie behandelten ihn eher wie einen großen Köter, der sich versehentlich nach Whitehall verlaufen hat.

Anwesend waren der Lordkanzler, Lord Burgley, der Staatssekretär Sir Francis Walsingham, drei Berater und zwei Schreiber, die alles zu Protokoll nahmen.

Auch die Königin übersah Sir John geflissentlich, denn diese bullige hemdsärmelig wirkende Gestalt paßte nicht hierher. Da half auch all das feine Tuch nichts, das Sir John trug.

Die Atmosphäre war kühl und distanziert. Lord Cliveden hatte bei der Königin interveniert und für Hasard gesprochen. Aber ihr waren alle Gerüchte vorgetragen worden. Sie hatte die Warnungen und Vorhaltungen Lord Clivedens ignoriert und längst beschlossen, den drei Gentlemen bei der Jagd nach dem Seewolf freie Hand zu lassen.

Wenn die jedoch glaubten, ihre Lissy würde das Unternehmen zu einem Teil aus der königlichen Schatulle finanzieren, dann hatten sie sich gewaltig getäuscht.

Das Vorgeplänkel bestand darin, daß Sir Henry und Sir Andrew ihre Sorge um das Wohl der englischen Krone vortrugen, wozu Sir John stumm und beipflichtend nickte. Das Wohl der Krone lag ihm außerordentlich am Herzen, wobei er immer nachdrücklicher nickte und sein Gesicht in ernste und besorgte Falten legte, als ginge es der Krone bereits ernstlich an den Kragen.

Noch einmal wurden ganz offiziell die Vorwürfe gegen Philip Hasard Killigrew erhoben, bis Ihre Majestät ungnädig abwinkte.

„Das alles ist mir bereits bekannt“, sagte sie unwirsch. „Was erwarten Sie jetzt von mir?“

„Wir wollen diesen Mann jagen und zur Strecke bringen“, sagte der Duke tollkühn. „Es geht nicht an, daß er Schätze hortet und sie der Krone vorenthält, die sie dringend benötigt. Dieser Mann schädigt den Ruf Englands und betrügt die Krone. Deshalb bitten wir Majestät untertänigst, ihn …“

„Genehmigt“, unterbrach die Königin. „Sie erhalten hiermit den ehrenvollen Auftrag nach Philip Hasard Killigrew zu forschen, ihn gefangen zu setzen und nach England zu verbringen, wo sich der Oberste Lordrichter mit der Angelegenheit befassen wird.“

„Ergebensten Dank, Majestät“, murmelte Sir Henry. „Dieser Aufwand ist leider mit hohen Kosten verbunden.“

Bei der allbekannten Habgier ihrer Majestät kam Sir Henry mit seinen Andeutungen allerdings schlecht an. Die Königin hatte nicht die Absicht, das Unternehmen aus ihrer Privatschatulle zu finanzieren. Ihre Antwort fiel daher sehr kühl aus.

„Auch das ist mir bekannt. Aber es ist wohl selbstverständlich, daß Sie zum Wohle Englands ein kleines Opfer bringen, Sir Henry, zumal Sie nicht gerade ein bescheidenes Leben führen, seit Ihnen der Duke-Titel zufiel.“

Sir Henry wußte darauf nicht viel zu sagen, sondern begnügte sich mit einem plumpen Grinsen. Das kleine Opfer schnitt ihm zwar ins Herz, aber da waren später ja hoch große Brocken zu holen, und vor den Erfolg hatten die Götter nun einmal den Schweiß gesetzt.

„Immerhin“, sagte die Königin nach kurzem Nachdenken, „bin ich bereit, Ihnen vier Kriegsgaleonen zur Verfügung zu stellen und auch Kaperbriefe ausstellen zu lassen. Es könnte ja sein, daß Ihnen unterwegs ganz zufällig ein Schiff begegnet und Sie gezwungen sind, es zu beschlagnahmen. Nachdem dann der Ertrag an die Krone abgeführt ist, werde ich entscheiden, wie hoch Ihr jeweiliger Anteil ist, Sir Henry. Er ist natürlich um so höher, je größer der Beuteertrag ist.“

Die drei Ehrenmänner nickten etwas beklommen. Die gute Bess verstand es vorzüglich und meisterhaft, das eine mit dem anderen zu verbinden, sozusagen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

„Sie sollten sich in diesem Fall ein Beispiel an dem Mann nehmen, den Sie zu jagen beabsichtigen“, fügte sie süffisant lächelnd hinzu.

„Immerhin hat es dieser Killigrew fertiggebracht, eine ungeheuerliche Beute heimzubringen und der Krone zu übergeben. Nehmen Sie sich wirklich ein Beispiel daran.“

Die drei Dunkelmänner wußten nicht, ob sie lächeln oder ernst bleiben sollten. Der Duke entschied sich für ein zaghaftes Grinsen. Sir Andrew nickte ernsthaft, während Sir John hüstelnd seine Knollennase rieb und auf den Boden stierte.

Immerhin, dachte er, sie rückt vier Kriegsgaleonen heraus. Aber da war noch sein Schiffchen, die beschlagnahmte Karavelle „Lady Anne“, die man an die Kette gelegt hatte. Vielleicht konnte man da nachsetzen. Von Dankbarkeit gegenüber den „Sirs“ war das alte Schlitzohr jedoch weit entfernt. Er dachte schon viel weiter. Wenn er erst einmal die „Lady Anne“ hatte, dann würde er den ehrenwerten Gentlemen schon die Eselsmützen aufsetzen. Das mußte aber die Zeit mit sich bringen, es durfte nichts überstürzt werden.

Innerhalb kurzer Zeit waren die Kaperbriefe ausgestellt und gesiegelt.

Sir John beugte sich zur Seite und flüsterte dem Duke zu: „Vielleicht wäre es möglich, Sir Henry, daß man mir meine Karavelle zurückgibt. Das würde den Verband um ein weiteres Schiff verstärken, und wir wären schlagkräftiger.“

Sir Henry leuchtete das ein, zumal die Karavelle ja doch nutzlos herumlag. Jedes weitere Schiff war daher wie ein Geschenk.

Er wollte seine Bitte der Königin gleich vortragen, doch die erklärte die Audienz für beendet und verwies die ehrenwerten Gentlemen an den Schatzmeister der Krone, Sir Francis Walsingham. Dann entschwand sie mit einem hoheitsvollen Kopfnicken.

Etwas später war auch das geklärt. Sir John sollte seine Karavelle zurückerhalten. Im Geist rieb er sich nach dieser Zusage die Hände, denn damit hatte er freie Hand und konnte den Viererverband um ein weiteres Schiff verstärken. Er dachte aber an alles andere als das. Sicher ergab sich früher oder später die erhoffte Gelegenheit, kräftig abzusahnen, die anderen Gentlemen zu bescheißen und ihnen die obligatorischen Eselsmützen aufzusetzen.

Daß Sir John die Karavelle „Lady Anne“ getauft hatte, war an sich schon ein Witz, denn bei dem jetzigen Zustand konnte von einem ehelichen Verhältnis zwischen Sir John und Lady Anne längst keine Rede mehr sein.

Als die Gentlemen ihre Kaperbriefe in Empfang nahmen, blieb nur noch eine Frage offen, die hauptsächlich den Duke of Battingham beschäftigte, der den Schatzmeister stirnrunzelnd ansah.

Natürlich stand ihm als dem Ranghöchsten die Befehlsgewalt über den Verband zu, doch offenbar hatte die gute Bess in ihrer Eile vergessen, Sir Henry die Befehlsgewalt zu übergeben.

Sir Andrew kam dafür nicht in Frage, er war ja nur Earl. Der Kerl mit der Säufernase und dem ungebührlichen Benehmen schied sowieso aus, folglich blieb also er übrig.

„Wer führt denn nun den Oberbefehl über den Verband?“ fragte er leicht indigniert den Schatzmeister.

„Die Kommandanten der vier Kriegsgaleonen sind Ihnen selbstverständlich unterstellt“, sagte Sir Francis.

„Das sehe ich auch als selbstverständlich an“, maulte Sir Henry, „daß mir die Kommandanten unterstellt sind.“

„Nicht Ihnen allein“, berichtigte der Schatzmeister. „Ihnen dreien sind die Kommandanten unterstellt.“

Das paßte dem quengeligen Gockel nun gar nicht, und so plusterte er sich auch gleich auf.

„Das Recht als Befehlshaber steht wohl ausschließlich mir zu“, erklärte er hochnäsig. „Als Überbefehlshaber natürlich.“

Er mußte sich jedoch eines Besseren belehren lassen, denn der Schatzmeister erwiderte kühl und gelassen: „Es tut mir leid, Sir Henry. Ihre Majestät hat entschieden, daß es sich bei dem Unternehmen um eine rein private Angelegenheit handelt. Ergo bleibt die Rangordnung bestehen. Ein Oberbefehlshaber wird somit nicht ernannt.“

„Ha“, sagte der stupsnäsige Sir Henry empört, „ich glaube, ich habe begriffen.“

Die anderen hatten auch begriffen, denn bei einem rein privaten Unternehmen war der Königin die Möglichkeit gegeben, die Gentlemen ganz einfach zu verleugnen, um so den üblichen spanischen Protesten aus dem Weg zu gehen.

Eine sehr gerissene Lady, dachte Sir Henry verärgert. Sie war wie der Teufel hinter der Beute her, ging dabei aber nicht das geringste Risiko ein.

Aber es war gar nicht gut, wenn alle drei das Sagen hatten. Doch er würde sich schon durchsetzen, dachte er. Immerhin war er der Duke of Battingham, und er hatte das Geld, nicht die anderen. Geld und Titel waren also Macht, und das gedachte Sir Henry kräftig auszunutzen.

Das nichtsnutzige Produkt einer verwöhnten Erziehung warf dem Schatzmeister einen vernichtenden Blick zu, drehte sich um und verschwand grußlos.

Auch seine Hochwohlgeboren, der Earl of Cumberland, geruhten, recht säuerlich dreinzublicken.

Der einzige, der versteckt und trotzdem recht boshaft grinste, war das alte Rübenschwein Sir John, denn der ahnte schon jetzt, daß es bald Verdruß und Ärger geben würde. Aber wohl kaum für ihn, das betraf mehr die hochadligen Stiesel, die sich früher oder später an den Kragen gehen würden. Von der Seefahrt verstanden sie ohnehin kaum etwas.

Als sie Whitehall verlassen hatten, lauerten Sir John seine beiden schweinsgesichtigen Söhne Simon Llewellyn und Thomas Lionel auf und blickten ihn aus fast wimpernlosen Augen erwartungsvoll an.

„Alles klar“, sagte der Alte feixend, „ich habe den Kaperbrief und meine Karavelle zurück. Mit der segeln wir.“

Die beiden Brüder zuckten etwas zusammen, denn auf der Karavelle des Alten gab es ein Ungeheuer namens O’Leary, ein rüder Bootsmann mit einer Fleischklopfervisage, breitem Kreuz und bratpfannengroßen Fäusten. Dieser rohe Kerl war den beiden Ferkelsöhnen vom Alten übergeordnet, mit der Auflage, daß er die beiden nach Belieben kujonieren, prügeln und herumstoßen durfte, falls sie nicht parierten.

Und O’Leary war nicht gerade zimperlich. Er hatte schon mit beiden zusammen das Deck aufgewischt – wobei die Ferkelbrüder natürlich die Funktion eines Schwabbers erfüllten –, und er hatte ihnen auch oft genug in den Hintern getreten oder ihnen kräftig was aufs Maul gegeben.

„Äh“, sagte der dümmliche Thomas Lionel, „wird O’Leary denn auch etwa an Bord sein?“

„Klar wird er an Bord sein, was sonst? Und es wird verdammt noch mal Zeit, daß er euch Hurensöhnen wieder kräftig auf die Zehen tritt. Euch Lümmeln fehlt mal wieder was vor die Schnauze. Im Knast hat man euch viel zu gut behandelt, da habt ihr nur gefressen und gesoffen. Aber das wird jetzt anders“, versprach er drohend.

Die Kerle mit den Schweinsgesichtern sahen sich verbiestert an. Dieser verhaßte O’Leary hatte ihnen gerade noch gefehlt. Da war es fast im Kerker schöner gewesen, wo sie mit Hilfe ihres Alten die anderen kujonieren konnten.

„Wir geben es diesem Hund wieder“, raunte Thomas Lionel, „so wie damals, da haben wir ihn auch geschafft.“

Sein Bruder erinnerte sich auch noch gern daran, obwohl das schon zwei Jahre zurücklag. Da war Thomas Lionel über sich selbst hinausgewachsen, als er sich von O’Leary in die Enge getrieben sah und wie eine geifernde Ratte reagiert hatte. Sie hatten den rüden Bootsmann auf die Planken gezwungen und waren auf ihm herumgetrampelt, und als der Alte dazwischenging, da hatte er auch noch einen Brocken gefangen, der ihn außer Gefecht setzte. Leider fand diese heroische Tat dann aber ein schnelles Ende, denn die beiden Ferkelbrüder waren nicht in der Lage, sich auch weiterhin durchzusetzen, und so fanden sie sich etwas später, grün und blau geschlagen, gefesselt in der Vorpiek wieder.

Jetzt würde der ganze Scheiß also wieder von vorn losgehen, dachte Thomas Lionel bekümmert. O’Leary war ein verdammt nachtragender Kerl, der entsann sich immer wieder daran, wie sie ihn damals ganz überraschend vermöbelt hatten. Und immer wenn er sich daran entsann, und das war nicht selten der Fall, dann setzte es Hiebe und Schläge an die Ferkelohren, daß es nur so rauchte.

„Vielleicht schaffen wir es diesmal, ihn abzustechen“, sagte Simon Llewellyn flüsternd, damit der Alte es nicht hörte.

Aber der hatte es gehört, blieb stehen und klebte dem Ältesten eine, daß ihm fast der Schädel von den Schultern flog.

Die alte Seeräubersippe der Killigrews ging also bald mit den frömmsten Hintergedanken in See. Der Alte haßte seine Söhne, die Söhne haßten ihn, und sie haßten auch den Bootsmann O’Leary. Da würde bald wieder der Teufel los sein.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 417

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