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2.

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„Eiliger Drache über den Wassern“, der viermastige Schwarze Segler, im Jahre 1560 in China unter dem Großen Chan aus Harthölzern erbaut, wirkte auf die meisten, die ihn zum ersten Male sahen, wie ein Schock.

Das Schiff, eine gelungene Kombination zwischen einer Dschunke und einer Galeone, war schwarz wie die Nacht. Schwarz war der Rumpf, pechschwarz die Masten und Rahen, und schwarz waren die Segel, auf die feuerspeiende Drachenköpfe und andere unheimliche Gestalten genäht waren.

Der nordische Riesenschrat, Thorfin Njal, hockte auf dem Achterdeck in seinem „Sesselchen“. So jedenfalls pflegte er in liebevoller Verzärtelung jenen thronartigen gewaltigen Sitz zu nennen, der in den Planken verbolzt war und einem nordischen Götterthron glich.

Auch sein sogenanntes „Messerchen“ hing an seinem Gürtel. Das Ding war über ein Yard lang und wog knapp einen Zentner. Dieses Messerchen, von den meisten anderen kaum zu handhaben, pflegte Thorfin bei einer Auseinandersetzung mit einer Hand zu schwingen.

Der Nordmann wischte mit einer Hand über seinen rötlichgrauen Bart. Der Bart war feucht wie ein großer Lappen, denn der Nebel hatte seine Feuchtigkeit darin hinterlassen, und so schimmerten immer wieder kleine Perlen in dem gewaltigen Gestrüpp.

Der Nebel war so dicht, daß er von seinem Sesselchen aus nicht einmal das Vorschiff sah. Sein Blick reichte gerade bis zur Kuhl, wo alles in bizarren Formen und Umrissen wie in einer Waschküche verschwamm.

Den Mann, den alle den Wikinger nannten, juckte der Nebel nicht. Von seinem Sesselchen aus gab er Ruderkommandos auf seine ganz besondere eigenwillige Art, die den Rudergänger schier zur Verzweiflung trieb.

Zur Zeit stand der Stör am Ruder. Er hatte den Steuermann Barba abgelöst und fühlte sich in der dicken Suppe höchst unbehaglich, zumal er absolut nichts sah.

Der Stör, einer der fünf Wikinger, wurde so genannt, weil er ein so endlos langes Gesicht wie ein Stör hatte. Er hieß nur der Stör. Seinen wirklichen Namen kannte keiner.

Der Stör hatte zur Zeit die traurige Aufgabe, auf Thorfins gewaltigen Daumen zu peilen, den der Nordmann augenblicklich senkrecht in die Höhe hielt. Senkrecht hieß soviel wie: Kurs so halten. Gut so!

Bewegte sich dieses gewaltige Ding von einem Daumen jedoch plötzlich nach links oder rechts, bedeutete dies einen Kurswechsel nach Backbord oder Steuerbord, der jedes Mal von einem kurzen energischen Pfiff begleitet wurde.

Wer bei Thorfin am Ruder stand, konnte also beruhigt eine Weile vor sich hindösen. Der Pfiff weckte ihn, denn er war durchdringend und grell, und dann sah er immer noch rechtzeitig die Daumenbewegung. Allerdings döste niemand bei der Ruderwache, denn darin verstand der Nordmann keinen Spaß.

Der Stör zuckte entnervt zusammen, als der schrille Pfiff erklang und der Daumen nach links zeigte. Er legte Backbordruder, bis der Daumen wieder nach oben wies.

Was die Kursänderungen sollten, war dem Stör absolut nicht klar, denn Thorfin sah in dieser Nebelsuppe auch nicht weiter als bis zur Kuhl. Dort war die Welt endgültig zu Ende, und es schien nicht mal ein Vorschiff zu geben. Der Wikinger aber bewegte sich in diesem zähen Brei so sicher, als sei die Sicht bis zur Kimm frei.

„Weiter so“, sagte der Poltermann mit seiner Donnerstimme. „Du bleibst jetzt auf diesem Kurs, bis du Land siehst. Verstanden? Und wenn du um Haaresbreite aus dem Kurs läufst, dann fliegt dir Thors Hammer ins Kreuz.“

„Fliegt dir Thors Hammer ins Kreuz“, wiederholte der Stör, weil es eine lausige Angewohnheit von ihm war, oftmals Thorfins letzten Satz nachzuquatschen.

„Dir“, brüllte der Wikinger erbost. „Nicht mir! Außerdem habe ich dir schon tausendmal gesagt, daß du nicht immer alles nachquasseln sollst, du gelabsalbter Stint. Ich will jetzt essen und dabei nicht gestört werden.“

Das Essen brachte Arne, der andere Wikinger. Zubereitet hatte es Cookie, das schmierig wirkende Köchlein an Bord. Er traute sich nicht, dem Poltermann das Essen aufs Achterdeck zu bringen, denn er hatte Angst davor, daß die Riesensandalen des Wikingers wieder in seinem Achtersteven landeten, wenn Thorfin mit dem Fraß nicht zufrieden war.

Arne schleppte eine riesige Platte herbei. Darauf lagen drei sehr knusprig gebratene Hühner, eine armlange Hartwurst, ein halber Laib Brot, ein halbierter Käselaib, eine große Kumme mit Butter und ein riesiges Speckstück.

„Mehr Hühner hatten wir leider nicht“, sagte Arne. „Hier ist auch noch etwas zu trinken.“ Er stellte die Kanne neben das monströse Sesselchen. Sie enthielt eine knappe Gallone Dünnbier.

„So ist es recht“, sagte der Nordmann.

Dann begann er genüßlich zu essen. Die Hühnchen riß er auseinander, von der Hartwurst schnitt er daumenstarke Stücke ab, ebenso vom Speck. Das Brot schnitt er in riesige Würfel, packte fingerdick Butter darauf und legte Käsescheiben darüber.

Der Stör stand weiterhin am Ruder und duckte sich, wenn die abgenagten Hühnerknochen heranflogen. Die meisten sausten haarscharf an seinem Kopf vorbei.

„Aufpassen!“ knurrte der Wikinger.

Der Stör bezog das auf die Knochen, und er gab acht, damit ihn ja keiner traf, denn sie flogen fast so schnell wie Musketenkugeln.

Aber dann traf ihn doch einer ziemlich schmerzhaft, und er verzog ärgerlich und beleidigt das lange Gesicht.

„Aufpassen, habe ich gesagt“, grollte Thorfin wütend. „Hast du keine Augen in deinem verdammten Schädel?“

„Ich kann nicht jedem Knochen ausweichen“, maulte der Stör.

„Ich sprach nicht von den Knochen. Du sollst auf den kleinen Kahn aufpassen und ihn nicht untermangeln.“

Der Stör sah keinen kleinen Kahn und starrte finster in den Nebel.

„Da drüben, an Backbord, du Blindfisch! Da hocken zwei Fischer in einem Torfkahn. Halte etwas weiter ab! Oder glaubst du, ich werfe dir die Knochen aus Spaß an den Schädel?“

Der Stör sah immer noch nichts. Erst als sich Thorfins Gesicht verfinsterte und er Anstalten traf, sich aus seinem Sesselchen zu erheben, erkannte der Stör etwas – einen kaum sichtbaren Schatten, der auf dem Wasser zu schweben schien.

Die anderen, die ebenfalls an Deck standen, der Boston-Mann, Juan, Mike Kaibuk, der Kreole Tammy und Pedro Ortiz, sahen ebenfalls nichts und stierten ausdruckslos in die zäh wabernden Schleier.

Dann sah der Boston-Mann das Fischerboot ebenfalls für einen winzigen Augenblick ganz deutlich. Auch der Stör entdeckte schließlich das Boot mit den zwei wie erstarrt wirkenden Männern. Aber schon wieder verschwand es im allesverschlingenden Nebel.

Der Stör schluckte hart und wich dem „Torfkahn“ aus. Thorfin Njal aß in aller Seelenruhe weiter. Die drei Hühner waren verputzt, und jetzt war der schäbige Rest an der Reihe. Die Kanne mit dem Dünnbier war auch bereits zur Hälfte leer.

Etwas später, eine knappe halbe Stunde mochte vergangen sein, gab Thorfin erneut Daumenzeichen und stieß einen Pfiff aus.

„Da ist der Torfkahn schon wieder“, brummte er. „Krebsen hier herum, die Kerle, obwohl sie nichts sehen. Hoffentlich bist du bald auf dem anderen Kurs!“ fuhr er den Stör an.

Der Stör verzweifelte fast. Er hatte gute und scharfe Augen, und dennoch nahm er nur wieder einen winzigen Strich wahr und zwei kaum sichtbare Schatten, die sofort im Nebel wie ein Spuk verschwanden.

„Ha, die haben Angst, die Kerle“, sagte Thorfin und rülpste laut. „Das sieht man deutlich an ihren Gesichtern.“

Der Stör schluckte abermals. Er sah die Gestalten nicht mehr, so sehr er sich auch anstrengte. Dafür spuckten diese Nebelgebilde auf dem Wasser in seinem Schädel herum und verwandelten sich alle Augenblicke in neue monströse Figuren und Gestalten.

Er glaubte in den wabernden Fetzen Ägirs wilde und schreckliche Töchter zu sehen, die nicht nur abstoßend aussahen, sondern auch schreckliche Namen wie Heulerin und Raffgierige hatten.

Thorfin hatte dem Stör die nordische Mythologie so lange vorgequatscht, bis er sie endlich glaubte. Seitdem sah er sich im Nebel ständig von Odins Raben Hugin und Munin umlauert. Oder er sah Thor selbst, dem rothaarigen Gesellen mit seinem wilden aufbrausenden Temperament, der seinen gewaltigen Hammer schwang. Auch Ran war da, Ägirs Gattin, die ihm einen bösen Blick aus dem Wasser zuwarf.

Alle waren sie da, die nordischen Götter, die das Meer beherrschten, und selbst die riesige Weltesche Yggdrasil wuchs aus den Nebeln.

„Kurs halten!“ rief Thorfin. „Die Kerle sind verschwunden.“

Der Stör hielt Kurs, aber nicht lange, dann scheuchte Thorfins riesiger Daumen ihn wieder auf und nervte ihn, denn der nordische Poltermann hatte ständig was zu meckern.

„Du siehst doch in dem Nebel gar nichts“, maulte der Stör nach einer Weile. „Wir wissen nicht einmal, wie weit die Küste entfernt ist.“

„Du vielleicht nicht, aber ich weiß es. Ich kann die Küste sogar sehen.“

„Glaube ich nicht“, widersprach der Stör. „Der Nebel ist so dicht, daß ich nicht mal das Vorschiff sehe.“

„Was heißt hier: Das glaubst du nicht!“ brauste der Wikinger auf. „Was ich dir vorbete, hast du gefälligst zu glauben, du triefäugiges Sumpfhuhn. Noch bin ich hier der Kapitän, und mein Wort gilt. Wenn du noch einmal widersprichst, nagle ich dich an den Großmast.“

„An den Großmast“, murmelte der Stör entsetzt.

Thorfin runzelte schon finster die Stirn, und der Stör zog vorsichtshalber das Genick ein, denn er kannte seinen Herrn und Meister, der mitunter sehr übellaunig reagierte.

Aber da erschien die Erlösung, und für den Stör war es, als ginge in dem dichten Nebel strahlend die Sonne auf.

Siri-Tong, die Rote Korsarin, erschien an Deck. Sie trug ihre obligatorische Kluft, der sie auch den Beinamen Rote Korsarin verdankte – eine rote Bluse und blaue Hosen. Da es noch unangenehm kühl war, hatte sie sich eine Segeltuchjacke um die Schultern gehängt. Ihr langes, schwarzblau schimmerndes Haar fiel über den Kragen der Segeltuchjacke.

Sie blickte Thorfin aus ihren schwarzen mandelförmigen Augen etwas nachdenklich an. Ihr roter Mund verzog sich zu einem knappen Lächeln.

„Ist was?“ fragte der Nordmann grinsend.

„Man hört dich von vorn bis achtern und von morgens bis abends“, sagte sie. „Seit fast zwei Stunden meckerst du mit dem Stör herum. Muß das eigentlich sein? Er ist doch ein guter Rudergänger.“

„Ein guter Rudergänger“, wiederholte der Stör erfreut.

„Ein übler Nachquatscher ist das“, sagte Thorfin grollend. „Und als Rudergänger sieht er nicht einmal das Land, weil seine Klüsen zugewachsen sind.“

„Siehst du denn etwa das Land?“ fragte Siri-Tong noch einem kurzen Blick in den Nebel spöttisch.

„Ich – äh – manchmal schon“, sagte Thorfin etwas lahm. „Hauptsächlich dann, wenn …“

„… der Nebel aufreißt“, ergänzte sie freundlich, „und andere Schiffe in Sicht sind, die man rupfen kann.“

„Ich habe mich nur meiner Haut gewehrt“, brummte Thorfin unbehaglich. „Die Kerle von der ‚Ragnhylt‘ sind frech geworden, als ich sie freundlich etwas fragte. Dabei habe ich nur die Gelegenheit genutzt. Sie hätten sich ja besser wehren können.“

„Und die drei Holländer im Skagerrak?“ fragte die Rote Korsarin.

„Die Holländer?“ Thorfin tat so, als müsse er sich erst mühsam daran erinnern. Er hatte sowieso seine eigene Logik, der Schrat aus dem hohen Norden. „Die haben es nicht besser verdient“, knurrte er dann. „Sie haben nur ein bißchen Zunder gekriegt, mehr nicht.“

„Na ja, das sind deine Ansichten“, meinte Siri-Tong. „Bis wann, glaubst du, sind wir in Bergen?“

„In vier bis fünf Tagen etwa, falls der Nebel nicht so lange anhält. Sonst kann es mindestens eine Woche dauern.“

Die Rote Korsarin war von der Aussicht nicht gerade begeistert. Sie hatte die Reise in den Norden ohnehin nur aus einer spontanen Laune heraus angetreten. Aber dieser Wind war verdammt kalt, und lange nicht so angenehm wie der Wind in der Karibischen See. Sie wollte nur einmal hinaus, weiter nichts.

In Bergen wollte Thorfin eine Ladung Eisenerz oder Eisenbarren besorgen. Die eigentliche Idee dazu stammte von dem alten Schiffbaumeister Hesekiel Ramsgate, und diesen Gedanken hatte der Nordmann sofort und sehr begierig aufgegriffen. Eisen oder Eisenerz brauchten sie für die Werft im Stützpunkt Great Abaco auf den Bahamas. Sie wollten es selbst schmelzen und weiterverarbeiten, wie Hesekiel vorgeschlagen hatte, denn Eisenbarren oder Erze waren im karibischen Raum nur sehr schwer zu beschaffen.

Thorfin hatte sofort versprochen, die Reise anzutreten, zumal er geradezu „prädestiniert“ für den hohen Norden war, wie er selbst versichert hatte. Auf dieser Reise wollte er zugleich einen kleinen Abstecher nach Island unternehmen, um dort einmal nach dem Erbe seiner Frau Gotlinde, dem Thorgeyrschen Hof, zu sehen. Daß man dabei unterwegs, so ganz nebenbei, ein paar Handelsschiffe rupfte, war nur selbstverständlich.

Thorfin war allerdings nicht der Mann, der andere Schiffe hinterrücks überfiel und ausplünderte. Er tat das mehr auf die feine nordische Art, wie er es selbst nannte. Er fing meist ein bißchen Stunk an, und wenn die anderen dann voll aufgebraßt waren, ging es zur Sache. Die waren dann „frech“ geworden, wie jener Handelssegler „Ragnhylt“, dessen Kapitän ihm üble Drohungen zugerufen hatte. Hinterher sah der Däne dann ein bißchen gerupft aus. Seine Segel waren nicht mehr die besten, und auch das Holz des Schiffes war rußgeschwärzt.

„Und wie lange gedenkst du, dich in Island aufzuhalten?“ erkundigte sich Siri-Tong. Die Tochter einer Chinesin und eines portugiesischen Seemannes zog die Segeltuchjacke enger um ihre Schultern, denn der Wind frischte auf und wurde immer kühler.

„Zuerst will ich in Bergen das Zeug kaufen, aber noch nicht laden. Dann brauche ich nicht mit einem voll abgeladenen Schiff in den Norden zu törnen. In Island selbst werden wir uns nicht lange aufhalten, nur mal kurz nachsehen, was es an Neuigkeiten gibt und wie es um den Hof bestellt ist. Dann segeln wir zurück nach Bergen, nehmen die Ladung an Bord und gehen über die Orkneys wieder in den Atlantik. So ungefähr habe ich mir den Verlauf der Reise vorgestellt.“

„Nicht wieder an der Südküste Englands vorbei?“

Der Riesenschrat zuckte mit den gewaltigen Schultern. Mit der linken Hand wischte er durch seinen feuchten Bart.

„Du hoffst immer noch, dort irgendwo auf den Seewolf zu treffen“, meinte er, „aber das ist aussichtslos. Weiß der Teufel, wo die Kerle zur Zeit stecken. Sie können an jedem Punkt der Welt sein. Wir haben seit Ewigkeiten nichts mehr von ihnen gehört. Ich würde die Kerle auch gern einmal wiedersehen.“

„Ja, sie sind schon sehr lange weg“, sagte Siri-Tong nachdenklich.

Sie blickte den Bostonmann an, der sich ihnen näherte. Sein goldener Ring am linken Ohr baumelte hin und her. Er hatte sich mit dem kühlen Wetter offenbar angefreundet. Die Ärmel seines Hemdes waren bis zu den Oberarmen aufgekrempelt. Das Leinenhemd stand drei Knopf breiten offen, daß man seine schwarzen Brusthaare sah.

Der Bostonmann war ein schweigsamer Mann mit einem kühnen scharfgeschnittenen Profil. Er war das, was man einen Bilderbuchpiraten nennt, denn auch heute trug er wieder sein rotes Kopftuch und eine rote Schärpe über dem Hemd. An der rechten Hand fehlte ihm der Daumen. Dort hatte ihn einmal eine Musketenkugel erwischt.

„Frierst du nicht?“ fragte die Rote Korsarin. „Wenn man dich sieht, könnte man meinen, wir haben Hochsommer.“

„Nein, Ma’am, ich friere nicht.“

„Ich kann mich an den kühlen Norden nie so richtig gewöhnen“, sagte Siri-Tong. „Nebel, Kälte, eisiger Wind, und es wird noch schlimmer, wenn wir Island ansteuern.“

„Halb so wild“, sagte Thorfin in seiner polternden Art. „Hier kann man wieder frische Luft atmen. In der Karibik ist es mir langsam zu heiß geworden. Bin froh, daß ich wieder im Norden bin. Da unten schwitzt man sich ja die Seele aus dem Leib.“

Siri-Tong und der Bostonmann wechselten einen schnellen Blick. Während die Rote Korsarin ein wenig lächelte, blieb das Gesicht des Bostonmannes ernst und zeigte keine Regung. Aber alle beide dachten das gleiche.

Kein Wunder, daß sich Thorfin in der Karibik die Seele aus dem Leib schwitzte. Er trug selbst bei der allergrößten Hitze seine rauchgrauen Felle und den Kupferhelm. Für die Arwenacks war das immer ein Anlaß zu spöttischen Bemerkungen, doch das juckte den Wikinger absolut nicht.

Auch Carberrys laut ausgesprochener Verdacht, der Wikinger züchte unter seinem Helm nordische Riesenläuse, ließ den Poltermann kalt. Er zählte sich zu den letzten Vertretern eines längst ausgestorbenen Seefahrergeschlechtes, und davon brachte ihn niemand ab.

Er gab dem Stör am Ruder erneut ein Zeichen mit dem Daumen und pfiff einmal scharf. Kursänderung nach Steuerbord, hieß das.

„Bist du sicher, daß du in dem Nebel etwas siehst?“ fragte Siri-Tong spöttisch. „Meinem Gefühl nach steuern wir direkt auf die schwedische Küste zu, ohne daß ich auf den Kompaß geblickt habe.“

„Wir laufen jetzt genau Nordnordwest“, behauptete Thorfin, der von seinem thronartigen Sesselchen aus den Kompaß ebenfalls nicht sehen konnte. Am Stand der Sonne konnte er sich ebenfalls nicht orientieren, denn der Himmel hörte scheinbar am Marssegel auf. Weiter oberhalb war alles in undurchdringlichen Dunst gehüllt.

Siri-Tong wollte es nicht glauben. Sie sah den nordischen Schrat etwas erstaunt an, wandte sich dann ab und trat neben den Stör, um einen Blick auf den Kompaß zu werfen.

Thorfin lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen in seinem Sesselchen zurück und faltete die Hände über dem Bauch. Der Bostonmann stand neben ihm und blickte auf die Rote Korsarin, die schweigsam wieder zurückkehrte.

„Welcher Kurs liegt denn genau an?“ fragte Thorfin behäbig.

„Nordnordwest“, erwiderte Siri-Tong leise.

Thorfin grinste in seinen rötlichgrauen Bart.

„Habe ich doch gesagt“, erklärte er belustigt. „Uns Wikingern ist das in die Wiege gelegt worden. Wir haben früher schon ohne Kompaß über die Meere gefunden. Schon als kleiner Windelpisser wußte ich immer genau, auf welchem Kurs ich …“

„Thorfin“, mahnte Siri-Tong. „So genau wollte ich das gar nicht wissen.“

Thorfin brummte etwas in seinen Bart und nickte dem Bostonmann zu.

„Wird Zeit, daß wir etwas zwischen die Zähne kriegen, Bostonmann. Sag dem Schmierlappen Cookie, er soll das Essen zubereiten. Für mich soll er einen Schellfisch zubereiten und keine Sardine wie gestern. Und schön durchgebraten“, rief er dem Bostonmann nach, „sonst sollen den Kerl Odins Raben fressen!“

Der Bostonmann nickte schweigend und verschwand in der Kombüse, die Thorfin als Kakerlakenburg zu bezeichnen pflegte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 603

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