Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 201 - Fred McMason - Страница 4
1.
ОглавлениеNoch niemals, solange die Eingeborenen denken konnten, war auf Bali das Kecakfest des heiligen Affenkönigs verschoben worden. Der Affenkönig Hanuman wäre tödlich beleidigt gewesen, aber selbst er mußte diesmal ein Einsehen haben.
Die Vorbereitungen hatten begonnen, und die jungen Mädchen tanzten den anmutigen Legong-Tanz.
Der Balian, der Medizinmann, hob gerade beschwörend die Hände und rief den heiligen Gott Shiwa an – da begann ein zartes Rumoren.
Anfangs klang es, als würde ganz zart eine große Trommel gerührt, deren Schall sich durch den Boden fortpflanzte. Gleich darauf folgte jedoch ein Vibrieren.
Die Legong-Tänzerinnen mit den Mandelaugen ließen die Arme sinken. Der anmutige Tanz wurde unterbrochen, in die Gestalten kam ruckartige Bewegung, dann blieben sie entsetzt stehen.
Durch den Boden lief nun ein hartes Grollen, und jenseits der sanft ansteigenden Berge kräuselte sich hellgrauer Rauch ganz zart in die Luft.
Die Augen des Balian wurden groß und rund, auch er erstarrte vor Schreck.
Doch dann ließ er sich auf den Boden fallen, kniete nieder und reckte flehend die Arme hoch.
„Shiwa!“ rief er laut und flehend. „Herr über Leben und Zerstörung! Was haben wir getan, um uns deinen Zorn zuzuziehen? Sei gnädig, Herr, wir fürchten deinen Zorn. Verschone uns Demütige!“
Auch die anderen, Tänzerinnen und Tänzer, Junge und Alte, fielen auf die Knie und baten mit zitternder Stimme um Verschonung.
Die Rauchfahne des kegelförmigen Berges Gunung Agung wurde größer und dichter. Aus dem zarten Hellgrau wurde tiefes Dunkel, dann begann es tief unter der Erde donnernd zu hallen, schrecklich laut wurde das Getöse.
Die Insulaner hörten es mit steigendem Entsetzen, sahen den schwärzlichen Rauch, vernahmen das Rumoren und versuchten verzweifelt, den wilden Gott zu besänftigen, indem sie noch lauter beteten und ihn anflehten.
Lange Jahre hatte Shiwa geschwiegen, bis auf ein gelegentliches leises Knurren und den leichten Rauch, den er aus seinem Thron blies.
Jetzt, gerade beim Beginn des Kecakfestes, mußte etwas seinen Zorn geweckt haben. Würde er auch diesmal wieder mit brüllenden Lavaausbrüchen Tod und Verwüstung schikken?
Der Balian überlegte angstvoll und sah sich nach irgendwelchen Zeichen um, aber er fand keine.
Es gab nichts, was gerechtfertigt war, Shiwas Zorn zu beschwören. Und doch war der Gott ergrimmt!
Jetzt blies er vom Gunung Agung wieder eine schwarze Rauchwolke in die Luft, noch größer und gräßlicher als die erste, und begleitete den Rauch mit tiefem, lang anhaltendem Grollen.
Da hielt auch den Balian nichts mehr, als ein schwerer Stoß den Boden erschütterte und die Palmen schwanken ließ. Die Teilnehmer des Festes rannten davon und verstreuten sich in alle Richtungen, wobei sie sich immer wieder zu Boden warfen und laut flehten.
Der Medizinmann lief zum Berg und blieb am Fuße des Gunung Agung mit ausgebreiteten Armen stehen. Seine Lippen verzogen sich, er murmelte vor sich hin, beschwörend, beschwichtigend.
Noch ein anderer war ihm gefolgt: Atun, der Priester, der jetzt ebenfalls versuchte, den zürnenden Gott zu besänftigen.
„Sag, Herr, was haben wir getan?“ fragte der Priester. „Gib uns ein Zeichen, Herr!“
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Berg schwieg, doch aus seinem Kegel drang ein Zischen, das immer mehr anschwoll.
Shiwa schleuderte eine Handvoll roter und schwarzer Brocken aus dem dampfenden Schlund, die rollend und polternd den Hang hinabkullerten. Weder der Balian noch der blinde Priester rührten sich. Der Balian sah das Unheil, Atun hörte es, aber er lief nicht weg.
Das Poltern der Steine wurde lauter und schwoll zu einem Getöse an, als die großen Steine sich ihren Weg suchten. Sie sprangen hoch, hüpften in langen Sätzen, kullerten oder rollten und sprangen erneut hoch in die Luft.
„Der Herr schickt die Dämonen“, sagte der Priester, aber der Balian verstand die Worte nicht, die im Rollen der Steine untergingen. Er wußte nur, daß der Berg ein Opfer wollte – ihn oder den Priester.
Und so geschah es auch.
Einer der polternden Steine traf Atun, und der Priester starb, ohne zu klagen, ohne ein Wort auf den Lippen.
Danach war alles vorbei. Der blinde Atun war tot, er lag still und friedlich auf dem Boden, dicht neben dem Stein, der ihn erschlagen hatte.
Der Gunung Agung wurde ruhig, bis auf eine kleine weißgraue Rauchfahne, die immer noch seinem Kegel entströmte. Das Rumpeln und Dröhnen, Poltern und Zittern hörte auf.
Dafür aber sah der Balian etwas anderes, als er aufs Meer blickte.
Es schien am Horizont zu kochen und zu brodeln, und es wurde immer unruhiger.
Lange, schäumende Wellen liefen auf den Strand.
Etwas später bewegte sich eine Prozession zum Strand hinunter, die von dem Balian angeführt wurde.
Die Leute drehten sich immer wieder scheu um und warfen heimliche Blikke zu dem Berg, von dem Shiwa gesprochen hatte. Shiwa, der Herr, hatte dem eigentlichen Vulkangott Basaki den Ausbruch befohlen, aber Shiwa war mächtiger, und der Balian hielt sich in seinen Gebeten immer an ihn.
Es schien, als seien alle beide besänftigt, denn noch immer drang nur eine schwache Rauchfahne aus dem Krater.
Dafür war das Meer um so wilder und aufgepeitschter, obwohl nicht viel Wind wehte.
Die Prozession schritt zum Wasser, wo sich der große Seetempel befand, der den Seefahrern Schutz vor Dämonen bot.
Obwohl Ebbe herrschte und der Seetempel sich dann auf Land befand, stand er diesmal tief im Wasser. Eine langgezogene Dünung rannte gegen ihn an, und weiße Schaumkronen brachen sich an ihm. Gischt stäubte auf, in langen dünnen Schleiern, die wie Spinnweben pausenlos in der Luft hingen.
Vor dem heiligen Seetempel verharrte die Menge, jung und alt blieben stehen und sahen auf den Balian, der geistesabwesend einen vierfachen magischen Kreis andeutete und erst dann mit hoch erhobenen Armen den Seetempel betrat.
Er wirkte wie in Trance, sein Blick war veschleiert, seine Bewegungen waren marionettenhaft.
Dann verschwand er in dem Merus, dem Seetempel, der aus sieben übereinandergestellten Dächern bestand.
Auch dieser Tempel war Shiwa geweiht, bis auf den kleinen Ahnentempel, der zu Ehren von Shiwas elfköpfigem Sohn Ganesha errichtet worden war.
Länger als eine Stunde blieb der Medizinmann in dem Seetempel und befragte die Götter, ob ein Unglück die Insel heimsuchen würde.
Als er zu der schweigenden Menge zurückkehrte, kündete der Blick seiner Augen von Unheil, und sein Gesicht war düster. Er blickte zum Gipfel des Gunung Agung auf und sprach mit leiser, kaum hörbarer Stimme.
„Ein Unglück wird geschehen. Das Meer wird sieden und brodeln, und es wird fremde Seefahrer zur Insel schleudern. Nehmt euch in acht vor ihnen, es wird schon bald passieren.“
Ein Mann der untersten Kaste, der der Jabe angehörte, richtete sich aus seiner kauernden Stellung auf.
„Was können wir tun, Balian?“
„Nichts“, murmelte der Medizinmann. „Wir müssen es erwarten, und es soll so geschehen, wie der Herr über Leben und Zerstörung gesagt hat. Geht jetzt und holt Atun. Bringt ihn zum Friedhof.“
„Und was ist mit dem Fest, Balian?“ fragte ein Brahmane, ein dürrer ausgemergelter Mann, der der höchsten balinesischen Kaste angehörte. „Hanuman, der König der Affen, wird uns grollen, auch der Dämon Barong!“
„Wir werden es für ein paar Sonnenaufgänge verschieben“, lautete die Antwort des Medizinmannes.
Die Menge wandte sich schweigend vom Strand ab und kehrte zurück.
Zwei junge Balinesen holten den toten Atun und brachten ihn zum Friedhof.
Dort wurde der Priester aber nicht beigesetzt, denn ihm stand eine aufwendige Verbrennung bevor. Er wurde vorerst auf dem Friedhof unter schützenden Matten zur vorläufigen Verwesung ausgelegt.
Die festliche Stimmung war vorbei, die Insulaner warfen immer wieder besorgte Blicke auf das Meer, das sich wie wild gebärdete. Schon lange hatte man dieses merkwürdige Naturereignis nicht mehr gesehen, lediglich die alten Brahmanen wußten noch darüber zu berichten.
Immer wenn sich das Meer so wild benahm, obwohl kein Wind es aufwühlte, geschah ein Unglück, und über die Insel kamen Unheil und Verderben wie jene riesige Flutwelle, die über den Norden der Insel gebraust war und fast alles Leben vernichtet hatte.
Ein ähnlicher Vorgang würde sich wiederholen, das stand für alle fest, und niemand vermochte es zu ändern.
In den Gesichtern der fröhlichen Menschen standen Schatten der Angst und der Trauer. Einige von ihnen ahnten, daß das Brodeln der See mit dem Vulkanausbruch zusammenhing, denn so war es schon einmal vor langer Zeit gewesen. Auch damals hatte sich der Vulkangott Basaki wieder beruhigt, aber dafür hatte er die See aufgewühlt, und eins war so schlimm wie das andere.
Mit Bangen wurde die Nacht erwartet, doch das Meer beruhigte sich nicht, es wurde nur noch wilder, und damit würde sich die Voraussage des Medizinmannes genauso bewahrheiten, wie sie verkündet worden war.
Das fremde Schiff war es nicht, was ihnen Angst einflößte, und auch die Männer schreckten sie nicht, vor denen sie sich in acht nehmen sollten, wie der Balian gesagt hatte.
Es war nackte Existenzangst, die Urangst, das Leben durch die tobende See zu verlieren. Man wurde zwar nur geboren, um zu sterben, aber selbst auf der Insel starb man nicht gern.
Noch einmal zogen sie in dieser Nacht ans Meer und beteten zu den Göttern, die sich nicht besänftigen ließen.
Die Nacht war pechschwarz, dunkle Wolken jagten über den Himmel. Der Mond hatte sich hinter finsteren Wolkenbänken versteckt, und jetzt heulte auch auflandiger Wind von der See her und trieb lange weiße Schaumkronen an den Strand.
Die einzige Stelle, die man erkennen konnte, war das Riff, das sich zwei Meilen vor der Küste befand. Es war ein Korallenriff, an dem sich donnernd die Wassermassen brachen und aufgischteten.
In den Palmenwedeln rauschte es, der Wind peitschte ihre Kronen und schüttelte die Kokosnüsse herab. Immer wilder wurde die See.
Und dann – gegen Morgen – riefen sie alle wild durcheinander, als das erste Grau über das Meer zog.
„Da ist das Schiff, das der Balian verkündet hat!“
Tatsächlich war im dunstigen Grau über dem aufgewühlten Meer ein großer Schatten mit nur einem Mast zu sehen. Der andere war vom Sturm oder von überkommender See geknickt worden.
Das Schiff der Fremden fuhr keinen Fetzen Tuch mehr an den Masten, es torkelte und schlingerte durch die See. Es lag mit Kurs auf die Insel, und der Wind, der es vor sich hertrieb, würde es mit Sicherheit auf das Korallenriff werfen, wenn nicht noch ein Wunder geschah.
Wie ein dunkelgraues Gespenst jagte es heran, taumelnd und rollend, ein hilfloser Spielball des erregten Meeres.
Erst einmal hatten die Menschen von Bali ein derart großes Schiff gesehen, aber das war schon lange her, und die Fremden waren ganz dicht an der Insel vorbeigesegelt, ohne hier anzulegen.
Aufregung bemächtigte sich der Leute, und der Brahmane fragte den Balian, ob sie den Fremden helfen sollten.
„Nein“, entschied der Medizinmann. „Mit unseren Booten schaffen wir die Brandung nicht, ohne zu ertrinken. Außerdem sind die Fremden Dämonen, die Unheil über uns alle bringen werden.“
„Können Dämonen denn in Not geraten?“ fragte ein junger Mann, der aufgeregt über das Wasser blickte, wo das fremde Schiff jetzt heranritt wie ein großer schwarzer Teufel.
„Sie können“, beschied der Balian. Mißtrauen lag in seinen dunklen Augen und Furcht vor dem hölzernen großen Ungetüm, das sich immer weiter dem Riff näherte.
Dann schwieg er und richtete den Blick wieder starr auf das fremde Schiff, das sich hilflos in den Wellen um seine eigene Achse drehte.
Immer dichter trieb der Wind es auf die Nordküste zu. An Bord des Fremden waren nun auch vereinzelte Gestalten zu erkennen, hilflose Männer, die nicht mehr in der Lage waren, ihr Schiff zu steuern.
Und sie sahen auch das Riff nicht, das jetzt vor ihnen aufwuchs, sich aber nur durch die langen Gischtfahnen und aufbrandende Wellen verriet.
In dem wilden Auf und Ab hantierten sie an einem Boot, und sie hatten es auch schon auf halbe Höhe hochgezogen, doch da donnerte eine harte Welle gegen die Seite und warf das Schiff fast um.
Das Boot sauste an Deck zurück, ein paar Männer verloren den Halt und wurden von wirbelnden Wassermassen begraben.
Stumm standen die Insulaner da, ohne ein Wort auf den Lippen. Selbst der Balian blieb stumm und in sich gekehrt. Nur sein mißtrauischer Blick änderte sich nicht.
Ebenso reglos sahen sie zu, wie die See einen Mann über Bord wusch. Mit weit ausgebreiteten Armen verschwand er in der See und tauchte auch nicht mehr auf. Das Meer verschlang ihn gierig.
Der Medizinmann drehte sich um.
„Die Wassergötter werden noch viele Opfer fordern“, sagte er. Dann schwieg er wieder.
Es war ein grausames Schicksal, das die Fremden dort draußen vor dem Riff erlebten. Sie kämpften hart um ihr Leben, jetzt, da sie ganz dicht vor dem Riff waren.
Das Schiff tanzte und hüpfte in wilden Sprüngen, wälzte sich hart durch das Wasser und richtete das Heck mitunter steil zum Himmel.
Es war jetzt heller geworden. Über der Kimm ließ sich ganz zaghaft ein feiner Strahlenkranz sehen, der aber alle Augenblicke von Wolken verdunkelt wurde.
Dann ging ein Aufschrei durch die reglos am Strand stehende Menge.
„Das Riff!“
Es ging alles ganz schnell. Eine große wild anrollende Woge hob das Schiff der Fremden hoch empor, schleuderte es mit gewaltigem Schwung gleichzeitig nach vorn und warf es mit unvorstellbarer Kraft auf das Korallenriff.
Die Götter der See schlugen unbarmherzig zu. Sie kannten keine Gnade, kein Erbarmen und erst recht kein Mitleid. Sie zerstörten das, was ihnen nicht gefiel, und dieses Schiff gefiel ihnen nicht.
Das Krachen war laut und schrecklich klar bis an den Strand zu hören, obwohl das Riff zwei Meilen entfernt war. Es war ein harter berstender und laut schmetternder Schlag, der mühelos das Rauschen des Windes und das Fauchen der See übertönte.
Der einzige noch stehende Mast zersplitterte, als habe ihn eine Riesenfaust zerbrochen. Eine Rah flog wie ein Geschoß durch die Luft und wirbelte ins Wasser.
Das Vorschiff brach ab, Planken stoben nach allen Seiten und zersplitterten, anschließend löste sich ein ganzer Teil der Seite und schwamm in der See.
Doch damit hatte es noch kein Ende.
Eine zweite Welle hob das Wrack an und warf es noch einmal mit aller Kraft auf die Korallenbank.
Diesmal löste sich das Achterschiff auf. Es fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen, rutschte in die See und wurde hin und her geschleudert, bis auch die letzten noch zusammengefügten Teile auseinanderbrachen.
Die Leute am Strand hörten Männer schreien, die in der See um ihr Leben schwammen. Ihre Köpfe waren kleine dunkle Punkte auf einer wild bewegten Obefläche zwischen treibenden Planken, Balken, Spieren und Trümmern.
Das Schiff selbst ähnelte jetzt einem Gerippe, aus dem nach allen Seiten zersplitterte Knochen herausstanden. Und dennoch hatten die gestrandeten Fremden unwahrscheinliches Glück, denn ihr Beiboot tanzte plötzlich auf dem Wasser, ohne zu kentern. Trotz der hohen stürmischen See gelang es einigen, in das Boot zu klettern.
Der Balian sah mit fast unbewegtem Gesicht zu. Reglos stand er da, sein Körper war leicht nach vorn geneigt. Er rührte sich nicht, und er dachte immer noch nicht daran, diesen Fremden zu helfen, deren halbvoll besetztes Boot nun auf den Strand zutrieb.
In der Brandung kippte es mit Donnergetöse um und spie die Männer ins Wasser.
Die Fremden schrien etwas in einer Sprache, die niemand verstand. Einige hatten lange Haare im Gesicht und rollten wild mit den Augen.
Unter lauten Verwünschungen schwammen oder paddelten sie an Land, und erst da geriet Bewegung in die Insulaner.
Einige von ihnen gingen ins Wasser und reichten den Fremden die Hände, aber die Fremden schüttelten sie mißmutig ab, wiesen die hilfreichen Arme zurück oder schlugen nach den Insulanern.
Sie halfen sich gegenseitig, als sie den Strand erreichten, spien Wasser aus, und laute harte Worte erklangen.
Ein großer schwarzhaariger Mann, nur mit einer Leinenhose bekleidet, stapfte auf den Strand und schüttelte sich. Eine Weile blieb er stehen, dann ging er zurück ins Wasser, um den anderen zu helfen und einen nach dem anderen an Land zu ziehen.
Immer noch stand der Balian da und musterte aus den Augenwinkeln die fremden Männer. Es waren seltsame Männer mit furchtbaren Gesichtern, mit haarigen Gesichtern und solchen, auf denen nur Stoppeln wuchsen. Zwei waren dabei, die von einer der anderen Inseln stammen konnten, denn ihre Züge verrieten die Eingeborenen der Inselwelten. Wieder andere waren gänzlich fremd.
Unter lautem Gebrüll zogen sie das umgeschlagene Boot an Land. Danach wurde es mit vereinten Kräften bis hoch auf den Strand gezogen.
Der Balian wich zurück, als einer der Männer auf ihn zuging. Sein Haar war klatschnaß, Salzwasser lief über sein Gesicht.
„Verstehst du mich?“ herrschte er den Balian an.
Der Medizinmann verstand ihn, denn der Mann sprach eine ähnliche Sprache, wie sie auch auf den Nachbarinseln gesprochen wurde.
„Ja, ich verstehe dich“, sagte er widerwillig. Er verspürte tiefe Abneigung gegen diesen Mann, gegen alle Schiffbrüchigen, und er wußte mit Sicherheit, daß es noch sehr viele Schwierigkeiten mit diesen Fremden geben würde.
„Das ist gut“, sagte der Fremde. „Ihr verlausten Halunken steht hier herum, ohne eine Hand zu rühren. Aber das wird sich gleich ändern. Bist du hier der Medizinmann?“
„Ja, ich bin der Balian!“
„Dann hör mir gut zu, du Sohn einer Ente: Du wirst jetzt dafür sorgen, daß die angeschwemmten Kisten und Fässer alle an Land gebracht werden. Auch das Holz wird alles in Sicherheit gebracht. Hast du das verstanden?“
Als der Balian nicht gleich antwortete, erhielt er einen harten Stoß vor die Brust. Die anderen Insulaner sahen es mit Entsetzen und wollten eingreifen, aber zwei der Fremden hatten plötzlich lange Messer in den Händen und warteten mit tückisch funkelnden Augen und grinsenden Gesichtern darauf, daß sie angriffen.
Von den Balinesen hatte nur einer einen Kris, die anderen waren nicht bewaffnet.
Der Balian erhob sich, Zorn funkelte in seinen Augen.
„Ob du das verstanden hast, du Wanze!“ wiederholte der Mann.
Einer der anderen hatte sich dem Balian ebenfalls genähert. Er nahm das Entermesser und drückte es dem Medizinmann an den Hals. Dazu fluchte er laut und drohend in einer dem Balian unbekannten Sprache.
„Los, fangt an!“ schrie der andere. „Das Zeug treibt schon auf den Strand zu! Oder sollen wir dir erst den Hals durchschneiden?“
Der Balian stand hoch aufgerichtet da. Unendliche Verachtung lag in seinen Zügen, aber er fügte sich und sagte ein paar Worte zu den anderen Insulanern.
Die wateten ins Wasser und begannen unverzüglich, die angeschwemmten Holz- und Wrackteile zu bergen und auf den Sand zu legen.
Mittlerweile trieb auch ein Toter an den Strand, es war der erste von etlichen anderen, die noch folgen sollten.
Die Fremden halfen zwar anfangs mit, doch als sie sahen, daß die Insulaner schufteten, standen sie faul herum, befahlen nur noch oder bedachten die Balinesen mit Tritten, wenn es nicht schnell genug ging.
Schließlich rührte von den Fremden keiner mehr eine Hand. Ungeniert zogen sie ihre nasse Kleidung aus, wrangen sie aus und zogen sie wieder an.
Einen Mann, der noch lebte, holten sie selbst aus dem Wasser, und auch lange schwarze Rohre durfte keiner der Insulaner anfassen.
Dafür durften sie schuften und alles an Holz bergen, was es zu bergen gab, und das war nicht gerade wenig.
Gegen Mittag lag ein ansehnlicher Berg so hoch am Strand, daß ihn das Wasser nicht mehr erreichen konnte.
Zu der Zeit beruhigte sich auch wieder der Wind. Die Wellen mäßigten sich und wurden kleiner. Nochmals eine knappe Stunde später lag die See fast spiegelglatt und ruhig da. Von einem blauen Himmel schien heiß die Sonne.
Fast zwanzig Fremde zählte der Balian. So viele hatten überlebt. Am Strand lagen weitere sieben Männer, reglos, mit weit offenen Augen, die ertrunken und von der See angespült worden waren.
Einige weitere wurden offenbar noch vermißt, denn immer wieder suchten die Fremden die See ab.
Das zersplitterte Wrack hockte jetzt reglos und immer noch massig auf der vorgelagerten Korallenbank. Der Balian hörte, wie sich die Fremden unterhielten und immer wieder aufs Wasser deuteten.
Der Mann, der seine Sprache sprach, trat näher.
„Ihr könnt jetzt verschwinden“, befahl er herrisch. „Bis zum Abend werdet ihr uns eine Hütte bauen. Wenn die bis zum Sonnenuntergang nicht fertig ist, nehmen wir eure Hütten.“
„Was haben wir euch getan?“ fragte der Balian. „Wir sind nicht am Untergang des Schiffes schuld, und wir haben euch nicht gerufen. Ihr bringt Unfrieden über unser Land.“
Der Mann tat so, als habe er nichts gehört. Während er weitersprach, blickte er zu dem Wrack hinüber.
„Ihr werdet uns selbstverständlich verpflegen“, sagte er. „Wir brauchen zwei gebackene Schweine und viele Früchte. Jetzt verzieh dich und wehe, es geschieht nicht alles das, was ich befohlen habe. Wenn ihr gehorcht, geschieht euch nichts. Aber im anderen Fall werden wir euch mit den Donnerrohren jagen, bis euch die Haare ausgehen.“
Der Balian wußte zwar nicht, was ein Donnerrohr war, aber die Drohung wirkte trotzdem.
Allerdings sann er darüber nach, wie sie diese aufsässigen und größenwahnsinnigen Fremden wieder verjagen konnten. Vielleicht gelang das mit dem vierfachen magischen Kreis oder mit Hilfe des Sanghyan-Djaran-Zeremoniells. Er war jedenfalls nicht gewillt, sich von diesen Fremden unterdrücken und knechten zu lassen. Auf dieser Insel bestimmten die Eingeborenen und sonst niemand.
Ohne Antwort zu geben, drehte er sich um. Seine Leute folgten ihm. Sie verschwanden in Richtung der Hütten.
Dort berieten sie, was zu tun sei, seit über der Insel der Schatten der unheimlichen Fremden lag.
Noch wußte es niemand.