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Anfangs hatten die Arwenacks der „Isabella IX.“ das pfannenförmige Nebenmeer des Atlantik noch geringschätzig belächelt. Das Baltische Meer, wie die Ostsee auch noch genannt wurde, war durchschnittlich nur sechzig Yards tief, mit einer Ausnahme von knapp fünfhundert Yards in der Nähe von Gotland. Das war die tiefste Stelle. Kein Verhältnis also im Vergleich zum Atlantik oder Pazifik oder Indischen Ozean.

Ortsunkundig, wie die meisten der Seewölfe in diesem Falle waren, wurden der Ostsee dann auch die wunderlichsten Namen verliehen.

Der Profos Edwin Carberry nannte sie verächtlich eine Pißrinne für Schwäne und Reiher, Ferris Tucker bezeichnete sie als erbärmlichen Heringstümpel, und für die meisten anderen war sie nichts weiter als ein Ausflughafen für Hausenten.

Diese Ausdrücke wiederum trieben dem Schweden Stenmark die Zornesröte ins Gesicht, und auch Nils Larsen war erbost, denn schließlich war das „ihr“ Meer, und sie versicherten den anderen, daß sie sich noch sehr wundern würden.

Das war mittlerweile geschehen, denn in der Ostsee wurde reger Handel getrieben, und auch da gab es Schnapphähne, Beutelschneider und Halunken. Da gab es auch verdammt harte und ruppige See und einen Wind, der einem die Ohren vom Schädel riß.

Jetzt waren sie weiter unterwegs, mit geheimer Order und im Namen der Königin. Diese geheime Order bestand darin, Handelsbeziehungen anzuknüpfen und auszubauen. Ganz im Hintergrund stand dabei der Gedanke, diesen Handel mit Bernstein, Holz und Pelzen ohne die Hanse mit den Ostseeanrainern allein abzuwikkeln. So war der Seewolf mit königlicher Order unterwegs und verfügte über gute Seekarten.

Schon aus diesen Karten war klar ersichtlich, daß die Ostsee wohl doch etwas mehr war als nur ein erbärmlicher Heringstümpel oder eine halbvolle Kabeljautonne.

Erst war die Sache mit Stenmark passiert, danach wurden sie von den Öresund-Piraten kräftig geleimt, und nun sah jeder die Ostsee plötzlich mit ganz anderen Augen.

Ja, es gab hier tatsächlich viel und rauhes Wasser, wie der gute Carberry leicht beschämt feststellen mußte. Und es war auch keineswegs so, daß man an Backbord und Steuerbord nur die Hände auszustrecken brauchte, und schon konnte man an beiden Landseiten so im Vorübersegeln mal die Kühe melken.

An diesem Tag, es war der 14. Februar 1593, segelte die „Isabella“ auf Ostkurs bei handigem Wind aus Südwesten. Darüber hatten sich auch schon alle gewundert, denn im „Heringstümpel“ herrschten meist Winde vor, die um West drehten. Sie schlugen mitunter auch sehr schnell nach Nordost um, und wenn ein harter Nordost über die See brüllte, dann gab es an den südlichen Küsten Trümmer und Kleinholz und stark auflaufende Sturmfluten.

Als der Wind an diesem Tag einmal für kurze Zeit auf West drehte, wurde etwas Erstaunliches an der „Isabella“ entdeckt, eine Eigenschaft, die die Arwenacks vorher noch nicht herausgefunden hatten.

Sie lief platt vor dem Wind, der von West wehte, nach Osten, und als Pete Ballie einmal das Ruder losließ, da lief sie immer noch platt vor dem Wind, ohne aus dem Kurs zu geraten.

Pete Ballie sah sich dieses Phänomen mit gerunzelter Stirn an. Dann stemmte er die Arme fassungslos in die Hüften, linste nach den Segeln, peilte auf den Kompaß und warf einen Blick ins Kielwasser, das wie mit dem Lineal gezogen war.

„Ja, da soll mich doch gleich der Teufel backbrassen“, murmelte er.

Hasard stieg gerade aus der Kapitänskammer hoch, während Ben Brighton und Dan O’Flynn auf dem Achterdeck standen.

Hasard kniff die Augen schmal und musterte Pete Ballie, der grinsend neben dem Ruder stand. Ben Brighton sah der ganzen Angelegenheit schweigend zu, während Dan O’Flynn durch einen Kieker nach Norden blickte, ihn dann wieder herumschwenkte und nach Südosten sah. Auf Südost blieb der Kieker lange Zeit gerichtet.

Die „Isabella“ lief immer noch platt vor dem Wind, voll aufgebraßt, unter vollem Preß jagte sie dahin. Nur ihr Bug begann kaum merklich mal nach Backbord, mal nach Steuerbord auszuwandern, hielt dann aber immer wieder die Position auf genau Kurs Ost.

„Hast du keine Lust mehr, Mister Ballie?“ fragte Hasard anzüglich. „Seit wann stemmt der Rudergänger die Arme in die Seiten und hält Ausschau nach fliegenden Heringen?“

„Sie läuft allein, Sir“, sagte Pete verwundert. „Sie läuft wahrhaftig ganz allein platt vor dem Wind, ohne aus dem Kurs zu geraten. Sie giert nur ein wenig, ganz minimal zwischen zwei Strichen, als wüßte sie ganz genau, wohin sie soll.“

„Das kann nicht sein“, sagte der Seewolf. „Kein Schiff läuft ohne Mann am Ruder allein vor dem Wind.“

„Aber sie tut es, Sir“, beharrte Pete.

„Es stimmt“, sagte auch Ben Brighton und nickte. „Ich beobachte es bereits seit einer ganzen Weile.“

Pete wollte wieder nach den Holmen greifen, doch Hasard winkte ab.

„Das möchte ich mir mal ansehen“, sagte er. „Laß sie noch eine Weile laufen, ich kann es nicht glauben.“

Fast eine Viertelstunde standen die Männer staunend auf dem Achterdeck und wunderten sich über das Schiff, das so segelte und Kurs hielt, als würde ein Unsichtbarer es mit sicherer Hand steuern.

Der erste, dem das schwer verdächtig war und gar nicht gefiel, war natürlich Old O’Flynn, der sich heimlich bekreuzigte.

„Verdammt“, sagte er, „ich bin mein Leben lang zur See gefahren, aber das habe ich noch nie gesehen. Ein paar Augenblicke lang geht das schon, aber nicht länger. Dieser Teufelskahn segelt ja von einem Glasen zum anderen allein. Wenn da nur nicht der Gehörnte unsichtbar am Ruder steht. Das gab’s ja nicht mal auf der ‚Empress of Sea‘, und da gab es wirklich fast alles.“

„Quatsch“, sagte Hasard grob, „du siehst wieder hinter jedem Mast den Gehörnten! Die ‚Isabella‘ hat eben völlig ausgeglichene Translationsbewegungen. Solange Schoten und Brassen belegt sind und wir mit Backstagbrise laufen, bleibt sie auf Kurs. Das ist die Kunst eines brillanten Baumeisters, und die muß nicht immer was mit dem Teufel zu tun haben.“

„Na, ich weiß nicht“, meinte O’Flynn mißtrauisch mit abwehrender Handbewegung. „Da scheinen mir doch flimmernde Linien in der Luft direkt neben dem Ruder zu sein. Und man weiß ja, was das bedeutet.“

„Augenflimmern, Dad“, sagte sein Sohn Dan trocken. „Das ist eine altersbedingte Erscheinung.“

„Sei nicht immer so rotzig, O’Flynn“, brummte der Alte. „Dir wächst noch der Grünkohl aus den Ohren. Ohne mich wärst du nie das geworden, was du heute bist.“

„Jetzt hört sich doch alles auf“, empörte sich Dan. „Du hast doch nicht den geringsten Einfluß darauf gehabt. Du hast mich schließlich zu einem verdammten Sargtischler in die Lehre geschickt, damit ich Sargschreiner werden sollte. Aber ich bin von zu Hause ausgebüxt, weil mir das zum Hals raushing, und dann traf ich mit Hasard vor der Kneipe zusammen.“

„Sei es, wie es sei“, maulte der alte Starrkopf. „Hätte ich dich nicht zu diesem Sargtischler geschickt, dann wärst du auch nicht ausgekniffen und somit niemals auf diesem Schiff gelandet. Also hat dein alter Vater doch wieder mal recht.“

Himmel, ist das wieder mal eine seltsame Logik, dachte Hasard.

„Ja, Dad“, sagte Dan ergeben, „klar hast du recht, du hast immer und ewig recht, und neben dem Ruder steht auch wirklich der Teufel, und der sieht dich verdammt merkwürdig an. Vielleicht überlegt er gerade, ob er dich mit seiner Großmutter verheiraten soll.“

Old O’Flynn warf einen wilden Blick zum Ruder, wo er immer noch flimmernde Linien zu sehen glaubte. Dann brummte er etwas vor sich hin und stieg eilig über den Backbordniedergang zum Quarterdeck. Dort sei ihm sicherer zumute, wie er behauptete.

Langsam drehte der Wind wieder auf Südwest zurück, und Pete ergriff das Ruder, das er so lange losgelassen hatte. Zu dieser Zeit stand die „Isabella“ südlich von Trelleborg, und zu dieser Zeit begann auch das nächste Unheil, denn Steuerbord voraus wurde eine Galeone gesichtet.

„Deck! Dreimaster einen halben Strich Steuerbord voraus!“

Es war der immer fröhliche und blonde Däne Nils Larsen, der das aus dem Ausguck des Großmars an Deck rief.

Während Hasard verstanden und klar zeigte, griff Dan erneut zum Spektiv, weil er glaubte, den Punkt in der See vorhin schon mit bloßem Auge gesehen zu haben. Mit dem anderen Spektiv suchte Hasard die See ab, bis der kaum sichtbare Punkt in der Optik größer wurde.

„Das Schiff dreht ein wenig auf uns zu, Sir“, sagte Dan, „kaum merklich zwar, aber wenn es auf dem Kurs bleibt, werden wir uns ganz dicht begegnen.“

Da die Flagge noch nicht zu erkennen war, nickte Hasard nur und wartete vorläufig ab.

Etwas später war auf dem Dreimaster ein Segelmanöver zu erkennen. Das Schiff ging mit dem Bug durch den Wind. Es beschrieb eine Wende, die es nach Vollendung ebenfalls auf Ostkurs brachte. Da das Manöver einige Zeit erforderte, schrumpfte die Entfernung ziemlich schnell zusammen, und jetzt war das Schiff deutlich zu erkennen. Es befand sich jetzt Backbord voraus in Lee der „Isabella“.

„Eine dreimastige Kriegsgaleone Ihrer Majestät“, sagte Dan. „Ein Landsmann von uns.“

„Und der erste, der uns begegnet“, meinte Ben Brighton. „Ich habe gar nicht gewußt, daß die auch hier rumkrebsen.“

Es war wirklich eine gelungene Überraschung, fanden sie alle, hier auf einen Landsmann zu treffen, dem sie jetzt langsam auf segelten.

Vielleicht wollten die Gentlemen von der Royal Navy ein kleines Schwätzchen halten und hatten deshalb die Wende gefahren.

Das war durchaus üblich, wenn sich zwei Landsleute in fremden Gewässern begegneten. Man fragte nach dem Woher, Wohin, was es an Neuigkeiten gab, wurde ausgetauscht, und hin und wieder handelte man auch ein wenig mit frischem Proviant oder mit Informationen und guten Tips.

Ein wenig sauer hatten die Arwenacks die Royal Navy ja noch im Gedächtnis durch den Schnösel Marquess Henry of Battingham, der sich unbedingt als Kommandant auf der „Isabella“ hatte sehen wollen. Aber der Marquess war eine unrühmliche Ausnahme und mittlerweile zum Stallausmisten auf die Güter seines Vaters abberufen worden.

Immer mehr Einzelheiten wurden erkennbar. Auf dem Achterdeck der Galeone standen Uniformierte. Kapitän und Offiziere ließen sich bereits deutlich unterscheiden, und auch der Name am Heck wurde jetzt lesbar.

„Goliath“ hieß das Schiff der Royal Navy.

„Sieht ja nicht schlecht aus, der Eimer“, meinte Ben Brighton nachdenklich. „Aber ich hätte nicht die geringste Lust, auf einer Kriegsgaleone Dienst zu tun. Dieser ganze militärische Kram und die Knechtschaft, das widert mich an.“

Hasard warf ebenfalls einen Blick auf das jetzt dicht vor ihnen segelnde Schiff. Er ließ Vorbram- und Großbramsegel um zwei Drittel verkürzen, damit die „Goliath“ nicht hoffnungslos zurückblieb.

Dann waren sie fast auf Rufweite heran, und drüben hoben auf der Kuhl ein paar Kerle matt die Arme zu einer lahmen Begrüßung.

Na ja, viel ist das ja nicht, dachte Hasard, aber immerhin mehr als vom Achterdeck, denn da waren ziemlich gleichgültige und ausdruckslose Gesichter zu sehen.

Daß diese Burschen jedoch einen mehr als rüden Umgangston mit einem Landsmann in fremden Gewässern pflegten, wurde dem Seewolf erst klar, als drüben die Stückpforten hochflogen. Eins der bronzenen Ungeheuer schob seine bullige Schnauze hervor, spie röhrend und schnaubend einen gewaltigen Blitz in die See und ließ eine riesige Eisenkugel folgen.

Sie donnerte fünfzig Yards vor der „Isabella“ in die See und warf eine gewaltige Säule aus Wasser hoch.

Der Donner des Abschusses rollte noch lange grollend und grummelnd über die See.

Das ist doch wohl die Höhe, dachte Hasard. Die feinen Gentlemen von der Navy forderten ihn mit diesem Schuß vor den Bug zu etwas auf, was sicher nicht gerade angenehm war.

Während er noch überrascht und ärgerlich zugleich auf das Achterdeck der „Goliath“ blickte und die Arwenacks vor Verblüffung wie erstarrt dastanden, ertönte von drüben eine nicht zu überhörende Stimme: „Bleiben Sie auf Kurs und nehmen Sie Segel weg! Der Kapitän der Galeone hat sich zwecks Entgegennahme eines Befehls an Bord der ‚Goliath‘ einzufinden!“

„Habe ich mich eben verhört?“ fragte Hasard mit kantigem Gesicht. „Was bilden sich diese Navy-Kerle eigentlich ein!“

„Soll ich sie mal fragen, Sir?“ erkundigte sich der Profos wild.

„Nein, das führt zu nichts. Die verstehen keine Späße. Außerdem sind alle Kanonen auf uns gerichtet, und wir sind nicht einmal feuerbereit.“

„Aber wir haben noch die Luvposition, Sir“, meinte Dan.

„Die hilft uns auch nicht weiter. Damit hat ja keiner gerechnet. Trotzdem lasse ich mir das nicht so einfach gefallen.“

Hasards Empörung war echt. Diese bornierten Stiesel da drüben glaubten wohl, sie könnten tun und lassen, was ihnen gerade beliebte.

Er trat näher an das Schanzkleid heran und blickte aus kalten Augen zu der „Goliath“ hinüber. Dabei sah er direkt in ein arrogantes hageres Gesicht, das ihn kühl und flüchtig musterte.

„Was sind das für verdammte Manieren?“ brüllte Hasard zurück. „Ist es neuerdings üblich, friedlich segelnden Landsleuten grundlos einen Schuß vor den Bug zu setzen! Die Höflichkeit erfordert wohl zumindest, daß Sie Ihren Namen nennen. Und ich werde ihn mir gut merken.“

Neben dem Kommandanten stand ein anderer uniformierter Mann, der jetzt etwas bestätigte und daraufhin ans Schanzkleid trat, wobei er beide Hände an den Mund legte.

„Ihrer Majestät Kriegsgaleone ‚Goliath‘“, klang es klar und deutlich herüber, „unter dem Kommando von Kapitän Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, versehen mit königlichem Kaperbrief und ausgestattet mit geheimer königlicher Order.“

„O Gott“, sagte Hasard entsagungsvoll, „doch nicht schon wieder so ein Adliger. Der letzte reicht mir noch, dieser stupsnäsige Henry.“

„Was sollen wir tun, Sir?“ fragte Ben ratlos. „Wir können doch nicht auf die Kerle feuern.“

Statt einer Antwort brüllte Hasard in gleicher Lautstärke zurück: „Sir Philip Hasard Killigrew, ebenfalls mit königlichem Kaperbrief versehen und mit geheimer königlicher Order unterwegs! Das kann ich auch mit Papieren belegen!“

Wenn jemand glaubte, das würde auch nur den geringsten Eindruck bei den Navy-Leuten hervorrufen, dann sah er sich getäuscht.

Der Earl of Cumberland war zwar kein Marquess Henry, aber seine Arroganz war nicht zu übersehen. Außerdem war da ein menschenverachtender Zug in seinem Gesicht, der Hasard gar nicht gefiel. Der Earl tat bestenfalls so, als hätten die Worte ihn beleidigt oder ein schäbiger Bettler hätte es gewagt, ihn anzusprechen.

„Wenn Sie dem Befehl nicht Folge leisten, Kapitän Killigrew“, brüllte es wieder herüber, „dann sehen wir uns gezwungen, eine Breitseite in Ihre Wasserlinie abzufeuern!“

„Verdammtes Lausepack“, schimpfte der Seewolf leise. „Diese bornierten Affen würden nichts lieber tun, ich sehe das schon an den Gesichtern. Die behandeln uns wie den letzten Dreck.“

Der Seewolf kochte zwar vor Zorn, aber er mußte sich vorerst der Gewalt und dem Befehl beugen. Drüben waren die Kanonen ausgerannt, und daß die Kerle sie einsetzen würden, bezweifelte er keinen Augenblick. Auf der „Isabella“ waren nur zwei Drehbassen einsatzbereit, und damit konnten sie nichts anfangen. Bevor die ihren Eisenhagel ausspien, ging die „Isabella“ längst auf Tiefe.

„Das Schiff will der Kerl bestimmt nicht“, sagte Dan besänftigend. „Ich glaube es jedenfalls nicht“, schränkte er ein. „Vermutlich kriegen wir nur den Befehl, einen Hafen anzulaufen und dort etwas auszurichten, was diese Trottel vergessen haben.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, meinte Hasard. „Ich befürchte Schlimmeres, sonst hätte man uns das auch ganz anders mitteilen können.“

Er wandte sich an Ben, warf noch einen Blick auf das neben ihnen segelnde Schiff und hob in hilflosem Ärger die Schultern.

„Laß in den Wind drehen, Ben, und das kleine Boot abfieren. Und unternimm vorläufig nichts auf eigene Faust. Und sage Bill, er soll mir die Geheimorder und den Kaperbrief an Deck bringen.“

„Aye, Sir“, murmelte Ben, dem das alles ebenfalls nicht paßte, hauptsächlich dieser befehlende Ton der Navy-Leute nicht. „Und wer soll dich hinüberpullen?“

„Mir egal“, antwortete Hasard unwirsch. „Du wirst ja wohl noch zwei Mann auftreiben können.“

Hasard nahm die Papiere entgegen, die Bill brachte, und enterte ab zur Kuhl, wo die Manöver begannen. Er ließ sich Zeit und trieb die Arwenacks auch nicht an. Sollten die Kerle da drüben doch warten. Aus den Augenwinkeln sah er, daß die Kanonen alle besetzt und feuerbereit waren. Seesoldaten und Kanoniere standen mit glimmenden Luntenstöcken bereit.

Wahnsinn, sich jetzt auf ein Abenteuer einzulassen, überlegte er. Die Mehrheit seiner Männer hätte das garantiert nicht überlebt, und das Leben seiner Männer betrachtete er stets als das höchste Gut.

„Sir“, sagte der Profos treuherzig, „wenn du nichts dagegen hast, werden Ferris und ich dich zu dem durchlauchten Rübenschwein pullen. Was mag dieser Löli nur von uns wollen?“

„Was heißt das denn schon wieder?“

„So nennt man in Dänemark die Dorftrottel, Sir“, erklärte Ed.

„Du scheinst über die Ostsee einiges gelernt zu haben. Wir werden ja sehen, was er will, bestimmt nichts Gutes. Wenn wir Glück haben, kassiert er nur einen Teil unseres Proviants. Aber auf soviel Glück hoffe ich nicht einmal im Traum.“

Die Segelmanöver waren beendet, die „Isabella“ in den Wind gedreht. Die „Goliath“ war diesem Manöver gefolgt wie ein Fuchs der Gans, mißtrauisch, aber trotzdem schnell.

„Übrigens“, sagte Hasard zu Ed, „deinen sogenannten Löli kannst du vergessen, der Kerl ist alles andere als ein Trottel. Das ist ein kalter, berechnender und arroganter Menschenschinder. Das zeigt sein Gesicht in aller Deutlichkeit.“

„Ja, so sieht er aus. Die anderen Kerle auf dem Achterdeck scheinen auch nicht besser zu sein.“

Hasard überprüfte noch einmal seine Ledermappe, die Geheimorder und Kaperbrief enthielt. Ben Brighton übernahm während seiner Abwesenheit das Kommando über die „Isabella“.

Ferris Tucker enterte mit hochrotem Schädel ab. Auch er ärgerte sich über den rüden Umgangston des Earls und seiner Offiziere und überlegte krampfhaft, was sie wohl zu tun beabsichtigten. Gleich darauf folgte auch der Profos mit kantig vorgeschobenem Rammkinn und einem Blick, der absolut nichts Gutes verhieß.

Auf der Kuhl enterte auch der Seewolf ab, stieg über die Stufen, die dicht am Quarterdeck außenbords führten, und setzte sich in das Boot.

„Wird schon schiefgehen“, murmelte er in die besorgten Gesichter, die sich über das Schanzkleid beugten. „Aber keine Unbesonnenheiten bitte! Vielleicht ist alles ganz harmlos.“

Daran glaubte er jedoch selbst nicht, als er einen Blick auf die Kriegsgaleone warf, der sie nun entgegenpullten.

„Die fahren unterbemannt“, stellte er nach einem kurzen Blick fest. „Für die Größe des Schiffes sind es zu wenige Leute. Wahrscheinlich haben sie bei einem Gefecht Verluste erlitten.“

Drüben wurde ein Jakobsleiter abgefiert. Neben ihr stand ein junger hochmütig blickender Kerl, der sie gar nicht zu sehen schien. Sein Blick war stur über das Wasser auf die „Isabella“ gerichtet. Auf dem Achterdeck standen die Offiziere immer noch wie hölzerne Marionetten herum, die Arme auf dem Rücken verschränkt, als seien sie erstarrt.

Aus der Nähe sah das Schiff nicht mehr so neu aus. Da gab es mehrfach geflickte Planken, da hatte auch das Schanzkleid der Kuhl anscheinend unliebsame Bekanntschaft mit einer Kanonenkugel geschlossen. Der Großmast war rissig, auf die Segel waren grobe Flicken genäht, und dicht unter der Wasserlinie war Muschelbewuchs zu erkennen. Ganze Bärte von Tang hatten sich da angesiedelt und wurden mitgeschleppt.

„Bleibt an der Bordwand liegen“, sagte Hasard, als das Boot längsseits schor und von Ferris an der Leiter vertäut wurde.

„Aye, aye, Sir“, sagten alle beide. Ihre Stimmen klangen irgendwie heiser.

Weiß der Teufel, was uns wieder einmal bevorsteht, dachte Hasard, als er aufenterte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 305

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