Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 408 - Fred McMason - Страница 5
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Оглавление29. Juli 1594.
Vor der Schlangen-Insel spielten sich erschütternde Szenen ab.
Das Flaggschiff de Vallejos war gesunken, als Hasard mit einem Schaluppenbrander einen verwegenen und tollkühnen Angriff gefahren hatte. Die nachhallende Explosion klang allen Männern immer noch überdeutlich in den Ohren.
Die entnervten Dons hatten ihr sinkendes Schiff Hals über Kopf verlassen und trieben jetzt voller Panik im Wasser. Heisere Schreie der Angst wehten über die Nordwestbucht der Insel.
Auf den vier anderen verbliebenen Schiffen waren die Spanier wie gelähmt und sahen fassungslos auf das Inferno, das sich ihren Blicken bot.
Das war ein einziges Chaos, ein Durcheinander von schwimmenden Leibern und Wrackteilen, eine Wuhling, die unbeschreibbar war.
Die Schreie der Spanier wurden jedoch mühelos durch ein anderes Gebrüll überboten, das von Old Donegals angeschlagener kleiner Karavelle über das Wasser klang.
Ein Totgeglaubter war zurückgekehrt!
Ein Freudentaumel hatte die Männer auf der „Empress of Sea“ erfaßt. Sie sahen nicht mehr die wie verrückt im Wasser paddelnden Dons, sie nahmen ihre Umgebung kaum noch wahr, denn ihre Aufmerksamkeit richtete sich nur auf einen Mann – den Seewolf, der jetzt mit blitzenden Augen an Deck der „Empress“ stand.
Old O’Flynn kniff ständig die Augen zusammen, als würde ihn die Sonne blenden. Über sein zeitloses Gesicht kullerten Tränen der Rührung, die im Gewirr der Bartstoppeln versickerten. Er schniefte ständig.
Das Geschrei der anderen sprengte alle Grenzen. Dan O’Flynn, Matt Davies, Jean Ribault, Martin Correa, Sven Nyberg und Nils Larsen waren vor Freude außer sich. Sie befühlten, befingerten, beklopften den Mann, als wollten sie sich immer wieder davon überzeugen, daß er tatsächlich aus Fleisch und Blut, greifbar und faßbar und kein Geist war.
Die Zwillinge, dem Seewolf wie aus dem Gesicht geschnitten, standen starr, steif, fassungslos und nichtbegreifend da. Sie hatten nicht mehr damit gerechnet, den Vater lebend wiederzusehen. Mannhaft hatten sie immer wieder ihre aufsteigenden Tränen unterdrückt.
Jetzt war es wie ein Schock für sie. Vor ihnen stand die riesenhafte schwarzhaarige Gestalt mit den blauen Augen und den weiß blitzenden Zähnen. Da war das vertraute Gesicht, die muskulösen Arme, die sich ausstreckten, der besorgte Blick, der die beiden traf.
Der Schock der Wiedersehensfreude löste sich. Gleichzeitig veränderte sich auch ihre Haltung. Lippen zuckten, eisblaue Augen füllten sich mit Tränen, und dann schnieften beide los und fielen ihrem totgeglaubten Vater stürmisch in die Arme.
Da waren alle Worte überflüssig, da verstummte plötzlich jedes Geräusch auf der „Empress“, die harten Kerle standen verlegen herum und wußten nicht, wohin sie blicken sollten. Philip und Hasard ließen ihren Tränen der Erleichterung freien Lauf, drückten ihren Vater an sich und heulten Rotz und Wasser. Eine tonnenschwere Last war von ihren Herzen gefallen.
„Du bist endlich wieder da, Dad“, sagte Hasard junior mit tränenerstickter Stimme. „Wir dachten …“
Der Seewolf nickte, er wußte, was sie dachten. Der Gedanke war ja nun wirklich nicht abwegig und sehr naheliegend.
„Offenbar bin ich zu zäh zum Sterben“, sagte er.
Die anderen Männer drängten wieder heran. Immer noch hatten sie keinen Blick für das Inferno um sie herum. Seit Hasard zurückgekehrt war, schien für lange Augenblicke die Zeit stehenzubleiben.
„Jetzt wird alles gut“, sagte Old O’Flynn heiser, „jetzt, da du wieder hier bist, Sir, werden wir es den Kerlen zeigen. Du glaubst gar nicht, wie uns das aufmuntert.“
Hasard verzog ein wenig das sonnenverbrannte Gesicht, denn die stürmische Begrüßung drückte auf seine Rippen, von denen einige vermutlich angeknackst waren. Daher hatte er seinen Oberkörper dicht und stramm umwickelt.
„Ich muß mir erst einen Überblick über die Lage verschaffen“, sagte er. „Es scheint, als seien hier bereits Landungstruppen der Dons an Land gegangen.“
„Ja, fast siebzig Mann. Wir haben einen schweren Stand, soweit ich das erkennen kann. Der Kampf tobt in den Grotten.“
Old O’Flynn und sein Sohn gaben Hasard einen kurzen Abriß über die Geschehnisse auf der Schlangen-Insel.
Sehr rosig sah die Lage nicht aus, fand Hasard. Der Felsendom war durch zwei Wracks versperrt und hinderte die Schiffe des Bundes der Korsaren am Auslaufen. Vorerst war es ausgeschlossen, dort auch nur ein einziges Schiff hindurchzubringen.
Kurze Zeit vorher bot sich der Schlangenpriesterin Arkana und Karl von Hutten ein eindrucksvolles Bild.
Sie befanden sich auf dem felsigen Gefechtsstand neben den Kanonen, die von oben aus das Meer bestreichen konnten, und blickten verwundert auf eine Schaluppe, die von Nordwesten her auf die fünf spanischen Kriegsgaleonen zusegelte.
Diese Schaluppe sah aus wie ein überdimensionaler bizarrer Schmetterling. Sie hatte das Großsegel nach Backbord und die Fock weit nach Steuerbord ausgebaumt. In ihrem Kielwasser wurde eine kleine Jolle mitgezogen.
Wegen der weit ausgebaumten Segel war der Mann nicht zu erkennen, der diesen Riesenschmetterling über das Meer jagte.
Karl von Hutten blickte angestrengt durch das Spektiv. Dann reichte er es an die Schlangenpriesterin Arkana weiter.
„Niemand zu erkennen“, sagte von Hutten verwundert. „Das ist recht merkwürdig.“
Arkana erkannte wegen der ausgebaumten Segel auch nichts. Sie richtete den Kieker auf die „Empress“, schwenkte dann wieder zurück und schüttelte ratlos den Kopf. Der Teufel mochte wissen, was da vorging und was es mit der geheimnisvollen Schaluppe auf sich hatte. Zweifellos gehörte sie zu den spanischen Kriegsschiffen, denn sie hielt genau auf das Flaggschiff zu.
Etwas später war eine Bewegung auf der Schaluppe zu erkennen. Ein Schatten sprang in die Jolle. Das kleine Boot löste sich von der Schaluppe und nahm Kurs auf die „Empress“ Old Donegals.
Beide, Karl von Hutten und Arkana, griffen gleichzeitig zum Kieker. Mit einem Lächeln überließ von Hutten der Schlangenpriesterin das Spektiv.
Die Jolle hielt weiterhin Kurs auf die „Empress“, während die Schaluppe unter vollem Preß genau auf das Flaggschiff zusegelte, als wollte sie es rammen.
Von Hutten sah, wie sich die schlanke Gestalt der Schlangenpriesterin plötzlich verkrampfte. Ihre Lippen zuckten. Sie setzte den Kieker ab und blickte von Hutten fassungslos an.
Er zuckte heftig zusammen, denn in jenem Augenblick, als sie gerade etwas sagen wollte, erklang eine schmetternde Detonation. Aus dem Bug der Schaluppe stieg eine Flammensäule in den Himmel, deren Licht vorübergehend heller als die Sonne war.
Das Flaggschiff der Spanier wurde in Rauch und grelles Feuer gehüllt. Der Donner der Explosion klang nach und rollte über die Schlangen-Insel, bis er sich weit draußen auf der See verlor.
Von Hutten zuckte erneut zusammen, als ihm Arkanas durchdringend helle Stimme in die Ohren drang. Der Schrei war so laut und gewaltig, daß er mühelos über die ganze Insel zu hören war.
„Hasard! Es ist Hasard! Er ist zurückgekehrt. Hört ihr mich? Hasard ist zurückgekehrt, er ist der Mann in der Jolle.“
Und ob sie es hörten! Sie rief die Worte so laut und gellend, daß von Hutten fast taub wurde.
Fassungslos blickte er der Jolle nach. Nur einen flüchtigen Blick hatte er für das Flaggschiff übrig, das durch die brüllende Explosion aus allen Nähten zu platzen schien.
Sein Herz klopfte plötzlich, als er die vertraute Gestalt in der Jolle erkannte.
Ja, kein Zweifel, das war der Seewolf – von den Toten auferstanden und zurückgekehrt wie ein Racheengel. Er kehrte nicht einfach still und bescheiden zurück. Er brachte sich gleich mit Feuer, Rauch und Donner in Erinnerung. Von Hutten, Sohn einer indianischen Häuptlingstochter, fuhr die Ankunft des Seewolfs wie ein glühendes Schwert in den Leib. Der trotz seiner blonden Haare so exotisch wirkende Mann sprang auf und schrie ebenfalls seine Freude hinaus. Sein Temperament ging mit ihm durch.
Aber Hasards Ankunft motivierte nicht nur ihn. Er fuhr auch den anderen hart in die Knochen, und das war wie eine Droge, die auch den müdesten Krieger blitzartig aufputschte.
Wie ein Ruck ging es durch alle, denn ausnahmslos jeder hatte Arkanas wilden Schrei vernommen.
Über die Schlangen-Insel brandete wie aus heiterem Himmel der alte Schlachtruf der Seewölfe.
„Ar-we-nack!“ erklang es aus rauhen Kehlen.
Hasard war zurückgekehrt, und das brachte die Kerle wild auf die Beine. Aber er war nicht nur einfach so zurückgekehrt. Er war es, der diesen tollkühnen Angriff mit dem Brander auf das Flaggschiff gefahren hatte. Der Seewolf war noch nicht richtig da, und schon zeigte er den Dons die Zähne.
Das brachte das Blut in Wallung, das heizte auf, das törnte die Kerle so richtig an.
Der erste, dem dieses Aufputschmittel sofort bis in den Kupferhelm drang, war der Wikinger und Nordmann Thorfin Njal.
Er tat einen Satz, reckte seinen mächtigen Brustkasten und stieß einen brüllenden Freudenschrei aus. Natürlich mußte er sich Luft verschaffen, und so hieb er in seiner Freude dem Stör auf die Schulter, daß dem Hören und Sehen verging.
„Auf, ihr tranigen Nordlichter!“ röhrte er mit seiner Bärenstimme. „Der Seewolf hat das Flaggschiff in die Luft geblasen. Jetzt blasen wir die Kerzen von den jämmerlichen Figuren aus.“
Mit den „jämmerlichen Figuren“ meinte er jenen Landungstrupp, der sich unter der Führung eines Teniente der Seesoldaten inzwischen in einer Höhle des Osthanges an der Innenbucht des hohen Westmassivs verschanzt hatte. Das waren insgesamt siebzig Mann gewesen, die in zwei Landungswellen den Teil der Insel erobert hatten.
Durch den vorherigen Angriff des Wikingers und der Schlangenkrieger war ein Teil der gelandeten Spanier jedoch bereits getötet oder verwundet worden. Annähernd dreißig Mann waren damit ausgefallen.
Etwa fünfundvierzig, so schätzte man, hatten sich in der großen Höhle verbarrikadiert.
Eine dritte Landungswelle erreichte das Land jedoch nicht mehr.
De Vallejo hatte das Landen zwar noch befohlen, doch jetzt hatte sich ganz überraschend die Sache mit dem Brander ereignet.
Das warf die Pläne der Dons erheblich durcheinander. Die Jollen, ohnehin stark mit Sturmtruppen überladen, drehten kurz vor Land wieder ab, um die Schiffbrüchigen des sinkenden Flaggschiffs zu bergen und zu den vier restlichen Galeonen zu bringen.
In das weitere Kampfgeschehen konnten die vier Galeonen vorerst auch nicht mehr eingreifen. Sie konnten das Landeunternehmen auch nicht mehr unterstützen, denn sie hatten jetzt alle Hände voll zu tun, um die im Wasser treibenden Landsleute an Bord zu holen.
Der Wikinger stürmte brüllend vor, gefolgt von den Männern der Werft, den Arwenacks, Kolbergern, den anderen Crews und den Schlangenkriegern und ihren Frauen, die gnadenlos auf die Spanier eindrangen.
Die Dons hatten sich jedoch gut verbarrikadiert. Die große Höhle war mit Steinen abgesichert und stellte einen unüberwindlichen Wall dar, hinter dem die Dons mit geladenen und schußbereiten Musketen lauerten.
Thorfin Njal blieb stehen und ging hinter einem Felsen in Deckung, als ein Musketenschuß dicht an ihm vorbeipfiff. Als er sich zur Seite duckte, trat er dem Stör auf die Füße, der wie eine Klette an dem Wikinger hing. Die anderen Männer suchten ebenfalls hinter den Felsen Deckung und beobachteten die Höhle.
„Verdammt noch mal“, knurrte der Wikinger den Stör an, „mußt du mir dauernd an der Pelle kleben, du Rappelkopf? Du hängst immer so dicht unter meinem Bart, daß ich dich noch einmal aus Versehen untermangeln werde.“
Der Stör verzog sein langes Gesicht, als eine Kugel den Felsen traf, ein höllisches Zwitschern von sich gab und plattgedrückt mit einem schrillen Jaulen davonflog.
„Ich will dich doch nur beschützen“, murrte er leise.
„Seh ich aus wie einer, der einen Beschützer braucht?“ Der nordische Poltermann kriegte schon wieder das gefürchtete Funkeln in den Augen. Meist wurde er dann fuchsteufelswild.
„Beschützer braucht“, echote der Stör auch noch. „Ich denke dabei doch nur an deine Gemahlin, an Gotlinde.“
Der Wikinger fuhr herum und sah den Stör mit einem so flammenden Blick an, daß man meinen konnte, er wolle ihm den Hals umdrehen.
„So!“ sagte er wild. „An meine Gemahlin denkst du! Ha, ich weiß längst, wo die Glocken bimmeln, du lausiger Schürzenjäger. Wenn das hier rum ist, werde ich dich in die Mangel nehmen, damit dir das Gedenken an meine Gemahlin vergeht, und zwar gründlich. Außerdem verbiete ich dir, sie Gotlinde zu nennen! Für dich Hering ist meine Gemahlin immer noch Madam Thorfin Njal.“
Der Stör sah seinen Kapitän fassungslos und erschüttert an. Er war schwer beleidigt, daß der Wikinger wieder mal wegen seiner grundlosen Eifersucht alles in den falschen Hals kriegte.
„Aber – aber alle nennen sie Gotlinde“, sagte er verbiestert. „Und ich kann sie doch nicht mit Madam Thorfin ansprechen, sie heißt doch jetzt Gotlinde Njal.“
„Das bestimme ich“, sagte der Wikinger mit seiner durchschlagenden Logik. „Und ich werde dir Thors Hammer ins Kreuz feuern, wenn du wieder den verliebten Blick drauf hast. Und jetzt verpiß dich zur anderen Seite.“
„Du verstehst das alles ganz falsch“, jammerte der Stör. „Jeder mag deine Gemahlin, ich natürlich auch.“
„Du ganz besonders!“ brauste Thorfin auf. „Wenn du sie nur siehst, benimmst du dich wie ein angestochenes Mondkalb, verdrehst die Augen und wirst auch noch rot. Daß du nicht schämst, rot zu werden! Du bist schließlich nicht Erik der Rote.“
Der Stör wußte kaum noch, was er sagen sollte. Der Wikinger warf mit Argumenten um sich, die er einfach nicht kapierte. Ausgerechnet in dieser extremen Situation – kurz vor dem Angriff – begann ihn wieder seine Eifersucht zu plagen.
„Ich werde immer mißverstanden“, beklagte sich der Stör. „Dabei meine ich es nur gut. Ich will deiner Frau doch nur den Ehemann erhalten, deshalb passe ich auf dich auf, damit sie nicht trauert. So, jetzt weißt du es!“
„Da steckt was anderes dahinter“, sagte Thorfin mißtrauisch, der einfach nicht begreifen wollte, daß es dem Stör wirklich um sein Wohl und Heil ging.
„Sturer Knochen“, murmelte der Stör leise. „Und trotzdem passe ich auch weiter auf dich auf.“
Thorfin blickte den Stör immer noch mißtrauisch an. Er hörte zwar nicht die Worte, die der Stör sprach, aber er vernahm sein Grummeln, das ziemlich erbittert klang und ein Zeichen war, daß er sich ärgerte.
Gerade wollte der Wikinger wieder von dem leidigen Thema anfangen, da krachten zwei Schüsse. Die Kugeln fuhren an die Felsen und jaulten kreischend davon.
Achteraus pirschten sich die Arwenacks heran. Big Old Shane wechselte seine Position, dann der Profos Carberry, schließlich Smoky und noch ein paar Männer. Batuti näherte sich der mit Steinen verbarrikadierten Höhle lautlos von der Seite.
Der Riese aus Gambia trug seinen Langbogen, mit dem er besser umzugehen verstand als mit einer Muskete oder Pistole. Er legte einen Pfeil auf die Sehne, spannte den Bogen, sprang aus seiner Deckung und schoß. Das alles ging blitzschnell, denn sofort nach Batutis Schuß krachten wieder die Musketen der Dons.
Der Pfeil flog durch eine der Ritzen, die als provisorische Schießscharten dienten, und verschwand dahinter.
Der Pfeil hatte getroffen, denn ein greller Schrei drang hinter der Steinbarriere hervor. Gleich darauf brach der Schrei abrupt ab.
Diesen kurzen Augenblick der Verwirrung nutzten die Inselverteidiger sofort aus.
Allen voran stürmte der Wikinger los. In seinen rauchgrauen Fellen bot er einen schrecklichen und schaurigen Anblick. Wie ein Relikt aus grauer Vorzeit sah er aus. An der Seite trug er sein „Messerchen“, ein yardlanges scharfes Schwert. Seine riesigen Schultern waren mit Bandeliers behangen, aus denen die Griffe doppelläufiger Pistolen hervorragten.
Das war nicht nur die Wut auf die Spanier, die ihn vorantrieb, da war auch die Tatsache, daß er immer wieder an den Stör und dessen verrücktes Gefasel dachte. Wut und Eifersucht waren es, die ihn brüllend vorantrieben. Er schoß aus zwei Pistolen gleichzeitig, drehte dann ab und wollte in Deckung gehen.
Die nachfolgende Welle aus Seewölfen und Kriegern feuerte ebenfalls ihre Waffen ab. Zäher Pulverqualm entstand wie Nebel vor ihren Augen, bis die leichte Brise ihn verwehte.
Aus dem Innern der großen Höhle klangen wieder Schreie. Ein getroffener Mann stöhnte und wimmerte und schrie laut um Hilfe.
Dann wurde das Feuer erwidert. Aus den Ritzen und Spalten im Gestein blitzte es grell auf. Pulverwölkchen folgten. Einer der Krieger Arkanas brach mit einem Schuß im Bein zusammen. Die Schlangen-Kriegerinnen zerrten ihn eilig in Deckung. Auch die anderen Männer verschwanden wie Schemen hinter den schützenden Felsen.
„So ein Scheiß!“ fluchte Carberry laut. „Das bringt uns überhaupt nichts ein. Wir verlieren nur Leute. Die Dons können uns bequem abknallen, wenn wir wieder vordringen. Wir sollten uns weiter auf die Südseite des West-Ost-Kammes zurückziehen.“
„Dann brechen die Dons vielleicht aus“, sagte Shane bedächtig.
„Sollen sie ruhig“, sagte Ed erbost. „Damit gewinnen sie gar nichts.“
„Damit gewinnen sie eine ganze Menge“, erwiderte Shane immer noch mit kühler und ruhiger Stimme.
„Streitet euch nicht“, sagte Arkana. „Die Situation ist für beide gleich. Wir können die Höhle nicht stürmen, und die Spanier können nicht angreifen oder ausbrechen. Es ist besser, wir ziehen uns ein kleines Stück zurück. Dann haben wir sie unter Kontrolle und können sie an einem Ausbruch hindern, ohne selbst viel zu riskieren.“
Der Wikinger fand das gar nicht gut und betonte, man müsse den Strolchen immer wieder auf die Pelle rücken und sie so lange nerven, bis man sie überrumpeln könne.
Schließlich zogen sich die Verteidiger doch ein Stück zurück. Sie bezogen eine Stellung auf dem Hügelkamm, der sich von Westen nach Osten quer zu den anderen Kämmen des nördlichen Westmassivs erstreckte.
Die Höhle, in der sich die Spanier verbarrikadiert hatten, befand sich dem Kamm gegenüber am Südhang des westlichen Massivs. Von diesem Grat aus konnten sie die Höhle mit Musketenfeuer bestreichen und hatten die Dons unter Kontrolle. Felsengestein bot ihnen genügend Deckung.
Ein nervenaufreibender Kleinkrieg begann.
Mal feuerten die Spanier aus ihrer sicheren Deckung heraus zwischen die Felsen, mal feuerten die Verteidiger. Erfolge waren so gut wie keine zu verbuchen, denn jeder hütete sich, auch nur die Andeutung einer Zielscheibe abzugeben.
Thorfin Njal ging das schließlich mächtig gegen den Strich.
„Sollen wir hier bis zum Sankt Nimmerleinstag warten?“ schrie er. „Oder die Dons aushungern, was ungefähr eine Woche dauert? Ohne mich, das bindet nur unsere Kräfte. Inzwischen gelingt es den nächsten Truppen, Land zu erreichen.“
Er war wieder mal am Aufbrausen und Poltern, und er hätte auch liebend gern die Barriere überrannt und die Höhle im Sturm genommen.
„Seht mal nach unten“, sagte er, „die haben jetzt noch vier Galeonen, mehr nicht. Das Flaggschiff ist abgesoffen, und die vier lausigen Schiffchen haben sich aus dem Schußbereich verholt. Jetzt liegen sie nordwestlich der großen Bucht und sind damit beschäftigt, die absaufenden Strolche einzusammeln. Die können im Augenblick gar keine Truppen an Land bringen. Deshalb bin ich dafür, daß wir diese verdammte Höhle jetzt stürmen.“
„Sei doch vernünftig, Thorfin“, sagte Old Shane. „Du willst immer mit dem Schädel durch die Wand. Aber es geht nun einmal nicht. Wir müssen uns noch etwas gedulden. Auch wir können keine Felsen einreißen.“
„Wir können keine Felsen einreißen“, plapperte der Stör nach, denn er fand diesen Satz besonders gut.
Thorfin fand das gar nicht gut, und so packte er den Stör am Hals und beutelte ihn hin und her. Der Stör wurde bis auf die Knochen durchgeschüttelt, wobei Thorfin schrie: „Was können wir nicht? Meine Vorfahren haben ganze Kontinente erobert, und da soll ich so eine lausige Kakerlakenhöhle nicht einrennen? Los, Arne, Eike, Olig, vorwärts! Den Bastarden werden wir es zeigen.“
Dem Stör brauchte er nichts zu befehlen, der hing selbstverständlich wieder mal am Wikinger, obwohl der ihn immer noch beutelte.
Da gab auch Big Old Shane auf, denn mit dem sturen Poltermann war genauso schlecht zu reden wie mit Old O’Flynn, wenn der seinen biestigen Tag hatte.
Arkana rief auch noch etwas, doch die Worte gingen im wilden Angriffsgebrüll des Wikingers einfach unter. Er hatte es sich nun mal in den behelmten Schädel gesetzt, die Spanier auszuräuchern, und jetzt hielt ihn auch nichts mehr davon ab. Sie waren es schon gewohnt, daß er sich ständig die Hörner einrannte, darin stand er Old O’Flynn in nichts nach.
Die Wikinger stürmten los wie eine alles vernichtende Riesenwoge. Den Dons mußte bei dem Gebrüll angst und bange werden, und wenn sie diese behelmten und in Felle gekleideten Kerle dann auch noch vor sich sahen, wirkte das demoralisierend. So ähnlich dachte jedenfalls Thorfin Njal.
Die Spanier waren zwar auch beeindruckt, ließen sich jedoch nicht einfach überrennen.
Schüsse krachten auf beiden Seiten. In der Höhle blitzte es auf, das Gebrüll wurde noch lauter. Thorfin und seinen Mannen gelang es zwar, etliche Schüsse abzufeuern, aber von einer Wende im Kampfgeschehen konnte keine Rede sein.
Vernichtendes Musketenfeuer knatterte ihnen entgegen und zwang sie in Deckung hinter die Felsen und lose herumliegenden Steine. Immer wieder stießen Musketenläufe der Spanier zwischen die Schlitze und spien ihr heißes Blei aus. Geladene Musketen wurden den Schützen nachgereicht. Das Geballer wurde immer wütender und wilder.
Als für kurze Augenblicke einmal kein Schuß fiel, sprang der Wikinger wieder auf die Beine. Donnernd entluden sich beide Pistolen in seinen Fäusten.
Dann krachte ein einzelner Schuß, fast überlaut.
Im selben Augenblick hatte der Wikinger das Gefühl, jemand habe ihm einen riesigen Schmiedehammer auf den Schädel gedonnert. In seinem Helm erklang ein Schlag wie das Hallen einer riesigen Glocke. Der Helm paßte nicht mehr richtig. Er wurde immer enger und drückte hart auf Thorfins Schädel.
Der Riese sah nur noch wirbelnde Sterne, die wie in einem Kaleidoskop bunt durcheinanderrasten. Einmal glaubte er kopfzustehen, dann wieder den Felsen hinabzufallen. Er verlor die Orientierung und begann zu taumeln.
Ein weiterer Musketenlauf folgte jeder seiner Bewegungen und schien nur darauf zu warten, bis der Gigant ein ruhigeres Ziel bot.
„Dieser Ochse“, sagte Carberry voller Inbrunst, „man sollte ihm seine nordischen Hammelbeine mal kräftig langziehen.“
Er wollte aufspringen und feuern, doch der taumelnde Nordmann stand genau in der Schußlinie und torkelte immer noch hin und her.
Eike, Arne und Olig hatten hinter den Felsen Deckung gesucht und merkten gar nicht, in welch haarsträubender Lage sich ihr Kapitän befand. Sie hatten im Moment keine Einsicht auf die Höhle und die Geschehnisse davor.
Aber der Stör, der dem Nordmann wieder an der Pelle klebte, war rasch zur Stelle. Thorfin war inzwischen Hören und Sehen vergangen. Er wußte überhaupt nicht mehr, wo er sich befand. Immer noch funkelten bunte Sterne vor seinen Augen.
Der Stör sprang ihn mit einem wilden Satz an und riß ihn einfach zu Boden. Dicht vor einem Felsen prallten beide auf das Geröll. Jetzt sahen die anderen Wikinger, was los war, und zogen Thorfin mit einem schnellen Ruck aus der Schußlinie.
Er lag kaum zwischen den Felsen, als es schon wieder krachte. Der spanische Schütze hätte fast noch Thorfins Bein getroffen.
Im Schutz der Felsen und lose herumliegenden großen Steinen zerrten sie den Wikinger zurück.
„Fein hat er das wieder hingekriegt“, höhnte Shane. „Ein heroischer Alleingang war das. Ist er verletzt?“
„Ich glaube ja“, sagte der Stör.
Thorfin hockte mit glasigen Augen auf dem Boden, wollte nach seinem Helm greifen und langte immer wieder daneben.
„Es ist so neblig“, brummte er.
„Wahrscheinlich läßt du den Dampf aus deinem Schädel ab“, sagte der Profos. „Zieht ihm doch mal den verdammten Eimer von seiner dämlichen Rübe.“
Smoky und der Stör zerrten gemeinsam an der „Hirnkappe“, wie der Profos des Wikingers Kupferhelm manchmal auch nannte. Es ging ziemlich schwer, bis sie das Ding endlich herunter hatten und dem Wikinger eine Flut rotgrauer Haare über den Schädel quoll.
Die Bleikugel aus der Muskete hatte den Helm getroffen, ihn kräftig eingebeult und eine tiefe handlange Riefe hinterlassen, daß der Helm von der Seite wie gespalten wirkte.
Arkana befühlte Thorfins Schädel.
„Nichts Ernstes“, sagte sie, „er hat Glück gehabt. Er hat nur eine heiße Schramme am Kopf und eine Beule. Die wird allerdings noch sehr dick anschwellen.“
Immer noch war der Wikinger wie benebelt. Er sah nicht klar, alles wirkte verschwommen und tanzte vor seinen verschleierten Blicken immer wieder auf und ab.
„Vorwärts“, brummte er, „jetzt kriegen sie den Rest.“
Sein mächtiger Oberkörper pendelte hin und her. Dann schüttelte er ein paar Male den Kopf und blickte die Männer verwundert an, die ihn umringten.
Als er das harte narbige Gesicht des Profos dicht vor dem seinen sah, zuckte er verstört zusammen.
„He, was ist los?“ fragte er. „Was stiert ihr mich alle so an? Gib gefälligst meinen Helm her, Mister Carberry. Was tust du damit?“
„Ich wollte nur mal nachsehen, ob da vielleicht nordische Baßtölpel drin brüten“, sagte Ed. „Kann ja sein, daß sie dein Gehirn als Nistkasten benutzt haben.“
Der Wikinger, jetzt wieder klar im Schädel, riß dem Profos den Helm aus den Händen, betrachtete ihn fassungslos und starrte die Riefe an.
„Mein schöner Helm“, beklagte er sich, die haarige Situation total mißachtend, „wenn das Gotlinde sieht!“
„Andere Sorgen scheint dieser nordische Riesenlümmel wohl nicht zu haben“, sagte Shane beißend. „Sei froh, daß der Stör rechtzeitig zur Stelle war und dich aus der Gefahr holte, sonst hättest du jetzt mit Sicherheit ein Loch im Schädel. Ein Spanier hat dir das Ding verpaßt, und du warst geistig wohl etwas weggetreten. Wie auf dem Präsentierteller hast du dich den Dons dargeboten mit deinem Alleingang.“
„Mir fehlt für ein paar Augenblicke wirklich die Erinnerung“, murmelte der Wikinger. „Der Stör war’s also, na ja, hm-hm.“
Ein Wort des Dankes oder der Anerkennung wollte aber trotzdem nicht über seine Lippen. Er begnügte sich lediglich damit, dem verlegen grinsenden Stör einen Blick zuzuwerfen, was dieser immerhin stolzgeschwellt zur Kenntnis nahm, denn er faßte es als ein dickes Lob auf. Thorfin war ohnehin recht sparsam mit Dankesworten. Lieber verteilte er seine nordischen Kopfnüsse oder beutelte seine Leute mal ein bißchen.
Zwischen Spaniern und Verteidigern war jetzt eine Art Patt-Situation eingetreten. Jeder lauerte darauf, daß sich der andere eine Blöße gab.
Tauchte einer aus der Deckung auf, krachten drüben aus der Höhle sofort die Musketen. Schwieg das Feuer, dann schossen die Seewölfe zurück.
Der Wikinger nutzte die Lage, um an seinem Helm herumzuklopfen. Inzwischen wuchs auf seinem Schädel eine so mächtige Beule, daß ihm der Helm vorerst sowieso nicht mehr passen würde. Das hinderte ihn jedoch nicht, liebevoll an seiner „Hirnkappe“ herumzuhämmern, was den Profos wieder mächtig in Rage brachte.
„Ohne den Eimer siehst du viel besser aus“, knurrte er. „Wirf ihn doch einfach weg!“
Thorfin blickte entrüstet auf. „Wegwerfen? Der Helm ist mein Leben. Wirft man denn einfach sein Leben weg?“
„Du hast es eben fast getan.“
„Aber mein Helm hat mich gerettet“, behauptete der Nordmann stur.
„Der Stör hat dich gerettet“, korrigierte Ed trocken.
„Aber wenn der Helm nicht gewesen wäre, hätte ich jetzt ein Loch im Schädel, und der Stör hätte mich nicht mehr retten können. Also verdanke ich mein Leben in erster Linie dem Helm.“
Das war des Wikingers trockene Logik, und davon wich er keinen Deut ab, obwohl er mit Carberry fast darüber in handfesten Streit geriet.
Kurze Zeit später griffen Schlangenkrieger und Seeleute noch einmal gemeinsam an.
Einen sichtbaren Erfolg konnte jedoch keine Seite verbuchen. In der Höhle gab es ein paar Verwundete. Auf der anderen Seite traf es einen Mann von Ramsgates Leuten, einen Werftarbeiter. Er trug nur eine kleine Fleischwunde davon und wurde gleich darauf von den Kriegerinnen Arkanas verarztet.