Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 73 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Am Ruder stand der Boston-Mann, jener englische Pirat mit dem großen goldenen Ring im Ohr, der Siri-Tong absolut ergeben war. Er war schweigsam wie immer und sprach nur, wenn die Rote Korsarin ihn etwas fragte. Dann erst ging er aus sich heraus.

Er betrachtete sie ausgiebig. Sie stand auf dem Achterkastell der zweimastigen Karavelle mit den blutroten Lateinersegeln und blickte auf die Insel, der sie jetzt entgegensegelten.

Der Boston-Mann lächelte leicht. In den Augen seines kühn geschnittenen Gesichts blitzte es ab und zu auf, wenn er das runde Hinterteil in den engen blauen Schifferhosen sah, die rote, am Hals immer zwei Knöpfe geöffnete Bluse der Korsarin, die zwei feste Brüste umschloß, und ihr Gesicht, sobald sie sich umdrehte.

Das war jetzt der Fall. Sekundenlang fing er den Blick aus ihren schräggestellten Mandelaugen auf, sah die herzerfrischenden roten Lippen und das gerade Näschen sowie die schräg gewölbten Augenbrauen.

Klar, auch den Boston-Mann bewegten bei diesem Anblick immer sehr einseitige Gedanken, nur ließ er sich nichts anmerken wie die anderen Kerle, die Siri-Tong Tag für Tag mit den Augen verschlangen, sobald sie sich nur an Deck zeigte.

Sie deutete mit der rechten schmalen Hand in die Bucht, die sich vor ihren Augen auftat.

„Der schwarze Segler liegt nicht mehr am selben Platz, Boston-Mann.“

„Das stimmt, Madame.“

„Er hat ihn verholt. Aber er scheint nicht hier zu sein.“

„Es ist jedenfalls kein Schiff zu sehen, Madame.“

Bis auf ein Schiff war die Bucht leer. Und dieses Schiff sah fürchterlich genug aus. Wer diesen Segler sah, den überlief unwillkürlich ein kühler Schauer.

Siri-Tong sah, wie sich einige Männer aus ihrer Besatzung bei dem Anblick heimlich bekreuzigten. Der Boston-Mann, Juan und Bill, the Deadhead, der dunkelblonde Mann, der um den Hals eine grobe Goldkette mit einem handtellergroßen goldenen Totenkopf trug, kannten diesen Segler noch von früher und hatten ihn schon einmal gesehen. Die anderen jedoch, die Crew die sie in Tortuga angeheuert hatte, kannten das Schiff nicht, und so war ihre Reaktion durchaus verständlich.

Das unheimliche Schiff lag halb auf dem feinen weißen Sand der halbkreisförmigen Bucht. Das Heck lag halb im Wasser, ein Stück des mächtigen Ruderblattes ragte in die Luft.

Ein paar Männer stöhnten leise, als sich ihre neugierigen Blicke an dem Schiff festbrannten.

Der Rumpf war pechschwarz, die Masten waren pechschwarz und auch die in Fetzen herabbaumelnden Segel des Schiffes waren schwarz wie die Nacht. Irgendwo hätte jemand eine andere Farbe erwartet, doch es gab keine. Selbst das leicht geneigte Deck, das man von hier aus gut erkennen konnte, war schwarz geteert. Ebenso waren die Rahen rabenschwarz.

Das Schiff strahlte eine beklemmende, vielleicht sogar tödliche Drohung aus. Wie ein Ungeheuer lag es in dem Sand und hob sich scharf davon ab. Es schien pausenlos zu knistern, zu ächzen und zu stöhnen. Jedenfalls glaubten die meisten Männer, diese Geräusche ganz deutlich zu hören.

Das einzig Helle auf dem Hauptdeck des Schwarzen Seglers, das sich ebenfalls deutlich abhob, war ein teilweise ausgebleichtes Gerippe, an den Beinen noch mit einer vermoderten und zerschlissenen Hose bekleidet.

Der Boston-Mann wandte den. Blick ab. Selbst er, der den Segler schon kannte, konnte den unheimlichen Anblick nicht länger ertragen, denn jedesmal fühlte er ein kaltes Ziehen im Genick.

„Runter mit den Segeln!“ ertönte die helle Stimme der Roten Korsarin. „Klar bei Anker!“

Diese Worte rissen die Männer aus ihrer Erstarrung. Sie waren heilfroh, etwas zu tun zu haben, und so gingen sie mit ungewohntem Eifer an die Arbeit.

Während der Boston-Mann die Karavelle in die Bucht steuerte, wanderte der Blick Siri-Tongs weiter in der Bucht umher.

Hinter dem Strand und einer breiten Landzunge von halbkreisförmiger Gestalt wuchsen übergangslos scharfkantige Felsen in die Höhe. Felsen standen auch weiter vorn im Wasser, drohend erhobene Riesenfinger, dunkelbraun, schwach von sanften Wellen umspült. Kein Vogel nistete in den gezackten Löchern der Felsen. Die unmittelbare Nähe des schwarzen Schiffes schien selbst sie vertrieben zu haben.

Siri-Tong mußte den Kopf in den Nacken legen, um zu den hochwuchtenden Felsen hochzublicken.

Stumm und drohend standen sie da, scheinbar unvergänglich, und bewachten das Geheimnis der Insel Little Cayman, das nur ganz wenigen bekannt war.

„Fallen Anker!“

„Aye, aye, Madame!“ klang es vom Vordeck zurück. Der Anker klatschte ins Wasser und landete gleich darauf auf Grund. Das Wasser war hier nicht sehr tief. Dwars lief der Zweimaster dem Strand entgegen, bis die Ankertrosse sich straffte und ihn festhielt. Ganz langsam kam das Schiff zur Ruhe.

Schweigen herrschte auf der Karavelle. Es war fast körperlich spürbar, und es machte alles nur noch schlimmer. Stumm standen die Männer da und sahen zu den gewaltigen Felsen hoch, in denen sich nichts rührte, die nur vom Gluthauch der Sonne beschienen wurden, genau wie der schwarze Segler mit dem unheimlichen Passagier an Deck.

Siri-Tongs Stimme klang verwundert, als sie sich an den Boston-Mann wandte.

„Verstehst du das, Boston-Mann? Es scheint niemand hier zu sein. Früher sah man doch zumindest einen der Wächter ganz oben in den Felsen. Ich habe jedoch nichts bemerkt.“

„Ich habe auch niemanden gesehen, Madame. Die Insel scheint wie ausgestorben zu sein.“

„Wächter?“ stammelte ein schwarzhaariger Mann, der jetzt dicht neben dem Boston-Mann stand. „Was für Wächter, Boston-Mann?“

„Die Wächter am Auge der Götter“, sagte die Korsarin, als der Boston-Mann keine Antwort gab, sondern nur mit unruhigen Augen die Felsen absuchte.

„Am Auge der Götter“, hauchte der Mann.

Siri-Tong sah, wie die braune Haut in seinem Gesicht blaßgrau wurde und eine Gänsehaut über seine Arme lief.

„Später wirst du das verstehen.“

Doch der Mann verstand gar nichts. Er schlich sich leise davon, nachdem er noch einen scheuen Blick auf das schwarze Schiff geworfen hatte. Schien es ihm nur so oder hatte sich auf dem schwarzen Segler etwas verändert? Lauerten da nicht die Geister jener Toten, die sich fraglos außer dem einen Gerippe noch an Bord befanden? Seine Kopfhaut zog sich zusammen. Trotz der sengenden Sonne fror ihn plötzlich.

Die meisten erwarteten jetzt eine langatmige Erklärung. Aber weder der Boston-Mann noch Siri-Tong dachten daran, etwas zu erklären. Der Korsarin war selbst einiges unerklärlich, so die Tatsache, daß sich keiner der Wächter zeigte, und daß der Mann, der sie hierher beordert hatte, ebenfalls noch nicht da war.

Das war jedoch nicht weiter verwunderlich. Er konnte ja noch im Laufe des Tages eintreffen. Die Abwesenheit der Wächter beunruhigte sie viel mehr.

Was mochte am Auge der Götter passiert sein? Hatten fremde Piraten Wind von dem Geheimnis gekriegt, die Wächter überfallen und den See geplündert? Eine Vorstellung, die ihr einfach nicht in den Kopf wollte.

Die Wächter ließen kaum jemanden heran, und selbst eine Meute wilder Piraten hätten sie abgewehrt. Dabei wäre allerdings der ganze Berg in sich zusammengestürzt, denn die Wächter hatten für solche Fälle konsequent vorgesorgt.

„Ich werde hinaufsteigen, Boston-Mann, und am Auge der Götter nachsehen. Dort muß etwas passiert sein. Wie es aussieht, scheinen wir auf der Insel ganz allein zu sein.“

„Verzeihen Sie, Madame, daß ich widerspreche, aber ich an Ihrer Stelle würde da nur in Begleitung hinaufgehen.“

Ihre Hand fuhr unwirsch durch die Luft. Sekundenlang glomm es in ihren nachtschwarzen Augen ärgerlich auf.

„Du weißt genau, daß kein Fremder lebend oben ankommen würde, selbst du nicht, Boston-Mann, auch Juan nicht.“

„Das stimmt, Madame.“

„Also werde ich allein gehen, verstanden?“

„Wir sind nur um Sie besorgt, Madame“, erwiderte der Boston-Mann.

Für zwei Sekunden tönte ihr helles Lachen durch die Bucht.

„Wie schön“, sagte sie spöttisch. „Daß jemand um mich besorgt ist, schmeichelt mir direkt. Bring mir meinen Degen, Juan!“

Juan, ein Klotz von einem Kerl, himmelte die Rote Korsarin an. Er war der Bootsmann, anderen gegenüber allerdings nicht immer ganz ehrlich, und er liebte es, Leute aus der Crew aus nichtigen Anlässen mitunter grundlos zu verprügeln. Dennoch konnte sich Siri-Tong unbedingt auf ihn verlassen.

Er brachte ihr den Degen und das Wehrgehänge, dabei schielte er in ihre rote Bluse, bis der Boston-Mann ihm einen eiskalten Blick zuwarf. Juan wandte sich verlegen ab. Er war zwar der Bootsmann, aber vor dem Boston-Mann hatte er einen unerklärlichen Respekt. Dem Kerl war nicht beizukommen, und er hatte sich mit diesem Mann auch noch nie angelegt, weil er instinktiv spürte, daß er bei einer Schlägerei sehr schlecht abschneiden würde.

Inzwischen wurde das Beiboot abgefiert. Leichtfüßig sprang die Rote Korsarin hinein, nachdem der Boston-Mann im Boot Platz genommen hatte, um es an den Strand zu rudern.

Bevor es knirschend auf den Sand lief, warnte er sie noch einmal: „Überlegen Sie es sich gut, Madame. Auf der Insel ist irgend etwas passiert, was wir noch nicht wissen. Es droht Gefahr.“

„Du predigst ja wie ein Bordgeistlicher“, sagte sie lachend. „Eine so lange Rede habe ich von dir noch nie gehört.“

Da gab der Boston-Mann es auf und schwieg. Wenn Siri-Tong sich einmal etwas in ihr hübsches Köpfchen gesetzt hatte, dann war daran nicht mehr zu rütteln. Und selbst wenn sie Angst hatte, dann überwand sie diese Angst immer, indem sie spöttisch lachte, so wie jetzt gerade.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr euch inzwischen am Strand umsehen, oder Fische fangen“, sagte sie. „Aber daß niemand auf die Idee verfällt, mir nachzusteigen. Das ist ein Befehl, Boston-Mann! Niemand klettert in die Felsen hinauf. Und laßt die Finger von dem schwarzen Segler, das Schiff ist verflucht!“

„Ja, es ist verflucht“, sagte der Boston-Mann heiser. „El Diabolo selbst hat es verflucht. Der Teufel wird ihn in der Hölle rösten, für alle Zeiten.“

Er sah ihr mit einem Gefühl der Beklemmung nach, als sie über den feinen Sand ging, an den Felsen vorbei, bis sie eine schmale Rinne fand, in der man aufsteigen konnte, zwar sehr mühsam nur, und man mußte gut aufpassen.

Siri-Tong kletterte weiter. Die Felsen strahlten die Hitze hundertfach zurück. Die Felsen schienen von innen her zu lodern oder zu brennen, so heiß waren sie, wenn sie sie anfaßte, um sich Stück für Stück weiterzuziehen.

In diesen Felsen gab es immer wieder Pfade mit losem Geröll, scheinbar ausgetretene Wege, die oftmals in die Irre führten und vor steilen Wänden endeten.

Siri-Tong kannte die Pfade, die der Regen ausgewaschen hatte und die oftmals auch künstlich angelegt worden waren. Ein Plateau mit großen Felsbrocken übersät, breitete sich vor ihr aus. Es ging jetzt schräg bergauf. Unter ihren Stiefeln knirschte es manchmal verdächtig – Lavafelsen, teilweise hohl, darunter unsichtbar verborgen, tiefe Kavernen, in die man hineinfallen konnte. Es war ein Labyrinth der tausend Fallen.

Ihr Blick wanderte nach rechts, und unwillkürlich drang ein leiser, erschrockener Schrei über ihre Lippen.

Rechts lagen die Überreste eines Menschen zwischen den Steinen. Der Brustkorb war deutlich zu sehen, die Arme, ein Bein. Nur von dem Schädel fehlte jede Spur. Sie entdeckte ihn jedoch gleich darauf.

Jemand hatte ihn auf einen langen Pfahl gesteckt, der zwischen zwei große Steine gerammt war.

Sie blieb stehen und sah sich immer wieder um. Tief unter ihr dehnte sich die dunkelblaue Fläche des Meeres aus, am Strand lag der Zweimaster, von hier aus anzusehen wie ein Spielzeug, und nicht weit von ihm entfernt der schwarze Segler, der auch aus dieser Höhe nichts von seiner unheimlichen Ausstrahlung verloren hatte.

Ihr Herz klopfte laut in ihrer Brust, pochte hart an die Rippen. Ihr Gesicht war gerötet von der Anstrengung.

Noch dachte sie sich nicht viel dabei, seit sie das eine Gerippe gefunden hatte. Doch das änderte sich, als sie gleich zwei nebeneinander fand. Wieder waren die grinsenden Totenschädel auf Pfähle gespießt, als sollten sie den Weg zum Auge der Götter weisen. Die Schädel waren bleich. In dunkle, leere Augenhöhlen fiel ab und zu ein Lichtstrahl, wenn der Wind sie leicht bewegte. Dann blitzte es sekundenlang darin unheimlich auf.

Sie blieb wieder stehen. Der nächste Schädel rollte ihr entgegen, als sich ein kleiner Stein bewegte und den Pfahl umstieß, auf den er gesteckt war.

Sie sprang zurück, den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet.

Was war hier geschehen? Immer wieder stellte sie sich diese Frage, doch eine Antwort gab es nicht, die Felsen schwiegen, und auch von den Wächtern ließ sich niemand blicken.

Ein weiterer Schädel wies den Weg nach oben.

Jetzt sah Siri-Tong klar. Jedenfalls lag die Erklärung, die sie nun bereit hatte, auf der Hand.

Hier mußten tatsächlich Piraten versucht haben, den See seiner gewaltigen Schätze zu berauben. Daß es ihnen nicht gelungen war, bewiesen ihre ausgebleichten Knochen, die überall zwischen den Felsen herumlagen. Diese Gerippe waren mit Sicherheit keine Wächter, das waren Piraten, die im Kampf mit den Wächtern ums Leben gekommen waren. Die überlebenden Wächter hatten die Totenschädel auf Pfähle gesteckt, um jeden Fremden nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß hier ihr Reich begann, und daß es jedem genauso ergehen würde, der sich weiter nach oben wagte.

Anscheinend hatte niemand überlebt oder höchstens diejenigen, die an Bord zurückgeblieben waren.

Die Rote Korsarin war nicht ängstlich, doch jetzt beschlich sie ein unheimliches Gefühl. Sie fühlte sich von tausend Augenpaaren belauert, überall zwischen den Felsen, in den Spalten konnten die Wächter stekken. Sie waren Fanatiker, das wußte Siri-Tong, und ihr Fanatismus kannte keine Grenzen. Für sie war jeder ein Frevler, der weiterging, ohne die Vorboten des Todes zu beachten.

Sie überlegte. Sollte sie weitergehen oder umkehren, um nicht den Zorn jener heraufzubeschwören, die das Götterauge bewachten?

Einen Augenblick rang sie mit sich selbst. Nein, umkehren wollte sie nicht. Es war die Neugier, die sie weitertrieb. Wenn es keine überlebenden Wächter gab – wie sah dann der See aus? Lagen an seinen weißen Ufern immer noch die Diamanten? Oder die Edelsteine, das Gold, die Skulpturen, die auf dem Grund des Sees ruhten. Waren sie noch dort, oder hatte man das alles geraubt?

Früher hatte es hier viele Wächter gegeben, Indios, Indianer, die die Schätze behüteten und bewachten. Man hatte sie auch ständig sehen können.

Nur heute gab es keine, und das beunruhigte die Rote Korsarin mit jeder Minute mehr.

Dennoch stieg sie weiter, mit klopfendem Herzen, fliegenden Pulsen und einer beklemmenden Ungewißheit. Und immer wieder blickte sie sich nach allen Seiten um. Sie hatte ein untrügliches Gespür für unsichtbare Gefahren. Dieses Gespür hatte ihr schon mehr als einmal das Leben gerettet, es ließ sie nie im Stich.

Langsam ging sie weiter, den Totenköpfen nach, die immer zahlreicher wurden und ihr den Weg zum Auge der Götter wiesen, dem kreisrunden See, der einem Auge ähnelte.

Die Felsen wurden jetzt glatter und sahen aus, als hätte man sie bearbeitet oder geschliffen. Siri-Tongs Augen waren zusammengekniffen und spähten in die spärlich wachsenden Büsche, ob sich dort etwas regte. Nichts, alles wirkte tot, ausgestorben, genau wie der schwarze einsame Segler in der Bucht.

Vor ihr wuchteten jetzt glatte Felsmassen in die Höhe, die ein riesiges ringförmiges Massiv bildeten, das an einer Seite offen war. Jetzt mußten sich die Wächter zeigen, oder es gab sie nicht mehr.

Sie ging auf den weißen Strand zu, der den See umsäumte. Der Anblick der sich ihr bot, war herrlich und schrecklich zugleich.

Rechts stieg ein hoher Felswall an, der den See wie eine riesige Mauer umschloß. Der Anfang dieses Felsen bestand aus einem in den Stein gehauenen Totem, einem Götzenbild, fast viereckig, das sie aus hellen kalten Augen grausam anstarrte.

Davor lag im hellen Sand wiederum ein menschliches Gerippe. Ein Totenschädel, davor die Arm- und Brustknochen, wahllos im Sand verstreut, in dem es gleißte und glitzerte.

Diamanten lagen dort. Man brauchte sie nur aufzuheben und einzustecken, und schon war man reich, wenn man es bis hierhin geschafft hatte. Überall lagen sie herum, bläulich, grünlich, rötlich und strahlend weiß aufglitzernd, wenn das Licht der Sonne sie beschien.

Der See war kreisrund und von jener tiefen Bläue, wie man sie nur in der Saragossasee findet, an tiefen dunklen Stellen. Und auch im See funkelte, gleißte und strahlte es.

Siri-Tong war von dem Anblick überwältigt. Die hohen, majestätischen Felsen, die den See umschlossen, das grausame Gesicht im Felsen, das jeden Fremden warnen mußte, das Gerippe eines Menschen, der es bis hierher geschafft hatte und dann durch die Wächter umgekommen war. Dazu kamen die zahlreichen gleißenden Diamanten im weißen Sand.

Sie stand da und staunte, keines Wortes mächtig. Aus dem See blinkte es geheimnisvoll hervor. Gold, das die Sonne beschien, Juwelen, in denen sich das Licht brach.

Sie war so gebannt, daß sie die Augen nicht bemerkte, die sie schon seit geraumer Zeit beobachteten. Die Augen glühten vor Haß, Fanatismus, den Gedanken an Rache, diese Frevlerin umzubringen, die es gewagt hatte, sich dem Auge der Götter zu nähern, und die jetzt einen verhängnisvollen Fehler beging.

Siri-Tong konnte der Versuchung nicht widerstehen. Kein Mensch hätte das gekonnt. Sie bückte sich langsam, sah einen prächtigen, funkelnden Diamanten im Sand und hob ihn auf. Tausendfach brach sich das Licht in dem großen Stein, gleißte und schimmerte, leuchtete in allen Farben, strahlte. Es war eine Pracht, diesen Stein in der Hand zu halten, sie wurde magisch von ihm angezogen, von den Funken, die ihr Feuer nach allen Seiten versprühten.

Sekundenlang wog sie ihn in der Hand, dann schüttelte sie den Kopf, holte weit aus und warf den Stein in den See. Vorerst rettete sie damit unbewußt ihr Leben, aber das ahnte sie noch nicht.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 73

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