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2.

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„Wer geht mit hinüber?“ fragte Hasard, als das Beiboot im Wasser lag und leicht schaukelte.

Niemand schien etwas gehört zu haben. Jeder begann damit, eine Arbeit zu verrichten, die völlig unnötig war.

Hätte Hasard gefragt, wer geht mit in die nächste Kneipe, um kräftig einen zu heben, wäre im Nu alles auf den Beinen gewesen und hätte sich um den Seewolf geschart.

Hier aber wollte niemand mit. Der Jonas war ihnen unheimlich und flößte ihnen Angst ein.

Gerade als Hasard zum zweiten Mal fragen wollte, überwanden sich Ben Brighton und schließlich auch der Profos. Danach meldeten sich sehr zögernd auch noch Tucker, Dan und Morgan.

„Ed und Ben genügen“, sagte der Seewolf. In seiner Stimme klang leiser Spott mit. „Die anderen können die Nagelbänke klarieren, die sind sowieso in Ordnung.“

„Wollen wir den Kerl etwa an Bord nehmen?“ erkundigte sich der alte O’Flynn besorgt.

„Sollen wir ihn etwa seinem Schicksal überlassen?“ antwortete Hasard mit einer Gegenfrage.

Old O’Flynn zog den Schädel ein. Er lehnte sich auf seine Krücke und kratzte sich mit der freien Hand über die Bartstoppeln in seinem verwitterten Gesicht. Old O’Flynn war abergläubisch, mehr noch als sie alle, und sein Gesicht sprach Bände.

„Habe mal gehört, daß die Schiffe immer untergehen, die einen Jonas an Bord haben“, murmelte er. „Den besten Beweis sehen wir ja jetzt direkt vor uns.“

Hasard blickte den alten O’Flynn kopfschüttelnd an.

„Wer sagt denn, daß es ein Jonas ist? Kann genausogut auch ein völlig harmloser Irrer sein, der nach dem Untergang der Galeone den Verstand verloren hat.“

„Nein, nein“, sagte O’Flynn heiser, „der Kerl ist nicht geheuer, der wird uns Unglück bringen!“

Hasard spürte fast körperlich die Welle eisiger Ablehnung, die von der gesamten Mannschaft ausging. Niemand wünschte sich den Alten an Bord, sie wünschten ihn tausend Meilen weit fort, sie wünschten sich, ihn nie gesehen zu haben. Am liebsten wären sie in aller Eile davongesegelt und hätten den Alten seinem Schicksal überlassen, so hart es sich auch anhören mochte.

Hasard, Ben Brighton und Edwin Carberry sprangen ins Boot. Der Profos stieß es von der Bordwand ab und pullte die paar Yards hinüber.

„Nur damit ihr darauf vorbereitet seid“, sagte Hasard beiläufig, „auf dem Deck der Galeone liegen zwei tote Spanier.“

Ed Carberry nickte düster, Ben Brighton preßte die Lippen zusammen. Sie hatten schon viele Wracks gesehen, und ein auf die Klippen aufgelaufenes oder gestrandetes Schiff flößte ihnen keine Furcht ein, erst recht ein toter Spanier nicht. Der Jonas war es, um den ständig ihre Gedanken kreisten, der ihnen nicht aus dem Schädel ging.

Carberry legte das Boot an jene Stelle, wo ein yardlanger Riß im Schiff klaffte, wo es auseinandergebrochen war, von wo aus man ins finstere Innere sehen konnte. Es roch nach fauligem Holz, nach Bilgewasser, See und geteerten Tauen.

Er band das Tau fest und sah den Seewolf an.

„Na los, auf was wartet ihr noch?“ fragte Hasard. „Entern wir auf!“

Die teilweise gebrochenen und zerstörten Planken boten guten Halt. Fast ließ es sich wie auf einer Leiter klettern. Dabei stellten sie auch gleichzeitig fest, daß die Galeone unverrückbar fest auf dem Felsen saß. Sie war aufgelaufen, oder der Sturm hatte sie hinaufgeschleudert und dann auseinandergebrochen. Teile des Bugs waren eingedrückt, ein Stück des Schanzkleides fehlte, und das große Holzkreuz am Bug war ebenfalls zerschmettert.

Der Jonas sah sie nicht, oder nahm sie nicht zur Kenntnis, als sie nacheinander auf enterten.

Hasard warf einen Blick zur „Isabella“ hinüber.

Da standen sie, stumm und erwartungsvoll, wie eine Mauer, mit verschlossenen Gesichtern, abweisend und fast ängstlich. In keinem Gesicht regte sich ein Muskel.

Aus der unmittelbaren Nähe wirkte der Jonas noch unheimlicher. Ein häßlicher, dürrer Alter, dessen schlohweiße lange Mähne unruhig im Wind flatterte. Wie ein Geist aus einer anderen Welt erschien er ihnen, wie er da so barfuß mit zerfetzter Hose am Schanzkleid lehnte.

Einer Statue gleich, in der kein Leben war, wenn man von den flatternden Haaren absah.

Hasards Blick fiel auf die beiden Leichen an Deck. Als er dem einen toten Spanier ins Gesicht sah, zuckte er unwillkürlich zurück.

Das Gesicht unter dem Kupferhelm war schwarz angelaufen, die Augen in den Höhlen eingesunken, der Mund weit offen, aus dem eine schwarz verfärbte Zunge heraushing. Aber er konnte noch nicht sehr lange tot sein, genau wie der andere.

Hasard ging auf den Jonas zu. Seit sie an Bord der spanischen Galeone waren, hatte noch niemand ein Wort gesprochen. Eine unheilvolle Atmosphäre lag auf dem Totenschiff, das in allen Verbänden ächzte und knarrte.

Vor der ausgemergelten Gestalt blieb er stehen, streckte vorsichtig die Hand aus und berührte den Mann an der Schulter.

Keine Reaktion. Der Jonas starrte mit seinen blicklosen, seltsam toten Augen in imaginäre Fernen, als sähe er Hasard gar nicht.

„Glaubst du, er hat die beiden umgebracht?“ fragte Ben in die lastende Stille hinein.

Hasard drehte sich langsam um, als noch immer keine Reaktion bei dem Jonas erfolgte.

„Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir nur sehr schlecht vorstellen. Weshalb hätte er sie umbringen sollen? Dieser eine hier“, Hasard wies mit der Hand auf den schwarzverfärbten Leichnam, „sieht fast so aus, als wäre er an irgendeiner Krankheit gestorben.“

Carberry wich in heller Panik zurück.

„Die schwarze Pest etwa?“ fragte er voller Entsetzen.

„Auch das glaube ich nicht, sonst hätte es diesen, äh, Jonas sicher auch schon erwischt. Es muß etwas anderes gewesen sein.“

„Da drüben liegt noch einer“, sagte der Profos mit seltsam belegter Stimme. Er wies zur Back hin, wo ebenfalls ein toter Spanier lag. Hasard ließ den Jonas stehen und wandte sich den beiden Männern zu.

„Durchsuchen wir erst einmal das Schiff“, schlug er vor. „Vielleicht erfahren wir so, was sich hier abgespielt hat.“

„Und was tun wir mit dem da?“ flüsterte Brighton. „Der kann doch nicht bis in alle Ewigkeiten hier herumstehen.“

„Das werden wir nachher sehen. Einmal wird er sich ja auch wieder bewegen.

Der Jonas rührte sich immer noch nicht. Er sah aus wie ein schweigender Todesbote, der gelassen abwartete, was die Zeit brachte. Hasard glaubte an seiner Blickrichtung zu sehen, daß der unheimliche Mann jetzt angestrengt zum Horizont starrte, sofern er überhaupt sehen konnte.

„Mir wird jetzt schon ganz mulmig in den Knochen, wenn wir den bei uns an Bord haben, Ben“, flüsterte der Profos so leise, daß Hasard ihn nicht verstehen konnte.

Sie gingen zur Back. Dort fanden sich insgesamt noch vier tote Soldaten. Zwei hatte der Fockmast erschlagen, das sah man auf den ersten Blick, bei den anderen war keine besondere Todesursache zu erkennen. Auch sie waren noch nicht lange tot, Hasard sah keinerlei Anzeichen von Verwesung bei den Leichen.

Auf den Klippen entdeckte der Profos ebenfalls zwei tote Männer, die vermutlich der Aufprall der Galeone auf die Felsen dort hinübergeschleudert hatte.

Im Mannschaftslogis sah es wüst aus. Planken waren zersplittert, Blechgeschirr lag auf dem Boden, und in einer großen Wasserlache lag ein weiterer Toter.

Der Seewolf hatte immer noch keine Erklärung für das, was hier an Bord vorgefallen war. Weshalb hatte nur der Jonas das Unglück überlebt? Man konnte von einer Besatzungsstärke von annähernd zwanzig Mann ausgehen, und alle waren tot, bis auf einen, der ganz sicher nicht zur Crew gehörte.

„Bleibt noch das Achterkastell“, sagte Hasard, als sie wieder nach oben stiegen. „Aber wenn dort jemand überlebt hat, dann hätte er sich längst gemeldet.“

Sie durchquerten das wüste Durcheinander von abgesplitterten Rahen, Maststümpfen, zerfetzten Segeln und gerissenem laufenden Gut. Wieder mußten sie an dem Jonas vorbei, an dessen Haltung sich bis jetzt nicht das geringste verändert hatte.

Noch einmal blieb der Seewolf stehen, stieß den Mann an und sprach zuerst ein paar Worte auf Englisch mit ihm.

Keine Reaktion. Der Erfolg auf Spanisch war ebenfalls gleich Null.

„Wie ein lebender Toter“, sagte Carberry leise. „Oder der Kerl ist wirklich wahnsinnig. Dann warne ich aber ernsthaft, ihn an Bord zu nehmen.“

Hasard entgegnete nichts. Natürlich wollte er diesen Kerl auch nicht an Bord haben, aber andererseits befahl es ihm die reine Menschlichkeit den Unbekannten hier nicht allein zwischen all den Toten zurückzulassen. Er würde nicht lange überleben, denn schon morgen konnte die Galeone auseinanderfallen und dann war der Jonas auf der öden Felseninsel dem sicheren Tod ausgeliefert.

Die drei Männer bahnten sich durch die Trümmer einen Weg zum Achterkastell der Galeone. In dem Augenblick ging ein harter Ruck durch das Schiff. Irgendwo brachen Planken, und tief unter ihnen begann es, leise zu gurgeln und zu plätschern.

Carberry blieb stehen und lauschte den Geräuschen.

„Der Kahn bricht bald ganz auseinander“, sagte er. „Der hält nicht mal mehr den heutigen Tag durch.“

Er hatte die Worte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als die Galeone leicht zur Seite kippte. Lautes Knirschen mischte sich mit dem Bersten von Holz. Die drei Männer verloren fast das Gleichgewicht.

Von der „Isabella“ brüllten die Seewölfe aufgeregt herüber.

„Paßt auf, der Kahn fällt auseinander!“

Aber das Wrack beruhigte sich wieder, es neigte sich nicht weiter. Nur das Ächzen und Knarren blieb und das harte Knirschen, wenn der Kiel über den Felsen rieb, der sich in den Boden fraß und ihn stückweise auseinandernahm.

Das Achterkastell bestand ebenfalls aus Trümmern. Die Tür zur Kapitänskammer war halb aus den Angeln gerissen. Quietschend bewegte sie sich hin und her, den Bewegungen der berstenden Planken folgend.

Bevor Hasard die hölzerne Treppe hinunterstieg, warf er noch einen Blick auf den Jonas.

„Was mag der nur am Horizont sehen?“ murmelte er vor sich hin.

Carberry und Brighton folgten.

Die Kapitänskammer war üppig mit Holzschnitzereien ausgestattet. An den Wänden hingen Zeichnungen spanischer Galeonen.

Hinter dem Tisch ragten Stiefel hervor. Hasard wußte schon jetzt, daß auch der Kapitän nicht mehr lebte. Außer dem Jonas lebte nichts mehr hier an Bord, nicht einmal mehr die Ratten.

Der Spanier trug seine Uniform, als hätte er sie gerade eben angezogen. Sein Gesicht war friedlich und entspannt, nur die weit geöffneten Augen starrten glanzlos an die Dekke.

Unbehaglich sahen sich die drei Männer in der Kammer um. Hasard fragte sich zum wiederholten Male, woran die Männer wohl gestorben sein mochten, aber er fand keine Antwort darauf.

Er ging zögernd auf eine ausgebreitete Seekarte zu, die auf dem Tisch lag. Es war die Art üblicher Seekarten, die die Spanier zum Navigieren benutzten. Ein Kurs, der nach Havanna führte, war eingezeichnet. Trotzdem ging aus der Karte nicht hervor, ob der Spanier von dort kam, oder ob er dort hinwollte.

Neben der Karte lag ein aus dünnen Blättern gefaltetes Heft, in dem spanische Worte standen.

Zuerst wollte Hasard es achtlos beiseite legen, doch dann fiel ihm das Datum auf. Es war ein Logbuch, gleichzeitig Gedankenstütze des Kapitäns.

Die flüchtigen Eintragungen begannen vor zwei Wochen, und umrissen jeweils einen kurzen Tagesablauf mit der zurückgelegten Strecke.

Hasard blätterte flüchtig ein paar Seiten durch. Brighton sah ihm dabei über die Schulter.

„Aufzeichnungen des Captain Domingo Romero“, las er halblaut vor. „Am Vormittag des achten September treibendes Floß mit Schiffbrüchigen gesichtet. Die See ist ruhig.“

Hasard klappte die Seiten zu und steckte sie unter sein Hemd.

„Damit werden wir uns nachher beschäftigen“, sagte er. „Vermutlich erhalten wir einigen Aufschluß über diesen merkwürdigen Mann. Sie haben ihn als Schiffbrüchigen an Bord genommen.“

„Ist das nicht seltsam?“ fragte Carberry, „jetzt nehmen wir ihn ebenfalls als Schiffbrüchigen an Bord, und später wird ihn wieder ein anderer als Schiffbrüchigen …“

„Hör auf, Ed! Ich will davon nichts mehr hören. Seht euch in der Kammer um, ob es noch etwas Brauchbares zum Mitnehmen gibt. Und dann werden wir sehen, was die Galeone geladen hat.“

„Und Trinkwasser?“ fragte Ben.

„Werden wir vermutlich nicht finden.“

„Aber wir haben kaum noch etwas.“

„Ich weiß. Finden wir keins, dann laufen wir doch noch die Schlangeninsel an, uns bleibt nichts anderes übrig.“

Es gab nichts, das wertvoll genug war, um es mitzunehmen. Sie fanden nur den üblichen Kram. Lediglich einen Jakobsstab von knapp einem Yard Länge zur Bestimmung und Messung von Gestirnshöhen ließ der Profos mitgehen.

Etwas später stiegen sie wieder an Deck. Ed Carberry öffnete eine der Ladeluken. Fauliger Gestank drang ihm in die Nase, ein Geruch der Übelkeit verbreitete. Das eingedrungene Seewasser hatte die Gewürze in den Laderäumen der Galeone verdorben, verfaulen und vergammeln lassen. Der Profos wandte sich naserümpfend ab.

„In der Vorpiek waren wir noch nicht“, sagte Hasard. Wieder warf er einen Blick auf den Jonas, der immer noch einer Statue glich und sich nicht rührte. Er wirkte, als gehöre er zum toten Inventar der sterbenden Galeone.

„Wasser!“ schrie Carberry gleich darauf, als er aus der Vorpiek wieder erschien. „Die Dons haben mindestens noch zwanzig volle Fässer an Bord. Ein paar sind allerdings zertrümmert.“

„Hast du es probiert?“

„Natürlich, es ist einwandfrei. Das Wasser scheint noch ganz frisch zu sein.“

„Gut“, entschied Hasard. „Dann lassen wir es sofort an Bord mannen und segeln weiter.“

Carberrys Augen leuchteten auf.

„Ein vernünftiger Gedanke“, sagte er lobend. „Ich habe doch gleich gewußt, daß wir diesen Kerl nicht …“

„Wir nehmen ihn mit, Ed, beruhige dich. Ich bringe es nicht über mich, ihn hier allein zurückzulassen.“

„Sollen wir diesen Unglücksbringer vielleicht auch noch an Bord tragen?“ erregte sich der Profos. „Der stirbt uns sowieso unter den Händen, die Mühe können wir uns sparen.“

Hasard warf dem Profos nur einen Blick zu, aber in diesem Blick lag alles, was ein anderer mit hundert Worten ausgedrückt hätte. Da drehte Carberry sich um, stieg ergrimmt in die Vorpiek und schleppte ein Wasserfaß an Deck. Dem schweigenden Jonas warf er einen wütenden Blick zu, doch den kümmerte das nicht, er war immer noch in sich selbst versunken.

Zu dritt trugen sie die Fässer an Deck. Hasard überprüfte jedes einzelne, aber es gab nichts auszusetzen, das Wasser war frisch und klar – und sie brauchten es dringend.

Den Proviant ließen sie unberührt. Davon hatten sie selbst genug an Bord, und außerdem sah das Zeug nicht besonders gut aus. Mehl, in denen dicke weiße Maden herumkrochen, und eine Grütze, die so roch, daß der Profos gleich wieder das Gesicht verzog.

„Möchte wissen, weshalb die Dons kein Silber geladen haben“, brummte er vor sich hin. „Dann hätte sich dieser Ausflug wenigstens noch gelohnt.“

„Vielleicht hätten sie es später von einem anderen übernommen“, sagte Ben Brighton. „Aber es gibt ja auch genügend Dons, die nur Gewürze und anderen Kram fahren.“

Mit einem langen Tau ließen sie die Fässer über das Schanzkleid gleiten, bis sie im Beiboot lagen, das jetzt fast bis an den Rand gefüllt war.

„Pull mit den Fässern hinüber, Ed. Wir werden inzwischen versuchen, unseren Freund wachzukriegen“, sagte der Seewolf.

Das Wörtchen „Freund“ stieß dem Profos sauer auf. Unter Freunden verstand er etwas ganz anderes, aber keinen, der nichts weiter als Unheil über Schiff und Mannschaften brachte.

Während Carberry zur „Isabella“ hinüberpullte und die Fässer an Bord hieven ließ, näherten sich Hasard und Ben von neuem dem Jonas.

„Hör zu, Mann“, sagte Hasard barsch und lauter, als es nötig gewesen wäre. „Du kannst hier nicht bis in alle Ewigkeiten herumstehen. Das Schiff fällt auseinander, und dann wirst du jämmerlich ersaufen oder in die Klippen stürzen. Komm mit an Bord, wir bringen dich irgendwo an Land.“

Hasard griff nach dem mageren Arm des Jonas und schüttelte ihn.

Zum erstenmal kam Leben in die Gestalt.

Der Jonas drehte sich um und stieß einen dünnen, klagenden Laut aus, der den beiden Männern durchs Mark fuhr. Unwillkürlich wich Hasard einen Schritt zurück, als er diesen Ton vernahm, der sich anhörte wie das Winseln eines kranken Hundes. Noch einmal brach dieses schaurige Klagen über die Lippen des Ausgemergelten, dann öffneten sich seine Augen, das Weiß darin verschwand, und er blickte Hasard an, als sähe er ihn zum ersten Mal.

Die Augen hielten ihn fest in ihrem Bann. Es waren merkwürdige, sehr helle Augen, wie Hasard sie noch bei keinem Menschen gesehen hatte. Die Iris war riesengroß, und in dieser Iris funkelten golden gesprenkelte Sterne auf einem unwahrscheinlich hellen Untergrund.

Hasard fühlte überdeutlich, wie etwas von ihm Besitz ergriff und in seinen Bann zog. Alle Weisheit dieser Welt schien in dem Blick der Augen zu liegen. Gleichzeitig aber glaubte der Seewolf darin auch etwas wie eine tiefe Resignation zu lesen. Er wurde aus diesem Mann nicht schlau, er war ihm unheimlich, jetzt, nachdem er die Augen gesehen hatte, wie sie wirklich waren.

„Komm“, drängte der Seewolf, als er sah, wie Carberry schon wieder zurückpullte, um sie zu holen. „Wir haben nicht viel Zeit!“

Der Jonas schien die Worte verstanden zu haben, obwohl er keine Antwort gab. Er setzte sich in Bewegung, langsam, steif, wie eine Marionette schritt er auf die Stelle zu, an der Ed Carberry eben anlegte.

Hasard redete unterdessen beschwörend auf ihn ein. Dem Jonas schien diese leise, unaufhörlich sprechende Stimme zu gefallen. Er lauschte fast verzückt, verdrehte die Augen, bis man das Weiße wieder sah, und ging unsicher weiter.

„Kannst du allein ins Boot gehen?“ fragte Hasard. Er hatte es auf Englisch versucht, dann auf Spanisch, aber Englisch schien der Jonas besser zu verstehen, wenn er auch nur mit Blicken darauf reagierte.

Der Jonas bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit über die zerfetzten Planken. Er bot ein Bild des Jammers, wie er so dahinschlich, ausgemergelt, als hätte er wochenlang nichts mehr gegessen.

„Was tun wir mit den Leichen, Hasard?“ fragte Ben, der noch oben am Schanzkleid stand. „Sollen wir sie liegen lassen?“

„Was sonst?“ fragte der Seewolf zurück. „Noch besser wäre es, wir würden die Galeone in Brand stekken.“

„Ja, das werde ich tun, murmelte Ben.

Bei einem der toten Spanier fand er Stahl und Flintstein und auch ein Stück Lunte. Aus einem Pulverhorn, das an Deck herumlag, streute er etwas Pulver zwischen die Ritzen in den Planken und steckte es an.

Zischend fraß sich eine kleine schwache Flamme auf dem Deck entlang, die in dem knochentrockenen Holz schnell und reichlich Nahrung fand.

Ben Brighton vergewisserte sich, daß das Feuer nicht mehr ausgehen würde, erst dann verließ er ebenfalls das Wrack und stieg in das Beiboot hinunter.

„Sie wird gleich brennen“, sagte er. „Das ist wohl die beste Lösung, denn begraben können wir die Leute nicht.“

Carberry pullte los.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 72

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