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2.

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Auf dem Achterdeck der „Hornet“, die unter dem Kommando Philip Hasard Killigrews stand, hielten sich noch mehr Männer auf, die gespannt der fliehenden „Louise II“ nachblickten.

Der Wikinger Thorfin Njal, der Franzose Jean Ribault, Ben Brighton und Dan O’Flynn. Im Kielwasser, nach Steuerbord versetzt, folgte der Schwarze Segler, „Eiliger Drache über den Wassern“. Das Schiff war schwarz, der Rumpf war schwarz, die Masten waren schwarz und selbst die Segel waren so stark geloht, daß sie fast schwarz wirkten. Zur Zeit stand der Schwarze Segler unter dem Kommando des Wikingers Arne, bei dem Thorfin Njal sein Schiff in guten Händen wußte. Dennoch konnte er es nicht vermeiden, immer wieder einen besorgten Blick achteraus zu werfen. Er achtete auf die Stellung der Segel, fand alles ganz in Ordnung und hatte nichts zu bemängeln. Und weil er nichts zu bemängeln hatte, kratzte er wieder einmal seinen Schädel.

Dieses Schädelkratzen löste bei dem Profos Edwin Carberry jedesmal fast eine kleine Hysterie aus, denn, verdammt noch mal, ein Mensch konnte sich doch nicht den Schädel kratzen, wenn er auf diesem Schädel einen blankpolierten Kupferhelm trug. Infolgedessen kratzte der Wikinger also nur seinen Helm, und diese Marotte fanden alle höchst ungewöhnlich.

„Das treibt mich noch mal zum Wahnsinn“, sagte Ed zu dem Decksältesten Smoky. „Thorfin ist ja ein verdammt feiner und verläßlicher Kerl, wenn er nur nicht immer an seinem verfluchten Helm kratzen würde.“

„Laß ihn doch“, meinte Smoky, „warum regst du dich überhaupt darüber auf? Wenn du dir deinen Rücken kratzt, ziehst du ja auch nicht extra das Hemd aus.“

„Ha! Was verstehst du abgebrochener Trompetenfisch denn davon, was, wie? Durch das Hemd spüre ich das Kratzen, aber durch seinen verdammten Helm kann er es nicht merken.“

„Vielleicht gibt er den unter dem Helm brütenden nordischen Riesenläusen auch nur Klopfzeichen“, meinte Smoky grinsend.

Carberry ging kopfschüttelnd weiter über die Kuhl zum Achterdeck und blickte fasziniert und verärgert zugleich auf den in Felle gekleideten nordischen Riesenkerl, dessen massiger Zeigefinger immer noch andächtig eine Stelle des Kupferhelms kratzte.

Empört stieß der Profos die Luft aus, bis das Kratzen endlich aufhörte und der Wikinger ihn etwas irritiert anblickte.

„Ist was?“ fragte er ruhig.

Carberry stand an den unteren Stufen des Niedergangs und schüttelte den Kopf.

„Bei mir ist alles in Ordnung“, sagte er. „Aber weshalb zeigst du dir selbst immer einen Vogel?“

Thorfin Njal verstand ihn nicht, aber diese Frage wurde jetzt auch nicht weiter erörtert, denn Hasard gab ein Zeichen nach unten und rief gleichzeitig dem Rudergänger Pete Ballie etwas zu.

„Kursänderung, nachtrimmen!“ sagte er. „Al Conroy soll versuchen, dem Franzosen noch ein paar Schüsse ins Heck zu knallen.“

Während der Profos wieder auf Station ging, griff der Seewolf nach dem Spektiv und zog es weiter auseinander. Neben ihm stand Jean Ribault, der ebenfalls gebannt zu dem flüchtenden Franzosenschiff blickte.

Mit Vollzeug liefen sie jetzt hinter dem Franzosen her und waren noch schnell genug, obwohl der „Hornet“ der Fockmast fehlte und an seiner Stelle nur ein zerfetztes Etwas aus dem Deck ragte.

Hasard suchte den Piratenführer Yves Grammont auf dem Achterdeck der „Louise II“, aber er konnte ihn nicht entdecken. Er nahm immer noch an, daß sich Grammont an Bord befände, doch das war ein Irrtum, dem sie alle erlegen waren.

„Du hast ihn immer noch nicht entdeckt?“ fragte Jean Ribault.

„Nein, und das verstehe ich nicht. Er ist jedenfalls an Deck nicht zu sehen.“

„Vielleicht ist er verletzt und hält sich unter Deck auf.“

„Möglich“, meinte Hasard, aber er zweifelte daran.

Der Wind briste jetzt noch stärker auf und blies mit gewaltiger Kraft zum Land hin. Wenn sie nicht aufpaßten, gerieten sie mit der „Hornet“ und dem Schwarzen Segler bei der Verfolgung auf Legerwall, das heißt, der Wind würde sie auf die Küste drücken.

Thorfin Njal drehte sich wieder um. Wie ein Monument aus grauer Vorzeit stand er da, und hielt nach seinem „Schiffchen“ Ausschau, ob es auch die erforderlichen Manöver unternahm, damit sie diesen Piratenhund endlich in die Zange nehmen konnten.

„Aha, auf meinem Schiffchen hat man begriffen“, sagte er mit seiner tiefen Stimme erleichtert.

Thorfin liebte Verniedlichungen dieser Art. „Eiliger Drache“ war sein „Schiffchen“, obwohl es ein mächtiger und fast unzerstörbarer Kasten war. Er trug auch ein yardlanges Schwert im Gürtel, fast dreißig Pfund schwer, das er liebevoll sein „Messerchen“ nannte. Und auf seinem Schiff gab es ein monströses Riesengebilde aus Hartholz, in dem gut und gern drei Männer Platz gehabt hätten. Dieses hölzerne, fest im Deck verbolzte Ungeheuer war sein „Sesselchen“, in dem er bei rauhester See wie ein prähistorischer Riese thronte und seine Befehle gab.

„Wir geraten auf Legerwall“, sagte Ben Brighton warnend. „Der Wind wird uns gegen die Küste von Pointe de Penmarch drücken – und den Schwarzen Segler auch.“

Der Erste Offizier, Bootsmann und Stellvertreter Hasards war immer ein vorsichtiger Mann, der alles abwog und kalkulierte, ehe er handelte, und so glaubte er, es sei besser, wenn sie etwas mehr anluvten um weiter Höhe zu kneifen. Dabei zog er in Betracht, daß sich die „Hornet“ ohne Fockmast schlechter segeln ließ.

Hasards Gesicht blieb leicht verkniffen. Seine Augen waren jetzt, als er das Spektiv absetzte, schmale Schlitze.

„Wir schaffen es“, meinte er zuversichtlich. „Ich muß diesen Bastard Grammont kriegen, das haben wir uns alle geschworen. Und wenn ich ihn habe, dann ist er erledigt.“

Hasard trat weiter vor zur Schmuckbalustrade und sah den Waffen- und Stückmeister Al Conroy an, der vage mit den Schultern zuckte, was so viel hieß, daß es für einen Treffer noch nicht der richtige Zeitpunkt war.

„Wir jagen ihn noch weiter nach Backbord“, sagte Hasard. „Laß trotzdem ein paar Kanonen abfeuern, Al. Das wird den Kerl zumindest auch weiterhin nerven.“

„Aye, Sir, sofort.“

Thorfin Njal war neben den Seewolf getreten. Mit der Hand fuhr er durch seinen rötlichgrauen Bart und genoß sichtlich das überkommende Seewasser, das bis aufs Achterdeck gischtete.

„Gib Arne ein Zeichen, Thorfin, daß er uns an Steuerbord aufsegelt und dem Kerl den Weg nach vorn zur Küste abschneidet. Wenn das gelingt, dann haben wir ihn in der Zange. Dann kann er nur noch mit vollem Preß auf die Sandbänke segeln. Ihr habt doch eine ganze Menge Zeichen vereinbart.“

Was Hasard vorhatte, sah zunächst ganz einfach aus, war aber bei dem beständig auflandig wehenden Wind ein Risiko, denn da konnten sie, wie Ben schon ganz richtig bemerkt hatte, tatsächlich auf Legerwall geraten, und dann saß die „Hornet“ fest und mit ihr der Schwarze Segler.

Thorfin erkannte zwar auch die Gunst des Augenblicks und klammerte das Risiko nicht aus, aber er nickte fast stoisch, ging weiter nach achtern und vollführte da reichlich seltsame Bewegungen.

Für den Profos, der in der Kuhl neben einer der Culverinen stand, war das erneut Anlaß zum Kopfschütteln. Er wunderte sich wieder einmal über den eigenwilligen nordischen Riesen, der da auf dem Achterdeck in Felle gehüllt dastand, und eine Art Tanz aufführte, wobei er wild mit den Armen in der Luft ruderte.

„Was gibt das denn jetzt?“ fragte er den blonden Schweden Stenmark, der Zündkraut in die Kanonen stopfte.

Stenmark, ebenfalls aus dem Norden stammend, grinste infam, wurde dann aber unvermittelt ernst.

„Das ist der Entdeckertanz aus dem sagenhaften Thule“, erklärte er unverfroren. „Thorfin freut sich, daß es bald weiter nach Norden geht“

Carberry warf dem Schweden einen mißtrauischen Blick zu.

„Entdeckertanz? Das willst du mir verklaren?“

„Sicher, den tanzen die Wikinger bei jeder Gelegenheit. Dabei halten sie sich an den Händen und tanzen von achtern über alle Decks bis nach vorn.“

Carberry sah das versteckte Grinsen im Gesicht seines rothaarigen Freundes Ferris Tucker und holte schon mit dem Stiefel zu einem gewaltigen Tritt aus. Stenmark drückte vorsichtshalber das Kreuz durch und sprang schnell zur Seite.

„Verhol dich bloß, du Kabeljau-Kapitän“, drohte Ed, „sonst killen dir gleich die Hosen.“

Nach seinen letzten Worten sah er, wie „Eiliger Drache über den Wassern“ den Kurs änderte. Eine Handvoll verwegen aussehender Kerle braßte an, die Rahen schwangen leicht herum, Schoten wurden durchgeholt, und zwei weitere stark gelohte Segel anschließend gesetzt. „Eiliger Drache“, diese Mischung aus Galeone und chinesischer Dschunke, schnaubte wie ein Untier durch das Meer und nahm mehr Fahrt auf. Der riesige Bug tauchte tief ein und warf dichte Fahnen von Gischt über das Schiff.

Langsam segelte es an Steuerbord auf und war bald darauf auf gleicher Höhe mit der „Hornet“.

Al Conroy gab dem blonden Schweden ein Zeichen mit der Hand.

„Zünden, Stenmark!“

Stenmark drückte den glimmenden Luntenstock aufs Zündkraut und sah interessiert zu, wie es zischte und knisterte. Dann zündete das Pulver. Der Explosionsdruck jagte die Kugel aus der Kanone hinaus. Durch den Rückstoß rumpelte sie auf die Lafette zurück, bis die Brooktaue sie stoppten.

Ein Blitz, ein dichter Schleier aus verwehendem Pulver, und der Eisenbrokken heulte der „Louise II“ nach.

Der Schuß lag zu kurz. Eine halbe Kabellänge hinter dem flüchtenden Franzosen klatschte die Kugel ins Meer und ließ eine hohe Fontäne aufsteigen, die rauschend in sich zusammenfiel.

Stenmark sah, wie sie drüben die Köpfe einzogen. Einige warfen sich nach dem Aufblitzen auch sofort auf die Planken.

„Die wissen genau, daß wir sie noch nicht treffen“, sagte er zu dem Waffen- und Stückmeister, „trotzdem haben sie eine direkt hündische Angst vor uns.“

„Kein Wunder. Wir haben ihnen ja auch ganz schön eingeheizt.“

Die nächste Kanone wurde gezündet, anschließend gewischt und gleich wieder nachgeladen.

Mac Pellew ging vorbei. In der Hand trug er einen dampfenden Topf, der fürs Achterdeck bestimmt war. In dem Topf befand sich kräftige, kochendheiße Hühnerbrühe. Pellews Gesicht drückte wieder einmal alle Bitternis dieser Welt aus. Er sah so griesgrämig drein, daß Stenmark glaubte, nun hätte endgültig ihr letztes Stündlein geschlagen, und sie alle könnten sich nur noch auf einen letzten Abgesang von dieser Welt vorbereiten.

Aber so sah Mac Pellew, Koch, Feldscher, Knochenflicker und vorzüglicher Seemann, immer aus. Ihn konnte auch nichts erschüttern. Selbst als die dritte Kanone ihren Eisenhagel über die See spuckte und rumpelnd zurückrollte, störte das Mac nicht. Dabei sauste die Lafette so dicht an ihm vorbei, daß sie ihn fast umgerissen hätte.

„Kannst du nicht aufpassen, Mac“, knurrte Smoky. „Viel hätte nicht gefehlt, und die Kugel wäre durch deinen Suppentopf gedonnert.“

Pellew sah Smoky mit seinem Totengräberblick an.

„Wäre schade um die schöne Brühe gewesen“, bemerkte er mit Grabesstimme. Und während es um ihn herum rumpelte und knallte, blitzte und donnerte, ging er wie ein in Wolken gehüllter Geist weiter. Nur hin und wieder drückte er leicht das Kreuz durch, wenn eins der Geschütze grollend dicht neben ihm vorbeizuckte.

Als er das Achterdeck erreichte und Mucks mit heißer Brühe verteilte, hatte der Schwarze Segler die „Hornet“ längst überholt und versuchte nun, der „Louise“ den Weg zu verlegen.

Drüben versuchten sie, dem Teufel ein Ohr abzusegeln, doch die Franzosen hatten Kerle hinter sich, die selbst in die Hölle segeln würden, um dort des Teufels Großmutter zu rupfen.

Hasard sah, wie ein paar der Kerle zusammenliefen, an die Nagelbänke gingen und dort wild hantierten.

„Sie versuchen gleich, nach Nordwesten auszukneifen“, sagte er. „Bereitet euch auf das Manöver vor.“

Seine Vermutung bewahrheitete sich prompt. Nur knapp eine Minute später drehte die „Louise“ ab und ging auf Nordwestkurs. Die „Hornet“ folgte ihr unerbittlich, und ebenso unerbittlich blieb der Schwarze Segler hinter ihr, der jetzt noch weiter aufgeschlossen hatte.

Auf dem flüchtenden Franzosen, der sich durch immer weitere waghalsige Manöver zu retten versuchte, herrschten Zustand, Chaos, Tod und Verzweiflung.

Das Schiff war schwer angeschlagen, etliche Männer waren tot, und an Deck lagen Verwundete herum, die von den Splittern getroffen worden waren.

Ein paarmal war es ihnen gelungen, den beiden Schiffen auszuweichen, doch selbst dabei hatten sie schwere Verluste erlitten, denn die „Hornet“ und das unheimliche schwarze Schiff ließen nicht locker.

Von dem Briten flogen immer noch Brandpfeile herüber und richteten Verwüstungen an. Hin und wieder ließ sie ein berstender Schlag zusammenzukken, und dann flogen Trümmer nach allen Richtungen.

Am schlimmsten aber traf es sie, daß sie nun keinen Kapitän mehr hatten, denn Saint-Jacques lag sterbend auf den Planken. Neben ihm lag Gautier, bereits tot, von einem der großen Pfeile getroffen, die die Briten immer wieder abfeuerten.

Saint-Jacques, den sie schon für tot gehalten hatten, hob noch einmal mühsam den Kopf und Versuchte, etwas zu erkennen. Die wabernden Schleier vor seinen Augen wurden immer wilder, der Kampfeslärm erstarb scheinbar, und er glaubte, seine „Louise II“ friedlich durchs Wasser segeln zu sehen.

Ein Mann sprang auf ihn zu und versuchte, ihn aufzurichten. Doch diese Berührung verstärkte nur seine Schmerzen. Heiße Wellen durchtobten seinen Körper. Einmal meinte er zu sehen, daß das ganze Deck blutrot gefärbt war, dann wieder glaubte er, in endlose Abgründe zu stürzen und hörte überlautes Dröhnen und Krachen.

Rauch war um ihn herum, dichter dunkler Rauch, den die „Louise II“ wie eine lange Fahne hinter sich herzog.

Der Mann, der ihn immer noch aufzurichten versuchte, verschwamm zu einer grotesk verzerrten Gestalt, die nur noch aus Rauch und dichten Schwaden bestand. Saint-Jacques sah nicht mehr die Panik, die auf seinem Schiff ausbrach, und er sah auch das gewaltige Schiff nicht mehr. Ebenso löste sich der verfolgende Brite in ein Nichts auf.

Erneut stürzte er. Diesmal in unheimliche Tiefen.

„Er ist tot“, sagte ein entnervter Mann tonlos und ließ den Kapitän wieder auf die Planken zurückgleiten.

Von Grauen gepackt, blickten die anderen sich an. Nein, aus dieser Hölle gab es kein Entrinnen mehr, das sah jeder ein. Sie wußten auch nicht mehr, wie sie sich verhalten sollten.

Eine unheimliche gnadenlose Angst saß ihnen allen im Nacken, seit sie gesehen hatten, wie diese Teufel kämpften. Vor der Insel Mordelles war das gewesen, und jetzt ging es erbarmungslos weiter, bis zum bitteren und endgültigen Ende.

Sie ließen Saint-Jacques auf den Planken liegen und betrachteten ihn scheu. Solange er noch gelebt hatte, bestand ihrer Ansicht nach noch eine kleine Chance, davonzukommen. Jetzt, als er still und reglos zwischen den Trümmern, Verwundeten und Toten lag, war diese Chance vorbei. Der ausgekochte Fuchs war tot, und niemand gab mehr Befehle.

Der Mann am Ruder stand wie gelähmt da, als hätte ihn der Blitz getroffen. Auf dem Heck brannte es, eins der Segel flatterte brennend und qualmend davon, und hinter ihnen war das Donnern der Geschütze zu hören. An Steuerbord und Backbord stiegen riesige rauschende Fontänen aus der See. Hin und wieder raste mit häßlichem Zischen ein Brandpfeil über ihre Köpfe.

Der Schwarze Segler rückte weiter auf. Der Mann am Ruder schluckte hart, blickte sich wild um und verfluchte die Satansbrut hinter ihnen, von der sie wie Hasen gejagt wurden.

„Nach Nordwesten!“ brüllte der Bootsmann wild. „Los, verflucht noch mal, ab nach Nordwesten!“

Der Rudergänger wollte nicht.

„Da schneiden sie uns den Weg ab!“ rief er. „Laß uns den Kahn lieber auf den Strand setzen. Dann springen wir über Bord und verschwinden. Vielleicht geben die dann auf!“

„Die geben nie auf, Pierre. Das haben wir zur Genüge erlebt.“

Ein wildes Rauschen direkt neben der Bordwand ließ die beiden Kerle zusammenzucken. Aus der See stieg eine große Säule, die sich bis aufs Achterdeck erhob. Gleichzeitig erschütterte ein leichter Schlag den französischen Dreimaster.

Der Bootsmann schrie Befehle zu den Kerlen auf der Kuhl, die mit vollen Hosen herumstanden und ängstlich auf das Verhängnis starrten, das da heranrauschte. Die Küste war zum Greifen nahe, aber die beiden Segler ebenfalls. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Falle zuschnappte und sie endgültig festsaßen.

Ein paar Männer reagierten schließlich, nur der Rudergänger blieb immer noch beharrlich auf demselben Kurs. Er sah sein Heil nur noch in der Flucht nach vorn.

Der Bootsmann drängte ihn hart zur Seite, gab ihm einen Stoß und übernahm das Ruder selbst.

„Nach Nordwesten, habe ich gesagt!“ schrie er wild.

Ruder wurde gelegt. Auf der Kuhl schrie ein Mann gellend auf, der schon seit einer Weile schlaff am Schanzkleid lehnte und verwundet war. Dann brach er mit einem weiteren Schrei auf den Lippen zusammen und rührte sich nicht mehr.

Das Chaos war perfekt. Niemand war in der Lage, sich um die Verwundeten zu kümmern. Diejenigen, die schon tot waren, ließ man an Deck liegen. Der Feldscher der „Louise II“ war selbst verletzt und torkelte wie geistesabwesend von einem Deck zum anderen.

Kaum war das Ausweichmanöver beendet, da sah der Bootsmann, daß auch das nichts nutzte. Der Engländer zog augenblicklich nach, als hätte er die Kursänderung schon lange vorher geahnt. Er segelte auf und verlegte ihnen den Weg nach Nordwest.

„Da vorn, ein Schiff!“ rief der Bootsmann. „Das ist doch der verdammte andere Brite.“

„Die ‚Fidelity‘ ist das“, sagte Pierre und wurde wieder blaß. „Wir müssen noch weiter den Kurs …“

„Verflucht, sie ist es wirklich.“

Der Bootsmann legte noch mehr Ruder, denn er ahnte, was die verdammten Engländer beabsichtigten.

„Die Kerle wollen uns auf die ‚Fidelity‘ treiben“, sagte er. „Die wird uns von vorn unter Feuer nehmen, und die beiden anderen schießen uns von Backbord und Steuerbord zusammen.“

Was die beiden Piraten da dicht vor der Küste sahen, war zweifellos die „Fidelity“. Aber in ihrer Angst und Panik bemerkten sie nicht, daß der Engländer hilflos auf einer Sandbank festsaß. Von hier aus wirkte er so, als warte er nur darauf, daß sie heransegelten.

Die Angst wurde noch größer. So hart und erbarmungslos die Galgenstricke und Schnapphähne auch sonst immer waren, diesmal ging es ihnen selbst an den Kragen, und nun verloren sie endgültig die Nerven.

Sie verstanden es auch zu kämpfen, doch seit kurzem hatten sie die Bekanntschaft einiger Engländer und Wikinger gemacht, die weitaus besser und härter kämpfen konnten.

Das war es, was sie so in Angst und Schrecken versetzte. Sie wußten nicht, wie sie sich gegen diese harten Kerle wehren sollten.

Der Kurs nach Nordwest, den sie jetzt eingeschlagen hatten, wurde ihnen endgültig verlegt. Dort segelte jetzt der Brite auf, der alle Augenblicke eine der Kanonen zünden und ihnen eiserne Grüße schicken würde.

Zähneknirschend, von Wut, Haß und Angst bis zum Bersten erfüllt, legte er erneut Ruder. Er war mit seinen Nerven längst fertig, aber durch sein Gebrüll versuchte er so etwas, wie Autorität anzuzeigen, damit die Kerle endlich an die Brassen gingen.

Jetzt blieb ihnen nichts anderes übrig, als doch auf die „Fidelity“ zuzuhalten.

Das bedeutete aber nichts weiter als ein kurzes Hinauszögern. Es war nicht mehr als eine winzige Galgenfrist.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 296

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