Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 108 - Fred McMason - Страница 5

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Der Kerl, den sie an Bord von „Eiliger Drache über den Wassern“ Mißjöh Buveur nannten, war wieder einmal stark angetrunken. Diesmal hatte ihm das schmierige Köchlein seine gehortete Ration Rum abgetreten, gegen das Versprechen, er würde ihm dafür eine schwarze und zwei weiße Perlen geben.

Das Köchlein wunderte sich zwar, woher Mißjöh Buveur die drei Perlen hatte, aber er kriegte sie, und fragte nicht mehr nach dem Woher. Er hatte ein gutes Geschäft getätigt. Scheiß auf den Rum, dachte er, den zwackte er den anderen wieder ab, indem er den Vorrat ein wenig mit Wasser streckte.

Dem Boston-Mann fehlte jetzt zwar eine schwarze Perle aus seinem persönlichen Schatz, und Oleg und dem Stör je eine weiße, aber davon ahnten sie noch nichts. Sie sahen sich die versteckten Kleinode ja nicht jeden Tag an, und so würden sie es erst sehr viel später merken.

Hingebungsvoll lehnte Mißjöh Buveur an der Kombüsenwand, hielt die Flasche fest in den Händen und ließ genießerisch Schluck um Schluck seinen mageren Hals herunterrinnen.

„Ah, tut das gut“, seufzte er wohlig, „das ist das Elixier des Lebens, sage ich dir, Mißjöh Cookie. Du hast doch noch ’ne geheime Ration, nicht? Ich besorg dir wieder Perlen dafür, und – und wenn jemand nach mir fragt, sagst du ihm, ich muß dir beim Aufklaren helfen, Mißjöh, hä?“

Cookie, dessen Pfannen nicht immer die saubersten waren und dessen Kochtöpfe mitunter etwas klebten, sah den Saufkopf unschlüssig an. Dabei wühlte er mit der rechten Hand im offenen Mehlsack, fischte solange darin herum, bis er etwas Längliches fand, das ziemlich schwarz war, und zerdrückte es dann zwischen den Fingern.

„Ha, die Kakerlaken fressen mehr Mehl als wir“, sagte er. „Hast du schon mal so Riesenbiester gesehen?“

„Scheiß auf deine Kakerlaken, Mißjöh“, lallte der Franzose. „Ich hab dich was gefragt, Mißjöh.“

„Hm, hast du denn noch mehr Perlen, Mann?“ fragte der Koch begierig. „Du weißt, mit dem Rum ist das so ’ne Sache. Der wird verdammt knapp gehalten. Und wenn Madame dich erwischt, kann es sein, daß sie dich an der Rah aufhängt! Ich weiß von nichts.“

„Ha – hast du jetzt noch Rum, oder nicht, hä? Fff – für die nächste Buddel geb ich dir vier Perlen.“

„Zeig sie erst mal her!“

Mißjöh Buveur rülpste so laut, daß man es bis aufs Achterdeck hören mußte.

„Ich bring sie dir später, Ehrenwort. Ich hab sie versteckt, muß sie erst suchen, aa – aber erst holst du die Buddel!“

„Na, meinetwegen“, sagte der Koch widerwillig. So ganz wohl fühlte er sich bei dem Handel nicht, denn wenn die Korsarin das miese Geschäftchen bemerkte, dann ging es ihnen hart an den Kragen.

Aber die Gier nach den Perlen war übermächtig bei Cookie.

Er bückte sich, schaufelte mit beiden Händen das Mehl auf die Holzbohlen, schnippte die Kakerlaken mit den Fingern an die Wand, die eilig das Weite suchten, und brachte, als er auf dem Boden des Mehlsacks angelangt war, eine Buddel zum Vorschein, die er erst ein wenig abstaubte, bevor er sie dem Saufkopf gab.

„Aber vier Perlen, vergiß das nicht, sonst erzähle ich jedem, daß du die Buddel aus der Kombüse geklaut hast.“

„Aye, aye, Ssssörrr. Du bist ein feiner Kerl, auch wenn du immer wie ein alter Hund stinkst!“

„Du riechst auch nicht besser, du taube Sau“, sagte der Koch. „Aber jetzt verhol dich mit der Buddel, hau ab! Und vergiß bloß nicht die fünf Perlen.“

„Vvvier“ nuschelte Mißjöh Buveur, „vvvier hab ich gesagt, und keine mehr.“

Er dachte jedoch nicht daran, die Kombüse zu verlassen, denn erstens war es hier gemütlich dreckig, und zweitens sah ihn niemand. Gekonnt schlug er mit der Handkante den Flaschenhals ab, setzte an, soff zwei längliche Glassplitter mit und ließ das Gesöff durch seine Kehle rinnen, daß es sich anhörte, als würde ein Faß auslaufen.

Er gluckste, schmatzte, rülpste und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

Cookie schaufelte unterdessen das Mehl von den Brettern wieder in den Sack zurück. Da es grob geschrotetes Mehl war, fiel es auch nicht weiter auf, daß ein bißchen Dreck dazu kam, und auch ein paar Kakerlaken ließen sich willig wieder einfangen, damit sie ihre Behausung nicht wechseln mußten.

So war wieder alles im Lot, bis mit einem Ruck das Schott zur Kombüse aufgerissen wurde. Der bullige Oberkörper des Bootsmannes Juan erschien.

„Sag mal, du verlauster Kombüsenhengst“, schrie er den Koch an, „hat sich bei dir dieser Schnapskopf versteckt, oder ist er über Bord gefallen? Der Kerl wird vermißt, seit zwei Stunden hat ihn keiner gesehen.“

Cookie zuckte zusammen, als die Donnerstimme des kreolischen Bootsmannes erklang. Juan verprügelte oft grundlos die Leute, und wenn er jetzt herausfand, daß der „Schnapskopf“ hier unten steckte, dann gab es ein Tänzchen.

Aber in seiner Trunkenheit beging Mißjöh Buveur einen entscheidenden Fehler. Er wurde stark, und das hatte der Bootsmann gar nicht gern.

„Blas dich nicht so auf, du vergammelter Tintenfisch“, schrie der Franzose hinauf. „Ich helfe dem Koch und nichts anderes.“

Der Kreole glaubte, sich verhört zu haben. Sein Denkprozeß lief in äußerst langsamen Bahnen, aber was der Kerl da sagte, das hatte er doch sehr schnell begriffen. An seinem bulligen Hals schwoll eine Ader an, die dick wie ein Tau wurde. Mit einem Satz sprang er in die Kombüse, setzte dem Koch die Faust in den Magen und drängte ihn an den heißen Herd.

Dann schnappte er sich Mißjöh Buveur, den langsam die Angst beschlich und der zu seinem eigenen Leidwesen plötzlich nüchtern zu werden drohte.

„Na warte!“ schrie der Kreole erbost. „Mit dir Drecksack wisch ich jetzt das Deck auf!“

Buveur gelang es gerade noch, die fast leergetrunkene Flasche Rum auf den heißen Herd zu stellen, dann fühlte er sich von mächtigen Fäusten angehoben, hörte die Englein singen und spürte eine Hand im Genick, die so hart zuschlug wie ein killendes Großsegel.

Juan brüllte, fluchte und tobte, stieß den Besoffenen an Deck und schleifte ihn zur Vorpiek. Ein schneller Blick überzeugte ihn davon, daß Siri-Tong nicht auf dem Achterkastell war. Vielleicht war sie gerade in ihre Kammer gegangen.

Er prügelte Buveur vor sich her, der immer wieder zusammenbrach, von den groben Fäusten jedoch gleich wieder hochgerissen wurde, bis ihm Hören und Sehen verging.

In der Vorpiek warf er ihn auf die Gräting, nahm ein dünnes Tau und band ihm Hände und Beine fest, nachdem er ihn noch einmal windelweich geklopft hatte.

„Dir geb ich’s von wegen vergammelter Tintenfisch!“ schrie er. „Du wirst jetzt vergammeln, du Säufer. Hier kannst du soviel Bilgenwasser saufen, wie du willst. Das Zeug ist besonders stark destilliert mit Ratten, Öl und Seewasser. So – und so – und so!“ brüllte er und zog ein Tauende mehrmals über Buveurs Hintern.

Dann sprang er zurück, denn als das Schiff in ein Wellental tauchte, sauste die hinten in der Piek angestaute Dreckbrühe wie eine Woge zurück und überschwemmte den Franzosen mit einem riesigen, übelriechenden Schwall. Die nächste Dünung ließ das Bilgenwasser wieder achteraus laufen, und so hatte der Franzose genug zu tun, um ab und zu mal nach Luft zu schnappen. Dabei blieb es natürlich nicht aus, daß der Franzose alle Augenblicke einen kräftigen Schluck nahm, aufstieß und das Bilgenwasser noch mit seinem Rum anreicherte, der ihm wieder hochstieg.

Er würgte und spuckte, verfluchte den Kreolen, weil der ihn aus lauter Bosheit mit dem Bauch nach unten an die Gräting gebunden hatte, und bedachte ihn mit den übelsten Ausdrücken.

„Du verfluchter Rattenpisser!“ schrie er, spie einen Schluck Brühe nach unten und fluchte weiter, sobald er Luft kriegte. „Die verlauste Hure von einer Mutter, die dich geworfen hat, soll die Pest kriegen. Sie war die übelste Hafenhure von ganz Tortuga, und dich Hurenbock haben vierhundert besoffene Seeleute gezeugt. Binde mich los, verdammt!“

Der Kreole schluckte die Beleidigungen wortlos. Dafür aber nahm er wieder den Tampen zur Hand und schlug in blinder Wut zu, bis Buveurs wüste Flüche in ein Wimmern übergingen.

Dann donnerte er das Schott zu und stieg an Deck.

Dort traf er auf den Boston-Mann, einen karibischen Piraten mit kühn geschnittenem Gesicht, an dessen linkem Ohr ein goldener, großer Ring baumelte.

„Wo hast du ihn gelassen?“ fragte der schweigsame Boston-Mann.

„In die Vorpiek gesperrt, er war wieder mal voll.“

„Gut, laß ihn eine Weile schmoren, und behellige die Korsarin nicht mit dem Mist. Die Stimmung an Bord ist nicht gerade die beste, seit wir die Insel verpaßt haben.“

„Seit wann hast du mir was vorzuschreiben?“ fing Juan an zu stänkern. „Noch bin ich der Bootsmann!“

Der Boston-Mann, ein Pirat wie aus dem Bilderbuch, lächelte knapp.

„Juan“, erwiderte er bedächtig, „reiß dein Maul nicht so weit auf, sonst muß ich es dir stopfen. Wenn dir etwas nicht paßt, kannst du es mir ruhig sagen!“

Das war eine der längsten Reden, die der schweigsame Boston-Mann gehalten hatte, aber sie verfehlte ihre Wirkung auf den Bootsmann in keiner Weise. Juan wußte genau, daß Siri-Tong den Boston-Mann schätzte, weil er ehrlich, aufrichtig und gradlinig war. Wenn sie etwas zu besprechen hatte, war der Boston-Mann ständig dabei, denn sie schätzte seine ruhige und besonnene Art. Da konnte er selbst zehnmal der Bootsmann sein, es änderte nichts. Dann hatte der Boston-Mann noch eine Eigenschaft: Er war unheimlich schnell und wendig, hart und kühl. Juan traute sich nicht, den Kerl auch nur zu reizen, denn dabei hätte er den kürzeren gezogen, und eine eingeschlagene Visage würde sein Ansehen bei den andern mächtig untergraben.

„Eines Tages, Boston-Mann“, sagte er ruhig, „eines Tages ergibt sich mal eine Gelegenheit, bei der ich es dir heimzahlen werde.“

Der Boston-Mann lächelte mit schmalen Lippen. „Dann vergiß nicht, mich zu töten, sonst bist du dran!“

„Du willst mich nur herausfordern, aber Rache soll man kalt genießen“, sagte Juan.

„Dann genieße sie und erstick nicht daran!“

Siri-Tong erschien jetzt auf dem Achterkastell. Ihr Gesicht war ernst und verschlossen. Ihr Blick wanderte kühl über das ganze Schiff. Sie prüfte den Stand der Segel und warf schließlich einen Blick auf den Kompaß. Danach blickte sie aus schmalen Augen direkt in die Sonne.

„Hoffentlich stimmt unser Kurs, Tammy“, sagte sie zu dem Rudergänger, einem stiernackigen Kerl mit einer Hasenscharte, die sein ganzes Gesicht verunstaltete. Tammy war ebenfalls Kreole, schnell mit dem Messer und wendig. Die Spanier suchten ihn, weil er einen Alkalden umgebracht hatte. Damals war er nur ganz knapp dem Hängen entgangen.

„Ich glaube schon, Madam“, erwiderte er. „Ich steuere den Kurs, den Sie befohlen haben.“

„Der muß nicht unbedingt richtig sein“, sagte die Korsarin knapp.

Sie war in leicht gereizter Stimmung. Jeder sah es, spürte es und jeder ging ihr aus dem Weg, verrichtete seine Arbeit, hielt hier und da mal ein Schwätzchen mit einem anderen und bemühte sich darum, alles richtig zu tun.

Sie fragte nicht nach Mißjöh Buveur, von dem sie annahm, daß er wieder mal irgendwo besoffen herumlag. Es interessierte sie nicht. Sollten die anderen Kerle mit ihm tun, was sie wollten, für solche Kleinigkeiten hatte sie jetzt nichts übrig.

Ihre Sorge galt dem Schiff und dem Kurs, den sie steuerten. Sicher, „Eiliger Drache über den Wassern“ lief prächtig dahin, aber er segelte über die Teufelssee, ein dunkles Wasser, ein unglaublich tiefer Abgrund, der nicht auslotbar war. Diese Tiefe war es vermutlich, die die Navigation beeinflußte, den Kompaß verrückt spielen ließ und sie aus dem Kurs brachte.

Siri-Tong ahnte zwar, daß sie die Insel verpaßt hatte, auf der sie Hasard und seine Crew treffen wollte, aber sie war sich ihrer Sache immer noch nicht ganz sicher. Sie hoffte, daß der Ausguck jeden Augenblick Land melden würde. Dann erst hatten sie einen Anhaltspunkt und waren in der Lage, sich zu orientieren.

Der Blick aus ihren mandelförmigen Augen wanderte weiter in die Wasserwüste hinaus, die sie von allen Seiten umgab. Diese Wasserwüste war trügerisch wie kein anderes Meer. Wegen der entsetzlich großen Tiefe gab es hier kalte und warme Meeresströmungen, die zusammenflossen, unterseeische Wirbel erzeugten und starke Abdriften verursachten, die Schiffe sehr weit aus ihrem Kurs warfen. Viele waren spurlos verschwunden – Opfer des geheimnisvollen Meeres und seiner unbekannten Strömungen.

So jedenfalls nahm sie das an, und sie wußte es von anderen, die ähnliche Vorfälle berichtet hatten.

Wieder klopfte sie ungeduldig gegen das Kompaßgehäuse, bis der Wikinger sie stirnrunzelnd musterte.

„Der Kompaß geht falsch, Thorfin“, sagte sie bestimmt. „Ich beobachte ihn jetzt seit zwei Tagen, und er zeigt immer stur nach Norden, ganz genau nach Norden.“

Tammy, der das Schiff steuerte, sah die Korsarin an, dann den Wikinger. Endlich räusperte er sich mehrmals, bis es Siri-Tong auffiel und sie ihn scharf ansah.

„Wolltest du etwas sagen?“ fragte sie ungeduldig.

„Äh, Madam, ich wollte nur sagen, äh – ein Kompaß zeigt immer genau nach Norden, Madam!“

Sie maß ihn mit einem fast verächtlichen Blick.

„Dann sieh nur zu, daß du nicht in die Hölle segelst, wenn ein Kompaß immer nach Norden zeigt. Er weicht leicht von Norden ab, merk dir das endlich. Das war schon den Portugiesen bekannt, als sie die Karten zeichneten.“

„Das – das wußte ich nicht, Madam“, sagte Tammy schluckend.

„Dann weißt du es jetzt.“

Thorfin kratzte mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn. Sein Blick war düster auf den Kompaß gerichtet.

„Nördlich der Karibischen See hat der Seewolf einmal das gleiche beobachtet. Auch da zeigte der Kompaß stur nach Norden. Das ist wirklich seltsam, ja, man sieht es an dem Markierungsstrich“, gab er dann zu.

Siri-Tong begann wieder zu rechnen, verglich die Karten, prüfte den Stand der Sonne und nahm den Jakobsstab zu Hilfe.

„Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind wir mindestens zwei Strich aus dem Kurs gelaufen. Kein Wunder, daß wir diese verdammte Insel nicht gefunden haben.“

Zorn blitzte in ihren Augen auf, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten.

„Zwei Strich Backbord, Tammy“, sagte sie plötzlich.

„Aye, aye, Madam, zwei Strich Backbord“, wiederholte Tammy.

„Zwei Strich, Mädchen?“ fragte der Wikinger besorgt. „Weißt du, wie weit wir abdriften, wenn die Berechnung stimmt? Wir laufen an einem Tag unzählige Meilen aus dem Kurs, äh, auf die Entfernung gerechnet.“

„Natürlich auf die Entfernung gerechnet, was denn sonst? Wenn wir die zwei Strich abfallen, müßten wir ungefähr auf dem richtigen Kurs segeln.“

„Die Insel liegt trotzdem längst weit hinter uns“, murrte der Nordmann. „Ich freß meinen Helm, wenn das nicht stimmt.“

Ein paar Männer grinsten zaghaft, als sie das hörten. Vermutlich stellten sie sich das bildlich vor: Thorfin Njal, der verbissen an seinem Kupferhelm kaute!

Er hatte seinen Satz gerade zu Ende gesprochen, als aus dem Ausguck ein Schrei erklang. Es war ein Schrei, man konnte es nicht als Ausruf bezeichnen. Die Stimme des hellhäutigen Negers Hilo überschlug sich vor Aufregung.

„Land, Land! Drei Strich Steuerbord!“

Augenblicklich ließ jeder seine Arbeit sausen. Die Kerle enterten flink in die Wanten, um nach dem Stück Land Ausschau zu halten, das der Neger entdeckt hatte.

Nur Siri-Tong blieb ganz ruhig. Sie warf dem Wikinger einen spöttischen Blick zu.

„Guten Appetit, Thorfin“, sagte sie sarkastisch. „Soll ich deinen Helm vorher noch polieren lassen, oder magst du ihn gern etwas staubig?“

Thorfin verschlug es sekundenlang die Sprache.

„Das kann nicht sein“, knirschte er erbittert. „Das gibt es nicht. Verdammt, ich werde meinen Helm aufbehalten, und mir noch einen zweiten darüber stülpen. Es muß eine andere Insel sein.“

„Es ist bestimmt die Insel, die wir suchen“, erklärte sie.

Aber sie war es nicht, das ließ sich nach einer knappen halben Stunde erkennen. Man konnte es nur sehr schlecht als Insel bezeichnen, denn die öden kahlen Felsen waren nichts anderes als ein himmelhohes Massiv, das übergangslos aus dem Meer wuchs, und zwar an einer Stelle, wo das Wasser nicht so tief sein konnte wie hier. Vielleicht hatten unterseeische Vulkane diese Felsenkegel hochgeschleudert.

„Kurs auf die Felsen halten, Tammy. Wir segeln auf Steuerbord daran vorbei.“

„Aye, aye, Madam.“

Siri-Tong ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, und der Wikinger mußte seinen Speisezettel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit seinem Kupferhelm bereichern.

Wieder suchte die Korsarin in den Karten nach jenem kleinen Fleck, den sie gesichtet hatten. Es gab ihn nicht, er war nicht einmal andeutungsweise irgendwo verzeichnet.

Siri-Tong wurde durch den Anblick der aus dem Wasser wachsenden Felsen lebhaft an die Schlangeninsel in der Karibischen See erinnert. Auf der Südseite der Schlangeninsel türmten sich die Felsen genauso hoch auf. Doch je näher sie kamen, desto mehr verblaßte dieser Eindruck wieder. Man sah sie jetzt genauer.

Es mochten vier gewaltige Felsen sein, ein fünfter, kleinerer lag vermutlich noch dahinter, denn man sah einen gedrungen wirkenden Schatten daneben. Die Felsen waren grob geschätzt etwa dreihundert Fuß hoch. Es gab keine Palme, keinen Strauch, ja nicht einmal einen Grashalm, der dort wuchs.

Zwei der Felsen bildeten eine anscheinend durchlässige Passage, die auch wieder an die Schlangeninsel und damit an das Höllenriff erinnerte.

Nur war diese Passage dunkel und wuchs oben bogenförmig zusammen. Man konnte bei einigem seemännischen Geschick also schon hindurchsegeln.

In einer Stunde würden sie die Felsen erreicht haben, aber bis dahin würde auch die Dämmerung das Meer eingehüllt haben. Schon jetzt tanzten neblige Spinnenarme auf dem Wasser, die der leichte Wind jedoch immer wieder auseinandertrieb.

Thorfin starrte sich die Augen aus.

„Wer weiß, wo wir sind“, sagte er finster, und warf einen Blick auf die drei Wikinger Eike, Arne und den Stör, die am Schanzkleid standen und miteinander tuschelten. Pedro sin obras war auch noch dabei und ließ wieder heldenhafte Sprüche vom Stapel.

Des Störs langes Gesicht war umschattet. Der mißtrauische Nordmann deutete auf die kahlen Felsen und hob abwehrend die Hand.

Er wartete, bis auch der vierte heran war, Olig, dem das alles nicht geheuer war.

„Ja, beim rotznasigen Meergott“, sagte der Stör flüsternd. „Warum segeln wir nicht einen großen Bogen um diese Felsen? Seht doch nur, wie die Nebel sie umtanzen. Bald sieht man gar nichts mehr, wenn die Korsarin nicht den Kurs ändert. Und, bei Odin und seinem achtbeinigen Pferd, jetzt wird es auch noch bald dunkel. Kann so was nicht am hellen Tag passieren?“

„Das ist immer so“, wußte Arne zu berichten. „In der Saga erschien auch immer Nebel, wenn die Alten über das Meer fuhren und die Götter sahen. Ich behaupte, daß in diesen verdammten Felsen auch Götter hausen. Einen besseren Ort kriegen sie ja gar nicht.“

Die Fürsten der Meere hatten selbst vor dem Teufel keine Angst, und vor einer Horde wilder Piraten erst recht nicht. Den Teufel konnte man am Schwanz zupfen, wenn er sich blicken ließ, und die Piraten nahm man auseinander.

Aber Meergötter? Unbekannte Dämonen, die im Nebel hausten und die nicht zu fassen waren? Das war etwas ganz anderes, man kannte sie nicht, sah vielleicht nur ihre Umrisse, und außerdem waren sie immer im Vorteil, weil sie sich hier auskannten, groß und mächtig waren und mit den Seeleuten ihren Schabernack trieben.

„Das ist ein Dom des Teufels, sage ich euch“, flüsterte Olig. „Der hat sich hier seine Behausung aus Feuer und Schwefel gebaut und läßt sie so aussehen wie Felsen. Schaut nur, diesen gewaltigen Eingang in den Teufelsdom! Ganz schwach dahinter erkennt man ein Licht. Da geht es direkt in die Hölle.“

„Meinst du wirklich?“ fragte Pedro sin obras, angesteckt von der Spökenkiekerei seiner Kumpane.

„Aber ganz sicher.“

Olig hatte zwar die Hölle noch nicht gesehen, aber er wußte wie sie aussah. Jeder wußte das, der lange zur See fuhr.

„Dann sollten wir die Korsarin warnen“, schlug Pedro vor.

„Geh du doch“, sagte der Stör zu ihm.

„Sicher, natürlich, ich werde ihr sagen, daß sie so schnell wie möglich den Kurs ändern muß. Oh, sie wird auf mich hören“, sagte Pedro, den sie den Mann ohne Taten nannten, weil er alles mögliche versprach aber nie etwas hielt.

Er dachte auch jetzt nicht daran, aufs Achterkastell zu gehen. Er hatte immer wieder neue Ausreden.

„Nun geh doch endlich“, drängte Arne, „sonst segeln wir genau in den Höllenschlund hinein!“

Pedro sin obras nickte.

„Ich werde das verhindern, verlaßt euch auf mich“, sagte er.

Dann schlich er sich davon, aber nicht, um der Korsarin einen Vortrag zu halten, sondern um sich in irgendeinen stillen Winkel des Schiffes zu verdrükken.

Wieder ertönte Hilos Stimme aus dem Großmars.

„Gedrungene Schiffe voraus. Vier oder fünf und etwas, das wie ein Floß aussieht.“

Er wiederholte seinen Ruf noch einmal, doch Siri-Tong hatte ihn gleich verstanden. Sie blickte durchs Spektiv. Als sie es wieder absetzte, war sie ruhig und gefaßt.

„Das Drachenschiff, Thorfin“, sagte sie. „Sie lauern uns auf. Gestaffelt liegen sie auf Back- und Steuerbord neben den Felsen. Sie haben uns eine Falle aufgebaut.“

„Klar Schiff zum Gefecht!“ brüllte der Wikinger sofort. „Hoch die Stückpforten, klar bei Brandsätzen!“

Sein Brüllen purrte die Männer hoch. Im Nu war an Bord der Teufel los, und die vier Wikinger gaben ihre Spökenkiekerei auf.

Nur an Mißjöh Buveur dachte niemand in diesem Augenblick. Der lag immer noch bäuchlings auf der Gräting und kotzte mit den Wellen aus der Bilge um die Wette.

„Ja, jetzt sieht man sie deutlich“, sagte die Korsarin, während die Hektik um sie herum immer mehr zunahm. Kugeln wurden gemannt, Wasser gepützt. Sand auf die Decksplanken gestreut, und Cookie löschte sein Kombüsenfeuer.

„Das eine ist das Drachenschiff, das andere eine Dschunke, die ich noch nie gesehen habe, dann wieder eine jener Dschunken, die Gemüse fahren, und dann ein Bambusfloß. Wir können ihnen nicht mehr ausweichen, es sei denn, wir segeln mitten durch die unbekannten Felsen hindurch, aber damit werden sie niemals rechnen. Vermutlich kann man nicht hindurchsegeln.“

„Es sei denn“, sagte der Wikinger ernst.

„Was meinst du?“ fragte Siri-Tong verwirrt.

„Segeln wir hindurch. Wenn wir heil dort hindurchgelangen, haben die Kerle das Nachsehen, und bis dahin ist es so neblig und dämmerig geworden, daß sie uns nicht mehr finden, wenn wir ganz überraschend den Kurs wechseln.“

„Und wenn wir hängenbleiben, Thorfin?“

Der Wikinger entblößte sein mächtiges Gebiß.

„Dann haben wir Pech gehabt“, sagte er trocken. „Laufen wir Back- oder Steuerbord vorbei, müssen wir kämpfen, und wie dieser Kampf ausgeht, kann ich mir an den Fingern einer Hand abzählen. Sie werden uns in Grund und Boden schießen und die Mumie klauen. Eine Chance haben wir jedenfalls nicht.“

Siri-Tongs Gedanken jagten sich.

Nein, sie wichen keinem Kampf aus, sie waren Piraten, Freibeuter, Korsaren aller Meere, aber sie hatten keine wirksamen Waffen gegen die neuartigen Brandsätze. Bevor sie ihre Kanonen abfeuerten, waren die höllischen Dinger schon da. Andererseits, überlegte die Rote Korsarin, würde niemand der Kerle damit rechnen, daß sie mitten durch die gefährlichen Klippen segeln würden. Nur – wie sah es auf der anderen Seite dieser Klippen aus?

Sie konnte den Kerlen ein Schnippchen schlagen, und dann hatten die wirklich das Nachsehen. Ihre Wut mußte unbeschreiblich sein, wenn sie das seemännische Kunststückchen schaffte.

Der Nebel an den Felsen wurde dichter und zäher. Der Wind trieb die Schleier nicht mehr auseinander. Es war allerdings merkwürdig, daß man das Tosen der Brandung an den Felsen nicht hörte, obwohl sich dort das Wasser brach und schäumend und gurgelnd in die Höhe stieg.

Die Crew stand an den Geschützen, bereit, auf den kleinsten Wink der Roten Korsarin das Feuer zu eröffnen, doch sie schien immer noch mit einem Entschluß zu kämpfen.

Sie sah sich die Schiffe an, und jetzt entdeckte sie ein zweites Bambusfloß mit großer Segelfläche, das sich an den anderen vorbeischob und gestaffelt seine Position einnahm.

Eine prächtige Falle! Zerschellte „Eiliger Drache“ an den Klippen, die sich unheimlich groß und mächtig aus dem Wasser erhoben, dann waren die Kerle da und hatten leichtes Spiel. Scherte sie nach Back- oder Steuerbord aus, dann befand sie sich mitten im Feuerhagel der Brandsätze.

Ihre kohlschwarzen Augen blitzten, ihre Stimme klang heiser vor Erregung. Sie drehte sich nicht um, als sie zu Tammy sagte: „Ich übernehme das Ruder, Tammy!“

Der Kreole zuckte zurück, als hätte ihn eine Natter gebissen. So hatte er ihre Stimme noch nie gehört.

„Aye, aye, Madame“, murmelte er.

Siri-Tongs Stimme hallte über das ganze Schiff. Es gab niemanden, der sie nicht verstand.

„Wir durchsegeln die Felsen, Männer! Das hat nichts mit Angst oder Feigheit zu tun. Es ist lediglich der vernünftigere Entschluß. Haltet euch fest, es kann sein, daß wir auf direktem Weg in die Hölle fahren!“

Mit einem Satz war sie am Ruder.

„Diese Satansbrut wird sich wundern!“ rief sie mit blitzenden Augen, und jetzt, als sie ihren Entschluß endgültig gefaßt hatte, wurde sie eiskalt und ruhig. So schnell sollten sie „Eiliger Drache über den Wassern“ nicht schnappen.

In der Kuhl, auf dem Vor- und Achterdeck bekreuzigten sich die Männer hastig. Ihre Gesichter waren ernst. Sie wußten, was es hieß, wenn das Schiff die Felswände auch nur leicht berührte. Es würde in tausend Fetzen auseinanderfliegen.

Die meisten trauten der Korsarin das waghalsige Unternehmen zu. Schließlich war immer sie es gewesen, die damals durch die gefährliche Passage der Schlangeninsel über das Höllenriff gesegelt war. Und fürwahr, sie hatte dem Teufel dabei mitunter wirklich ein Ohr abgesegelt.

Manch andere, die sie auf der Pirateninsel Tortuga aufgelesen hatten, wußten das nicht. Ihnen wäre lieber gewesen, der Nordmann würde am Ruder stehen, und so sahen sie jetzt mit banger Erwartung den himmelhohen Klippen entgegen, denen sie sich rasch näherten.

Auf den Dschunken rührte sich nichts. Die in dunkles Tuch gehüllten Männer standen wie ausgestopfte Puppen am Deck. Nur auf einem der Bambusflöße wurden anscheinend Brandsätze auf den schwarzen Segler ausgerichtet.

Siri-Tong lachte leise. Der fette Brocken ging ihnen durch die Lappen, daran ließ sich nichts mehr ändern. Sie segelte genau in den Nebel und die Dunkelheit hinein, die sich zwischen den Felsen auftat. Der Mandarin, den sie an Bord hatten, würde als guter Geist das Schiff bewachen und sicher lenken. So war es schon immer gewesen, und es würde auch heute nicht anders sein. Davon war sie felsenfest überzeugt.

Die leichte Dünung brach sich jetzt am Fuß der steil aufragenden Klippen mit donnerndem Brüllen und Fauchen. Es war ein Geräusch, das urplötzlich da war, das niemand gehört hatte, bevor die Felsen in Sicht waren.

Zum ersten Mal verspürte Siri-Tong am Schiff auch den leichten Sog und die Strömung, die „Eiliger Drache“ direkt in den finsteren Schlund drückte und schob.

Sie triumphierte. Mit einem schnellen Blick schätzte sie ab, daß die Masten durch die bogenartig zusammengewachsenen Felsen durchgehen würden. Es würde Maßarbeit werden, aber es war zu schaffen.

„Sie ist verrückt“, sagte Bill the Deadhead erschüttert. „Sie fordert den Teufel heraus! Ich sehe zwar da vorn ein helles Licht, aber das geht niemals gut.“

„Halt’s Maul“, sagte der Boston-Mann kalt. „Die Korsarin weiß, was sie tut.“

Aber jetzt dachten die meisten anderen auch so. Sie würden es nicht schaffen. Der hohe Felsenbogen lag tiefer, als die Masten hoch waren, der Fels würde sie knicken und die Rahen wie Zahnstocher zerspellen.

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Instinktiv suchte jeder irgendwo Halt, etwas, woran er sich festklammern konnte, wenn die große Havarie erfolgte.

Das Köchlein, das aus der Kombüse geschlichen war, stand mit bibbernden Knochen an Deck und blickte nach oben, wo die großen schwarzen Masten des Schiffes kleine Bögen in den dämmerigen Himmel zeichneten. Er hatte Angst, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, er öffnete und schloß ständig den Mund, betete insgeheim, fluchte dann wieder und verwünschte Schiff und Felsen.

Neben ihm stand Muddi, die kleine dreckige Ratte, der es auf der Lunge hatte. Er hustete, krächzte und murmelte unverständliche Worte vor sich hin.

„Ich bin krank“, jammerte Muddi, „ich bin sterbenskrank und nun passiert dies!“

„Wenn du sowieso bald verreckst, kann es dir ja egal sein, du Stinktier! Halt dich lieber fest!“

Auch der großmäulige Mike Kaibuk, der immer so gern prahlte und angab, hatte alle Farbe verloren. Bleich und reglos stand er am Schanzkleid und schloß die Augen.

„Der Teufelsfelsen“, sagte er schwach. „Der Felsen des Teufels, und der Satan haust direkt da drin.“

Es gab jedoch auch einige, die in stoischer Gelassenheit alles an sich herankommen ließen. Das war Thorfin Njal, der wie ein vorzeitlicher Hinkelstein auf dem Achterdeck stand und daran dachte, daß es zu gleichen Teilen auch sein Schiff war, das da zum Teufel ging, wenn es die Felsen rammte.

Den Boston-Mann schien gar nichts zu erschüttern. Nicht einmal sein Gesicht war verkniffen, und aus seinen Augen sprach nicht die geringste Besorgnis.

Diego Valeras und Barry Winston hatten sich lediglich einen festen Halt verschafft, um nicht unversehens über Bord geschleudert zu werden.

Jonny, der jüngste Mann an Bord, Sohn eines Negersklaven aus Sierra Leone, schien sich ebensowenig daran zu stören wie die anderen. Er blieb ruhig und gefaßt. Hilo hatten sie ganz vergessen. Der hockte immer noch im Mast, bis Thorfin ihn entdeckte.

„Runter, aber schnell!“ rief er.

Erst jetzt enterte der hellhäutige Neger wie der Blitz ab. Als er an Deck stand, grinste er erleichtert. Er nahm es nicht übel, daß man ihn in der Aufregung vergessen hatte. Aber ohne Befehl wäre er auch nicht abgeentert.

In der Vorpiek lag immer noch Mißjöh Buveur, der sich über die plötzliche Stille wunderte und darüber, daß ihm schon lange kein Bilgenwasser mehr in den Rachen geflossen war. Das Schiff lag verdächtig ruhig, nur ein lautes Brausen und Donnern waren zu hören. Er hatte keine Erklärung dafür, und so lag er auf seiner Gräting, und als ihn niemand holte, schlief er ein. Jetzt konnte er beruhigt pennen, denn das Wasser ließ ihn in Ruhe, und müde wie ein alter Hund war er nach dem vielen Rum auch.

Das war der Augenblick, da an den Rahen die Segel erschlafften. Die Flaute entstand von einer Sekunde zur anderen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 108

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