Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 126 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Auf der „Isabella VIII.“ hatten sich die Gemüter immer noch nicht beruhigt, seit man entdeckt hatte, daß die vermeintlich schwarze hölzerne Madonna aus purem Gold bestand. Daher ließ sich auch das enorme Gewicht erklären.

Carberry hatte die Höhle hinter dem Wasserfall entdeckt, und es war seine Insel, wie er immer wieder betonte. Ein abwechslungsreicher Spaß nur war es, daß Dan O’Flynn die kleinen unbekannten Inseln nach den Seewölfen nannte, aber sie alle fanden diesen Spaß köstlich. Und dies hier war die Profos-Insel, und ausgerechnet hier mußten sie auf den Schatz stoßen.

Drüben, in der Höhle am Wasserfall, lagen zwei Skelette, die beide noch die Blessuren eines harten Kampfes trugen. In dem einen Totenschädel steckte ein Schiffshauer, im anderen Schädel befand sich ein großes Loch, von einer Muskete gerissen. Zwischen den Toten stand eine Truhe mit Goldmünzen, daneben lag ein verrottetes Ledersäckchen, ebenfalls mit Gold gefüllt. Die schwarze Madonna, einer Galionsfigur nachgebildet, die niemandes Interesse erweckt hätte, entpuppte sich jetzt als der größte Schatz.

Die Seewölfe ahnten nicht, daß sie auf dieser „Profos-Insel“ nicht allein waren, und ständig von einem Mann belauert wurden, der sich schon seit einiger Zeit hier befand und jetzt entdeckt hatte, daß hinter dem Wasserfall ein großer Schatz gefunden worden war.

Das wurmte den ausgesetzten Reverend Thornton, und so beschloß er, etwas zu unternehmen. Die Kerle hatten am Strand wohl sein Floß entdeckt, es genau untersucht, dann aber angenommen, daß es von irgend woher angetrieben sei.

Jeder der Seewölfe betatschte die schwere Figur, die Carberry, Tucker und der ehemalige Schmied von Arwenack ins Boot trugen.

Der einzige, der sich zurückhielt, war Old O’Flynn, der in dem ganzen Fund eine Versuchung des Teufels sah, zumal der Profos Edwin Carberry ihn schon vorher tüchtig auf den Arm genommen hatte.

Der Schiffszimmermann Ferris Tucker zog noch einmal sein Messer aus dem Gürtel, kratzte hier und dort ein bißchen an der Figur herum und nickte, als es an den abgeschabten Stellen hell aufglitzerte.

„Überall Gold“, sagte er, „das Mädchen besteht von oben bis unten aus purem Gold, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel.“

„Hast du auf meiner Insel was anderes erwartet?“ fragte der Profos und grinste breit.

Old O’Flynn maß den Profos mit mißtrauischen Blicken.

„Ich will ja nicht unken“, sagte er dumpf, „aber ich an deiner Stelle würde diesen Teufelspakt für null und nichtig erklären, Ed. Denk an deine Seele!“

Carberry hörte geduldig zu. Seit er dem Alten etwas vorgeflunkert hatte, war der rein aus dem Häuschen und sah wieder einmal überall Gespenster.

„Ich werde daran denken“, versprach Ed.

„Sieh mal“, ereiferte sich Old O’Flynn und zog Carberry ein wenig zur Seite. „Wir hatten etwas Ähnliches mal auf der ‚Empress of Sea‘ gehabt. Das geht niemals gut, Ed.“

Jetzt geht das Theater mit der lausigen „Empress of Sea“ schon wieder los, dachte Ed gottergeben. Den Alten schien dieser längst versoffene Kahn in allen seinen Träumen zu verfolgen.

„Willst du die Geschichte mal hören?“ fragte Donegal.

„Meinetwegen, laß hören, aber übertreibe nicht wieder.“

„Ich habe noch nie übertrieben“, sagte der Alte. „Ich hab sogar alles immer noch abgeschwächt. Aber das war so: Wir hatten da auf unserem Schiff einen Seemann, arm wie eine Kirchenmaus, der hatte noch nie ein Goldstück gesehen, nur gehört hatte er davon. Eines Tages liefen wir eine der kleinen nordischen Inseln an, und die Mannschaft vertrat sich die Beine. Und was soll ich dir sagen: Als der Seemann wieder an Bord zurückkehrte, klimperten zwanzig Goldstücke in seiner Hosentasche!“

„Na, so was“, sagte Ed lahm.

„Zwanzig Goldstücke“, wiederholte Donegal eindringlich, „pure Goldstücke, so viel, daß man damit ein ganzes Schiff ausrüsten konnte. Und diese Goldstücke hatte er so mir nichts dir nichts einfach in der Tasche. Er hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen“, flüsterte Donegal, „und zwar erschien der Satan einmal in der Gestalt eines armen Vagabunden und einmal als Priester verkleidet. Dafür hat er seine Seele verkauft, genau wie du.“

„Ich?“ fragte Ed entgeistert.

„Du hast mir doch selbst gesagt, daß hinter dem Wasserfall ein Gehörnter steht. Er ist mit einem Schiff aus Pech und Schwefel auf diese Insel gelangt und kann nicht mehr zurück.“

„Richtig, das habe ich gesagt.“

„Dann wird es dir genauso ergehen wie dem Seemann von der ‚Empress of Sea‘. Am Sankt Peterstag hat er ihn geholt.“

„Einfach so?“

„Nein, viel schlimmer! Aus irgendeinem Grund gab es Streit an Bord, und der Seemann stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf die Decksplanken. Die öffneten sich sofort unter ihm, ein großes gezacktes Loch entstand im Deck, und der Seemann fuhr mit einem grausigen Schrei zur Hölle.“

„Und euer Kahn ist dann abgesoffen, was, wie? Kein Wunder, wenn die Planken so morsch waren.“

Old O’Flynn lachte hämisch.

„Von wegen morsch! Hinter ihm schlossen sich die Planken sofort wieder, als wäre nichts geschehen, und auch das Loch im Kielschwein verschloß sich, ohne daß auch nur ein einziger Tropfen Wasser in das Schiff drang. Da wußten wir alle, daß ihn der Teufel geholt hatte.“

Wie immer, wenn der Alte längere Zeit mit eindringlicher Stimme sprach und seine Augen dabei unheilvoll funkelten, versammelte sich unauffällig der größte Teil der Crew um ihn. Einige lauschten andächtig, andere hörten nur zu, um Donegal zu verulken, und ein paar gab es, die glaubten fast jedes Wort.

„Also“, sagte Smoky respektlos, „was auf dieser ‚Empress of Sea‘ nicht schon alles passiert ist! Da tun sich die Planken auf, und da werden Seeleute direkt vom Schiff geholt, und dann taucht der Satan persönlich in der Gestalt eines Vagabunden auf.“

„Und eines Priesters, habe ich gesagt!“ rief Old O’Flynn. „Jeder gläubige Seemann weiß das, nur du nicht. Der Teufel nimmt alle Gestalten an, die es gibt. Deshalb scheut er auch vor einem Priestergewand nicht zurück. Nur auf das heilige Kreuz verzichtet er, weil das Brandstellen auf seinem Körper hinterl …“

Plötzlich wurde Donegal kreidebleich, dann wechselte seine Gesichtsfarbe ins Grünliche, er sank leise stöhnend an dem Schanzkleid zusammen und kriegte glasige Augen.

Niemand nahm dem Alten ab, daß er einen Anfall hatte. Old O’Flynn, das alte Rauhbein, warf nichts um, der war aus Eisen.

Langsam drehten sich Köpfe in die Richtung, in die der Alte blickte und es wurde ganz still, so still wie es auf der „Isabella“ noch nie gewesen war.

Unter dem Eindruck von Donegals beschwörenden Worten fuhr ihnen jetzt fast ausnahmslos ein gehöriger Schrecken in die Knochen, denn der Teufel persönlich stand am Strand und schaute aus flammenden Augen herüber.

Das schlimmste jedoch war, daß er eine Soutane trug und kein Kreuz auf dieser Soutane baumelte.

Smoky, eben noch mit der Klappe ganz vorn, bekreuzigte sich hastig und verzog das Gesicht. Er hätte Donegal jedes Wort geglaubt, wenn nur diese scheußliche Erscheinung verschwunden wäre. Das konnte nur der Teufel sein, persönlich, als Priester verkleidet, denn wie sollte sich sonst wohl ein Priester ausgerechnet nach Profos-Island verirren?

Der Teufel in dem Priestergewand schritt weiter über den Strand, bis er auf gleicher Höhe mit der „Isabella“ war.

„Gott segne euch, Brüder!“ rief er laut und hob die Hand zum Kreuzzeichen.

Donegal wurde es schlecht. Er zog seinen Schädel hinter das Schanzkleid, bibberte vor sich hin und ließ sich nicht mehr sehen. Natürlich hatte der Satan es nur auf Carberry abgesehen, dachte er, aber vielleicht nahm er so ganz nebenbei auch noch ein paar andere Seelen mit, wenn er schon einmal da war.

Nur den Seewolf, Big Shane und Donegals Sprößling Dan regte das nicht sonderlich auf. Ziemlich gelassen nahmen sie die Erscheinung des Höllenfürsten hin.

„Was ist denn das für ein merkwürdiger Vogel?“ fragte Hasard in die entsetzliche Stille hinein.

„Ein Priester“, sagte Dan trocken.

„Der Teufel“, flüsterte Old O’Flynn tödlich entsetzt.

„Ein leibhaftiger Spuk“, raunte Smoky.

Der Priester schritt jetzt segnend auf den nüchtern und klar denkenden Kutscher zu. Auch die anderen am Strand standen regungslos da und starrten den so plötzlich an der Landzunge aufgetauchten frommen Mann entgeistert an. Sie wähnten aber nicht den Teufel in ihm, sie waren nur überrascht, daß der Schiffbrüchige hier plötzlich auftauchte und dazu noch Priester war.

Hasard stieg gedankenschnell ins Boot, gefolgt von Carberry und ein paar anderen.

„Es geschehen noch Zeichen und Wunder“, sagte er. „Ich bin gespannt ob es der Mann vom Floß ist.“

„Für meinen Alten ist es der Teufel persönlich“, sagte Dan grinsend. „Findest du es nicht auch merkwürdig, daß seine Geschichten fast immer mit peinlicher Genauigkeit zutreffen? Manchmal wird mir selbst angst und bange.“

„Allerdings“, mußte auch Hasard zugeben, aber er sah dahinter nicht mehr als einen dummen Zufall.

Der Priester wandte sich jetzt dem Boot zu, das knirschend auf den Sand lief. Huldvoll lächelnd hob er die Hände, und seine Stimme zerfloß fast vor Rührung.

„Gott hat mir Engländer beschert“, sagte er zur Begrüßung, „liebenswerte ehrliche Männer mit ehrlichen und frohen Gesichtern. Laßt euch segnen, o Brüder im Herrn! Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Amen!“

Offenbar hatte der fromme Mann ein Gespür dafür, denn er ging auf Hasard zu und gab ihm die Hand.

„Ihr müßt der Kapitän dieser netten Leute sein“, sagte er salbungsvoll. „Man sieht es an eurer Würde und an der Seele Frömmigkeit.“

Hasard hatte sekundenlang das Gefühl, einen toten weichen Fisch oder einen feuchten Schwamm in der Hand zu halten. Der Händedruck des Mannes war flau, und Hasard, der sich mit Leuten auskannte, fühlte instinktiv, daß die Augen dieses Gottesmannes nicht ehrlich in die Welt blickten. In seinen Pupillen lauerte etwas, das sich noch nicht erkennen ließ.

Aber er hatte einen Schiffbrüchigen vor sich, obwohl es dem Mann anscheinend an nichts gemangelt hatte, denn er sah gut genährt aus, hatte ein braunes Gesicht und wasserhelle Augen.

„Mein Name ist Philip Hasard Killigrew“, sagte er. „Ja, es stimmt, ich bin der Kapitän dieses Schiffes, obwohl ich mir schlecht vorstellen kann, daß meine Seele soviel Frömmigkeit nach außen abstrahlt. Wir haben Ihr Floß gefunden, ich nehme jedenfalls an, daß es Ihr Floß war.“

„So wahr mir Gott helfe. Ich bin Reverend Thornton, Captain Killigrew. Killigrew, Killigrew“, sagte er grübelnd, „den Namen kenne ich doch. Einen Sir John Killigrew aus England, irgendwo auf einer Feste. Na, es fällt mir noch ein. Sind Sie mit dem Killigrew verwandt?“

„Das muß eine Namensgleichheit sein“, log Hasard. „Falls Sie Hunger und Durst haben, Reverend, bitte ich Sie aufs Schiff. Wie lange befinden Sie sich schon auf dieser Insel?“

Thornton winkte gnädig ab. „Hunger und Durst sind nicht alles, mein Sohn, das hat Zeit. Ich habe mich von den Früchten genährt, die mir der Herr servierte, und von dem Wasser getrunken, das er mir in seiner großen Güte schenkte.“

Der Reverend seufzte schwer, nachdem seine hellen Augen schnell die einzelnen Männer gemustert hatten. Diese Kerle waren ganz und gar nicht nach seinem Geschmack, fand er. Der Kapitän war keiner von den Dummköpfen, dem man etwas vorflunkern konnte. In seinen Augen stand ein unheimlich waches Mißtrauen, und auch die anderen warfen sich nicht gleich unterwürfig vor ihm zu Boden.

„Wie lange?“ fragte er. „Wochen, Monate? Ich weiß es nicht, für mich blieb die Zeit stehen. Gott ließ keinen Sand mehr durch die Uhren rieseln, nicht für mich.“

„Na ja“, sagte Dan trocken. „Er hat ja auch genug andere Dinge zu tun, da kann er sich nicht um jeden einzelnen und seine Sanduhr kümmern.“

Der Reverend lief etwas rötlich an. Sekundenlang verschlug es ihm glatt die Sprache, als er den jungen Kerl ansah, der sich betont gleichgültig gab.

„Richtig, richtig“, sagte er pikiert und leicht verärgert.

So ganz langsam wollte er sich an sein eigentliches Ziel heranpirschen, doch er erkannte, daß er hier höllisch aufpassen mußte, denn die Burschen waren gewitzt und ausgekocht. Sie erkannten seine Autorität einfach nicht so richtig an, wie er zu seinem wachsenden Unbehagen feststellte.

„Sie haben sicher eine Menge zu erzählen, Reverend“, sagte der Seewolf. „Wie sind Sie auf diese Insel gelangt? Möchten Sie nicht Ihre Geschichte erzählen?“

„Es ist eine lange und blutige Geschichte“, sagte Thornton und senkte den Blick seiner Augen in den Sand. „Ich schäme mich, wenn ich daran denke, ich schäme mich für die Spanier, deren Bekanntschaft ich mit Gottes Hilfe gerade noch entgehen konnte. Zum Glück ist es schon eine Weile her, als sie hier landeten.“

Jetzt spitzten alle die Ohren.

„Spanier, hier, auf dieser Insel?“ fragte Hasard. „Was hatten die hier zu suchen?“

„Später, Kapitän Killigrew, das ist nicht weiter wichtig, es handelt sich nur um das berüchtigte ‚Goldene Kalb‘, diesen verfluchten Götzen, den der Mensch anbetet. Ich will weiter ausholen. Sie sollen alles erfahren.“

Thornton hatte den ersten Samen ausgesät, die Neugier war da, und wurde immer stärker. Bald würde aus dem Samen ein Gewächs werden. Er versprach sich schon jetzt einen dicken Anteil, ohne einen Finger gerührt zu haben. Diese Männer hier waren keine wilden brutalen Piraten, hier herrschten Zucht und Ordnung, dieser Killigrew hatte sie alle im Griff.

Mittlerweile hatten sich immer mehr der Seewölfe um den vermeintlichen Reverend geschart.

Carberry und der Schiffszimmermann warfen sich einen Blick zu.

„Gott hat uns einen neuen Fletcher beschert“, sagte der Profos leise und grinste dabei.

Auch Ferris Tucker grinste.

„Der stößt mir heute noch auf mit seinen frommen Sprüchen“, sagte er ebenso leise. „Allerdings halte ich den Kerl nicht für ehrlich, der hat etwas vor.“

Carberry nickte und sah den Reverend an, der salbungsvoll sprach und den Blick seiner hellen Augen mitunter zum Himmel richtete, als empfange er von dort Eingebungen.

Auch die anderen blieben wach und mißtrauisch. Thornton war ein Typ, der sich allen durch seine Gesten und seine salbungsvollen Worte von selbst offenbarte, und davon hatten die Männer noch nie viel gehalten.

Inzwischen kriegte der Seewolf eine haarsträubende Geschichte zu hören. Thornton berichtete von der großen Reise, davon, daß sie etliche Spanier gekapert hätten und von allem Möglichen.

„Wie passierte das mit dem Floß?“ fragte Hasard, denn der Gottesmann hatte dieses Thema immer wieder hinausgeschoben und drückte sich sichtlich vor einer Antwort.

„Auch das ist eine lange Geschichte“, sagte er und überlegte fieberhaft, wie er sich da herauswinden konnte.

„Hat man Sie ausgesetzt, Reverend?“ fragte Matt Davies direkt.

Thornton hob entsetzt die Hände.

„Einen Priester setzt man nicht aus“, sagte er etwas von oben herab. „Das Schiff ging unter, langsam, es dauerte ein paar Tage, aber wir wußten es und konnten uns darauf einrichten. So hat unser Zimmermann kleine Flöße gebaut für den Fall, daß wir das Schiff verlassen mußten. Und siehe da: Der Herr hatte ein Einsehen und rettete uns.“

Hasard eisblaue Augen forschten in Thorntons Zügen.

„Gab es bei Ihnen an Bord keine Beiboote?“ fragte er.

„Natürlich gab es ein Beiboot, aber das wäre zu eng geworden, schließlich waren wir mehr als zwanzig Mann, und daher verteilten wir uns auf das Boot und mehrere Flöße. In meiner Bescheidenheit verzichtete ich darauf, das große Boot zu benutzen. Ein paar andere und ich nahmen mit den Flößen vorlieb. Wir befanden uns ja in Sichtweite der anderen, und wir dachten, es könne nichts passieren. Die See war ruhig, es ging kein Wind. Erst in der darauffolgenden Nacht begann das Unheil.“

Der Blick in Hasards Augen wurde fast träge. Er glaubte dem Kerl kein einziges Wort. Aber der Seewolf gab sich verbindlich und gelassen, er wollte auch noch den Rest hören.

Er stellte auch absichtlich keine Fragen, und das schien den Reverend zu verwirren. Beim Erzählen stockte er, geriet ins Stottern, und dabei fiel sein Blick auf Luke Morgan, der ihn unverschämt angrinste.

Die Kerle glauben mir nicht, dachte er. Aber sie konnten nichts wissen, sie konnten nicht einmal Vermutungen anstellen.

„In jener Nacht briste es auf“, erzählte er weiter, „und innerhalb kurzer Zeit löste sich unser Verband auf, der Kontakt brach ab, und wir haben uns nicht mehr gesehen.“

„Und das Schiff war untergegangen?“ fragte Hasard.

„Es war bereits am Sinken. Ratten hatten Löcher in den Rumpf gefressen, die Vorpiek war undicht, und die See sprühte in ganz feinem Strahl herein.“

„Und das ließ sich nicht beheben?“ fragte Tucker ungläubig.

„Nein, da half alles nichts. Unser Zimmermann und seine Gehilfen taten alles Mögliche, doch es war aussichtslos.“

„Woher wollen Sie denn eigentlich wissen, Reverend, daß die anderen alle gerettet wurden?“ fragte Hasard.

„Ja, äh, ich nehme das an. Unser Captain sagte, daß es hier viele Inseln gäbe, und dann ist es doch nur natürlich, daß auch die anderen Land erreicht haben.“

„Ja, das ist anzunehmen“, sagte Hasard und dachte sich seinen Teil über den Reverend. Irgend etwas verbarg der Mann vor ihnen, das war sicher, und vielleicht würde sich später auch einmal herausstellen, was der Bursche vor ihnen verbarg.

„Wie war das mit den Spaniern?“ erkundigte sich der Seewolf weiter. „Sie erzählten davon.“

Thornton hatte sich eine nette glaubhafte Geschichte aufgebaut, sie im Handumdrehen aus den Fingern gesogen, aber wenn er die Männer jetzt so anblickte, dann fand er, daß seine Geschichte eigentlich nicht viel wert war. In der Theorie sah das immer ganz anders aus als in der Praxis.

Nun gut, die Sache mit den Schätzen hatte noch Zeit, da wollte er nichts übereilen, und außerdem durfte er kein auffälliges Interesse zeigen. Daher winkte er ab.

„Eine Bande lausiger spanischer Räuber und Piraten landete hier. Sie luden eine Schatztruhe aus und eine große hölzerne Figur, die sie zu der Höhle trugen.“

Thorntons abgewinkelter Daumen wies lässig auf den brausenden Wasserfall.

Hasard kniff jetzt die Augen zusammen und warf einen nachdenklichen Blick auf Ben Brighton. Wenn der Reverend von der Höhle und den Schätzen wußte, dann gehörte ihm auch ein Anteil davon, überlegte Hasard. Andererseits aber war es durchaus möglich, daß der Reverend sie beobachtet hatte und deshalb alles über die Grotte und ihren Inhalt wußte.

Hasard hatte noch einen anderen Gedanken. Die Gebeine in der Höhle waren schon sehr alt, die Truhe halb verrottet und das Ledersäckchen vermodert. Was sich hier am Wasserfall abgespielt hatte, mußte also schon einige Jahre zurückliegen, und solange war der Reverend auf keinen Fall hier.

„Haben Sie die Grotte gesehen?“ fragte er.

Da beging Thornton seinen ersten entscheidenden Fehler.

„Die Neugier ließ mir später keine Ruhe“, sagte er. „Ich mußte einfach nachsehen, was sich in der Höhle alles befand.“

„Hatten Sie das nicht beobachtet?“

„Nicht alles, die Spanier waren äußerst mißtrauisch und suchten vorher gründlich die Insel ab. Ich hatte ja Zeit, und daher versteckte ich mich, bis sie wieder lossegelten.“

Die Sache stank zum Himmel, fand Hasard. Aus welchem Grund sollten spanische Piraten eine Schatztruhe oder die schwarze Madonna hier verstekken? Das ergab nicht den geringsten Sinn.

Ob der Reverend wußte, daß sie die Sachen längst entdeckt hatten?

Sie belauerten sich gegenseitig. Gab Hasard zu, daß sie die Schätze bereits geborgen hatten, würde der listige Reverend auf Fangfragen wohl kaum hereinfallen. Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik.

Ein paar der Seewölfe blickten scheinheilig zu dem Wasserfall hinüber und heuchelten Interesse, aber der Reverend musterte sie überlegen und grinste sich eins.

Hasard sah dieses heimliche Grinsen und wußte Bescheid. Er mußte diesem Kerl das Wasser abgraben, und so sagte er unvermittelt ernst: „Wir haben die Höhle gefunden, Reverend.“

Carberry grinste hinterhältig, Tucker drehte sich grinsend um, und einige andere grinsten ganz offen.

Thornton hüstelte, hob etwas hilflos die Schultern und spürte wie ihm kleine Schweißbäche übers Gesicht liefen.

„Mit Gold kann man die Welt nicht kaufen“, sagte er entsagungsvoll, „es ist Teufelswerk und bringt nichts als Unheil. Äh, wenn Sie die Figur gefunden haben, wird Ihnen bestimmt nicht entgangen sein, daß sie aus Gold ist.“

„Nein, das ist uns nicht entgangen“, sagte Hasard. Er spürte, wie dieser Bursche sich verzweifelt an etwas klammerte, das ihm immer mehr entglitt.

Doch dann brach Thornton das Gespräch ab, so als würde ihn die Höhle und der Inhalt nicht interessieren. Er wollte Zeit gewinnen, doch der Seewolf vermasselte ihm auch diese Tour.

„Es ist eine der größten und gewaltigsten Höhlen, die ich je gesehen habe“, sagte er. „Ich verstehe nur nicht, daß die Spanier hier ein ganzes Lager angelegt haben. In der Höhle befinden sich Taue, Planken, zwei kleine Masten und dicke Bohlen. Haben Sie dafür eine Erklärung, Reverend?“

Thornton wischte sich über das Gesicht. Himmel, stellte dieser Kerl Fragen! Der brachte ihn ganz schön ins Schwitzen.

„Vielleicht haben sie das getan, weil sie hierher zurückkehren wollen“, sagte er schnell. „Ja, natürlich, anders kann es gar nicht sein. Schließlich werden sie auch einmal ihre Schätze wieder abholen wollen.“

„Ja, vermutlich sind sie von einem anderen Schiff gejagt worden und haben die Beute vorerst in Sicherheit gebracht.“

„So wird es sein“, erwiderte Thornton erleichtert.

Was, zum Teufel, überlegte er fieberhaft, war jetzt nur mit dieser lausigen Höhle los? War sie jetzt groß oder klein, oder wollte dieser Killigrew ihn nur auf die Probe stellen?

Er fand keine Antwort darauf.

Für den Seewolf und seine Männer stand jetzt eindeutig fest, daß dieser Reverend sie belogen hatte. Er war nie in der Höhle gewesen und hatte nichts weiter getan, als sie beobachtet und danach drei und drei zusammengezählt. Allerdings ergab das noch lange nicht sechs.

Seine merkwürdige Rechnung war nicht aufgegangen.

Thornton heuchelte Interesse an den rauchenden Meilern, bewunderte das Schiff und lenkte rasch von dem Thema ab, das so heiß war wie ein Brander.

Er spürte die spöttischen und nachdenklichen Blicke der Männer fast schmerzhaft in seinem Kreuz brennen, und so schlenderte er am Strand entlang, begrüßte diesen und jenen Mann freundlich und klopfte fromme Sprüche.

Carberry schüttelte den Kopf.

„Wenn dieser lausige Kerl ein Reverend ist, dann bin ich das Kielschwein der ‚Isabella‘. Mit dem stimmt doch vorn und hinten nichts überein. Der hat uns beobachtet und ist auf deinen Trick mit der Höhle prächtig hereingefallen.“

Auch die anderen hielten mit ihrer Meinung nicht zurück.

„Ein infamer Lügner“, sagte Brighton, „der will nur seinen Anteil und sonst nichts, und ich wette ebenfalls, daß er kein Reverend ist und nie einer war. Den hat man ausgesetzt, und uns wird nichts anderes übrigbleiben, als ihn an Bord zu nehmen.“

„Das befürchte ich leider auch“, sagte Hasard. „Bisher hat er uns noch nicht darum gebeten, aber das wird nicht mehr lange dauern. Oder er wartet, bis wir ihn bitten.“

Sie warfen sich unbehagliche Blikke zu.

„Ein Rübenschwein ist das, ein lausiges“, sagte auch Ferris Tucker. „Wenn der bei uns an Bord ist, wird die ‚Isabella‘ zehn Meilen gegen den Wind stinken. Müssen wir den eigentlich mitnehmen, Hasard?“

„Sollen wir ihn allein zurücklassen? Er ist ein Schiffbrüchiger, ausgesetzt oder nicht, das können wir nicht beweisen. Und seine Gier nach den Schätzen wundert mich auch nicht sonderlich. Ich kenne kaum jemanden, der nicht wild auf Gold ist und versuchen würde, sich seinen Anteil auf irgend eine miese Art zu erschwindeln. Jedenfalls ist mir der Kerl ein Rätsel, aber wir werden ihn schon noch ausholen.“

Der Bursche, der ihnen allen Rätsel aufgab, tummelte sich immer noch am Strand, schlenderte mal hierhin, mal dorthin, betrachtete den Gambineger Batuti wohlwollend und gönnerhaft und fragte nach Einzelheiten. Nur über sich selbst sprach er wenig, denn das wurde ihm immer gefährlicher.

Die Männer gingen weiter ihrer Arbeit nach, und auch der Reverend half beim Fischen und Früchtesammeln. Insgeheim war er froh, wieder ein Schiff unter dem Hintern zu haben, das ihn von dieser Insel fortbrachte. Allerdings mußte er den Kapitän noch darum bitten, aber so wie es aussah, stand dem nichts im Wege.

Spät am Abend glaubte er, schon halbwegs in die Crew integriert zu sein, und er sonnte sich in dem Gefühl, ein feines Leben an Bord führen zu können, denn hier gab es alles, was man zum Leben benötigte, und als Gegenleistung nervte er die Männer mit seinen frommen Bibelzitaten und Sprüchen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 126

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