Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 90 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Es war ein riesiger Pulk, der sich von der Küste löste und mit stark geblähten kleinen Segeln eilig einer anderen Küstenregion zustrebte.

Hasard konnte den Pulk bereits ohne Spektiv deutlich sehen. Auf dem Wasser spiegelten sich die Sonnenstrahlen. Er kniff die Augen zusammen und legte die Hand an die Stirn, an jene Stelle, von der eine langgezogene dünne Narbe bis zur Wange verlief. Merkwürdig, aber er glaubte, die Narbe schmerze heute etwas, doch das war vielleicht nur Einbildung.

„Fünfzig?“ sagte er leise. „Das werden ja immer mehr. Dort scheint ein ganzer Indianerstamm zu flüchten. Aber was veranlaßt sie zu dieser überstürzten Flucht?“

Die Indianer erweckten ganz den Eindruck, als wären sie tatsächlich auf der Flucht. In den Auslegerbooten hockten Männer, Frauen und kleine Kinder.

Bei ihrem hastigen Aufbruch hatten sie der offenen See nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Doch jetzt entdeckten sie die Galeone, und wie auf ein Zauberwort drehten die Boote ab, diesmal noch eiliger als zuvor.

Hasard griff nun doch nach dem Spektiv und sah hindurch. In den Booten standen Männer, schwarzhaarige Burschen, die nur Lendenschurze trugen und auch nicht tätowiert oder gezeichnet waren.

Immer wieder deuteten sie auf die „Isabella“, brüllten sich etwas zu und zogen Hals über Kopf davon.

Ein sinnender Ausdruck trat in Hasards Augen. Er ließ den Kurs noch ein wenig weiter nach Steuerbord ändern, bis die „Isabella“, näher zur Küste auflief.

Das kleine Manöver bewirkte weiter drüben fast panikartige Zustände. Die Auslegerboote luvten hart an, gingen dann auf Kollisionskurs zur „Isabella“ und fielen ganz überraschend wieder ab.

„Was, zum Teufel, ist denn in diese Burschen gefahren?“ fragte Ben Brighton entgeistert. „Die benehmen sich ja geradezu, als wollten wir ihnen die Hälse durchschneiden.“

Das war das Stichwort für den Seewolf.

„Offensichtlich halten sie uns für Spanier“, sagte er. „Und höchstwahrscheinlich sind sie vor den Dons gerade auf der Flucht. Jetzt benehmen sie sich, als hätten wir sie eingekreist. Sie wissen nicht mehr, wohin sie segeln sollen.“

Das, was für wenige Augenblicke fast wie ein Angriff von seiten der Indianer ausgesehen hatte, erwies sich als nichts anderes als ein Täuschungsmanöver, durch das die Eingeborenen ihren vermeintlichen Häschern zu entwischen gedachten.

Nein, sie waren auf der Flucht, entschied Hasard. Alles deutete darauf hin, ihr ganzes Verhalten, ihre Panik, die Angst, Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen.

Hier, am Rio de la Plata, wimmelte es von Dons, hier hatten sie ihre Nester, Kaffs, Stützpunkte und Siedlungen. Hier raubten sie, plünderten, sammelten Schätze für die spanische Krone und zwangen den Eingeborenen das Christentum auf, das sie gar nicht wollten. In dieser Ecke hatten sich die Spanier wie hartnäckige Zecken eingenistet, und die meisten Ansiedlungen trugen spanische Namen.

Hasard rang sich zu einem Entschluß durch. Er kämpfte lange mit sich selbst und befand sich in einem Zwiespalt der Gefühle.

Einerseits war da die lange Reise, die vor ihnen lag, und die nun schon sooft unterbrochen worden war. Er wollte in den Pazifik segeln, jenem geheimnisvollen Land entgegen aus dem Siri-Tong stammte, dem fernen Land, das ihn immer stärker faszinierte und in seinen Bann zog.

Andererseits gab es hier einen ganzen Stamm verängstigter Eingeborener, die sich auf der Flucht befanden und für die die Spanier eine tödliche Gefahr darstellten.

Sollte er sich überhaupt nicht um sie kümmern und sie ihrem ungewissen Schicksal überlassen?

Der Seewolf dachte in weiten Räumen und malte sich in Gedanken die Zukunft derer aus, die unter dem spanischen Terror zwangsläufig zugrunde gehen würden, die langsam, aber sicher durch die goldhungrigen Dons ihren Lebensraum verloren, und die es eines fernen Tages nicht mehr geben würde.

Sein Gesicht sah merkwürdig hart und verschlossen aus, als er sich dem Rudergänger zuwandte.

Gary Andrews sah den Blick und zuckte unwillkürlich zusammen. Er hat Eis in den Augen, dachte er. Blaues Eis wie jenes, das es weiter südlich als große blaue Berge gab, Kälte, die einen unwillkürlich frösteln ließ.

„Sir?“ fragte er schluckend, obwohl Hasard noch kein einziges Wort gesagt hatte.

Der Wind hatte leicht gedreht. Nur um ein paar Grad war er umgesprungen, aber Hasard wußte, daß er noch weiter drehen würde. Hier, an der Mündung des Silberstromes, geschah das häufig.

„Wir gehen auf den anderen Bug“, entschied der Seewolf. „Halte dich zum Wenden bereit, Gary.“

„Aye, aye, Sir!“

Auf dem Vordeck stand der Profos. Sein gewaltiges Rammkinn war vorgeschoben, die Hände hatte er in die Hüften gestemmt, und so stand er breitbeinig da, lauernd, weil er wußte, daß sich gleich etwas ändern würde. Carberry hatte dafür einen Riecher, er roch es an der Sonne, am Wind und dem salzigen Wasser, lange bevor sich etwas tat.

Auch die anderen spürten es. Seit der Wind leicht gedreht hatte, war noch kein Kommando erklungen, das die Männer an die Schoten und Brassen gescheucht hätte. Und weil der Wind noch weiter drehen würde, war dieses Kommando unausweichlich.

In dem Gesicht Big Old Shanes wetterleuchtete es. Der graubärtige Schmied von Arwenack wußte, was der Seewolf plante, er hätte es genauso getan.

Die Erwartung, die plötzlich in den Gesichtern der Seewölfe stand, wurde erfüllt.

„Klar zum Wenden auf den anderen Bug, Profos!“ klang die Stimme des Seewolfs über Deck.

Carberry rieb sich die mächtigen Hände. Er grinste erfreut.

„So, ihr Rübenschweine“, sagte er laut. „Jetzt gibt’s Abwechslung. Ich will eine Wende sehen, die später in die Geschichte eingeht, was, wie? Ihr seid schon viel zu lange auf Steuerbordbug gesegelt, da werden die Knochen faul, und der Kalk rieselt durch die Gebeine.“

Und dann ging es los. Carberry war wieder einmal in seinem Element.

„Brassen klar zum Laufen!“ brüllte er mit einer Stimme, die auch dem letzten Mann die Müdigkeit aus den Knochen trieb. „Luv an zum Wenden, Gary! Langsam zwölf Strich durch den Wind abfallen. Batuti, Blacky, Sten! Seid ihr lausigen Sägefische noch immer nicht dabei, den Besan mitschiffs zu holen, was, wie? Wie sollen wir dann achtern mehr Druck kriegen, ihr Läuseknacker!“

Er sah in fröhliche grinsende Gesichter, doch das trieb ihn nur noch mehr an, obwohl er genau wußte, daß jeder Mann jeden einzelnen Handgriff im Schlaf beherrschte.

„Matt und Jeff, ihr Heringe! Hoffentlich fiert ihr die Vorschoten auf der Back endlich. Und was ist mit euch, Sam und Luke? Weshalb kriegen die Fockbrassen so spät Lose, he?“

Die „Isabella“ ging durch den Wind langsam auf den anderen Bug. Die Männer schufteten, nicht nach Carberrys Gebrüll, sondern weil sie es so gelernt hatten. Des Profos’ Geschrei war nur die Begleitmusik zu ihrer Arbeit.

Carberrys Augen waren überall. Er lauerte darauf, einen der Männer bei einem falschen Handgriff zu erwischen, doch zu seinem Bedauern gab es das nicht. Also motzte er weiter, um wenigstens den Anschein zu wahren.

„Ruder in Lee!“ schrie er weiter. „Du fällst viel zu langsam ab, Gary, zwölf Strich sind hundertfünfunddreißig Grad, falls du das vergessen hast! Bist du endlich achtern rund?“

Nach achtern rund schwenkten die Achtertoppen von selbst herum. Die Brassen wurden blitzschnell durchgeholt, der Besan abgefiert.

„Rund vorn!“ schrie Smoky, der Decksälteste, dem Profos zu.

Carberrys Gesicht war grimmig verzogen.

„Wurde auch verdammt Zeit! Die Vorrahen könnten längst gegen den Wind geholt sein!“

Sie wurden schon durch den Wind geholt, wie er feststellen mußte. Und er sah auch, daß die „Isabella“ gehorsam über Steuer ging, als Gary das Ruder immer mehr umlegte. Verdammt, da hatte er ja bald nichts mehr zu sagen.

„Das geht alles viel zu langsam!“ schrie er zu Hasards großer Belustigung. „Bring das Schiff doch endlich auf den neuen Bug, Gary, und glotz nicht so dämlich durch die Gegend!“

„Wir steuern schon längst beim Wind!“ brüllte der Rudergänger zurück. „Der weht dir bereits von der anderen Seite um die Ohren, du Stint! Wir sind rund!“

„Und Nagelbank alles klariert“, sagte der Gambianeger Batuti mit grinsendem Gesicht. „Braucht Profos nicht groß Maul zu haben!“

„Bei euch muß man doch brüllen, ihr Stockfische! Früher hat das Manöver keine zehn Sekunden gedauert, da wußte jeder genau was er zu tun hatte.“

„Früher bist du ja auch auf einem Einbaum gefahren“, sagte Matt Davies, der einen anerkennenden Blick des Seewolfs aufgefangen hatte.

Carberry verzichtete auf eine Antwort. Oh, er war mit diesen Höllenhunden schon zufrieden, die es verstanden, den Segler im Schlaf auf den anderen Bug zu bringen. Aber sollte man den Kerlen das noch erzählen? Die kriegten dann vor lauter Stolz noch größenwahnsinnige Anfälle.

Jetzt segelte die „Isabella“ über Backbordbug. Der Wind fiel von der Steuerbordseite ein, und da wurde auch dem Begriffsstutzigsten unter ihnen klar, daß die „Isabella“ mit Kurs auf den Rio de la Plata segelte.

Hasard sah in Gesichter, die heute zum zweitenmal erwartungsvolle Vorfreude ausdrückten.

„Wir nachsehen, Hasard, warum Männer fortsegeln?“ fragte Batuti erfreut. Sein abgespreizter Daumen wies auf die Auslegerboote, die sich noch weiter entfernt hatten.

„Ja, wir werden nachsehen, Batuti. Es besteht die Möglichkeit, daß wir im Delta auf Spanier stoßen, die sich hier an der Küste breitgemacht haben. Wenn sie es sind, vor denen die Indianer voller Panik flüchten, dann werden wir die Dons ein wenig ärgern.“

Carberry, Ben und ein paar andere, die aus nächster Nähe zugehört hatten, nickten begeistert. Das war wieder mal ganz nach ihrem Geschmack.

„Damit uns keine unliebsamen Überraschungen bevorstehen“, ergänzte der Seewolf, „werden wir das Schiff ab sofort in einwandfreien Gefechtszustand versetzen. Muß ich noch mehr sagen?“

Das war wirklich nicht nötig. Noch bevor der ranke Rahsegler auch nur eine Kabellänge weiter war, begann an Deck eine emsige Tätigkeit zu herrschen.

Die Dons würden die Seewölfe nicht überrumpeln, Hasards Crew lief nicht blindlings einem ungewissen Schicksal entgegen. Da mußte alles stimmen, da war man immer auf der Hut, das hatte die langjährige Erfahrung bitter gelehrt.

Vorsichtshalber wurde Sand auf Deck bereitgestellt. Der Kutscher brachte Messingbecken mit glühender Holzkohle aus der Kombüse, Al Conroy inspizierte die Culverinen, legte Lunten bereit und der Moses Bill schleppte Pulver an Deck.

Am späten Nachmittag war ihnen immer noch kein einziger Don begegnet, doch dafür sahen sie ein paar kleinere Nester, in denen Eingeborene hausten.

Ein weiteres Kaff schien ausgestorben zu sein, und gerade hier erlebte Hasard die größte Überraschung.

Das Kaff bestand nur aus ein paar verlassenen Hütten, niemand ließ sich blicken, alles war still und ruhig.

„Wir gehen hier vor Anker“, entschied der Seewolf. „Ein zweites Mal soll es mir nicht mehr passieren, daß wir auf eine Sandbank laufen, nur weil wir den Fluß und seine Tücken nicht genau kennen.“

Dabei dachte er an die Fahrt im Amazonas, wo tückische Sand- und Schlammbänke der „Isabella“ beinahe zum Verhängnis geworden wären.

In einer ruhigen kleinen Bucht fiel der Anker. Hier wollten sie die Nacht abwarten, aber es kam ganz anders.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 90

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