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Ende April 1595 – St. Augustine.

St. Augustine war für die Spanier ein Stützpunkt von größter strategischer Bedeutung. Seit Jahren war dieser Stützpunkt immer weiter ausgebaut worden, und auch jetzt war das noch der Fall.

Der Kommandant des Forts, Don Lope de Sanamonte, ein eitler und selbstsüchtiger Mann mit einem Spitzbart, bediente sich dabei der billigsten Arbeitskräfte, die zu haben waren, und das waren die im Gefängnis einsitzenden Gefangenen, von denen es genügend gab.

Unerbittlich trieb Don Lope die Festungsarbeiten voran, denn ihm schwebte vor, daß das Fort einst uneinnehmbar sein sollte.

Don Lope hatte an allem etwas auszusetzen, daher kümmerte er sich immer persönlich um alles, kontrollierte, schikanierte und hielt zündende Ansprachen, in denen sich Wörter wie „Fleiß, Gehorsam und Disziplin“ ständig wiederholten.

An diesem Nachmittag hatte er allerdings keinen Blick für seine „Neuzugänge“, die ihm mit der „Goldenen Henne“ in die Hände gefallen waren. Die angeblich deutsche Karavelle hatte Teniente Don José de Zavallo „aufgebracht“ und nach St. Augustine gesegelt. Die Besatzung war kurzerhand in den Kerker gesteckt, dann aber zu harter Arbeit eingesetzt worden.

Jetzt beschäftigte den Kommandanten etwas anderes. Er saß an seinem Schreibtisch und überlegte, wen er als Kommandanten auf der Karavelle einsetzen sollte.

Da war zum Beispiel der Bootsmann Vicente Torres, aber der erschien ihm nicht hart genug. Der brachte es fertig und ließ die Mannschaft an der langen Leine laufen. Nein, Torres kam nicht in Frage, aber als Erster Offizier konnte er eingesetzt werden.

Er schrieb den Namen auf eine Liste, dann noch ein paar andere, die von den Kriegsschiffen auf die Karavelle abkommandiert waren.

Als er mit seiner Liste fertig war, fehlten ihm noch etwa zehn Mann. Aber mehr konnte er nicht abziehen, denn er brauchte die Leute selbst ganz dringend.

Hm, überlegte de Sanamonte. Zavallo hatte die Karavelle aufgebracht und ihm zusätzlich billige Arbeitskräfte beschert. Der Bursche hatte Mut bewiesen. War zwar erst in den Zwanzigern und sehr von sich eingenommen, aber das tat nichts zur Sache. Er war begierig darauf, sich Sporen zu verdienen. Und er würde die zusammengewürfelte Mannschaft schon hart anfassen, sie drillen, zwiebeln und auf Vordermann bringen. Fühlte sich sowieso zum Admiral berufen, der Kerl.

Natürlich, das war der richtige Mann, voller Eifer und Tatendrang.

Sollte er gleich mal beweisen, wie er es fertigbrachte, die fehlenden zehn Kerle an Bord zu kriegen. Im Hafen trieb sich ja genügend Gesindel herum.

De Sanamonte zwirbelte nachdenklich seinen Bart und grinste.

Ja, so einen jungen Heißsporn brauchte er, der wollte sich unbedingt selbst beweisen, was für ein Kerl er war.

Er hob die Klingel vom Tisch und läutete nach der Ordonnanz, die fast augenblicklich erschien.

„Teniente de Zavallo zu mir – sofort!“ schnarrte er.

„Sofort, Don Lope.“

Fünf Minuten später war der Teniente da und grüßte respektvoll.

„Nehmen Sie Platz“, sagte Don Lope lässig. „Was tun die neuen Gefangenen – alle beschäftigt?“

„Zu Befehl, Don Lope, alle beschäftigt, wie Sie angeordnet haben. Darf ich nochmals den Vorschlag unterbreiten, diesen aufsässigen Hugenotten Ribault der Folter zu unterziehen? Ich verspreche mir aufschlußreiche Auskünfte über Killigrew.“

„Später, später, mein Lieber. Das hat noch Zeit. Der Mann wird von ganz allein weich bei seiner harten Arbeit. Wenn er erst ein paar Tage lang Schlammwasser ausgeschöpft hat, ist er reif für die Folter. Aber jetzt etwas anderes, mein Lieber: Mit dieser deutschen Karavelle haben Sie der spanischen Kriegsflotte ein wahres Prachtexemplar zugeführt. Tüchtiges gutes Schiff. Es wird gerade verproviantiert. Ich beabsichtige, diese Karavelle in der Florida-Straße als Aufklärer einzusetzen. Gleichzeitig soll sie Wachdienst versehen. Dabei ist notwendig, die neue Mannschaft einzuexerzieren. Außerdem fehlen noch zehn Leute, die irgendwie beschafft werden müssen. Ja, ich dachte da an Sie, mein Lieber, vorausgesetzt, Sie fühlen sich nicht überfordert. Ich brauche einen harten Mann, der Freude an der Ausbildung hat.“

De Zavallo stand sofort auf. Sein Schädel lief rot an, und eine ungeheure Erregung überfiel ihn.

„An mich, Don Lope?“ fragte er heiser. „Das wäre zuviel der Ehre. Ich fühle mich höchst geschmeichelt.“

„Ich denke, ich werde Ihnen das Kommando unterstellen. Ich nehme doch an, daß Sie den richtigen Umgangston bei dem Schiffsvolk finden werden. Da muß immer wieder exerziert und geübt werden. Na, Sie wissen schon, was ich meine. Sie sind ab jetzt Kommandant dieser Karavelle, die sich ‚Goldene Henne‘ nennt. Aber, wie gesagt, Sie müssen noch zehn Leute besorgen, natürlich nicht von den anderen Schiffen. Das ist jedoch Ihre Angelegenheit. Sie melden sich bei mir, sobald die Mannschaft vollzählig ist. Ich erwarte Ihre Meldung bis heute abend. Und beweisen Sie Härte, Mann! Verantwortung und Disziplin sind es, was ich von Ihnen erwarte. Sie haben eine schwere Verantwortung Seiner Allerkatholischsten Majestät gegenüber.“

Der Teniente stand so stramm, als wäre er zu Stein erstarrt. Sein Blick durchdrang heroisch die Wände der Amtsstube und verlor sich in endloser Ferne.

Dann knallte er die Hacken zusammen und salutierte.

„Don Lope – Sie waren mir immer ein Vorbild“, schnarrte er.

Das schien Don Lope zu gefallen. Vorbilder waren immer gut, besonders dann, wenn es sich dabei um die eigene Person handelte.

„Schön, schön“, winkte er leutselig ab. „Ich verlasse mich auf Sie. Sie werden noch heute abend auslaufen. Bis später dann.“

Der frischbackene Kommandant war kaum draußen, da kriegte er schon einen fiebrigen Blick. Sein heimliches Ziel hatte er erreicht, er war Kommandant der Karavelle geworden.

Sein nächster Gedanke galt der Mannschaft und den fehlenden zehn Kerlen. Aus der Mannschaft würde er Helden formen, und die zehn Kerle, die noch zu „besorgen“ waren, die ahnten nicht, daß sie eines Tages Ruhm an Spaniens Flagge heften würden. Er, Don José de Zavallo, würde den sehr ehrenwerten Don Lope nicht enttäuschen.

Als er zum Hafen stolzierte, fühlte er, daß er immer breiter und größer wurde. Er wuchs über sich selbst hinaus, und er wölbte auch gleich die noch etwas magere Brust vor, weil diese Pose einem Kommandanten ganz besonders gut stand. Gleichzeitig wurde auch sein Blick kälter und schärfer, und seine Mundwinkel verzogen sich etwas verächtlich.

Wer war er denn! Kommandant und Capitán einer requirierten, ehemals deutschen Karavelle, beladen mit der Verantwortung, Wachdienst zu versehen und Aufklärung zu fahren.

Als er an Bord war, trafen auch die ersten Seesoldaten und Artilleristen von den anderen Schiffen ein. Etwas später erschien Vicente Torres, ein wettergegerbter, salzwassergetränkter und stämmiger Mann, der dem Kommandant freundlich zunickte.

„Ah, Teniente de Zavallo“, sagte er. „Hat man Sie auch auf die Karavelle abkommandiert?“

De Zavallo musterte den alten Salzwasserfisch mit einem vernichtenden Blick aus harten Augen.

„Was heißt hier Teniente?“ fuhr er Torres an. „Ich bin Kommandant dieses Schiffes, und ich verbitte mir solche respektlosen Fragen!“

Ach, du lieber Himmel, dachte Torres, dieser schnöselige Hohlkopf ist Kommandant dieses Schiffes. Das „entzückte“ ihn aber! Und diesem eingebildeten Stiesel war er jetzt unterstellt. Das konnte ja heiter werden.

„Ich bin Ihnen als Erster Offizier zugeteilt“, sagte er knapp.

„Hoffentlich beherrschen Sie Ihr Metier“, sagte de Zavallo von oben herab.

Dem ehemaligen Bootsmann klappte fast der Unterkiefer weg. Er war sein Leben lang zur See gefahren, und das schon zu einer Zeit, als dieser halbadelige Floh noch in den Windeln gegen den Strom schwamm.

„Ich habe mehr als dreißig Jahre Berufserfahrung, wenn ich das bemerken darf.“

„Ich habe Sie nicht danach gefragt. Rufen Sie den Profos!“

Zähneknirschend holte Torres den Profos, einen drahtigen Kerl mit tückischen Augen.

„Klären Sie die Kerle darüber auf, wer ich bin“, sagte Don José zu Torres. Dann wandte er sich an den Profos.

„Name?“ fragte er scharf.

„Virgil Savello, Señor Capitán.“

Der verschlagen blickende Profos hatte sofort gespitzt, was hier lief und fuhr sich gleich auf die richtige Spur ein.

„Wir laufen heute abend aus!“ blaffte de Zavallo. „In spätestens drei bis vier Stunden will ich zehn zusätzliche Kerle an Bord haben. Holen Sie sich die, wo Sie sie finden. Und kehren Sie mir ja nicht ohne die Halunken zurück, verstanden?“

Der Profos salutierte.

„Wo soll ich die Männer hernehmen, Señor Capitán?“

„Falls Sie keine Herumlungerer am Hafen finden, versuchen Sie es mal in den Spelunken. Verschwinden Sie jetzt, Mann, und nehmen Sie einen Steckenknecht zur Unterstützung mit.“

Mit dem neuen Alten ist nicht gut Salzwasser schlürfen, dachte der Profos. Das ist ein totaler Militär, ein Kerl, der rigoros über Leichen geht.

In aller Eile verschwand er mit seinem Steckenkecht von Bord. Er ahnte jetzt schon, daß er auf dieser Reise seine Neunschwänzige zerfetzen würde, denn der Ex-Teniente ließ nichts durchgehen. Der brüllte jetzt schon wieder mit dem Ersten Offizier herum und hatte an allem etwas zu meckern.

Im Hafen lungerte das übliche Gesindel herum, wie es überall auf der Welt zu finden war. Strolche, Diebe, Beutelschneider, Beachcomber und Glücksritter gaben sich da ein Stelldichein, oder sie bevölkerten schon am Mittag die Spelunken.

Der Profos Virgil Savello musterte erst einmal unauffällig die umherstrolchenden Galgenvögel.

„Zehn Kerle müssen wir bringen“, sagte er zu seinem Steckenknecht Pedro. „In drei bis vier Stunden müssen wir die eingesammelt haben, sonst kriegen wir Ärger mit dem Capitán.“

Pedro, ebenfalls ein bulliger untersetzter Kerl mit einem tagealten Bart, nickte beipflichtend. Er und der Profos kannten sich schon seit langem und waren zusammen auf einer spanischen Kriegsgaleone gefahren.

„Die kriegen wir“, versicherte er. „Wir haben ja freie Hand und brauchen nicht zimperlich zu sein.“

Nein, dachte der Profos grinsend, das brauchten sie nicht. Sie würden sich das schnappen, was ihnen in die Hände fiel. Später ging man mit den Kerlen auch nicht zimperlich um, und eiserne Manneszucht hatte noch keinem geschadet.

„Da drüben bettelt einer“, sagte Pedro, „sehen wir uns den Kerl mal näher an.“

Es war jedoch kein Bettler, wie sich herausstellte. Der Mann war zerlumpt, unrasiert, aber kräftig und gesund. Er trug eine zerfetzte Hose und ein schmieriges Hemd. Ein breiter Lederriemen lief über seine Schulter und hielt eine Tasche fest, die an der linken Hüfte hing.

Der spanische Profos setzte ein harmloses Grinsen auf, damit der Kerl nicht gleich abgeschreckt wurde.

„Seid gegrüßt, ihr ehrenwerten Señores“, sagte der Zerlumpte. „Immer zu euren Diensten. Möchten die Señores ein Bild von ihren eigenen Gesichtern?“

„Ein Bild?“ fragte Pedro verblüfft. „Was für ein Bild?“

„Ich bin Silhouettenschneider“, erklärte der Mann eifrig, „und ich bin auch ganz billig. Alles was ich dazu brauche, habe ich hier in der Tasche.“

Übereifrig zog er schwarz gefärbtes Papier hervor und eine ziemlich rostige Schere.

„Ein Profilbild für die ehrenwerten Señores?“ fragte er nochmals.

Die beiden Männer sahen sich in stillem Einvernehmen an.

„Du scheinst eher ein Grimassen- oder Beutelschneider zu sein“, sagte der Profos freundlich. „Aber so ein Bild wäre nicht schlecht. Unsere Kameraden an Bord würden sicher auch gern eins haben. Hör zu“, sagte er dann zu dem Mann, „wir verschaffen dir ein paar Aufträge, wenn wir jeder ein Bild umsonst kriegen. Einverstanden?“

Der Kerl, der seit zwei Tagen kaum noch etwas gegessen hatte, war überglücklich.

„Wie viele Aufträge verschafft ihr mir denn?“ fragte er gierig.

„So zehn bis fünfzehn etwa werden es schon werden. Aber ich kann nicht die ganze Mannschaft vom Schiff holen. Geh mit, und wenn du deine Arbeit gut gemacht hast, gibt’s auch noch einen Rum extra.“

Das klingt ja lieblich nach Schalmeien, dachte der Silhouettenschneider erfreut. Bedenken hatte er nicht die geringsten, die hatte der Profos schon in dem Augenblick zerstreut, als er auf zwei kostenlosen Scherenschnitten bestand.

Als sie an Bord gingen, drehte Capitán de Zavallo sich um, als bemerke er nichts. Nur ein kaum merkliches Grinsen lag um seine Mundwinkel.

„Hier hinunter“, sagte der Profos, „wollen erst mal einen Kleinen zur Brust nehmen. Sicher hast du auch Hunger.“

„Ja, sehr großen“, beteuerte der Mann.

Dann sah er sich um, als sie in einem kurzen Gang standen, der vor einem Schott endete.

„Aber hier ist es zu dunkel“, sagte er zaghaft.

„Wird bald wieder hell werden“, entgegnete Virgil trocken. Mit einem gewaltigen Schlag schmetterte er dem Mann die Faust an den Kopf. Der Silhouettenschneider sank bewußtlos zusammen, während Pedro schon die Vorpiek aufsperrte. Sie schoben den Kerl hinein, gingen wieder an Deck und verließen das Schiff.

„Jetzt sind’s nur noch neun“, sagte Pedro grinsend. „Das hat ja bestens geklappt.“

Ein herumstreunender Besenbinder fiel ihnen kurz darauf in die Hände, der unbedingt seine unordentlich zusammengedrehten Besen verhökern wollte.

Der Profos, der selbst nicht gerade friedvoll und adrett aussah, zuckte zusammen, als er die Visage sah. Offenbar hatte der Kerl die Besen aus seinem eigenen Bart gebunden. Er hatte auch kaum noch Zähne im Mund. Die Nase war plattgehauen, und was darunter war, erinnerte verteufelt an einen Wolfsrachen.

„Besen“, sagte der Profos erfreut, „das ist genau das, was wir dringend brauchen. Gerade um Besen zu kaufen, hat uns der Capitán an Land geschickt. Pack den ganzen Kram zusammen, Mann, aber spute dich. Bring alles aufs Schiff. Aber wir wollen einen anständigen Preis, hast du verstanden?“

Und ob der Kerl verstanden hatte. Da fanden sich doch noch ein paar Dumme, an die er seine Ware verhökern konnte. Er grinste lüstern wie ein Werwolf, packte sein ganzes Bündel Reisigbesen zusammen und trabte hinter den beiden Männern her. Im Geist sah er sich schon in der nächsten Spelunke sitzen und das Geld versaufen.

Etwas später saß er auch in einer ziemlich düsteren Kaschemme, doch da gab es weder Wein noch Schnaps. Er hatte kein Geld, und seine Besen war er sowieso los. Aber zumindest hatte er einen neuen Gesprächspartner gefunden – den Silhouettenschneider. Die beiden greinten sich auch gegenseitig in der Dunkelheit der Vorpiek die Ohren voll.

Von nun an standen sie in den Diensten Seiner Allerkatholischsten Majestät, ob sie wollten oder nicht.

Ein weiterer Herumstreuner lag im Hinterhof einer Kneipe zwischen vollen Müllkübeln. Er war so betrunken, daß er sich rülpsend von einer Seite auf die andere drehte und undeutliche Worte nuschelte.

„Spätestens morgen früh ist der wieder nüchtern und brauchbar“, sagte Virgil. „Also los, pack mit an, wir schleppen unseren lieben alten Freund, der leider ein wenig zuviel gesoffen hat, an Bord.“

Der „liebe alte Freund“ wurde wie ein fauler Apfel aufgesammelt. Sie nahmen ihn in die Mitte und schleppten ihn ab. Seine Beine schleiften über die Katzenköpfe, doch an dem Anblick störte sich niemand. Immer wieder kamen Besoffene wie Kanonenkugeln aus den Kaschemmen geschossen und landeten in der Gosse. Dieser hier konnte noch von Glück sagen, daß ihn zwei „Kameraden“ an Bord trugen.

Nummer drei flog kurz darauf in die Vorpiek und verschwand.

Das alles war bisher das Werk einer knappen halben Stunde gewesen. Blieben immer noch gut drei Stunden, um sieben Leute zu pressen.

Da sich augenblicklich keine weiteren betrunkenen Kerle mehr in den Hinterhöfen fanden, suchten die beiden vom Preßkommando kurzentschlossen die nächste Kneipe auf.

Die Kneipe war eine typische Hafenspelunke mit düsterem Licht, einem winzigen blinden Fenster und langen Bänken mit Eichentischen.

Hier waren die Zecher auch schon kräftig am Werk. Die Kneipe war voller Qualm und Rauch, denn etliche Kerle qualmten aus langen Tonpfeifen kleingeschnittenen Tabak. Es roch nach saurem Rotwein und den Ausdünstungen der Betrunkenen.

Virgil stieß seinen Steckenknecht an und deutete mit dem Kinn zu einem in einer Nische stehenden Tisch, an dem fünf Kerle hockten. Sie hatten schon kräftig gebechert. Einer der fünf wackelte beängstigend mit dem Schädel und schwankte wie ein Rohr im Wind, als würde er jeden Augenblick umkippen.

„Die kassieren wir“, knurrte der Profos. „Sehen auch so aus, als hätten sie Seebeine.“

Ungefragt setzten sie sich zu den fünf Trunkenbolden und bestellten scharfen Rum. Die Kerle tranken nur billigen Rotwein, zu mehr langte ihr Geld nicht.

Im Gesicht des Profos stand ein dünnes gefährliches Lächeln, als er die Kerle ungeniert musterte. Dem Geruch nach schienen diese Kerle Fischer zu sein, Gelegenheitsfischer, die nur dann hinausfuhren, wenn sie Geld brauchten. Dann verhökerten sie ein paar Fische und versoffen das Geld, bis sie blank waren.

Jetzt schien das auch der Fall zu sein, als einer von ihnen lautstark nach Wein rief.

Am Tisch erschien ein Monstrum von Schankknecht, der auch gleichzeitig als Rausschmeißer fungierte.

„Bring uns noch ein paar Humpen, Miguel“, verlangte der eine.

Der Schankknecht sah die Zecher böse an. Dann schoß er lauernd eine Frage ab.

„Wie steht’s mit Geld?“

„Schreib es auf, Miguel.“

„Nichts da. Ihr habt genug auf dem Kerbholz. Wenn Ihr nicht mehr bezahlen könnt, dann haut ab, oder ich prügel euch hinaus.“

„Mann, nur ein paar Humpen. Wir bezahlen morgen.“

„Verpißt euch“, sagte Miguel grob. „Es gibt nichts mehr.“

Bevor die Kerle Streit anfangen konnten, griff Virgil ein. Er legte ein paar Münzen auf die Tischplatte.

„Eine Flasche Rum“, verlangte er, „und nochmal eine Lage Rotwein für die Señores.“

Die Señores stierten beglückt, als ihre Humpen nachgefüllt wurden, und der Profos ihnen Rum eingoß. Er verfuhr damit recht großzügig, denn das ausgelegte Geld würde er mit Sicherheit zurückerhalten.

„Wer bist du, warum gibst du einen aus?“ fragte einer.

„Weil ich heute Geburtstag habe und nicht mitansehen kann, daß einer nichts mehr zu trinken kriegt, wenn er kein Geld hat. Mir geht das auch öfter mal so, aber man hat dann erst den richtigen Durst.“

Daraufhin nannten sie ihn einen feinen Kerl und gratulierten ihm.

Nach der nächsten Runde gratulierten sie ihm wieder, und so liefen innerhalb der nächsten Stunde nochmals sieben oder acht Glückwünsche bei ihm ein. Dabei hielten er und Pedro sich sehr mit dem Trinken zurück. Die fünf Kerle aber wurden immer voller. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, daß ihr Durst immer größer wurde.

„Tut mir leid“, sagte Virgil etwas später, „aber das war mein letztes Geld. Hasta la vista, Kumpels, aber wir ziehen uns jetzt zurück. Werden an Bord noch einen Kleinen gluckern.“

Die Kerle leckten sich lüstern über die Lippen.

„Hast du denn da noch was, guter Freund?“

„Zwei Fässer Rotwein und ein Fäßchen Rum, alles schon bezahlt.“

„Kann man da nicht mitgehen, guter Freund?“

Der Profos zierte sich ein bißchen, aber schließlich nickte er.

„Na gut, weil wir ja schon zusammen gesoffen haben. Außerdem ist der Kapitän heute nicht da, und die Offiziere sind auch an Land. Also los, Compadres, geht noch auf einen Schluck mit. Aber benehmt euch anständig.“

Das versprachen sie hoch und heilig und sehr erfreut, obwohl sie kaum noch laufen konnten und bereits zu singen begannen.

Dann zogen sie torkelnd los an Bord.

De Zavallo übersah großzügig die fünf schwankenden Gestalten, die mit dem Profos und Steckenkecht im Vorschiff verschwanden. Nur der Erste Offizier, Vicente Torres, zog fragend und verwundert die Augenbrauen hoch. Da er aber den harten Blick des Capitáns sah, verzichtete er auf eine Frage. Er konnte sich schon denken, was hier lief. Ein paar Mann fehlten ihnen, und die wurden jetzt auf höheren Befehl an Bord verfrachtet.

Der neue Kommandant der „Goldenen Henne“ fand, daß der Profos ein sehr brauchbarer und konsequent handelnder Mann war. Vermutlich konnte er auch ebensogut mit der Neunschwänzigen umgehen, denn die wurde sicher noch gebraucht, wenn die neuen „Seeleute“ wieder munter waren.

Unter Deck wurden die Neuen ziemlich schnell verfrachtet.

Der Profos kredenzte ihnen ein Gläschen Rum von der Sorte, den es auch in manchen Hafenkneipen gab. Zwei der Kerle legten sich anschließend gleich flach und begannen zu schnarchen. Die drei anderen kamen nicht mehr klar.

Pedro räumte die beiden Schnarcher ab, während der Profos noch einmal die Gläser füllte!

Zwei weitere waren danach völlig groggy, nur einer motzte herum und fragte ständig nach seinen Kumpanen. Der Profos beförderte ihn mit einem harten Schlag auf die Planken. Danach herrschte Ruhe, und die Kerle wanderten ebenfalls in die Vorpiek. Dort lärmten aber bereits der Scherenschneider und der Besenbinder.

„Haltet eure Schnauzen und seid ruhig!“ brüllte der Profos. „Sonst zieh ich euch die Peitsche übers Kreuz.“

Daraufhin herrschte beängstigende Stille.

Als der Profos wieder an Deck war, grinste er hart. Die Kerle waren ihm alle brav gefolgt wie die Schafe und immer gutgläubig darauf hereingefallen. Aus den Augenwinkeln blickte er zum Achterdeck. Dort stand der Capitán mit unbewegtem Gesicht, als habe er nichts bemerkt. Aber er hob unauffällig Daumen und Zeigefinger der rechten Hand hoch. Das bedeutete, daß noch zwei Mann gebraucht wurden.

Der Profos stand einen Augenblick stramm und verschwand dann erneut, um auch noch die zwei beiden fehlenden Leute zu pressen.

Diesmal schnappten sie ein liederliches Bürschchen von sechzehn oder siebzehn Jahren, das an den Kais herumlungerte und hungrig in die Welt blickte. Das Bürschchen hatte eine sehr verderbte Visage und sah den beiden Männern mißtrauisch entgegen. Der Profos überlegte, wie er wohl in spanischer Uniform aussehen würde. Seine Visage würde das wohl kaum ändern, doch das tat nichts zur Sache.

„Da stehen zwei Wachsoldaten in der Nähe“, raunte Pedro. „Gib acht, daß wir mit denen keinen Ärger kriegen.“

„Im Gegenteil“, sagte Virgil. „Ich bin sicher, daß sie uns noch helfen werden.“

Er ging dicht an dem Kerl vorbei, drehte sich dann um, packte blitzschnell seinen Arm und hielt ihn fest. Mit der anderen Hand gab er ihm eine saftige Ohrfeige.

„Hier treibst du dich also ’rum, du Lumpensohn!“ brüllte er. „Wer hat dir erlaubt, das Schiff zu verlassen, was? Das wird dir noch leid tun, verdammter Lümmel!“

Das Kerlchen wand sich und begann zu kreischen. Die beiden Wachsoldaten wurden aufmerksam und rückten näher.

„Was gibt es?“ fragte der eine herrisch.

„Er ist heimlich von Bord verschwunden und hat vorher die Kameraden beklaut“, empörte sich der Profos. „Nicht genug damit, er hat auch noch seine Uniform verhökert und das Geld versoffen.“

„Ein Deserteur etwa?“

„So kann man es nennen.“

„Und dann treibt er sich hier am Hafen herum?“ fragte der eine mißtrauisch.

„Er ist noch nicht lange an Bord. Der Kerl dachte wohl, daß man ihn ohne Uniform nicht mehr erkennt. Sieht ja auch reichlich abgerissen aus, der Strolch.“

„Ich war noch nie auf einem Schiff“, brüllte das Bürschchen voller Wut. „Und den Mann habe ich nie gesehen.“ Offenbar ahnte der Bengel schon, welche Tour hier lief, denn daß man kurzerhand ein paar Leute preßte, war durchaus üblich.

„Wenn er desertiert ist, bringen wir ihn in den Kerker“, sagte der Soldat streng und wollte nach dem Bürschchen greifen.

„Dann fehlt uns ein Mann“, sagte der Profos. „Ich bin der Profos jener Karavelle dort drüben. Dem Kommandanten wird es nicht recht sein, wenn der junge Dachs in den Kerker wandert. Wir brauchen jeden Mann, und Don José de Zavallo wird ihn schon wieder zur Räson bringen, wenn er erst an Bord ist. Bringt ihn lieber zum Schiff hinüber.“

Die beiden Soldaten fackelten nicht lange.

„Ich will nicht aufs Schiff“, schrie der Schmächtige. „Die Kerle wollen mich pressen, ich kenne sie überhaupt nicht!“

„Immer die gleiche Leier“, sagte der Profos abfällig. „Immer die gleichen faulen Ausreden. Er heißt Alberto Juarez, und jetzt gibt er vor, uns nicht zu kennen.“

„Ich heiße nicht Alberto!“ schrie der Junge wild.

„Jaja, das kennen wir. Komm jetzt mit, sonst gibt es Senge. Das kannst du alles an Bord erzählen.“

So geschah es, daß der Profos und sein Steckenkecht heimlich grinsend, aber sonst mit ernsten Gesichtern, nur hinter den beiden Soldaten herzugehen brauchten. Die hatten den angeblichen Deserteur in die Mitte genommen und schleppten ihn an Bord.

„Wir haben den Deserteur wieder eingefangen, Señor Capitán“, meldete der Profos.

„Lumpengesindel“, sagte de Zavallo kopfschüttelnd von oben herab. „Sperren Sie ihn in die Vorpiek. Er wird in Eisen gelegt und soll seine Lektion erhalten.“

Die beiden Soldaten salutierten stramm, lieferten den tobenden Kerl ab und empfahlen sich. So hatte alles seine Ordnung, und das brüllende Bürschchen verschwand ebenfalls in dem dunklen Verlies.

Später erwischten sie auch den zehnten Mann, ebenfalls einen abgerissenen Kerl, der halb betrunken und Arm in Arm mit einer Hafenhure durch die Gassen schaukelte. Der Mann wußte gar nicht, wie ihm geschah, und begriff nicht, was die beiden von ihm wollten.

Die Hafenhure floh kreischend, der Mann wurde zusammengeschlagen und an Bord der „Goldenen Henne“ verfrachtet.

Damit war die Crew vollzählig.

Eine halbe Stunde später meldete sich de Zavallo bei Don Lope und erklärte stolzgeschwellt, daß die Mannschaft komplett sei und das Schiff auslaufen könne.

Er erntete ein wohlwollendes Schulterklopfen, erhielt seine Order und konnte auslaufen.

Natürlich legte ihm Don Lope de Sanamonte noch einmal dringlich ans Herz, daß er Wert auf eine guteingespielte Mannschaft lege. Er sprach auch von Manneszucht und Ordnung und von Verantwortung dem Vaterland gegenüber.

Das ging dem jungen Stutzer wie warmes Öl runter. Er hatte verstanden. Der Kommandant von St. Augustine würde sehr zufrieden mit ihm sein.

Sehr zackig verabschiedete er sich. Die Aufbringung der „Goldenen Henne“ war ihm ohnehin in den Kopf gestiegen, und jetzt fühlte er sich dazu berufen, den Feind in Scharen zu treiben und Ruhm an seine Flagge zu haften. Außerdem mußte er Don Lope beweisen, was für ein Kerl er war – nämlich ein Held. In Bälde würden die Feinde Spaniens bereits zittern, wenn sie nur seinen Namen hörten!

Im Geiste sah er eine glorreiche Laufbahn vor sich, die er schon jetzt als Admiral abschloß. Daß er noch sehr viel lernen mußte, sagte ihm leider keiner.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 465

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