Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 93 - Fred McMason - Страница 5
2.
ОглавлениеDer Gambianeger war einen Moment unaufmerksam gewesen. Er griff nach dem auf Deck gespannten Tau, aber eine schäumende, brüllende See wälzte sich in diesem Augenblick wild und grollend heran, trug Hunderte von Tonnen Wasser mit sich und überflutete Vordeck und Kuhl mit einer Sintflut, die kein Ende nahm.
Batuti wurde fortgerissen, die „Isabella“ legte sich schwer auf die Seite, von der Wucht der Wasserberge niedergedrückt, und richtete sich nur schwerfällig auf.
Batuti raste davon. Der Schrekkensschrei der anderen gellte ihm noch in den Ohren. Unvorstellbare Gewalten trugen ihn fort, hoben ihn hoch empor. Unter sich sah er die Nagelbank, die schäumend überspült wurde, das Wasser erdrückte ihn fast, er kriegte keine Luft mehr, konnte nicht mehr atmen. Seine Lungen füllten sich mit kaltem, salzigem Wasser, und seine unfreiwillige Reise nahm immer noch kein Ende.
„Herrgott“, sagte Carberry laut, der sich in das Strecktau mit aller Kraft verkrallt hatte, „laß ihn nicht über Bord gehen, wir würden ihm nicht helfen können!“
So dachten auch die anderen Männer, denen es gelungen war, sich einen festen Halt zu verschaffen. Wer bei dieser brüllenden See über Bord ging, dem konnte niemand helfen, der war hoffnungslos in der Weite des kochenden Meeres verloren.
Das gischtende Ungetüm schleifte den Neger über Deck, wirbelte ihn hoch empor, und diesmal griff Batuti in seiner Angst blindlings zu.
Als er wieder denken konnte, hing er in den Webleinen der Leewanten und starrte benommen um sich. Vorsichtig enterte er ab.
„Verdammtes Mistwelle“, ächzte er, „tragen Batuti fort, pumpen Wasser in Balg, uuäähhh …“
„Jetzt füttert er auch noch die Fische“, lästerte Matt Davies. Er war erleichtert, daß alles so glimpflich abgelaufen war.
„Nix Fische“, würgte Batuti. „Nur geben wieder großes Welle zurück in Wasser – ah – Batuti viel kotzen!“
Auf den Gesichtern zeigte sich ein erstes erleichtertes Grinsen, als Batutis Magen sich umgekrempelt hatte. Diesmal ließ er die Strecktaue nicht mehr los, und als der nächste gläserne Berg über sie hinwegrauschte, hatte er sich festen Halt verschafft.
Dem Seewolf fiel ein Stein von der Seele, als der Neger wieder fest auf den Beinen stand. Sein Leben wäre keinen Cent mehr wert gewesen, niemand hätte ihn wieder auffischen können, wenn er außenbords gegangen wäre.
„Lascht euch am Ruder an, Pete und Gary!“ befahl er den beiden Männern, die am Ruder standen und deren Fäuste in die großen Spaken griffen und kraftvoll drehten, um das Schiff auf dem Kurs zu halten. Bei jeder schlingernden Bewegung wurden die Rudergasten hin und her gewirbelt.
Sie laschten sich fest, und Hasard befahl weiter, daß von nun an jede halbe Stunde die Rudergasten abgelöst werden sollten.
Ein Ende des Unwetters war nicht abzusehen. Es nahm noch an Heftigkeit zu. Finstere Wolkenbänke waren aufgezogen, die sich jetzt über dem Schiff entluden.
Die Sicht war gleich Null, als der erste Regen niederging. Die „Isabella“ segelte in einem lebensfeindlichen Element, das sie von unten, von oben und von den Seiten bedrohte.
Hart begann es zu prasseln. Der Wind trieb den kalten Regen in langen Schleiern vor sich her, nahm ihnen die Luft, vermischte sich mit den überkommenden Seen und hüllte alles ein. Man sah nicht mehr vom Achterkastell zur Back.
Zusehends wurde es finsterer. Gleich darauf zuckten auch schon die ersten Blitze aus der Hölle von Finsternis, die grell aufgerissen wurde, aus der es wild blitzte und grollte, die knatternde Schläge austeilte.
Wer jetzt nichts an Deck zu suchen hatte, verzog sich nach unten oder erklomm die Stufen zum Achterdeck, das noch einigen Schutz vor den entfesselten Elementen bot.
Carberry fluchte pausenlos. Außer Gary Andrews und Pete Ballie gab es niemanden, der noch trockene Klamotten trug.
Am übelsten war Dan O’Flynn dran. Er ließ sich durch nichts bewegen, seinen Ausguck zu verlassen, und jetzt war es ohnehin dazu zu spät. So hatte er sich ebenfalls angebunden, um beim starken Überholen des Schiffes nicht davongeschleudert zu werden.
Der Himmel wurde noch dunkler. Die See – jetzt einem brüllenden schwarzen Ungeheuer ähnlich – rollte pausenlos mit riesigen Bergen heran, die sich himmelhoch auftürmten und donnernd und krachend über das Schiff herfielen.
Unter der Crew gab es besorgte Gesichter. Sie hatten schon so manchen harten Sturm abgeritten und waren mit heiler Haut davongekommen, aber heute schien sich alles gegen sie verschworen zu haben. Immer größere Berge türmten sich auf, immer wieder knatterten grelle Blitze aus dem Dunkel, der Regen prasselte herunter, als wolle er alles ersticken. Die „Isabella“ wurde zum Spielball entfesselter Naturgewalten. Ächzend und stöhnend hob sie sich, wurde in tiefe Täler geschleudert, als sollte sie auf dem Grund des Meeres stranden, und dann überrollte sie auch schon wieder der nächste Brecher mit elementarer Gewalt.
Vom Vorschiff erscholl ein lauter Knall, der das Donnern des Unwetters noch übertönte.
Das Focksegel hielt der Belastung nicht mehr stand. Es wurde als Sturmsegel gefahren, doch der hart einfallende Wind zerriß es mit unheimlicher Gewalt.
Fetzen flogen davon, der Rest des schweren Tuches flatterte wie wild hin und her, bis der Sturm die Lappen mitriß und meilenweit mit sich forttrug.
Hasard preßte die Lippen zusammen. Carberry sagte kein Wort, er starrte nur grimmig auf das, was jetzt noch wie ein trauriger Rest von der Rah flatterte.
Jetzt standen nur noch zwei vom Wind prall gefüllte Sturmsegel. Unter dem unbändigen Druck bogen sich die Masten durch, als wollten sie jeden Moment zerbersten.
Wehe, wenn der Rest auch noch davonfliegt, dachte der Seewolf. Dann mußten sie vor Topp und Takel lenzen, und das war gleichbedeutend mit dem Untergang des Schiffes, denn das hielt selbst die sturmerprobte „Isabella“ nicht durch, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen. Hatten die riesigen Wogen sie dann erst einmal auf die Seite gedrückt, gab es keine Hoffnung mehr.
Hasard fragte sich, wie es der Roten Korsarin ergehen mochte. Der schwarze Segler war ein stabiles, überaus kräftiges Schiff, doch bei diesem Wetter würde auch er es nicht leicht haben und um seine Existenz kämpfen müssen.
Vier Stunden später als angenommen, befand sich die „Isabella“ auf der Höhe von Kap de la Virgines, ohne Aussicht darauf, in die Magellanstraße einlaufen zu können.
Der wild blasende Sturm – jetzt aus Westen – trieb sie zurück, immer weiter von der Küste fort, bis sie als Strich am Horizont verschwand.
Alle seemännischen Tricks, Künste und Erfahrungen halfen nichts, sie schafften es nicht, näher heranzukommen. Da halfen keine kurzen Kreuzschläge, da halfen auch keine langen Kreuzschläge gegen den Wind, es trieb sie nur immer weiter fort.
Das Gewitter hatte sich gelegt, nur der Sturm und die wilde See waren unverändert geblieben.
Ben Brighton sah von seinen Berechnungen auf. Er schüttelte ärgerlich den Kopf, als er Hasard ansah. Selbst hier, im Ruderhaus, mußte er laut brüllen, um verstanden zu werden.
„Wir geraten immer weiter nach Südosten!“ schrie er. „Der Sturm versetzt uns!“
Hasard kannte die untere Ecke dieses Kontinents nur vom Hörensagen. Was weiter südlich der Magellanstraße lag, war für ihn und die anderen Neuland. Auf den Karten war es eingezeichnet, doch so schlecht, daß ihn schon jetzt davor graute, jemals mit diesem letzten südlichen Zipfel Bekanntschaft zu schließen.
Dort unten gab es Eis, wie er gehört hatte, erbarmungslose Kälte, Einsamkeit, eine Hölle, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen konnte.
Eine gigantische Woge hob die „Isabella“ in diesem Augenblick hoch empor, versetzte das Schiff um die halbe Längsachse und warf es wie ein Stück Treibholz in einen schaumigen, brüllenden Abgrund hinunter, in einen Kessel, in dem es kochte und brodelte.
Ein harter Ruck ließ das Schiff erzittern. Eine Sekunde lang stand es völlig still, dann schob sich eine gläserne Wand über die Galeone, schmetternde Schläge erklangen, als flögen alle Planken einzeln davon.
Der Brecher überrannte das Ruderhaus, warf die Männer durcheinander und zersplitterte die Bleiglasscheibe, deren Scherben nach allen Seiten flogen.
Die Seekarten schwammen im Ruderhaus, das Wasser lief nur sehr langsam ab, und Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, kam mühsam auf die Beine.
„Verdammt“, sagte er wütend, „das hat uns einiges gekostet.“
Zwischen zwei heranrollenden Wellenbergen sah er zum Besan. Die Gaffelrute war zersplittert, das aufgegeite Lateinersegel hing in Fetzen daran. Es sah aus wie ein alter Lappen.
Aber zu seiner großen Verwunderung standen die beiden Sturmsegel noch, wie er ungläubig feststellte.
Hasard klaubte die nassen Seekarten zusammen, legte sie auf den kleinen, von Tucker gezimmerten Tisch und strich sie glatt.
„So geht es nicht weiter“, sagte er ruhig, während er sich bei den wild rollenden Bewegungen des Schiffes einen festen Halt verschaffte. „Wir treiben weiter und weiter vom Land weg und werden dabei immer südlicher versetzt. Und während wir dahintreiben, zertrümmert die See unser Schiff zu einem Wrack.“
„Was sollen wir dann tun?“ fragte Ben Brighton. Er wischte sich mit einer fahrigen Bewegung das Salzwasser aus dem Gesicht. „In spätestens einer Stunde wissen wir nicht mehr, wo wir sind. Es wird schwerfallen, die Einfahrt zur Magellanstraße wiederzufinden.“
„Schiff drei Strich Backbord voraus!“ brüllte Dan O’Flynn aus Leibeskräften aus dem Großmars. Er war klatschnaß, die rollende wilde See, die über das Schiff hinweggedonnert war, hatte ihn fast verschlungen.
„Enter ab!“ schrie der Seewolf zurück. „Sieh zu, daß du an Deck kletterst. Der nächste Brecher nimmt den Mast mit, dann kann dir niemand mehr helfen!“
Dan nickte zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Aber er wollte eine bessere Gelegenheit abwarten, um abzuentern.
Jetzt erst sah sich Hasard nach dem anderen Schiff um. „Eiliger Drache über den Wassern“ konnte es nicht sein, sonst hätte Dan es gleich gemeldet.
Auf dem höchsten Punkt einer Woge sahen sie es dann. Eine dickbauchige kleine Galeone, ein Spanier war es, dessen Masten über Bord gegangen waren, an dessen Deck das Chaos herrschte und der vor Topp und Takel lenzte, seiner letzten Reise entgegen.
„Scheint niemand mehr an Bord zu sein“, sagte der Seewolf nach einem langen Blick durch das Spektiv. Zu sehen war die Galeone schlecht, dazu war die See zu bewegt, und die Schlingerbewegungen des Schiffes verhinderten es, ruhig das Glas zu halten.
Aber ab und zu sah er sie doch. Das war dann der Fall, wenn die „Isabella“ einen Wogenkamm erreicht hatte und ins Tal geschleudert wurde.
An Deck war wirklich niemand zu sehen, und Hasard berichtigte sich auch gleich selbst. Das Schiff lenzte nicht vor Topp und Takel, es war zum Spielball entfesselter Naturgewalten geworden, die es hin und her warfen. Das einzige Beiboot bestand nur aus zerfetzten Planken, von den Masten waren noch die Stümpfe zu erkennen, und es krängte so stark nach Steuerbord, daß es jeden Augenblick die See schlucken würde.
Der Kolderstock schwang hin und her, ein Zeichen, daß die Galeone auch kein Ruderblatt mehr hatte. Die Wellen hatten die Mannschaft allem Anschein nach über Bord gewaschen.
Die nächste Woge rollte heran, hob die stark krängende Galeone hoch und setzte sie dann so laut ins Wasser zurück, daß man das Krachen und Bersten bis hierher hören konnte.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann ihr Schicksal besiegelt war und sie unterging.
„Keine Überlebenden“, sagte Hasard im Selbstgespräch. „Und wenn es doch einige gibt, die in der See treiben, können wir ihnen auch nicht helfen.“
Die Männer nickten schweigend. Hier hatte die See erbarmungslos zugeschlagen und viele Männer den Tod gefunden.
Was machte es da schon für einen Unterschied, ob es Spanier oder Engländer waren? Geholfen hätten sich die Todfeinde gegenseitig, in solchen Augenblicken war der Haß vergessen, da zählte nur der Seemann, das war ungeschriebenes Gesetz, auch wenn es ab und zu Ausnahmen gab.
Nein, sie sahen in der aufgewühlten See keinen einzigen treibenden Mann, man hätte ihn zwischen den hochgehenden Wogen auch ohnehin nicht entdeckt.
Jetzt tauchte das zerschlagene Schiff ein zweites Mal auf.
Die Blinde, Bugspriet und Galionsfigur fehlten, im Rumpf klaffte ein großes Loch, in das Seewasser in riesigem Schwall hineinschoß.
Es drückte den Spanier immer mehr zur Seite, bis er wie ein wundes Tier auf der Seite lag und sein zerfetzter Rumpf sich in ungleichen Zügen hob und senkte.
Ferris Tucker ging der Untergang eines Schiffes immer ganz besonders an die Nerven. Vielleicht, weil er mit dem Holz, aus dem sie gebaut waren, verwachsen war, vielleicht aber erinnerte ihn der Anblick auch an einen sterbenden Menschen.
Das Deck war jetzt überspült, es neigte sich der Wasserfläche zu, die Maststümpfe berührten die Oberfläche.
Die nächste See brachte den müden, voll Wasser gelaufenen Schiffsrumpf nicht mehr nach oben. Sie überrollte den Spanier, drückte ihn weg und riß ihm noch ein paar Planken aus dem Leib.
Hasard setzte das Spektiv ab und suchte nach einem Halt, denn jetzt setzte ihnen das Meer wieder höllisch zu.
„Die Galeone ist gesunken“, sagte er.
Niemand sprach ein Wort. Durch das zerschlagene Fenster sahen sie zu, wie Dan O’Flynn geschickt aus den Wanten abenterte und die nächste Gelegenheit nutzte, um an Deck zu springen. Gischt hüllte ihn ein, er war durchgefroren und klamm, als er sich an den Strecktauen mühsam seinen Weg nach achtern bahnte.
Am Niedergang zum Achterkastell riß ihn fast eine Woge fort. Dan verkrümmte seinen Körper, bis er ganz flach wurde, hielt die Luft an und wartete, bis das Inferno aus salzigem kalten Wasser über ihn hinweggerauscht war. Klatschnaß erschien er im Ruderhaus.
„Ist das ein Wetter“, murmelte er. „Da ist mir ja fast die grüne Hölle am Amazonas lieber.“
„Hör bloß auf damit“, brummte Tucker. „Das eine ist so schlecht wie das andere.“
„Hast du treibende Leute in der See gesehen?“ wandte sich der Seewolf fragend an Dan.
„Keinen einzigen Mann. Die Brecher müssen sie schon lange vorher über Bord gespült haben. Vermutlich wollte der Spanier ebenfalls in die Magellanstraße segeln.“
„Vom schwarzen Segler hast du auch nichts gesehen?“
„Keine Spur“, erwiderte Dan müde. Er fühlte sich nach der kurzen Zeit im Ausguck wie zerschlagen. Alle Knochen taten ihm weh. Dort oben war die Hölle. Man wurde hin und her geschleudert wie an einem riesigen langen Stab, der direkt in den Himmel wuchs.
Um sie her war alles grau in grau. Schwarze Wellen wechselten mit grauen ab, dann wieder rollten schäumende, dunkelgrüne Seen heran. Über allem hing ein Himmel, der direkt über dem Schiff zu schweben schien. In den Luvwanten tobte sich der Wind aus, er ließ die Taljen und Blöcke gepeinigt knarren und ächzen.
Jedermann hatte das Gefühl, als würde die „Isabella“ leben und mit Ächzen und Stöhnen, Wimmern und Klagen gegen den höllischen Seegang protestieren, der sie quälte und folterte, der immer wieder versuchte, ihr die Planken aus dem Leib zu reißen, sie zu verwunden oder zu töten.
Die Gesichter wurden immer besorgter. Niemand wußte mehr, wo sie sich jetzt befanden. Waren sie schon unterhalb im südlichen Bereich der Magellanstraße, oder hatte der brüllende Sturm sie in eine andere Richtung versetzt?
„Wir müssen noch eins der Sturmsegel einholen“, sagte Hasard. „Wir haben vorn zuviel Druck auf dem Bug.“
Tucker, Carberry, Batuti und Dan verloren kein Wort. Es ging um ihrer aller Sicherheit, denn wenn der Mast das Segel nicht mehr trug, würde es ihnen ähnlich ergehen wie dem Spanier, der gerade sein Leben ausgehaucht hatte und jetzt zu seiner letzten Reise auf den Grund des Meeres unterwegs war.
Es wurde eine Schinderei, eine mühsame Schufterei, das Sturmsegel einzuholen. Sie konnten nur mit einer Hand arbeiten, die andere brauchten sie zum Festhalten.
Als Ed Carberry, der Profos, das Einholen des Sturmsegels kommentarlos zulassen wollte, fing Dan an zu protestieren.
„He, Ed“, sagte er unwillig, „wie, zum Teufel, sollen wir das Ding aufgeien, wenn deine Sprüche fehlen, he?“
„Ja, da habt ihr recht, ihr lausigen Kakerlaken“, brummte der Profos. „Beeilt euch gefälligst, sonst ziehe ich euch die Haut in Streifen von euren verdammten Affenärschen! Und hoffentlich klarierst du lausiger Decksaffe bald die Nagelbank!“ brüllte er Batuti an, der grinsend seine weißen Zähne zeigte.
„Wenn Profos groß Maul, Segel gehen viel schneller“, sagte der Gambianeger und klapperte mit den Zähnen, weil ihn jetzt ganz erbärmlich fror.
Nachdem das Sturmsegel dichtgeholt worden war, versuchten die Männer, sich wieder auf das Achterdeck zurückzukämpfen. Es wurde ein Spiel mit dem Leben, doch kurz vor dem Niedergang blieb der Profos stehen und sah sich um.
„Wo ist Bill?“ fragte er.
Dan zeigte nach vorn. „Der ist schon vor einer halben Ewigkeit nach vorn gegangen.“
Carberry kämpfte sich wieder zurück. Er fletschte die Zähne, als ein Brecher ihm die Beine unter dem Leib wegriß, er fluchte und tobte, bis er endlich vorn angelangt war.
Mit dem Aufreißen des Schottes begleitete ihn ein Wasserschwall nach unten.
Bill lag in seiner Koje und hatte sich mit den Füßen darin verkeilt, um nicht durch die wilden Bewegungen hinausgeschleudert zu werden. Sein Gesicht war grün, der Profos erkannte es trotz des dämmerigen Lichtes, das hier herrschte.
„Was ist denn los, Junge?“ fragte er, während er sich wie ein Hund schüttelte, daß die Tropfen nach allen Seiten flogen.
„Mir ist schlecht“, erklang es kläglich aus der Koje. „Mir ist sterbenselend.“
Der schmächtige, dunkelhaarige Schiffsjunge sah den Profos an, als wolle er sterben. Immer wieder schluckte er und kämpfte mit aufsteigender Angst und Panik.
Der rauhbauzige Profos strich ihm mit seiner gewaltigen Pranke über die Haare.
„Das ist doch kein Grund zum Kotzen“, brummte er. „Das bißchen Wind hat nichts zu bedeuten, und die Wellen erst recht nicht. Du bist ganz einfach seekrank, mein Junge, das gibt sich wieder.“
„Aber ich war noch nie seekrank, Sir! Mir dreht sich dauernd der Magen um. Ich glaube, wir saufen ab!“
„Dann bist du aber der einzige, der das glaubt“, polterte Carberry. „Auf dem Achterdeck würfeln sie vor Langeweile und saufen Rum, erzählen sich Witze und lassen sich die Sonne auf die Bäuche scheinen. Und du liegst hier und jammerst!“
„Es wird schon besser, Sir, glaube ich wenigstens. Sind wir bald in der Magellanstraße?“
„Das dauert noch ’ne Weile, nur nichts überstürzen. Bleib ruhig liegen, ich seh später nach dir!“
„Vielen Dank, Sir!“ rief der Junge ihm nach, „Sie glauben wirklich nicht, daß wir untergehen?“
„Besteht dazu vielleicht ein Grund, Kerl! Sieh dir doch das Schiff an, ist es schon jemals untergegangen?“
„Nein, Sir!“
„Na also! Haben wir nicht schon so manchen Sturm abgeritten?“
„Ja, Sir!“
„Na, siehst du! Diesen reiten wir auch ab! Und wenn du noch mal jammerst, dann ziehe ich dir das Fell über die Ohren, du lausiger Pökelhering!“
Der Junge grinste schwach. Er kannte den Profos und auch seine rauhe Art. Er meinte es nie so hart, wie er es sagte, und das beruhigte den Jungen ungemein, der seine Angst nicht zeigen wollte.
Mit einem Grinsen auf den Lippen verschwand der Profos. Bill fand, daß er es glänzend verstand, einem die Angst zu nehmen, gerade seine rauhe Art, das Poltern, und weil er alles ins Lächerliche zog oder bagatellisierte. Von wegen auf dem Achterdeck würfeln oder sich langweilen, dachte der Junge, die hatten bestimmt alle Hände voll zu tun, um das Schiff auf dem Wasser zu halten.
Richtig stolz war er jetzt und unterdrückte den Brechreiz, der ihm immer wieder den Magen umkrempelte, als würde eine große Faust ihn zusammenpressen. Jetzt fühlte er sich schon besser, und mit einem zaghaften Grinsen sah er dem entschwindenden Profos nach.
Als Carberry wieder aufs Achterkastell enterte, hatten die Gesichter der anderen noch nichts von ihrer Besorgnis verloren.
Der Seewolf hob die Schultern, die Karten hatte er weggelegt.
„Ich möchte wissen, wo wir sind“, sagte er. „Der Sturm muß uns schon um etliche Meilen versetzt haben. Wir werden später, sobald die See sich etwas beruhigt, einen zweiten Anlauf nehmen, und dann soll es mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht in die verdammte Magellanstraße segeln.“
Langsam kam die Nacht, es wurde dunkel, doch das Wetter änderte sich nicht. Immer noch ging die See haushoch, immer noch heulte und tobte der Sturm, der die „Isabella“ vor sich herblies, ohne daß sie ihm Widerstand entgegensetzen konnte.
Die Seewölfe kamen aus ihren nassen Klamotten nicht heraus. Die Nacht brachte neue Schrecken mit sich.