Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 61 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Der Weg in die Felsen wurde beschwerlich. Es gab keinen Pfad, sie mußten sich durch Büsche, Dickicht und teilweise verfilzten Wald kämpfen. Zum Glück gab es keine fliegenden Plagegeister. Nur große, bunte Vögel flogen überraschend hoch, krächzten protestierend und flatterten träge davon, um sich woanders niederzulassen.

Der Strand war aus ihrer Sicht verschwunden, auch die Passage war nicht mehr zu sehen, obwohl sie immer höher kletterten.

Nach einer knappen halben Stunde Marsch begann die Vegetation spärlicher zu werden. Vor ihnen lag ein erhöhtes Felsengewirr, in dem nur ab und zu Büsche und kakteenähnliche Gewächse standen.

Es war jetzt Mittagszeit. Die Sonne stach senkrecht vom Himmel, die dunklen Lavafelsen strahlten die gespeicherte Wärme tausendfach zurück. Die Landschaft wurde gespenstisch, wenn die Felsen scharfe Schlagschatten warfen.

„Hier oben finden wir bestimmt kein Wasser“, sagte Hasard und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Aber wir erhalten einen prächtigen Überblick über die Insel.“

Jetzt gab es rechts und links nur noch Felsen, über die singend ein leichter Wind strich. Sie näherten sich der Südseite. Das Gewirr der Felsen wurde dichter, rechts und links ragten sie in den Himmel, immer mehr, immer spitzer und höher wurden sie.

Nach ein paar weiteren Minuten hatte Hasard den Scheitelpunkt erreicht. Er blieb stehen, während die anderen folgten. Ein einmalig schöner Ausblick bot sich ihnen.

Soweit der Blick reichte, erstreckte sich endlos das blaue Meer in seiner ganzen Pracht. Die Insel lag wie ein gewaltiger Bienenkorb darin.

Zwanzig Schritte vor den Seewölfen fiel es steil ab. Klippen, die senkrecht ins Meer ragten, wurden von Brandungswogen angelaufen, Schaumkronen bildeten sich und man hörte deutlich das leichte Grollen der Brandung.

„Von dieser Seite kommt niemand an die Insel heran“, meinte Ben versonnen. „Und von links auch nicht. Da gibt es nur Klippen, steile Felsen und Stein, sonst nichts. Die Insel scheint eine uneinnehmbare Festung zu sein. Kein Schiff würde sich auch nur in die Nähe dieser Klippen trauen.“

„Ganz sicher nicht“, sagte Hasard. „Der einzige Zugang ist die Passage, und selbst da kann man nicht hindurchsegeln.“

„Nur, wenn man der Seewolf persönlich ist“, sagte Carberry grinsend.

Hasard blickte in die Runde. Mit dem Finger deutete er nach links.

„Wir gehen im Bogen zurück, so daß wir uns jetzt von der anderen Seite der Bucht nähern. Ich bin gespannt, wie es dort aussieht!“

Zwischen den Felsen bahnten sie sich ihren Weg. Es ging jetzt in einem sanften Bogen leicht bergab, wobei sich auch gleichzeitig der Charakter der Landschaft veränderte. Die Felsen bildeten eine schmale Gasse, standen nicht mehr vereinzelt herum, waren jetzt massiver.

Unter ihren Stiefeln knirschte das erstarrte Lavagestein. Es war so porös, daß ein paar Männer pausenlos fluchten, als es unter ihren Schritten leicht nachgab und zerbröckelte.

Ganz plötzlich blieb der Seewolf stehen und lauschte. Er hatte ein merkwürdiges Geräusch vernommen. Er hob die Hand, die anderen verharrten ebenfalls ruckartig.

Eine seltsam klagende Melodie erfüllte die Luft. Wie Sirenengesang, dünne hohe, sehr weit entfernte Stimmen waren zu hören, die ein melodisches Lied anstimmten.

Carberry spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rükken.

„Verdammt! Geht denn das schon wieder los?“ fragte er erbittert. „Was mag das nur sein?“

„Halt doch mal den Mund!“ fuhr ihn Hasard an.

Das klagende Geräusch rückte mal näher, dann schien es wieder sehr weit entfernt zu sein. Seltsam hohl klingende Töne mischten sich ständig dazwischen, dann wieder hörte es sich an, als wenn man über den Hals einer leeren Flasche blies.

„Äolsharfen“, sagte der Seewolf nach einer Weile. „Der Wind fängt sich in ihnen und bringt sie zum Klingen.“

Er blickte zurück, zu den höherliegenden Felsen.

In dem Lavagestein befanden sich Löcher, einige mannsgroß, andere nur sehr klein. Vor und hinter ihnen standen andere Felsen, deren Löcher sich teilweise überdeckten. Und durch sie strich leise und klagend der Wind, der diese melodischen Töne erzeugte, die sich jedoch unheimlich und fremd anhörten.

„Eine natürliche Erscheinung?“ fragte der Profos mißtrauisch.

„Kein Grund zur Beunruhigung. Wenn kein Wind geht, wirst du diese Musik nicht hören, Ed.“

„Ich kann gern darauf verzichten“, murrte der Profos. „Hört sich nach Totengesang an!“

Hasard ging weiter, einem natürlichen Pfad folgend, den Regen, Wind und Wetter geschaffen hatten. Sie folgten einer Biegung, beruhigt, daß sich die Musik als etwas Natürliches herausgestellt hatte, als der zweite Schock folgte.

Diesmal traf er Hasard völlig unvorbereitet. Er blickte auf eine Felsenfläche und konnte nicht glauben, was er dort sah.

Das Schlangenzeichen! Dort war es in den Felsen geritzt!

„Mich – mich trifft der Schlag“, stammelte Dan O’Flynn ungläubig. „Wie kommt das denn hierher?“

„Wenn ich das wüßte“, murmelte Hasard tonlos. Das war eine Überraschung, die selbst den Seewolf fast umwarf.

Die Hohepriesterin Arkana, das Mädchen, das ihm auf der Insel Mocha das Leben gerettet hatte – sofort stand ihr Bild vor seinen Augen. Ihre schwarzen Haare, die dunklen Augen, die hochgewachsene schlanke Gestalt, die Nacht im Schlangentempel mit Arkana – Arkana, immer wieder Arkana, das Indianermädchen, das ihn gesund gepflegt hatte. Der Schlangengott in dem unheimlichen Tempel.

Wie ein Schleier legte es sich über seine Augen und sekundenlang stand Wehmut darin. Kramphaft versuchte er, sich an Einzelheiten zu erinnern, und immer wenn er glaubte, das Bild wäre deutlich, dann schob sich ein feiner Schleier dazwischen, der die Erinnerung weit fortzudrängen schien in eine andere Welt, die Hasard vertraut und bekannt vorkam, deren Konturen sich aber immer wieder leicht verzerrten.

Arkana! hämmerte es in seinem Schädel. Mocha, die Insel ... Und dann hatte sie ihm den Armreif geschenkt, den Ring züngelnder Schlangen aus purem Gold, wie sie ihn auch um ihren Kopf als Reif trug. Er entsann sich des Bildnisses der Statue, den goldenen Schlangengott, der sich in der Mitte des Gewölbes um eine nackte, aus Bronze gearbeitete Indianerin ringelte, die Arkanas Züge trug. Um die Statue ringelten sich in weitem Kreis goldene Schlangen, die eine Anzahl kupferner, in blaßblaue Flammen getauchte Schalen einschlossen. In seinem Schädel war ein dumpfes Pochen, ein Hämmern, ein Druck, der ihm den Kopf zu zersprengen drohte.

Arkana ... Wie lange war das schon her? Einen Monat, ein Jahr, Jahrhunderte? Ewigkeiten?

Arkanas Bild verblaßte wie ein Schemen, dafür hoben sich um so deutlicher die Konturen dieser Zeichnung an dem Fels hervor. Es ähnelte in allem der Statue des Schlangengottes.

Das konnte kein Zufall sein, dachte der Seewolf wie betäubt.

„Araukaner“, hörte er den Profos wie aus nebelhafter weiter Ferne sagen. „Genau das Zeichen befindet sich auf deinem Armreif, Hasard!“

„Ja, ich weiß! Sehr eigenartig. Mir kam es so vor, als wäre ich soeben weit weg gewesen.“

Seine Gestalt straffte sich, der Nebel vor seinen Augen zerstob. Augenblicklich fand er wieder in die harte Wirklichkeit zurück, wo es keine Arkana gab, wo man gefangen war und Wasser suchte, um zu überleben und nicht elend zu verdursten.

„Sollten die Araukaner hier auf diese Insel ...“ begann Ben, unterbrach sich aber gleich darauf selbst. „Quatsch! Wie sollen die wohl hierher gelangt sein?“

„Und die Feuerstellen?“ hielt Hasard dagegen. „Von wem mögen die wohl stammen?“

„Ich kann mir schlecht vorstellen, wie dieser Stamm der Araukaner sich so weit vorgewagt hat. Zählt man aber die Feuerstellen und dieses Zeichen zusammen, so gibt das zwei und zwei, also gleich vier. Die Annahme ist logisch. Nur – wo sind sie?“

„Wir werden sie suchen, denn wenn es Araukaner waren, dann müssen sie auf der Insel sein und können ihr kaum alle paar Wochen einen Besuch abstatten. Es sei denn, sie wären früher schon einmal hiergewesen und sind wieder verschwunden.“

So richtig befriedigte Hasard diese Theorie auch nicht. Aber er brauchte etwas, woran er sich klammern konnte.

Er ging näher an die Felswand heran, betastete mit den Fingern das Zeichen und schüttelte immer wieder den Kopf, weil er einfach nicht begriff, was sich hier abgespielt hatte.

„Gebt acht“, schärfte er den Männern ein. „Ihr wißt, wie gefährlich die Araukaner damals waren. Es kann sein, daß uns bereits etliche Augenpaare belauern.“

Nervös sahen die Männer sich um. Aber nichts rührte sich, die Insel blieb ruhig wie ein großes Tier, das auf der Lauer lag und erst dann zuschlagen würde, wenn niemand es erwartete.

Nach einem letzten Blick auf das Schlangenzeichen ging Hasard weiter. Immer wieder kreisten seine Gedanken um das Symbol und um die Frage, wie die Araukaner wohl hierher gelangt sein mochten. Er sah an den Gesichtern seiner Leute, daß auch sie diese Frage pausenlos beschäftigte und sie sich ständig nach allen Richtungen umdrehten.

Es ging jetzt tiefer hinab. Auf den Felsen wuchsen Pflanzen, Blumen und große Büsche. Der Boden wurde noch poröser. In einem geschwungenen Bogen würden sie bald wieder auf den Strand stoßen, diesmal von der Seite her, die den urwaldähnlichen Charakter hatte.

Dan O’Flynn hob die Hand. Er zeigte zu den rechts neben dem Pfad verlaufenden Gebüsch.

„Wasser!“ schrie er. „Da muß eine Quelle sein!“

In die Seewölfe kam Bewegung. Der Durst strapazierte sie schon eine ganze Weile, nur hatte ihn jeder unterdrückt, so gut es ging.

Deutlich war ein leises Murmeln zu hören, ein Plätschern und leichtes Rauschen, das ihnen wie liebliche Musik in den Ohren klang.

„Langsam, nichts überstürzen“, hielt sie die Stimme des Seewolfs zurück. „Denkt immer an die Feuerstellen und das Schlangenzeichen!“

Dan zerteilte die Büsche und schob sich hindurch, gefolgt von den anderen, die sich erst vergewisserten, daß niemand zu sehen war. Diesmal war es eine angenehme Überraschung, die ihnen bevorstand. Nicht weit vor ihnen, im schimmernden Grün von Büschen und fremdartigen Gewächsen verborgen, sprudelte kristallklares Wasser aus einer kleinen Höhle. Es bildete einen Bach, danach einen kleinen Tümpel und verschwand dann wieder unter dem Pflanzengrün.

Ein Aufschrei der Freude ertönte. Während Hasard nach allen Seiten sicherte, stürzte sich die durstige Meute der Seewölfe in das kühle Naß.

Carberry stöhnte vor Wonne. Mit ausgebreiteten Armen hing er in dem kleinen sprudelnden Bach und trank.

Die anderen lachten und tobten ausgelassen herum. Sogar Big Old Shane brachte es nicht über sich, einfach nur so dazustehen. Mit seinen mächtigen Händen schaufelte er Wasser, goß es sich über den erhitzten Körper, beugte sich nieder, trank wie ein Verdurstender.

„Wasser! Sie hatten Trinkwasser entdeckt!

Von Hasard fiel eine dumpfe Beklemmung ab. Das, was ihnen die allergrößte Sorge bereitet hatte, das Fehlen von Wasser, jetzt hatten sie es genügend und reichlich.

Auch er trank in langen Zügen.

„Gleich nachher werden wir Wasser mannen“, sagte er. „Der Weg hierhin ist nicht weit. Wir werden alles an Fässern herschleppen, was wir an Bord haben.“ Er lächelte leicht und reckte die Schultern.

„Ich denke, wir werden es auf dieser Insel schon eine Weile aushalten. Wir haben alles, was wir zum Leben benötigen, auch wenn wir vorerst nicht mehr wegkommen. Fische, Vögel, Schildkröten, Früchte und klares Wasser. Ist das nichts?“

„Wir haben mehr Glück als Verstand“, gab Ben ihm recht. „Notfalls können wir hier jahrelang hausen.“

„Jetzt aber weiter. Wer noch Durst hat, soll noch einmal trinken. Ich möchte sehen, wie der Weg wieder zur Bucht führt. Es ist besser, wenn wir gleich soviel wie nur möglich erkunden, dann stehen uns auch keine unangenehmen Überraschungen bevor.“

Es war kein Weg und kein Pfad mehr, auf dem sie jetzt marschierten. Es ging teilweise über Felsen, dann wieder zwischen Büschen hindurch. Mitunter versperrten ihnen große Felsbrocken den Weg, überzogen von wild wuchernden Pflanzen, die sich um die Felsen geklammert hatten. Aasblumen reckten sich ihnen entgegen, und jedesmal zogen die Männer angewidert die Köpfe vor dem verwesenden Geruch ein.

Hasard versuchte den sprudelnden Bach wiederzufinden, aber er schien auch weiterhin unterirdisch zu verlaufen, denn er tauchte nicht mehr auf. Außerdem bestand der Untergrund jetzt wieder teilweise aus spitzen scharfkantigen Felsen, über die sich schlecht laufen ließ.

Einmal war Hasard, als höre er einen nachhallenden Gong.

Er sah Ben an, aber der grinste nur. Dann, beim zweitenmal, erklang der Gong ferner und dumpfer. Man mußte schon genau hinhören, wenn man das Geräusch vernehmen wollte.

Hatte er sich geirrt? Keiner seiner Leute reagierte, und so ging der Seewolf wieder weiter, nachdem er einmal kurz stehengeblieben war. Vielleicht hatte er sich doch getäuscht.

Er dachte an das Wasser, das sie nachher holen wollten. Der Profos konnte diese Aktion sofort starten, sobald sich herausgestellt hatte, daß diese Insel nicht bewohnt war.

„Profos!“ sagte er.

Keine Antwort.

Hasard drehte sich um. Carberry befand sich direkt hinter ihm.

„Mister Carberry!“ rief er scharf.

Zu seiner großen Verwunderung befand sich der Profos nicht mehr hinter ihm. Er war auch nicht mehr zu sehen.

„Jetzt soll doch gleich der Teufel ...“ fluchte Hasard.

Da war wieder dieser merkwürdige dumpfe Gong, den jetzt auch die anderen deutlich vernahmen. Und dazwischen mischte sich – immer lauter werdend– ein unheimliches Pfeifen und Gurgeln.

Es schien aus den Felsen zu ertönen, nur verfing sich hier kein Wind mehr in ihnen.

Stumm und bleich sahen die Seewölfe sich an. Der Gong dröhnte weiter, hallende Schläge, die sich nun im gleichen Rhythmus ständig wiederholten.

„Wo ist der Profos?“ schrie Hasard.

„Eben war er noch da“, murmelte Dan. „Er ging ein paar Schritte hinter dir her.“

„Das wird ja immer unheimlicher“, sagte Matt Davies. „Verdammt, diese Insel behagt mir gar nicht mehr. Hier ist alles viel zu perfekt.“

Zwischen seinen Worten dröhnte immer noch der Gong, dessen dumpfe Töne von überall und nirgends erklangen.

Der Profos war spurlos verschwunden, von einer Sekunde zur anderen hatte er sich buchstäblich in Nichts aufgelöst.

Hasard rasten die verrücktesten Gedanken durch den Kopf. Die Indianer hatten eine hinterhältige Taktik entwickelt, wenn Weiße in ihr Revier eindrangen. Den jeweils am Schluß gehenden letzten Mann ließen sie verschwinden oder brachten ihn um.

Aber das alles hatte sich so lautlos abgespielt, und daher wirkte es auch so unheimlich.

Hasard legte die Hände an den Mund. Wild sah er sich um.

„Carberry!“ brüllte er mit seiner Donnerstimme.

Der unsichtbare Gong hallte pausenlos dazwischen, überlagert von dem Pfeifen und Gurgeln, das aus dem Boden zu dringen schien.

Immer noch keine Antwort. Hasard zog seine Radschloßpistole und suchte aus schmalen Augen einen unsichtbaren Gegner, den noch keiner gesehen hatte, der sie aber ständig zu belauern schien.

Die Insel schwieg, nachdem seine Stimme verklungen war. Nur der Gong schlug weiter, von einem Unsichtbaren geschlagen, der sich anschickte ihnen das Grauen beizubringen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 61

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