Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 64 - Fred McMason - Страница 4

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Eine sanfte Dünung bewegte sich unter einem handigen Nordwestwind, der die „Isabella VIII.“ über Backbordbug liegend, unaufhaltsam ihrem Ziel entgegenschob – der Schlangen-Insel.

Es war der einundzwanzigste April 1581. Die Sonne, ein großer, flammender Ball, stand im Zenit.

An Bord der „Isabella“ herrschte immer noch Hochstimmung. In ihren Laderäumen ruhten Perlen, Gold- und Silberbarren, die Hasard in einem waghalsigen Manöver den Spaniern abgenommen hatte.

Ben Brighton, Sam Roscill und der Seewolf, hatten sich von einem spanischen Preßkommando auf das spanische Flaggschiff „Flor de Espana“ anheuern lassen und es nach einem listenreichen Manöver „übernommen“. Noch weitere Silbergaleonen waren ihnen in die Hände gefallen. Jetzt ruhte die Beute im Laderaum der „Isabella“ und der andere Teil befand sich an Bord des Zweimasters der Roten Korsarin.

Hasard stand neben Ben Brighton auf dem Achterkastell. Der Seewolf suchte die See mit dem Spektiv ab.

Fremde Schiffe waren nicht zu sehen. Nur ganz hinten, am Horizont, tauchten die blutroten Segel des Zweimasters auf, den Siri-Tong, die Rote Korsarin, befehligte.

Das Schiff mit der roten Lateinertakelung holte rasch auf. Es war klein, aber schnell und wendig.

„Uns bleibt noch eine knappe Stunde Zeit“, sagte Ben Brighton besorgt. „Bis dahin müssen wir die Passage durchsegelt haben.“

„Wir schaffen es noch“, versicherte der Seewolf. „Und die Rote Korsarin schafft es selbst in ein paar Stunden noch.“

Pete Ballie, der Rudergänger, drehte gerade die Sanduhr um, die jede halbe Stunde anzeigte.

Die Schlangeninsel war bereits in Sicht. Himmelhoch ragten die mächtigen schroffen Felsen aus dem Meer auf. Unmöglich für jedes Schiff, an diese teuflischen Klippen heranzusegeln, und noch unmöglicher war es, die schmale Passage zu durchsegeln, wenn man das Geheimnis der Inseln nicht kannte.

Die Seewölfe kannten es, die Rote Korsarin auch, sie kannte es schon länger, und doch war es jedesmal ein unheimliches und beängstigendes Erlebnis die Passage zu durchfahren.

Außer dem Seewolf selbst traute sich niemand das zu, selbst der ausgezeichnete Rudergänger Pete Ballie nicht.

Das Hindurchsegeln wurde immer zu einem Todesritt über messerscharfe Klippen, vorbei an scharfkantigen Felsen, überhängendem Gestein und reißendem Wasser. Fast immer riskierten sie das Schiff dabei.

Der handige Wind blies die schlanke Galeone schnell weiter. Ihr Bug hob und senkte sich, tauchte schäumend in die See, stieg dann wieder hoch, legte sich leicht nach Backbord über und wiederholte den Rhythmus beständig.

Es war eine Lust, zu leben, fand der Seewolf, noch dazu in diesem Teil der Welt, nahe den Caicos-Inseln, wo das Sargassomeer in die Karibische See überging, wo es die langen einsamen Strände mit den hohen Palmen gab, das blaugrüne Wasser, den tiefblauen Himmel und die strahlende Sonne.

Und dazu gab es dieses herrliche Schiff, die „Isabella VIII.“, den Rahsegler mit den schlanken, überhohen Masten, in den sich jeder von der Crew regelrecht vernarrt hatte.

Ein letztes Mal suchte der Seewolf das Wasser bis zum Horizont ab. Wäre ein anderes Schiff in der Nähe gewesen, dann hätten sie es nicht riskiert, die Insel anzulaufen, damit das Geheimnis gewahrt blieb.

Bedächtig schob er das Spektiv zusammen und reichte es Ben. Da traf ihn Pete Ballies fragender Blick.

Hasard lächelte dem Rudergänger zu. Er wußte den Blick des kleinen stämmigen Mannes zu deuten.

„Willst du es nicht versuchen, Pete?“ fragte der Seewolf.

„Lieber nicht“, wehrte Pete Ballie ab. „Wenn du am Ruder stehst, dann weiß jeder, daß wir heil hindurchsegeln. Du hast die besseren Nerven und außerdem mehr Geschick. Wenn ich dort persönlich hindurchsegele, dann springen die Kerle vorsichtshalber von Bord, weil sie vermuten, daß es Kleinholz gibt. Und dann sind wir das schöne Schiff los. Äh – wir sind schon ziemlich nahe dran“, meinte Pete lahm.

Hasard sah nach dem Stand der Segel. Alles stimmte. Ben Brighton, Ferris Tucker und Edwin Carberry, der Profos, waren immer darauf bedacht, daß die Stellung der Segel stimmte, daß der Wind geschickt ausgenutzt wurde, und daß man seine Arbeit so selbstverständlich verrichtete, damit niemand unnötige Befehle geben mußte.

Jetzt begann wieder der Nervenkitzel, als der Seewolf selbst das Ruder übernahm. Ein paar Männer versammelten sich auf dem Vorschiff, die anderen gingen an die Brassen und Schoten, um die Segel nach Durchfahren der Passage so schnell wie möglich aufgeien zu können.

Ferris Tucker lauerte auf der Back, um auf Hasards Zeichen den Anker zu werfen.

Nur noch ein paar hundert Yards bis zu der Passage. Der Wasserschwall, der in die dahinterliegende Bucht drängte, schob das Schiff mit ungeheurer Kraft voraus. Die Segel waren prall mit Wind gefüllt. Im stehenden Gut, den Wanten und Pardunen sang es leise.

Wenn der Seewolf jetzt auch nur noch um Handbreiten vom Kurs geriet, waren sie geliefert. Der reißende Wasserschwall, der handige Wind und die Wucht des schnell segelnden Schiffes würden ausreichen, um die Galeone total zu zerfetzen.

Immer mehr drängte das Wasser, immer stärker wurde der Flutstrom, der machtvoll durch die gefährlichen Klippen schoß.

Rechts und links rasten die Felswände näher, wahnsinnig schnell, als wollten sie das Schiff zermalmen.

Fast berührten sie die Bordwände.

Der Seewolf knüppelte die Galeone mit eiserner Hand hindurch und hielt das immer wieder leicht ausbrechende Schiff fest, bis es dem leisesten Druck des Ruders gehorchte.

Der Bug raste auf einen mitten im Wasser stehenden Felsen zu. Das war eine der gefährlichsten Stellen, die Hasards ganze Aufmerksamkeit und sein ganzes Können erforderte.

Wieder schlossen ein paar von ihnen die Augen, in der Annahme, gleich würde das berstende Krachen erfolgen. Blacky öffnete die Augen wieder und staunte wie die anderen auch.

Hasard war in einem eleganten Bogen um den schroffen Felsen herumgesegelt, haarscharf zwar nur, aber er hatte es wieder einmal geschafft. Einem wilden Ungeheuer gleich raste die „Isabella“ weiter in die Bucht.

Die Seewölfe kannten ihre Arbeit. Niemand konnte sich auch nur eine kleine Atempause gönnen, alles mußte blitzschnell gehen.

Die Segel wurden aufgegeit, Ferris Tucker ließ den Anker fallen. Zehn, zwanzig, dreißig Faden, schließlich vierzig. Sehr viel länger war die Ankertrosse auch nicht.

„Anker hält!“ brüllte der Schiffszimmermann nach achtern.

Die Fahrt nahm rapide ab, doch die Wucht, die Bewegungsenergie, die die „Isabella“ hatte, ließ sie in einem langen Bogen um das Ankertau schoien, bis sie schließlich zur Ruhe kam.

Pete Ballie atmete erleichtert auf.

„Das hätte ich nie geschafft“, gab er ehrlich zu. „Meine Nerven flattern jedesmal, wenn wir hier durchfahren.“

„Du mußt deine Nerven aufgeien“, sagte der Seewolf lachend. „Oder backbrassen, dann flattern sie nicht mehr!“

Vor ihnen lag auf Backbord der weiße Strand mit den Palmen, dem Dickicht und den dahinter ansteigenden Lavafelsen, unter denen sich der Schlangentempel verbarg, jener geheimnisvolle Tempel, über den sie immer noch nicht viel wußten, nur so viel, daß der Stamm der Araukaner-Indianer ihn vermutlich hier angelegt hatte.

Als an Deck alles klariert war, segelte die Rote Korsarin durch die Passage.

Die Seewölfe sahen die schlanke, schwarzhaarige Frau am Ruder stehen. Die blutroten Segel des Zweimasters waren ebenso prall vom Wind gefüllt. Das Schiff sauste haarscharf an den tückischen Klippen vorbei, tanzte wild über die sehr flache Barriere aus gewachsenem Fels, und glitt mit schäumender Bugwelle in die Bucht.

Hasard staunte über das seemännische Können Siri-Tongs. Allerdings hatte der Zweimaster wesentlich geringeren Tiefgang als die Galeone und war schmaler und nicht so lang wie die „Isabella“. Dennoch brachte sie jedemal ein haarsträubendes Kunststück fertig.

Auf dem Zweimaster fiel der Anker, das Schiff wurde langsamer und fuhr ebenfalls in einem Bogen auf die „Isabella“ zu.

„Ha“, sagte Stenmark, der blonde Schwede, zu Blacky, der am Schanzkleid lehnte und dem Manöver zusah. „Das Weib regt mich verdammt auf. Immer hat sie ihre verdammte rote Bluse zwei Knöpfe geöffnet. Weit und breit keine Weiber, nur sie …“

„Die hat doch nur Augen für Hasard, Mann. Oder hast du das noch nicht bemerkt? Ich schon, denn immer wenn sie sich unbeobachtet glaubt, schießt sie ihre feurigen Blikke auf den Seewolf ab. Aber du hast recht, die möchte ich …“

„Dir möchte ich auch gleich was“, grollte hinter ihm die Stimme des Profos auf. „Nämlich dir die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch abziehen. Und nun glotz nicht immer so, du lausiger Bock.“

Blacky drehte sich ärgerlich herum und musterte Carberrys zernarbtes Gesicht und sein gewaltiges Rammkinn, das jetzt angriffslustig vorgeschoben war.

„Man wird doch wohl noch glotzen dürfen, was, wie!“ äffte er den Profos nach. „Du würdest deine Augen ja am liebsten auf langen Stielen tragen, wenn die Kleine vorbeigeht!“

Ihr Geflachse wurde unterbrochen, als der Seewolf mit Ben Brighton in der Kuhl erschien, wo jetzt der größte Teil der Seewölfe versammelt war.

„Hört zu“, sagte Hasard zu den Männern, deren Unterhaltungen und Anzüglichkeiten augenblicklich verstummten. „Wir laden nachher die Beute ab, und zwar werden wir sie in dem Schlangentempel lagern, da ist sie am sichersten. Wir müssen also der Roten Korsarin unser Geheimnis mitteilen. Soviel ich weiß, hat sie von dem Tempel keine Ahnung. Was meint ihr dazu?“

Von der Besatzung hatten bis vor kurzem nicht viele gewußt, daß es den Schlangentempel gab. Der Profos hatte eisern geschwiegen und die Männer, die eingeweiht waren, ebenfalls. Erst nach und nach hatten sie es erfahren.

Carberry zuckte mit den Schultern, Ferris Tucker wiegte seinen rothaarigen Schädel hin und her, bei Ben Brighton blieb unklar, was seine vage Handbewegung ausdrücken sollte.

„Sie selbst ist bestimmt ehrlich“, sagte Dan O’Flynn. „Aber ihren verlausten Kerlen traue ich nicht über den Weg. Was meinst du, Shane?“ wandte er sich an den ehemaligen Waffenschmied von Arwenack.

Big Old Shanes imposante Gestalt mit dem eisengrauen Bart und dem haarigen Wald auf der Brust lehnte am Schanzkleid.

Wenn er sprach, tat er es bedächtig und überlegt.

„Wir sollten sie in das Geheimnis einweihen“, sagte er. „Sie hat das Geheimnis der Barriere offenbart, wir offenbaren unseres. Vorerst sieht es so aus, als würden wir auf lange Sicht miteinander arbeiten, und ich finde, da sollte es keine großen Geheimnisse geben.“

Das war Shanes Meinung. Die anderen überlegten nicht lange. Shane, der große Shane, hatte recht. Geheimniskrämerei würde nur zu bald zu offenem Mißtrauen führen, zu Streit und Hader.

„Gut“, entschied der Seewolf, „dann beginnen wir mit dem Umladen. Laßt die Boote zu Wasser!“

Während Smoky und Dan die Laderäume öffneten, ließen drei andere die Boote zu Wasser. Es würde eine lange und harte Arbeit werden, die ganze Beute an Land zu bringen und sie in dem Schlangentempel zu deponieren.

Etwas später erschien Siri-Tong an Bord. Einer der wüsten Kerle begleitete sie. Es war der Boston-Mann, den sie alle schon kannten, ein Engländer aus Boston, ein großer, hagerer Bursche, der im linken Ohr einen schweren goldenen Ohrring trug. An seiner rechten Hand fehlte der Daumen. Der Boston-Mann war schweigsam, er sprach kaum ein Wort. Unter seinem roten Kopftuch sah ein hartgeschnittenes, sonnenverbranntes Gesicht hervor. Wenn man bei einem der wilden Kerle von Ehrlichkeit reden konnte, dann bei ihm.

Die Rote Korsarin sprang leichtfüßig an Deck. Auf ihren Degen hatte sie diesmal verzichtet. Statt dessen trug sie ein Entermesser im Bund ihrer verwaschenen blauen Schifferhose. Ihre rote Bluse war am Hals zwei Knöpfe geöffnet und gab den Ansatz ihrer festen Brüste frei.

Schlagartig änderte sich die Stimmung. In der Nähe der mandeläugigen schwarzen Schönheit schien die Luft zu knistern. Blacky kriegte schon wieder Stielaugen, Stenmarks Blick ruhte hingebungsvoll auf der roten Bluse und Sam Roscill hatte anscheinend Schluckbeschwerden, denn ständig räusperte er sich die Kehle frei.

Siri-Tong war das Pulverfaß und die Seewölfe die glimmenden Lunten. Ihre gegenseitige Nähe konnte leicht zu einer Explosion führen, so jedenfalls hatte es einmal Old Shane ausgedrückt.

Sie lächelte spöttisch, als sie die Blicke sah. Diese Seewölfe verhielten sich ja noch einigermaßen diszipliniert. Wenn sie dagegen an die Kerle aus ihrer Crew dachte …

„Was zum Teufel, habt ihr verdammten Burschen denn plötzlich alle in der Kuhl zu suchen?“ schrie Ed Carberry. „Habe ich euch nicht gesagt, daß wir mit dem Ausladen beginnen, was, wie! An die Arbeit, ihr lüsternen Kakerlaken, oder ich werde euch die …“

„Bitte nicht“, fiel Hasard ein, „wir haben eine Lady an Bord.“

„… die – die Ei – Eierköpfe zusammenschlagen“, stotterte der Profos, der seinen Lieblingsspruch gerade noch bremsen konnte.

Die Männer flitzten auseinander. Carberry scheuchte sie an die Arbeit, so schnell es ging.

„Los, ’rauf mit dem Zeug!“ brüllte er lauter, als es nötig gewesen wäre. „In die Boote damit und ab zum Strand.“

Siri-Tongs Augen suchten Hasards Blick, versuchten ihn festzuhalten, doch der Seewolf blieb kühl und distanziert, er gab sich höflich und reserviert.

„Was gibt es?“ fragte er.

Ihre Mundwinkel zuckten, der leicht verschleierte Blick wurde klar. Sie ging sofort auf Distanz.

„Haben Sie sich schon überlegt, wo wir die Beute lagern werden?“ fragte sie.

„Im Schlangentempel“, erwiderte Hasard.

„Im – wo bitte?“

„Im Schlangentempel“, wiederholte Hasard lächelnd. „Wissen Sie nicht, daß es hier einen Tempel gibt, der so gut versteckt ist, daß wir ihn nur durch Zufall gefunden haben?“

Ihre Überraschung war echt. Erstaunt hob sie die Brauen.

„Davon haben Sie mir nichts gesagt“, bemerkte sie kühl.

„Bisher hatte ich auch keinen Grund dazu. Aber jetzt sollen Sie es erfahren, Madame!“

Ihre Augen blitzten zornig. Ihre kleinen weißen Zähne nagten an der Unterlippe.

„Hören Sie mit dieser ‚Madame‘ auf, ich kann es nicht mehr hören.“

Der Boston-Mann stand unbeteiligt dabei. In seinem kühn geschnittenen Gesicht zuckte kein Muskel. Nur einmal streifte der Blick seiner dunklen Augen hastig den Seewolf.

Hasard erklärte ihr die Lage des unterirdischen Tempels und berichtete von den Kavernen und Irrgängen, die sie entdeckt hatten. Als er endete, war sie total überrascht.

„Davon wußte ich wirklich nichts. Aber es scheint ein ideales Versteck zu sein. Ich schlage vor, wir lagern die Beute dort gemeinsam.“

„Genau das wollte ich auch vorschlagen“, entgegnete Hasard. „In den Kavernen steigt und fällt das Wasser im selben Rhythmus wie in der Bucht. Niemand kann dort eindringen, der Schatz ist absolut sicher gelagert und der Tempel selbst ist so angelegt, daß er auch bei hoher Flut nicht voll-läuft.“

„Ich hatte noch ein anderes Versteck“, sagte sie nachdenklich. „Es liegt auf der südlichen Seite, eine natürliche Höhle in den Klippen. Aber der Weg dorthin ist beschwerlich und lang. Daher halte ich Ihr Versteck für besser!“

„Ich auch“, meinte Hasard.

„Seien Sie nur nicht so überheblich“, fauchte sie. Es war erstaunlich, wie schnell sie sich über etwas ärgern konnte, und wie schnell sie wieder zur sanftmütigen Katze wurde.

„Schließlich haben Sie den Tempel nur durch Zufall entdeckt.“

„Aber immerhin entdeckt.“

Sie stieß zischend die Luft aus. Ihre Brüste unter der roten Bluse hoben und senkten sich vor Ärger, daß Hasard immer das letzte Wort behielt.

Aus diesem sonnenverbrannten, verwegenen Kerl wurde sie ohnehin nicht ganz schlau. Eine starke Faszination ging von diesem Seewolf aus, der sie sich nicht entziehen konnte. Doch er blieb immer kühl und distanziert. Lag es nur daran, daß er verheiratet war? Sie hatte es erfahren, auch daß Hasard Vater von Zwillingen war, die er nur kurze Zeit gesehen hatte.

Sie warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu. In ihren schwarzen Mandelaugen lag wieder das verhaltene Feuer. Noch einmal versuchte sie, seinen Blick festzuhalten, doch Hasard wich ihr aus und blickte zum Strand hinüber.

„Wir stapeln die Beute zuerst am Strand“, sagte er, „und dann bringen wir sie in die Felsen hoch. Bis wir alles versteckt haben, wird der ganze morgige Tag vergehen. Es ist verdammt viel.“

„Ja, es ist verdammt viel“, gab sie lächelnd zu. „Ohne Sie und Ihre Männer hätte ich nicht ein Zehntel der Beute erwischt. Und ohne Sie wäre dieser Hurensohn Caligu immer noch am Leben“, fügte sie leiser hinzu. „Sie haben viel für mich getan, Hasard.“

Sie trat einen Schritt näher an den Seewolf heran. Hasard sah, wie sie schneller atmete, wie sich ihr Blick in seinen Augen festbrannte. Die Kleine war wirklich das Pulverfaß, dachte er. Und es würde eine verdammt heiße Explosion werden.

Abrupt wandte er sich um. Er sah das mißtrauisch verzogene Gesicht des alten O’Flynn, der mißbilligend herüberstarrte und der Roten Korsarin einen wütenden Blick zuwarf. Er sah aber auch die anderen Gesichter seiner Leute.

Stenmark grinste hinterhältig, Ben Brighton verkniff sich das Grinsen nur mühsam, Batuti zeigte seine schneeweißen Zähne, und Matt Davies kratzte sich mit seinem Haken, der seine fehlende rechte Hand ersetzte, über die Bartstoppeln.

Bob Grey und Jeff Bowie stießen sich heimlich an.

„Mann, hat die Kleine Feuer gefangen“, raunte Bob. „Die bringt hier noch alles durcheinander. Die ist auf Hasard schärfer als ihr Degen, sage ich dir!“

„Du hast vielleicht dämliche Vergleiche“, knurrte Jeff. „Schärfer als ihr Degen – du spinnst wohl?“

„Ich hab das auch anders gemeint, du Hornochse. Was verstehst du schon von Liebe!“

Siri-Tong warf einen letzten Blick auf Hasard, dann wandte sie sich an den Boston-Mann, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte.

„Wir beginnen ebenfalls mit dem Ausladen. Wir fahren zurück!“

Die Männer warfen ihr begehrliche Blicke nach, als sie über das Schanzkleid stieg und ins Boot kletterte.

Stenmark und Luke Morgan lösten umständlich das Tau und behinderten sich gegenseitig, bis der Profos wieder einschritt, der mit in die Seiten gestemmten Fäusten schon eine ganze Weile zusah. Auf seiner Stirn schwoll die Zornesader.

„Was glotzt ihr Affenärsche ständig in das Boot, was, wie? Und weshalb kriegt ihr das Tau nicht los, he? Verzieht euch, ihr verlausten Hurenböcke, wenn ihr weiterhin so glotzt, hat das Mädchen in einer halben Stunde keine Brüste mehr! Ab mit euch!“

„Na, das kann ja heiter werden“, sagte Ben Brighton. „Wenn die sich noch öfter hier blicken läßt, fängt bald das ganze Schiff an zu brennen.“

Da war etwas Wahres dran, überlegte Hasard besorgt. Siri-Tongs Crew zeigte sich zeitweilig leicht aufsässig. Anzügliche Bemerkungen waren an der Tagesordnung. Und bei den Seewölfen war es nicht viel anders. Überall wurde sie angestarrt, mit begehrlichen Blicken verfolgt und regelrecht mit den Augen ausgezogen und verschlungen.

Kein Wunder! Eine einzige Frau unter einer Horde wilder, verwegener Kerle. Das konnte auf die Dauer nie gut gehen!

Hasard fragte sich, ob die Arbeit, die ihnen bevorstand, die Kerle wenigstens auf andere Gedanken bringen würde.

Die Laderäume waren geöffnet. Hasard sah sich noch einmal um.

Nein, die „Isabella“ hätte nicht mehr unterbringen können. Sie war bis an die Halskrause beladen.

Überall türmten sich Silberbarren. Auf der Backbordseite lagen in langen und hohen Reihen Barren aus reinstem Gold. Dazu kamen die Truhen mit den Perlen und anderen Kostbarkeiten.

Ein Schatz von unermeßlichem Wert.

Dann begann das Ausladen. Die ersten Barren wurden an Deck gehievt und von dort aus in die Boote verladen.

Als das erste Boot beladen war, legte Ferris Tucker ab und pullte es mit zwei anderen Männern zum Strand hinüber. Dort wurde das Silber wieder abgesetzt.

Stunde um Stunde verging. Barren um Barren wurde an Land gebracht und aufgestapelt. Schon bald lag ein unermeßlicher Schatz in dem feinen weißen Sandstrand.

Auch Siri-Tongs Männer pullten mit wertvoller Fracht an den Strand, fluchten, schrieen sich gegenseitig an, brüllten sich die Kehlen heiser. Sie wühlten gierig in den Schätzen.

Tucker sah zu ihnen hinüber und schüttelte den Kopf.

„Die reinsten Narren“, sagte er zu Dan. „Die Kerle sind vor lauter Gier halb verrückt. Sieh nur, jetzt werfen sie auch noch mit den Silberbarren herum!“

Dans Gesicht war verkniffen, als er entgegnete: „Mir gefällt das alles nicht, Ferris. Diesen lausigen Bastarden traue ich nicht über den Weg, und der Korsarin erst recht nicht.“

„Du meinst, sie ist nicht ehrlich?“

„Doch, das ist sie“, gab Dan widerwillig zu. „So meine ich es ja auch nicht. Es ist etwas anderes.“

„Du meinst, weil sie Hasard schöne Augen hinwirft?“

„Ja“, fluchte Dan, „und das gefällt mir überhaupt nicht. Immerhin ist Hasard mein Schwager, und dieses Weib kriegt ihn noch herum, darauf möchte ich wetten.“

„Ach so ist das“, sagte Ferris. „Hasard blieb bis jetzt aber immer kühl und zurückhaltend, oder ist dir das noch nicht aufgefallen?“

Dan gab keine Antwort. Er schmiß die Silberbarren in den Sand und sah erst dann auf, als sich einer aus Siri-Tongs Mannschaft näherte.

Den größten Teil der Leute kannten sie. Und wenn Dan diesen Kerl nur von weitem sah, stieg ihm das Essen wieder hoch.

Sidi Mansur blieb stehen und grinste schmierig. Mit den bloßen Füßen scharrte er unruhig im Sand, den hinterhältigen und verschlagenen Blick zu Boden gerichtet.

„Feine Beute, das, hä?“ sagte er. „Wie verteilt ihr denn das so auf die einzelnen? Hä?“

Dieses „Hä“ trieb Dan jedesmal auf die Palme.

„Wir verteilen es überhaupt nicht“, schnauzte er. „Vorerst gehört es uns allen. Und jetzt verschwinde, Kerl!“

„Hehe, werd bloß nicht frech!“

Ein verschlagener Blick traf Dan. Mansur trat noch einen Schritt näher und knuffte Dan vertraulich in die Rippen.

„Sag bloß, du zwackst dir nicht ein paar Perlen ab, Mann! Das merkt doch kein Schwein, so ’ne kleine Handvoll, hä?“

„Verschwinde, du Läuseknacker“, fauchte Dan. „Bei dir muß man ja immer aufpassen, daß nicht an deinen schmierigen Flossen Goldbarren hängen bleiben.“

Der Blick des Mannes veränderte sich schlagartig. Seine Augen wurden dunkel und drohend, seine Hand glitt blitzschnell zum Messer am Gürtel, und sein Mund verzerrte sich.

„Sieh dich vor“, warnte er heiser. „Du verdammter …“

Eine mächtige Faust enthob ihn jedes weiteren Wortes.

Ferris Tucker stand plötzlich hinter ihm, packte sein Genick und hob den verschlagenen Kerl leicht an, noch bevor Dan reagieren konnte.

„Hör zu, du lausige Ratte“, brummte der Schiffszimmermann. „Wenn du hier Stunk suchst, kannst du ihn haben, klar? Ich werde dir dann mal zeigen, wie man mit der Axt umgeht. Mit dieser hier!“

In Ferris anderer Pranke tauchte das gefährliche Mordinstrument auf. Diese unheimlich scharf geschliffene blinkende Schneide, die schon manchen Gegner ins Jenseits befördert hatte.

Sidi Mansur wich zurück. Sein Blick wurde glasig, als Tucker ihm das Instrument vor den Kopf hielt. Er hatte gesehen, wie Ferris Tucker in der Bucht ihren härtesten Mann, den Schlächter, mit kurzen wilden Schlägen außer Gefecht gesetzt hatte. Den hirnlosen Schlächter, den Siri-Tong schließlich im Zweikampf getötet hatte.

Er lief los, zu seinen Kumpanen hinüber, die aufmerksam herüberblickten, sich sonst aber neutral verhielten.

Einmal drehte Mansur sich noch um, und Dan und Ferris glaubten, noch nie so einen Blick glühenden Hasses gesehen zu haben.

„Das ist eine der schlimmsten Ratten, die sie an Bord haben“, sagte Tucker. „Der klaut seiner eigenen Mutter das Totenhemd und verscheuert es. Nimm dich vor dem Kerl in acht, Dan, der ist nachtragend und vergißt nichts. Außerdem hat er das Messer schnell bei der Hand, und er kann gut damit umgehen.“

„Ein hinterhältiger Feigling ist er“, Dan winkte verächtlich ab. „Der stößt einem das Messer bestenfalls in den Rücken.“

„Daran sollen auch schon viele gestorben sein“, sagte Ferris mit ernstem Gesicht.

„Ich werde ihm mal gelegentlich mit meinem Haken den Arsch bis zu seinem schmierigen Kragen aufreißen“, sagte Matt Davies ruhig. „Der Kerl stinkt mir schon lange. Los, fahren wir zurück!“

Am späten Nachmittag türmte sich ein ansehnlicher Berg aus Gold und Silber am Strand. Mit diesem Schatz hätte der Seewolf ganz London kaufen können, so gewaltig war er.

Während die Crew des Seewolfs sich diszipliniert verhielt, sah es bei den Piraten anders aus. Entweder waren sie so fette Beute nicht gewöhnt, oder sie hatten den Verstand verloren.

Eine Horde brüllender und tobender Kerle balgte sich am Strand, wälzte sich in dem Gold und Silber, bewarfen sich mit Beuteln voller Perlen und randalierte immer lauter herum.

Angewidert sahen die Seewölfe hinüber. Klar, sie freuten sich auch über jede fette Beute, aber das war für sie noch lange kein Grund, verrückt zu spielen. Keiner wäre auf die Idee verfallen, einem anderen Goldbarren an den Schädel zu werfen, wie die Piraten es taten.

Siri-Tong beendete den Höllenlärm mit ein paar kurzen Worten.

Sie kam herüber, zusammen mit dem Boston-Mann, der sich an der Balgerei nicht beteiligt hatte.

„Wir haben alles an Land gebracht“, sagte sie. „Die Kerle sind außer Rand und Band, wenn sie solche Mengen Gold sehen.“

Hasard verkniff sich eine Bemerkung. Sollte sie sehen, wie sie mit den wüsten Burschen fertig wurde. Das war nicht seine Sache.

„Es wird ihnen gleich vergehen“, sagte er trocken. „Dann nämlich, wenn sie das Zeug in die Felsen schleppen. Ihr braucht uns nur zu folgen. Jeder soll soviel tragen, wie er kann.“

„Aye, aye“, erwiderte sie zu Hasards großer Überraschung artig. Der Seewolf runzelte die Stirn und blickte ihr nach. Ihr wohlgerundetes Hinterteil schwang aufreizend in der zu engen Hose.

„Ach was, verdammt“, sagte er laut.

„Sagtest du etwas?“ forschte Carberry. Irritiert sah er den Seewolf an, der in den Sand blickte.

„Ich sagte, äh, wir können jetzt endlich anfangen. Wir nehmen den anderen Weg von rechts über die Klippen, der ist näher, und wir müssen nicht durch die endlos langen Gänge laufen.“

„Wollte ich gerade vorschlagen“, sagte Carberry.

Gleich darauf scheuchte er die Männer an die Arbeit. Jeder belud sich mit Schätzen, soviel wie er schleppen konnte. Selbst der Kutscher schloß sich nicht aus, und auch der alte O’Flynn mit seinem neuen Holzbein ließ es sich nicht nehmen, Silberbarren zu schleppen.

Siri-Tongs Leute folgten sofort. Allerdings verflog ihre übermütige Laune sehr rasch, als der Aufstieg in die Felsen begann. Viele von ihnen waren barfuß, und nach den ersten hundert Yards über scharfkantiges Lavagestein ging pausenloses Fluchen los.

Nach einer knappen Viertelstunde war der jenseitige Eingang der unterirdischen Höhle erreicht. Der schmale Einstieg war kaum zu sehen.

„Dort soll ein Tempel sein?“ fragte die Rote Korsarin ungläubig.

Hasard nickte. Gebückt trat er in den schmalen Gang ein.

„Ihr könnt nachkommen!“ rief er.

Diffuses Halbdämmerlicht herrschte, als er langsam voranging. Hasard hatte den Tempel selbst noch nicht gesehen, den kannten nur Carberry, Davies und drei andere Leute. Nach Carberrys Beschreibung war er jedoch leicht zu finden.

Von fern war leises Rauschen zu hören, untermalt von einem dröhnenden Gong, der in regelmäßigen Abständen erklang.

Die Korsarin griff nach Hasards Schulter. Ihre Augen waren erstaunt aufgerissen.

„Was ist das?“ fragte sie.

„Wellenschlag in unterirdischen Hohlräumen. Er läßt die Felsen erzittern, hört aber auf, wenn das Wasser wieder abläuft.“

Der Gang verbreiterte sich, das Rauschen, anfangs noch weit und leise ertönend, wurde lauter. Gleichzeitig dröhnte auch der Gong lauter.

Carberry, mit Silberbarren beladen, schob sich an seine Seite.

„Links abbiegen“, sagte er. „Dort geht es eine schräg geneigte Ebene hinunter, danach folgen wieder Gänge, dann ein Felsendom. Wir sind gleich da!“

Die Piraten aus Siri-Tongs Crew beruhigten sich allmählich, als sie erfuhren, daß die Geräusche eine absolut natürliche Ursache hatten. Carberry entzündete nach der Abbiegung eine Fackel, die die Wände um sie herum gespenstisch erhellte und zuckende und tanzende Schatten warf, die auf- und niederschwebten.

Unheimlich still war es hier unten, sobald der Gong schwieg oder das Rauschen von den Felswänden geschluckt wurde. Dann vernahmen sie nur ihre Schritte und das leise Keuchen der Männer, die die Silberbarren schleppten.

Die schräg geneigte Ebene war feucht. Auf dem Boden liefen große Käfer umher. An den ebenfalls feuchten Wänden der Felsen zeigten sich kleine glitzernde Tiere, die davonliefen, sobald der Lichtstrahl sie traf.

Hinter ihnen in der Dunkelheit fluchten die Piraten. Grotesk tanzten ihre Schatten auf und ab.

Hasard blieb stehen, als die geneigte Ebene zu Ende war und ein glatter künstlich erschaffener Gang auftauchte. Carberry hob die Fackel und leuchtete das Schlangenzeichen an, das die rechte Wand schmückte.

Der Seewolf sah auf den ersten Blick, daß dieser Stollen von Menschenhand geschaffen worden war. Es mußte unsägliche Mühen gekostet haben, diesen Stollen so glatt zu behauen und abzuschleifen. Insgesamt fanden sich zwei Schlangenzeichen an den Wänden.

Beim zweiten Zeichen blieb Hasard stehen und betrachtete es genauer. Arkana! Wie aus weiter Ferne klang ihr Name herüber, wie ein Hauch aus einer Ewigkeit. Sekundenlang verschwamm das Bild Arkanas vor seinem geistigen Auge, wurde zu einem Schemen, der sich in Nichts auflöste. Er hob den Arm und betrachtete den Reif, den die Schlangenpriesterin der Araukaner ihm geschenkt hatte, damals, in jenem geheimnisvollen Tempel.

Die Rote Korsarin hatte seinen vergleichenden Blick gesehen. Sie sah den Seewolf an, dessen Gedanken anscheinend in anderen Regionen schwebten. Leicht stieß sie ihn an.

„Sie haben genau den gleichen Reif“, stellte sie überrascht fest. „Wo haben Sie ihn her? Von einer Frau?“

Ihre Stimme war dunkel und geheimnisvoll, und Hasard glaubte, so etwas wie Eifersucht herauszuhören.

„Von einer Priesterin“, erwiderte er geistesabwesend. „Ich suche immer noch nach dem Geheimnis des Schlangenzeichens.“

Zu seinem grenzenlosen Erstaunen, tat sie die ganze Sache mit einer fast geringschätzigen Handbewegung ab.

„Diese Schlangenzeichen gibt es hier wie Sand am Meer. Der Kult der Schlangen ist weitverbreitet. Wir haben schon oft dieses Zeichen gesehen.“

„Schon oft?“ fragte Hasard. „Ich dachte immer, es …“

„Es steht auf mehreren Inseln. Auf den Caicos-Inseln gibt es diese Zeichen ebenfalls.“

Hasard kam es so vor, als hätte er in diesem Augenblick etwas verloren, ohne daß er zu sagen wußte, was es war. Eine leichte Enttäuschung überfiel ihn.

Vorher hatte er sich immer wieder gefragt, wie es den Araukanern gelungen sein mochte, hier Fuß zu fassen. Sie hätten die Landenge von Panama durchqueren müssen, was er für unwahrscheinlich hielt. Jetzt mußte er feststellen, daß es dieses Schlangenzeichen der Indianer an mehreren Orten gab, und daß der Kult ziemlich weit verbreitet war.

Ohne ein Wort zu sagen ging er weiter, bis sich fast übergangslos die domartige Riesengrotte vor ihnen auftat.

Diesmal blieben alle staunend stehen. Der Boden war mit Wasser bedeckt, das ständig in Bewegung war und entweder abfloß, oder im Boden versickerte. So genau ließ sich das nicht erkennen.

„Von dort aus geht es in den Schlangentempel“, dröhnte Carberrys hallende Stimme auf. Sie pflanzte sich an den Wänden fort und kehrte als vielfältiges Echo wieder zurück, bis sie wispernd erstarb.

Ein ideales Versteck, überlegte Hasard. Hier kam niemand hin. Eingeborene oder Wilde gab es auf dieser Insel nicht. Jener Stamm, der das Schlangenzeichen hinterlassen hatte, mußte schon seit vielen Jahren wieder von der Schlangen-Insel verschwunden sein.

Das restliche Wasser war nur noch sehr flach, als sie hindurchwateten.

Es ging weiter durch einen kleinen, niedrigen Stollen, an spitz gewachsenen Felsen vorbei, bis der Schlangentempel auftauchte.

Hasard blieb gebannt stehen. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er glaubte, ein leises Pochen in seinem Schädel zu spüren. Und von irgendwoher – aus weiter Ferne – drang leise sphärisch klingende Musik herüber. Sie schien aus einer anderen Welt zu stammen.

„Was ist, Hasard?“ hörte er die Stimme Siri-Tongs.

Sie sah seinen leeren, ausdruckslosen Blick, der in weite Fernen gerichtet war. Er schien den Schlangengott mit den glühenden Augen nicht zu bemerken, er sah durch die Statue hindurch.

Der Schlangengott war aus purem Gold getrieben, übergroß und wand sich um eine nackte, aus Bronze gearbeitete Indianerin.

Und diese Indianerin trug Arkanas Züge! Das war es, was den Seewolf so verblüffte.

In seinem Kopf dröhnten dumpfe Trommeln, Geruch nach würzigen Kräutern verbreitete sich, er sah den geschmeidigen schlanken Körper der Schlangenpriesterin und versuchte mit aller Gewalt, das Bild vor seinem geistigen Auge festzuhalten.

Vergeblich!

Hasard sah sich ernüchtert um. Ihm war, als erwache er soeben aus einem faszinierenden Traum. Aber die Erinnerung verwischte und ließ sich nicht festhalten. Sie wehte davon wie der Wind, der Arkanas Namen trug und ihn weit fortwehte.

„Was fesselt Sie so an diesem Mädchen?“ fragte die Rote Korsarin. Immer noch hörte Hasard Ärger und Eifersucht aus ihrer Stimme überdeutlich heraus.

Er schüttelte den Kopf. Fast wütend wandte er sich ab.

„Ich weiß es nicht“, sagte er, „ich glaube, sie zu kennen. Aber immer wenn ich daran denke, taucht eine dunkle Wand auf und alles wird unsichtbar und verschwindet.“

Plötzlich brach ein unbeschreiblicher Tumult los. Die hinter den Seewölfen herdrängenden Piraten hatten den goldenen Schlangengott, der sich um die nackte Indianerin ringelte, entdeckt.

Obszöne Bemerkungen erfüllten den Tempel. Ein paar der Kerle feuerten ihre Barren auf den Boden und stürmten brüllend vor.

Sidi Mansur war der erste, der zur Statue stürmte.

„Mensch!“ brüllte er mit überkippender Stimme. „Augen aus Edelsteinen. Die holen wir uns!“

Don Ravella, Bill the Deadhead, der Mann mit dem goldenen Totenkopf auf der Brust, Juan, der Bootsmann, Rahim Baa und der ewig schmuddelige Muddi sowie ein paar andere Kerle stürmten nach vorn und umringten die Statue.

Von den Augen des Schlangengottes schien ein drohendes Leuchten auszugehen.

Siri-Tong fuhr wütend herum.

„Zurück! Sofort zurück!“ schrie sie.

Die Kerle hörten nicht. Ihre Gier stieg ins Unermeßliche. Sidi Mansur versuchte, eines der grünlich leuchtenden Augen zu ergreifen, um es herauszubrechen.

Da war Hasard mit ein paar schnellen Sätzen bei ihm.

„Zurück!“ donnerte seine Stimme, daß es laut durch den ganzen Tempel hallte. Der Mischling war nicht zu halten. Sein Gesicht war verzerrt vor Gier, er stieß Hasards Arm rauh beiseite.

Der Seewolf griff zu, und in diesem Griff steckte eine unbändige Wut, die ihn spontan überfiel. Sidi Mansur hatte seinen Arm noch nicht ganz zur Seite gewischt, als eine eisenharte Faust in seinem Nacken explodierte. Der Arabermischling flog davon, sauste an dem Schlangengott vorbei und schlitterte bis an die Wand.

Mit wutverzerrtem Gesicht kam er auf die Beine. Seine rechte Hand riß das Messer aus dem Hosenbund, und mit einem Schrei der Wut und Enttäuschung sprang er Hasard an.

„Verschwinde, du Bastard!“ brüllte er den Seewolf an.

Bastard! Das Wort detonierte in Hasards Schädel. Immer schon hatten sie ihn Bastard genannt, auf der Feste Arwenack, dann in Spanien, als er alles über seine Herkunft erfuhr.

Bastard! Und das wagte eine hinterhältige, schmierige Type wie dieser Mansur laut zu sagen.

Schnell war er bei ihm, blockte das Messer ab, das auf sein Gesicht zustieß, und ließ die Linke vorschnellen.

Sidi Mansur wich nicht mehr schnell genug zurück. Die Faust erwischte ihn mitten im Gesicht, schlug seine Nase platt und schüttelte ihm die Knochen durcheinander. Das Wasser schoß ihm in die Augen. Blindlings vor Wut stach er zu, hieb mit dem Messer wilde Kreise durch die Luft.

Hasard ließ ihn rasen, ging ein paar Schritte zurück und verpaßte ihm zwei knallharte Schläge in den Körper, die den schmierigen Kerl nur so schüttelten. Er gelangte mit dem Messer nicht an den Seewolf heran.

Ein weiterer Schlag beendete den Kampf. Sidi Mansur streckte sich der Länge nach auf dem Boden aus.

Hasard drehte sich um und musterte die anderen aus schmalen Augen.

„Wer es noch einmal versuchen will, kann es gleich tun“, sagte er ruhig.

Don Ravella schob sich vor. Niemand wußte, wie er wirklich hieß. Den Namen hatte er sich selbst zugelegt. Er wurde von vielen Hafenbehörden gesucht, seit er die spanische Galeone beraubt hatte, auf der er desertiert war. Einmal hatten die Spanier ihn erwischt und bei der anschließenden Folterung das rechte Auge ausgestochen. Seitdem trug Ravella in der leeren Augenhöhle einen großen funkelnden Diamanten, der ihm, zusammen mit seinem schwarzen Vollbart, ein dämonisches Aussehen verlieh.

Sein linkes dunkles Auge funkelte den Seewolf an. Drohend war es auf Hasard gerichtet.

„Tu das nicht noch einmal, Mann!“ sagte er hitzig. „Dieses verdammte Indianerweib gehört weder dir noch einem anderen. Und …“

„Halt die Schnauze, Schwarzbart“, erklang Carberrys unbeteiligt wirkende Stimme, „sonst fehlt dir das andere Auge auch gleich!“

„Aber dann schaut er dich nie mehr an“, sagte Tucker grimmig.

Hasard ging auf den Schwarzbart zu. Ganz dicht blieb er vor ihm stehen und musterte ihn von oben bis unten.

Er konnte es sich nicht leisten, ständig von diesen verlausten Piraten, Schnapphähnen und Galgenvögeln angepöbelt zu werden. Das heizte nur die Stimmung auf, schuf weiteres Mißtrauen und verschärfte die ganze Lage. Deshalb griff er drastisch durch, egal, ob die Rote Korsarin damit einverstanden war oder nicht.

Sein Blick wanderte zu Carberry, der verstehend grinste, noch bevor Hasard auch nur ein Wort gesagt hatte.

„Profos!“ Die Stimme des Seewolfes klang kühl.

„Sir?“

„Dieser Mann erhält nach der Rückkehr zehn Schläge mit der Neunschwänzigen wegen Disziplinlosigkeit. Der andere Mann erhält ebenfalls zehn Schläge. Verstanden, Profos?“

„Aye, aye, Sir, verstanden!“

Ein paar Sekunden lang herrschte eine unnatürliche Ruhe in dem Schlangentempel.

Siri-Tong wandte den Kopf und starrte Hasard an. Er sah, wie sie schluckte. Er sah aber auch den bewundernden Blick, den sie ihm zuwarf.

Ja, das war ein Kerl, dachte sie. Ein Mann aus Eisen, der hart durchgriff, wenn es nötig war, der sich nicht scheute …

Ein Schrei klang auf. Sidi Mansur stand wieder und wollte sich auf Hasard stürzen. Don Ravella sprang den Seewolf an. Sein Gesicht glühte vor Zorn, mit geballten Händen ging er Hasard an, der ihn sofort hart und erbarmungslos in die Mangel nahm.

Tucker schnappte sich Sidi Mansur und beförderte ihn mit einem Tritt in den Hintern erneut an die Wand.

Hasard schlug dem Spanier die Fäuste in den Leib, bis dem Schwarzbart die Luft ausging und er stöhnend am Boden hockte.

„Fünfzehn Schläge für diesen Mann, Profos!“ sagte er dann.

„Aye, aye, Sir, fünfzehn Schläge!“ wiederholte Carberry.

Damit hatte sich ihr Mütchen gekühlt. Unbeteiligt stand der Boston-Mann dabei, die Hände über der Brust verschränkt. Er tat so, als ginge ihn das alles nichts an.

Ravella sah ein, daß er gegen die Crew des Seewolfes nichts ausrichten konnte. Die Kerle waren zu hart und zu wild. Sie würden ihn zusammenprügeln, bis er nicht mehr laufen konnte.

Ein höhnisches Grinsen lag in seinem Gesicht, er warf Sidi Mansur einen schnellen Blick zu.

Ja, sie beide würden sich rächen, und wenn der Seewolf sie wirklich auspeitschen ließ, sollte er es tun. Die ganze Crew würde dann ihr blaues Wunder erleben, nahm der rachsüchtige Mann sich vor.

Sidi Mansur kochte vor Wut. Er dachte ebenfalls nicht daran, diese Schmach auf sich sitzen zu lassen. Dieser hergelaufene schwarzhaarige Teufel würde es noch bereuen, sich mit ihm angelegt zu haben.

Hasard registrierte die Blicke, die die beiden tauschten. Er wußte, daß er sich zwei neue Todfeinde geschaffen hatte, die ihn von nun an aufmerksam belauern würden. Und er war überrascht, als der verschlagene Mansur auf ihn zutrat und falsch lächelte. In seinen Augen aber glomm böser Haß.

„Nichts für ungut, Sir“, sagte er heuchlerisch. „Begraben wir den Streit. Uns sind nur die Nerven durchgegangen.“

Hasard wandte sich wortlos ab. Er hatte die beiden hinterhältigen Kerle längst durchschaut.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 64

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