Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 191 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Der Insel, die sie jetzt anliefen, schloß sich weiter nördlich eine weitere an. Bei Ebbe, wie sie jetzt herrschte, konnte man zu Fuß über die leicht herausragenden Korallenriffe von einer Insel zur anderen wandern.

Die Luft war unnatürlich stickig und heiß. Die leichte Brise, die wehte, führte brühwarme Luftmassen mit sich.

„Dort vorn – ein Auslegerboot“, sagte Ben Brighton. „Also ist die Insel doch bewohnt.“

Hasard sah sich das Boot an. Es war ein Stück auf einen reichlich unzugänglichen Strand hinaufgezogen worden und sah genauso aus wie die Boote, die von den Eingeborenen der anderen Inseln benutzt wurden.

„Tatsächlich, dort vorn bewegt sich auch etwas.“

Gleich darauf sahen sie es deutlicher, und was dort geschah, versetzte die Seewölfe in Erstaunen.

Vier braunhäutige, kleinere Männer hackten wie wilde Teufel auf einem länglichen Gegenstand herum. Sie schienen alle Wut der Welt an diesem hölzernen Ding auszulassen und ruhten nicht eher, bis es kurz und klein geschlagen war.

Entweder bemerkten sie die heransegelnde „Isabella“ in ihrem unglaublichen Eifer nicht, oder sie ignorierten das Schiff, aber das fand Hasard höchst unwahrscheinlich.

Der junge O’Flynn, der sich neben Hasard und Ben ebenfalls auf dem Achterdeck aufhielt, schüttelte erstaunt den Kopf. Sein Adlerblick hatte noch vor den anderen erkannt, um was es sich handelte.

„Die schlagen einen Einbaum kaputt“, sagte er.

„Einen Einbaum?“ fragte der Seewolf. „In dieser Ecke hat man nur ganz selten Einbäume.“

„Es ist ein Einbaum“, beharrte O’Flynn. „Es war jedenfalls einer, denn jetzt ist es nur noch ein Trümmerhaufen.“

Ja, es stimmte, was Dan behauptete. Es war ein Einbaum, ein ganz leichter und sicher nicht seetüchtiger. Vermutlich war er aus dem dikkeren Stamm einer Palme gearbeitet.

Was die vier Insulaner damit bezweckten, verstand niemand an Bord.

Selbst die Reste zerstörten sie noch einmal, indem sie mit kleinen Äxten oder Beilen darauf losschlugen.

Immer noch kümmerten sie sich nicht um das Schiff, das jetzt in ihrer Nähe die Segel aufgeite und in die kleine Bucht trieb.

„Fallen Anker!“ rief der Profos mit Donnerstimme, nachdem Smoky die Wassertiefe ausgesungen hatte.

Erst als der Anker klatschend in die See fiel, zuckten die vier Männer zusammen und drehten sich um.

Augenblicklich schienen sie zu versteinern. Sie standen wie vom Donner gerührt da. Offenbar hatten sie das Schiff tatsächlich nicht bemerkt, als es die kleine Landzunge gerundet hatte. Jetzt betrug die Entfernung gerade noch etwas mehr als eine Kabellänge.

So schnell, wie sie erstarrt waren, kehrte auch wieder Leben in sie zurück.

Einer von ihnen deutete voller Entsetzen auf die „Isabella“. Daraufhin rannten sie los, schoben ihren Ausleger ins Wasser und sprangen in das Boot.

Nur der vierte Mann befand sich noch bis zu den Knien im Wasser und schob das Boot an.

Hasard hatte das Spektiv am Auge und blickte hindurch.

Der Insulaner tat noch ein paar Schritte, dann begann in seiner unmittelbaren Nähe plötzlich das Meer zu kochen, es wurde aufgewühlt, brodelte immer stärker, und kleine blitzende Leiber flitzten nach allen Seiten.

Dan, der das zweite Spektiv hatte, ließ es voller Entsetzen sinken.

„Piranhas!“ sagte er entsetzt. „Das ist fast unvorstellbar!“

„Das sind keine Piranhas“, erwiderte der Seewolf. „Das ist etwas anderes. Es sieht aus wie tausend kleine Aale mit gelblicher Unterseite. Ja, eine Art Aal“, sagte er nachdrücklich.

Auf der „Isabella“ verfolgten jetzt alle angespannt das Geschehen, das sich vor ihren Augen abspielte.

Offenbar wurde der Insulaner von den kleinen Biestern pausenlos angegriffen und attackiert, denn ein hoher, dünner Schrei drang herüber, so voller Entsetzen und Schmerz, daß er ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Dan O’Flynn war drauf und dran, sich über die Balustrade zu schwingen, ins Wasser zu stürzen und dem Insulaner zu helfen. Aber eine harte Hand hielt ihn zurück, und für eine Sekunde blickte ihn der Seewolf aus seinen eisblauen Augen an.

„Auf keinen Fall, Dan“, sagte er. „Außerdem ist es zu spät, du kannst nicht mehr helfen.“

Unterdessen ging das Drama am Strand weiter.

Die drei anderen Insulaner setzten das kleine Segel. Ohne sich um ihren Kameraden zu kümmern, segelten sie los. Sie drehten sich nicht einmal nach dem schreienden Mann um.

Der griff voller Panik ins Wasser, hieb um sich, schrie und versuchte den Strand zu erreichen. Einmal bückte er sich, riß einen aalähnlichen Fisch aus dem Wasser und schleuderte ihn voller Zorn und Angst zum nahen Strand hinauf.

Noch einmal gellte sein Schrei über das Wasser. Dann fiel der Insulaner steif um und trieb leblos im Wasser, mit dem Gesicht nach unten.

Niemand zweifelte daran, daß er tot war.

Auf der „Isabella“ standen die Seewölfe wie erstarrt. Die meisten blickten auf den alten O’Flynn, der mit steinernem Gesicht zum Strand schaute. Diese Inseln waren verflucht, sagte sein Blick, und hier lag der Pesthauch des Todes, das war immer deutlicher zu spüren.

„Seeschlangen“, sagte Old O’Flynn mit unbewegtem Gesicht. „Seeschlangen haben ihn getötet.“

„Es gibt keine Seeschlangen“, sagte der graubärtige Big Old Shane in die Stille hinein, aber er schien selbst daran zu zweifeln.

„Und es gibt doch welche“, behauptete Old O’Flynn stur. „Ihr werdet sie schon noch sehen.“

„Laßt das kleine Boot zu Wasser!“ befahl der Seewolf.

Er zog wieder das Spektiv auseinander und blickte zu jener Stelle am Strand, wo die Leiche des Insulaners immer noch mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb.

Während das kleine Boot abgefiert wurde, rätselte Hasard daran herum, was den Insulaner so blitzschnell getötet hatte. Als das Wasser zu brodeln begann, bis zu jenem Augenblick, da der Mann starb, war nicht einmal eine Minute vergangen. Aber es stand außer Frage, daß ihn diese kleinen Fische getötet hatten, es konnte gar nicht anders sein.

Er winkte dem Kutscher und Feldscher der „Isabella“.

„Du fährst mit zum Land, Kutscher, ebenso der Profos und ich.“

„Und die Wasserfässer?“ fragte der Kutscher prompt.

„Um die geht es im Augenblick nicht. Wasser nehmen wir später. Ich will mich hier nur einmal umsehen. Es ist immerhin möglich, daß auf dieser Insel ebenfalls Kopfjäger leben und wir einen Anschlag aus dem Hinterhalt befürchten müssen. Laß dir vom Profos eine Waffe geben und dann ab ins Boot.“

„Aye, aye, Sir!“

Hasard sah dem Auslegerboot nach, das jetzt die Stelle erreicht hatte, wo die eine Insel in die andere, weitaus kleinere überging. Deutlich ragten die scharfen Korallen aus dem Wasser, aber dazwischen gab es auch Stellen, die fast glatt und eben waren.

Die Insulaner umsegelten die Korallen. Kein einziges Mal hatten sie sich umgedreht, nachdem sie ihr Zerstörungswerk beendet hatten. Sie warfen auch keinen einzigen Blick zurück auf ihren toten Kameraden.

Vielleicht hatte sie die Angst vertrieben, überlegte der Seewolf, vielleicht war es aber auch etwas anderes. Das wollte er feststellen.

Der Profos Edwin Carberry händigte dem Kutscher zwei Pistolen aus, die er sich in den Gürtel steckte.

Dann stiegen sie in das Boot und legten ab. Solange der Seewolf abwesend war, hatte Ben Brighton das Kommando über die „Isabella“.

Al Conroy war damit beschäftigt, die beiden vorderen Drehbassen zu laden und auf Land zu richten – für alle Fälle. Ebenso waren zwei Culverinen feuerbereit.

Der Profos trieb das kleine Beiboot dem Strand entgegen, jener Stelle zu, wo auch der Eingeborene im Wasser lag und allmählich dem Strand entgegenschaukelte.

„Langsam, Ed“, sagte Hasard. „Wir bringen den armen Kerl an Land.“

Hasard wollte nach dem Arm des Toten greifen, um ihn das kurze Stück auf den Sand zu ziehen.

Aber ein lauter Warnschrei des Kutschers hielt ihn zurück.

„Achtung, Sir, im Wasser!“

Hasards ausgestreckte Hand zuckte zurück. Im ersten Augenblick hatte er die blitzenden Leiber nicht wahrgenommen, weil sich die Sonne auf dem Meer spiegelte. Der Kutscher sah sie aus seinem Blickwinkel besser.

Es waren Tausende, die unter Wasser hin und her flitzten, durcheinanderquirlten und mehrere Schwärme bildeten, die sich im Zickzack rasend schnell bewegten.

Auch der abgebrühte Profos starrte schaudernd in das Wasser.

„Das sind tatsächlich Seeschlangen“, stöhnte er. „Also gibt es doch welche, und Old Donegal hat nicht gesponnen.“

Hasard widersprach nicht, denn was er sah, hatte mit gewöhnlichen Aalen oder selbst Muränen nichts gemeinsam.

Es waren Schlangen von annähernd zwei Yards Länge, einem typischen Schlangenkopf, allerdings mit einem etwas abgeplatteten Schwanzende, das zur schnelleren Bewegung diente. Wenn sich die Schlangen im Wasser drehten, erkannte man deutlich die stark gefärbte gelbe Unterseite auf ihren Bäuchen.

Keiner der Seewölfe kannte sie genau, aber für den Kutscher stand fest, daß sie giftig waren und ihr Biß den Tod des Insulaners verursacht hatte.

„Anscheinend beißen sie sofort, sobald sich im Wasser etwas bewegt“, sagte der Kutscher. „Diese Biester sind wie die Schlangen an Land und genauso giftig, wenn nicht noch giftiger.“

„Ja, das ist stark anzunehmen, daß sie sofort angreifen. Aber der Insulaner hätte das doch wissen müssen, zumal sie hier in riesigen Schwärmen auftreten.“

„Er hat sie sicher zu spät bemerkt, oder er kam nicht mehr schnell genug ins Boot hinein.“

Der Kutscher nahm die Leine, die im Boot lag, streifte das Auge um den Arm des Mannes und zog ihn mit.

Am Strand gab es ein Problem, als das Boot auflief. Es lief nicht bis auf den Sand hinauf. Sechs, sieben Yards Wasser blieben noch zwischen ihnen, und die waren nur zu überwinden, wenn man im Wasser ein paar Schritte ging.

Der Kutscher sah den Profos an.

„Spring du zuerst!“ sagte er und kratzte sich das Kinn.

„Du spinnst wohl, was, wie? Wie kann ich denn diese Strecke mit einem Satz springen!“

Er blickte in das flache Wasser und sah die langen Schlangen, die sich mit atemberaubender Schnelligkeit durch ihr Element schlängelten. Ein ganzer Schwarm befand sich dicht am Ufer.

„Ich habe Stiefel an“, sagte Hasard. „Durch das Leder beißt keine Schlange der Welt, auch keine Seeschlange.“

Er sprang ins seichte Wasser und sah nach unten. Seine Stiefel hatten den gelblichen Sand noch nicht richtig berührt, als sich die Schlangen auch schon darauf stürzten. Sie glitten heran, bissen zu und verschwanden wieder wie der Blitz.

Eine von ihnen schleuderte der Seewolf mit einem gewaltigen Fußtritt aus ihrem Element. Das Biest war länger als zwei Yards, und noch als der Schlenker erfolgte, versuchte es, sich um den Stiefel zu winden.

Hasard verstand nicht, warum diese Tiere so ungemein angriffslustig und aggressiv waren. Sie stürzten sich auf alles, was sie sahen, bissen und verschwanden wieder.

An der Küste wimmelte es von ihnen.

Er zog den Toten an den Strand, ging dann wieder zurück und befestigte die Leine am Boot.

„Setzt euch nach achtern, dann ziehe ich das Boot auf den Strand hinauf“, sagte er. „Oder soll ich euch tragen?“

„Um Himmels willen, Sir“, protestierte der Profos. „Die lausigen Plattfische an Bord würden sich totlachen, wenn der Kapitän seinen Profos an Land trägt wie ein Wickelkind.“

„Lieber so, als von diesen Biestern gebissen zu werden. Nehmt euch gut in acht, die schnellen sich sogar aus dem Wasser. Irgend etwas scheint sie zur Raserei zu treiben.“

Die Seeschlange, die Hasard aus dem Wasser befördert hatte, wand sich durch den Sand, richtete sich blitzschnell auf, stieß voller Wut den Schädel in den Sand und ließ ihren Schwanz peitschen, daß der Sand nach allen Seiten flog.

Hasard zog sein Entermesser, nahm kurz Maß und warf. Der erste Wurf nagelte das zuckende und sich wie wild gebärdende Reptil in den sandigen Boden. Als sie nicht mehr zuckte, trennte er ihren Kopf ab, um Aufschluß über die Gefährlichkeit zu erhalten.

An den Vorderzähnen des Oberkiefers befand sich eine winzige Giftrinne, und das sagte dem Seewolf mehr als genug. Diese Schlangen waren absolut tödlich, und ihr Gift wirkte innerhalb sehr kurzer Zeit. Wer von einer dieser Giftschlangen gebissen wurde, brauchte keine Hilfe mehr. Anscheinend hatten nicht einmal die Insulaner ein wirksames Heilmittel.

„Verdammte Inseln“, sagte Carberry verbissen. „Ich verstehe nicht, wie Donegal so etwas voraussehen kann. Hier liegt wirklich die Pest über allem, und es riecht nach Gift und Hölle. Wieso weiß dieser Bursche das?“

Hasard zuckte mit den Schultern.

„Es ist nun mal eine Tatsache“, gab er widerwillig zu, „aber erklären kann ich sie deshalb noch lange nicht. So, Kutscher, jetzt sieh dir mal den Mann an, ob er gebissen wurde. Wenn man seinen Feind kennt, kann man ihn besser einschätzen.“

Der Tote war im Gesicht leicht blau verfärbt und hatte die Augen schrecklich weit aufgerissen. Bekleidet war er lediglich mit einem bunten Tuch um die Hüften, das auf den Oberschenkeln endete. Sonst trug er nichts, auch im Aussehen unterschied er sich nicht von den anderen Insulanern dieser feuchtheißen Inselgruppe.

Der Kutscher untersuchte ihn genau, und er hatte alle Mühe, die winzigen Bißstellen zu entdecken. Sie waren wie Nadelstiche, und die winzigen Wunden bluteten auch nicht.

„In die Beine ist er mindestens zwei Dutzend Male gebissen worden“, sagte der Kutscher. „Das war gleich am Anfang, als er noch das Boot schob. Dann sind sie regelrecht über ihn hergefallen. Die vielen kleinen Bisse lassen sich nicht mehr zählen.“

„Glaubst du, daß der Biß einer einzigen Schlange bereits tödlich ist?“ fragte Hasard.

„Da bin ich ganz sicher, Sir. Ein einziger Biß genügt, und man steht nie wieder auf.“

„Dann müssen wir höllisch aufpassen, daß niemand ins Wasser springt, fällt oder leichtsinnig hineingeht.“

„Dagegen sind die Dons die reinsten Wickelkinder“, sagte Ed.

Sie sahen sich um. Über der Landschaft lag eine eigenartige, bedrükkende Stille. Kein Vogel zwitscherte, kein Tier ließ sich blicken. Vom Sand stieg brühwarmer, auf die Nerven gehender Dampf auf. Die Luftfeuchtigkeit war hier noch höher als auf allen anderen Inseln.

Ein paar Palmen standen an dem steinigen Strand, dahinter folgte eine von fahlgelbem Gras bewachsene Fläche, gleich dahinter begann der Buckel, ein dicht bewaldeter Berg, der der Insel das merkwürdige Aussehen gab.

Sie legten den Toten hinter die Palmen und bedeckten ihn mit einem kleinen Hügel aus Steinen.

Als Hasard sich umdrehte, bemerkte er, daß der Rumpf der kopflosen Seeschlange wieder wild zu zucken begann. Es war ein unheimlicher Anblick, wie er sich weiter durch den Sand schlängelte, als wäre ihr nichts passiert.

„Scheißinsel“, sagte Ed. „Noch nie habe ich mich in der gesamten Südsee so schlecht gefühlt wie hier. Als wäre alles verhext oder mit Gift überzogen.“

„Auf dieser Insel riecht man den Tod“, sagte der Kutscher, und er meinte es mit seinen Worten verdammt ernst. „Er scheint hier überall zu lauern.“

„Nun übertreibe mal nicht, Kutscher“, sagte Hasard. „Sehen wir uns das zertrümmerte Boot an.“

Bis zu dem kleinen Wrack waren es nur ein paar Schritte. Bei jedem Schritt knisterte und knirschte der Sand unter ihnen, als trete man auf frisch gefallenen Schnee.

Die einzigen Lebewesen am Strand waren Krebse, die blitzschnell in ihre im Sand gebuddelten Löcher flohen, sobald sie sich ihnen näherten. Ab und zu glotzten sie mit ihren Stielaugen heraus, dann verschwanden sie wieder.

Vor dem Wrack blieb der Seewolf kopfschüttelnd stehen. Aus den Überresten ließ sich trotz der Verwüstung noch einwandfrei erkennen, daß es sich um den etwas breiten Stamm einer Palme handelte. Er war ausgehöhlt worden und sollte fraglos als Wasserfahrzeug dienen, in dem ein Mann Platz hatte.

„Stell dir das einmal vor, Sir“, sagte der Kutscher. „Da kommen ein paar Insulaner mit ihrem Ausleger zu dieser Insel, tun nichts weiter, als das fragwürdige Boot zu zerstören, und verschwinden danach wieder. Siehst du darin einen Sinn?“

„Nein“, gab Hasard ehrlich zu. „Nicht den geringsten. Aber die Männer sind nicht von dieser Insel, damit hast du recht. Sie stammen zweifellos von einer anderen, weit entfernten.“

„Demnach gibt es hier Leute“, kombinierte der Kutscher, „die diesen Einbaum gebaut haben, aber die anderen wollten nicht, daß er gebaut wird, und deshalb zerstörten sie ihn wieder, kaum daß er richtig fertig war. Trotzdem ist das merkwürdig und irgendwie unlogisch.“

Ja, in gewisser Weise war das unlogisch, überlegte Hasard. Er blickte zur „Isabella“ hinüber, wo seine Männer am Schanzkleid standen und sie beobachteten. Dann ging sein Blick weiter zu dem Berg hinauf, und er suchte den Wald ab.

Einmal war ihm, als hätte er eine schnelle Bewegung gesehen, doch es konnte auch die leichte Brise sein, die die Blätter an einem Baum bewegt hatte.

„Wir gehen ein Stück am Strand entlang“, sagte er. „Bis dort, wo die andere Koralleninsel beginnt.“

Der Profos nickte und zeigte mit dem abgespreizten Daumen auf den dicht bewaldeten Berg.

„Ich habe das Gefühl, als würden uns viele Augen belauern, Sir. Mit Pfeil und Bogen oder Speeren könnte man uns aus dem Hinterhalt erledigen.“

„Wegen unserer schönen Köpfe, was?“

„Genau, Sir. Immerhin treiben die Insulaner damit Handel, und auf weiße Schädel sind sie besonders scharf.“

„Nein, die Entfernung ist zu weit, wenn wir immer dicht am Wasser bleiben, kann uns niemand erreichen.“

Als sie weitergingen, herrschte immer noch diese bedrückende Schwüle, und der Seewolf glaubte, in der Strandnähe ersticken zu müssen.

Allen dreien lief der Schweiß in Strömen über die Gesichter. Die Haut brannte und juckte, und ab und zu ließ sich eine kleine Fliege frech auf ihren Körpern nieder. Schlug man nach ihr, setzte sie sich sofort an eine andere Stelle.

Die Plagegeister nahmen zu, je mehr sie sich dem Korallenriff näherten. Sie stiegen aus angeschwemmtem Seetang und warteten darauf, daß einer vorbeiging. Aber sie stachen nicht, sie waren nur ausgesprochen lästig und ließen sich nicht vertreiben.

Der Strand war und blieb unzugänglich. Überall lagen Steine herum, angeschwemmte, abgebrochene Korallen übersäten den Sand, von dem ein ekelerregender Geruch aufstieg.

Es herrschte Ebbe. In Wassernähe tummelten sich unübersehbare Scharen von Krebsen und kleinen Schalentieren. Aber auch die gelben Wasserschlangen bevölkerten in Ufernähe das Wasser, die immer wieder aus dem Wasser schnellten oder in großen Rudeln dahinjagten auf der Suche nach einem unbekannten Ziel.

Hasard sah den tödlichen Schlangen mit einem Gefühl des Unbehagens nach. Es waren so viele, daß sich ihre Anzahl nicht einmal schätzen ließ. Aber ihre scheinbar wilde Flucht hatte doch eine gewisse Ordnung, denn wie der Seewolf feststellte, schienen sie alle einem Ziel zuzustreben, und das lag dort draußen bei der Korallenbank. Wenn er ins Wasser blickte, sah es so aus, als würden die gelben Schlangen sie auf ihrem Weg dorthin begleiten.

Wieder blieb er ruckartig stehen, denn er hatte ganz deutlich eine Bewegung hoch über sich in dem bewaldeten Buckel gesehen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, ein Gesicht zu sehen, aber es war blitzschnell verschwunden, als er stehenblieb.

Nein, diese Inselgruppe war kein Paradies. Gemessen an den anderen Eilanden wie Bora Bora, Mooréa oder Tahiti, war sie die reinste Hölle, menschenfeindlich und abweisend, gefährlich und voller Tücken.

Die unfreundlichen Inseln, so nannte er diese Inselgruppe in Gedanken, und es wäre entschieden besser gewesen, wenn sie sie gar nicht erst angelaufen hätten.

Das Atmen wurde zur Qual. Je näher sie an die angrenzende Insel gerieten, desto schlimmer wurde der Pesthauch nach Tod und Verwesung.

Der Profos blieb naserümpfend stehen.

„Pfui Deibel“, sagte er und verzog angewidert sein narbiges Gesicht. „Hier riecht es wie aus offenen Gräbern, außerdem wird es immer heißer und drükkender. Die Luft ist hier so zäh wie der dickste Nebel.“

„Hast recht, Ed“, sagte der Kutscher. „Hier würde ich es keine zwei Tage aushalten. Das ist eine Insel, auf der man aufmüpfige Dons aussetzen könnte. Die würden schon nach dem ersten Tag wieder ganz zahm werden.“

„Falls sie den ersten Tag überleben“, meinte Ed mürrisch und schlug wieder ärgerlich nach den lästigen kleinen Fliegen.

Sie erreichten die Stelle wo die Korallen begannen. Gebilde aus buntem Kalk türmten sich vor ihnen auf, dazwischen gab es Schluchten, dann wieder ebene Flächen, auf denen man gehen konnte. Hinter dieser natürlichen Brükke lag die andere Insel, klein und von Gestrüpp bewachsen. Hier war zwischen die Korallen irgendwann einmal Sand geschwemmt worden und hatte sich festgesetzt, und dann war nach und nach pflanzliches Leben entstanden.

Aber einladend sah das kleine Eiland nicht aus, denn zwischen den Korallenschluchten wimmelte es von Seeschlangen.

Das hier war offensichtlich ihr Ziel, die tiefen Löcher, Spalten und Höhlen.

Hier war das Wasser das reinste Gift.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 191

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