Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 268 - Fred McMason - Страница 4
1.
ОглавлениеDieser späte Nachmittag des neunten Juni blieb dem alten Piraten Uluch Ali noch sehr lange in Erinnerung. An diesem Tag nämlich hatte ihm der Seewolf zum zweiten Male eine schmähliche Niederlage bereitet.
Noch wußte Uluch Ali nichts davon, aber er sollte es bald erfahren. Seine Gedanken waren seit jenem Augenblick schlagartig abgerissen, als er eine Drehbasse auf den verhaßten Killigrew abfeuern wollte, um ihn vom Achterdeck seiner Feluke zu putzen.
Er wollte die Lunte gerade auf das Zündkraut drücken, da blitzte es von der Feluke auf. Ein grimmiger Kerl drüben hatte seine Muskete abgefeuert.
Uluch Ali sah noch das kleine Rauchwölkchen, das dem gelben Blitz folgte, dann hatte er einen dumpfen Schlag verspürt, und um ihn herum war alles seltsam still und friedlich geworden.
Unter starken Schmerzen öffnete er ein Auge. Es ließ sich nur mühsam öffnen, denn es war von Blut verklebt, das längst geronnen war.
Rechts und links war sein Blick stark eingeengt. Er sah nur Planken, die ihn von allen Seiten wie einen Sarg umgaben.
Langsam tasteten sich seine Hände nach oben. Quer über seine Stirn lief ein dünner Verband, und an den Seiten spürte er getrocknetes Blut. Was, beim dreimal geschwänzten Scheitan, war nur geschehen?
„Der Erhabene ist erwacht, Allah sei Dank!“ hörte er eine Stimme direkt neben sich in diesem verfluchten engen Sarg.
Der Erhabene! So nannten ihn seine Kerle, die ihn mehr als den Teufel fürchteten. Aber der Erhabene hatte eine unglaublich zähe Kondition, und außerdem war der Erhabene so sauer wie selten zuvor.
Ungeachtet der Reiterscharen, die durch seinen Schädel brausten, richtete er sich ruckartig auf. Er sah, wie die Kerle zusammenzuckten.
Er bot allerdings auch einen schrecklichen Anblick. Sein schwarzer, von der Oberlippe bis zum Kinn reichender Bart war blutverklebt. Seine dunklen Augen blickten grausam und gnadenlos, und auf seiner fleischigen Nase befand sich ebenfalls getrocknetes Blut. Seinen blutverschmierten Schädel zierten die Überreste einer alten zerrissenen Djelaba, durch und durch von geronnenem Blut getränkt.
Fassungslos sah Uluch Ali sich um.
Der Sarg war ein Beiboot, genauer gesagt, das Beiboot seiner Flaggschiff-Feluke. Von der war allerdings weit und breit nichts zu sehen.
Im Beiboot hockten zehn übel zugerichtete Kerle, Kameltreiber, die unter die Hufe ihrer durchgehenden Tiere geraten waren.
Die lädierten Kerle im Boot hatten ein kleines Notsegel angeschlagen und trieben vor dem Wind dahin. Einem fehlte das linke Ohr, zwei andere trugen ebenfalls einen blutdurchtränkten Turban, einer hatte ein zerschossenes Bein, und ein anderer konnte sich kaum noch bewegen.
Uluch Ali blickte den Steuermann an. Der saß zwar in sich zusammengesunken wie ein Häufchen Elend auf der Ducht, aber ihm fehlte nichts, überhaupt nichts. Der Kerl hatte nicht die kleinste Blessur. Er war also in dem Gefecht mit dem Seewolf mit heiler Haut und gesunden Knochen davongekommen.
„Was ist passiert?“ fragte Ulluch Ali rauh. Seine Stimme ließ die Kerle noch mehr in sich zusammenkriechen.
Der Steuermann sprach für die anderen.
„Dieser Christenhund hat uns …“
„… versenkt“, vollendete Ali mit weißem Gesicht.
„Nein, Erhabener“, widersprach der Steuermann. „Er – er hat das Flaggschiff genommen.“
Uluch Ali starrte den Kerl an, als sähe er einen Geist.
„Er hat das Flaggschiff genommen?“ brüllte er, außer sich vor Wut. „Wie konnte er das Flaggschiff nehmen?“
„Ihr erhieltet einen Kopfschuß, Erhabener, und als die Hunde immer noch weiterfeuerten, haben wir Euch ins Boot gebracht und sind davongesegelt, um Euch in Sicherheit zu bringen, Erhabener“, fügte der Steuermann schnell noch entschuldigend hinzu.
Was dann folgte, erinnerte die anderen lebhaft an den Kampf mit den Seewölfen. Es war, als flögen ihnen erneut Höllenflaschen um die Ohren.
Alis Schmerz war wie weggeblasen. Eine ohnmächtige Wut beherrschte sein Gesicht. Seine Hände zitterten, sein Mund zuckte. Er stand auf, hielt sich an einem der lädierten Kerle fest und trat dem Steuermann voller Wut in den Bauch. Dabei überschlug sich seine Stimme, und er schrie und geiferte, daß es den Kerlen angst und bange wurde.
„Du Sohn einer räudigen Hure bist ausgekniffen?“ brüllte er. „Und ihr anderen Hurensöhne habt auch nicht weitergekämpft. Ihr seid mit vollen Hosen abgehauen. Einfach abgehauen, ihr feigen Schakale. Ihr laßt euch vertreiben wie lästige Sandflöhe. Ihr seid es nicht Wert, daß die Sonne euch bescheint. Aber das werdet ihr mir büßen, einer nach dem anderen. Diese Schande, diese Schande“, murmelte er erbittert, schlug die Hände vor das Gesicht und ließ sich auf die Ducht sinken.
Nein, das überstand er nicht. Diese räudigen Köter waren ausgekniffen und hatten es nicht geschafft, den verhaßten Seewolf zu stellen. Er war ihnen wieder einmal entwischt, aber er war keineswegs geflohen. Er hatte sich, das war das allerschlimmste, noch das Flaggschiff geschnappt und war damit hohnlachend davongesegelt!
Es war eine Blamage, die Uluch Ali nicht verkraftete. Vor allem würde sie seinem Ansehen schaden. Ihm, Uluch Ali, mußte das passieren. Die zweite Niederlage durch einen Gegner, der schon fast gestellt war und sich jetzt über ihn kranklachen würde.
Allein der Name Uluch Alis ließ die Seefahrer des Mittelmeeres bereits zittern, und die meisten hatten die Hosen schon voll, wenn sie an Gibraltar vorbeisegelten – in der bangen Erwartung, sie würden auf einen seiner Piraten oder gar auf ihn selbst treffen. Die meisten ergaben sich auch fast kampflos wie das Kaninchen vor einer Schlange.
Nur einer ergab sich nicht: Der Seewolf und seine Satanskerle. Sie, die immer wieder gestellt wurden, fanden immer einen Weg, um Uluch Ali eine Schlappe zu bereiten, und diesmal hatten sie es auf die Spitze getrieben. Sie hatten sein kostbares, im ganzen Mittelmeer bekanntes Flaggschiff geklaut.
Zuerst war es diese Gruppe gewesen, die die „San Marco“ ausgeplündert hatte, und jetzt trat der Seewolf persönlich in Erscheinung und nahm seinen unfähigen Kerlen die Feluke ab!
Er begann wieder zu toben und zu brüllen, belegte die Kerle mit den unflätigsten Ausdrücken und warf ihnen die Feigheit räudiger Schakale vor.
„Erhabener“, sagte der Steuermann flehend, „wir waren führerlos, als Ihr getroffen wurdet. Aus Sorge um Euch setzten wir den Kampf nicht fort, nur um Euch so schnell wie möglich aus der Kampfzone zu bringen.“
Dafür hatte Ali allerdings kein Verständnis.
„Ausreden!“ schrie er. „Ausflucht von feigen Hunden. Ich hätte es noch verkraftet, wenn der Satan entwischt wäre, aber ich verkrafte nicht, daß er mein bestes Schiff genommen hat. Ihr hättet weiterkämpfen müssen, solange, bis dieser Satan in Grund und Boden geschossen worden wäre, aber ihr kneift einfach aus und läßt die Feluke im Stich mit allem, was an Bord war. Ihr erbärmlichen Schakale.“
Ali trat wieder zu, wahllos drosch er seine harten Fäuste den entsetzten Kerlen an die Köpfe. Mit jedem Schlag, den er verteilte, beschimpfte er sie pausenlos.
Jetzt blieb nur noch Muley Salah, dachte er, den er hinter der Sambuke der anderen Seewölfe hergeschickt hatte. Vielleicht schaffte Salah es noch, diesen Kerlen eins überzubraten.
Wenn Ali allerdings gewußt hätte, daß Salah einschließlich seiner drei Feluken längst versenkt worden war, hätte er wahrscheinlich einen Schlaganfall erlitten. Und er wußte auch nicht, daß es der Seewolf persönlich gewesen war, der eine dieser Feluken zum Teufel geschickt hatte.
„Herr“, begehrte der Steuermann auf, und diesmal sagte er nicht Erhabener zu Ali. „Ihr seid ungerecht. Die Männer haben gekämpft, aber ich sagte schon einmal, daß es um Eure Sicherheit ging. Seht doch, Herr, die Männer sind alle verwundet. Sie haben ihr …“
„Schweig, du Hund! brüllte Ali. „Du bist jedenfalls nicht verletzt, du erbärmliche Ratte. Und du wagst es, mir gegenüber so respektlos aufzutreten? Das wagst du?“
Ali trat einen schnellen Schritt vor, und sie erschauerten wieder einmal, als sie sahen, wie flink und schnell der alte zernarbte Knochen noch war.
Ihre Blicke vermochten den Bewegungen kaum zu folgen, so blitzschnell ging alles.
Mit einer kaum sichtbaren Drehung seines rechten Armes riß Uluch Ali dem Steuermann den scharfgeschliffenen Krummdolch aus dem Gürtel. Eine weitere Drehung, und der Steuermann verkrampfte die Hände um seine Brust. Als die anderen genau hinsahen, bemerkten sie den Schaft des Dolches, der dem Steuermann zwischen den Händen herausragte. Der Krummdolch selbst steckte in seiner Brust.
Ein letzter erstaunter und fragender Blick des Steuermannes traf Uluch Ali. Dann schloß sich sein Mund und er kippte lautlos von der Ducht zur Seite.
Ehe die anderen einen einzigen Gedanken fassen konnten, war der Steuermann tot.
Jetzt demonstrierte der alte Pirat noch einmal, welche Kräfte in seinen Armen steckten. Mühelos zog er den Toten mit einer Hand hoch, und ebenso mühelos hievte er ihn über Bord.
Als die Leiche klatschend im Meer versank, waren die restlichen Überlebenden wie erstarrt. Niemand wagte, Ali anzublicken. Der Schreck saß ihnen tief in den Knochen.
Alis Wut und Brutalität waren immer noch unberechenbar, und keiner von den Kerlen wußte, ob er nicht gleich der nächste war, über den sich Alis Zorn entlud.
„Wohin segelt ihr?“ fauchte er die Männer an.
„Südwärts, Erhabener, in Richtung Benghasi.“
„Nehmt die Segel weg, ihr Hunde!“
Selbst die, die schwer verletzt waren, sprangen hoch und gehorchten zitternd dem scheinbar unsinnigen Befehl. Aber Ali hatte auch dafür seine Gründe.
„Damit euch Feiglingen die Flausen vergehen, werdet ihr jetzt pullen. Und ihr Schnappsäcke pullt nicht nach Benghasi, sondern nach Tripolis. Und jetzt klar bei Riemen!“
Sie griffen zu den Riemen, nachdem das Notsegel eingeholt war. Und dann pullten sie unter Alis wilden Flüchen und Gebrüll wie die Wilden.
„Pullt!“ schrie er. „Pullt! Und wenn euch Halunken die Knochen abfallen. Ihr seid Feiglinge, Hunde, Hurensöhne! Ihr hättet besser im Kampf gegen die verdammten Christenhunde fallen sollen, als einfach auszukneifen. Ihr habt Schande über mich gebracht, und das werdet ihr mir alle büßen.“
Er setzte sich auf die Ducht und beobachtete unter halbgeschlossenen Lidern lauernd die pullenden Kerle. Sobald einer nur etwas langsamer wurde, sprang Uluch Ali auf und schlug zu.
Wie ein verbissener wütender und unberechenbarer Tyrann belauerte er die Männer. Selbst wenn er scheinbar eingenickt war, entging ihm nichts.
Weil die Kerle das wußten, konnte er sich auch zwischendurch, wenn die Schmerzen stärker wurden, ein kleines Nickerchen erlauben. Aber durch seine wirren Träume geisterte ein schwarzhaariger Satansbraten, und dessen höhnisches Lachen ließ ihn alle Augenblicke aufschrecken. Im Geist sah er vor sich die sechs Kerle und die beiden Lümmel, die es ihm mit unglaublicher Härte gezeigt hatten.
Diese Christenhunde durften kein zweites Mal entwischen. Er hatte die Mittel dazu, um notfalls den ganzen Mittelmeerraum absperren zu können. Er mußte diesen Seewolf kriegen, um den Preis seines eigenen Lebens, und er fieberte dem Tag entgegen, an dem dieser Teufel auf den Knien vor ihm herumrutschen und um sein Leben flehen würde.
Wirklich? Würde er um sein Leben flehen? Quatsch, dachte Ali ohne Illusionen, der Kerl würde nicht um sein Leben flehen, und die anderen Hunde auch nicht. Sie würden hohnlachend in den Tod gehen; und selbst die schlimmste Folter würde sie nicht zum Winseln bringen. Das war nichts als reines Wunschdenken, aber ihm würde die Genugtuung bleiben, die Köpfe dieser Christenhunde in den Sand rollen zu sehen.
Durch seinen Schädel zuckten in regelmäßigen Intervallen immer wieder grelle Blitze, und unwillkürlich verzog er dabei sein Gesicht.
Das ließ seine ohnehin miese Laune noch schlechter werden.
Dann fuhr er herum, als sich der Takt der Riemen leicht veränderte, und er blinzelte unter halbgeschlossenen Augenlidern zu den Kerlen hin.
Einer hatte aufgehört zu pullen. Er hielt ein kleines Wasserfäßchen in den Fäusten und ließ den Inhalt gierig in seinen Hals laufen.
Ali war mit einem Satz bei dem Mann und schlug ihm die flache Hand mehrmals ins Gesicht. Das Wasserfäßchen hatte er ihm mit einem Ruck entrissen.
„Ein Feigling säuft kein Trinkwasser!“ schrie er. „Für erbärmliche Ratten ist Salzwasser gut genug. Hier wird überhaupt nicht gesoffen, jedenfalls nicht eher, bis wir in Tripolis sind. Und jetzt nach achtern, du Sohn einer läufigen Ziege.“
„Ich hatte Durst, Erhabener“, wimmerte der Kerl, als Ali ihn brutal nach achtern zog.
„Feiglinge haben keinen Durst“, sagte der Pirat. „Und wenn – hier gibt es Wasser genug.“
Ein harter Schlag in den Rücken warf den Mann über das Dollbord. Ali packte ihn an den Füßen, stieß ihn über Bord und ließ seinen Schädel ins Wasser hängen. So hielt er den zappelnden Kerl eine Weile fest. Dann zog er ihn wieder zurück.
Der Mann war im Gesicht blauverfärbt und fast bewußtlos. Seine Augen quollen ihm aus dem Schädel. Er sackte zusammen, krümmte sich dann und übergab sich laut.
„Wenn du das Boot vollkotzt“, sagte Ali gleichgültig, „dann schwimmst du nach Tripolis. Und jetzt scher dich wieder an den Riemen! Wer von euch Durst hat, der möge sich melden. Ich werde ihm dann zu trinken geben, soviel wie er will.“
Mit vor Wut verzerrtem Gesicht sah er zu, wie sie pullten. Sie rissen sich fast die Knochen aus dem Leib. Schweiß lief über ihre Gesichter, sie keuchten, und als sie immer matter wurden, sagte Ali: „Das geht alles viel zu langsam. Von nun an werden wir einen Takt schneller pullen, und diesen Takt werde ich euch vorsingen.“
So prügelte und drosch er seine abgeschlafften Kerle über das Meer, und wer nicht parierte, der durchlebte Höllenqualen, ganz davon abgesehen, daß Ali ihnen ständig damit drohte, die Köpfe abhacken zu lassen, sobald sie Tripolis erreicht hätten.
Gegen Abend, die Sonne schickte sich gerade an, hinter der Kimm zu verschwinden, sichteten sie eine Feluke.
Es war einer von Uluch Alis Piratenseglern, der von Benghasi ausgelaufen war und an Maltas Küsten ein bißchen räubern wollte.
Ali ließ auf die Feluke zuhalten, und auch der Segler änderte leicht den Kurs.
Drüben hatte man Uluch Ali erkannt und war erstaunt, daß er mit neun anderen Männern in einem Beiboot hockte. Uluch Ali in einem Beiboot!
Die Kerle glotzten sich die Augen aus, aber als Ali mit seinen Kerlen an Bord enterte und sie sein finsteres und blutverkrustetes Gesicht sahen, da wagte nicht einmal der Kapitän des Piratenschiffes eine voreilige Frage zu stellen, denn er kannte Alis sonniges Gemüt.
So, wie der alte Haudegen jetzt aussah, war er durchaus in der Lage, noch vor Anbruch der Dunkelheit die ersten dummen Frager über Bord werfen zu lassen.
Das Beiboot wurde an Bord genommen, Ali stellte sich aufs Achterdeck des Feluke und sah den Kapitän an.
„Du segelst jetzt nach Tripolis, verstanden?“
Dem schlitzohrigen Banditen war es eine Ehre, Uluch Ali an Bord zu haben, und so vollführte er einen Kratzfuß und nickte schnell.
„Was immer ihr befehlt, o Erhabener, es wird in meinem unwürdigen Leben eine ewige Freude sein. Seid willkommen an Bord, o Herr. Ihr habt stets einen unterwürfigen Diener vor euch.“
„Das würde ich dir auch raten“, sagte Ali finster.
„Ihr seid verletzt, Erhabener“, stellte der Kapitän fest, um Ali ein bißchen aus der Reserve zu locken. Vielleicht sagte er dann, was passiert war.
„Ja, ein Streifschuß“, teilte Ali gnädig mit. „Aber das ist nicht weiter schlimm. Wie heißt der Bulle dort vorn an Deck?“ fragte er und zeigte auf einen blatternarbigen Kerl mit riesigen Fäusten und einem Gesicht, das so aussah, als hätte er mindestens hundert Menschenleben auf dem Gewissen.
„Das ist Mutlaq, Erhabener. Ein dummer Kerl.“
„Aber sehr kräftig, was?“
„Außergewöhnlich kräftig, Erhabener.“
Fast wohlwollend blickte Ali nun den Kapitän an.
„Er kann auch kräftig zuschlagen, wie?“
„Ungewöhnlich kräftig, Erhabener.“
„Das ist schön. Ich habe da neun Feiglinge mitgebracht. Räudige Schakale, die daran schuld sind, daß mein Flaggschiff gekapert wurde. Ich denke, Mutlaq kann sie mal ein bißchen durchdreschen. Ruf ihn her!“
Der Grobschlächtige erschien dümmlich grinsend unter vielen Verbeugungen auf dem Achterdeck. Vor Uluch Ali warf er sich auf die Knie und blickte aus stupiden Augen wie ein kranker Hund zu ihm auf.
„Gib ihm ein Goldstück, Kapitän!“ befahl Ali.
Der Grobschlächtige erhielt ein Goldstück, verbeugte sich wieder grinsend und fiel über seine eigenen Füße.
„Nimm dir eine Peitsche oder einen Knüppel“, sagte Ali wohlwollend. „Wir werden etwa übermorgen in Tripolis sein. Bis dahin will ich von diesen neun räudigen Ratten keinen einzigen mehr stehend an Deck sehen. Du wirst sie ordentlich durchpritschen, einen nach dem anderen, und wenn du nicht kräftig genug zuschlägst, dann werde ich dir zeigen, wie geschlagen wird. Und jetzt hau ab! Schlag die Kerle aber nicht tot. Sie sollen nur bestraft werden.“
Mutlaq fiel wieder auf die Knie, bedankte sich überschwenglich und befolgte unverzüglich Alis Befehl.
Bald darauf ertönte das Gebrüll der „neuen räudigen Ratten“, so laut über das Deck, daß sich die anderen Schnapphähne entsetzt verkrochen. Der Bulle schnappte sich einen nach dem anderen und drosch ihn mit der Peitsche durch, bis der Mann wimmernd zusammenbrach.
„Schläge läutern die Seele“, sagte Ali gönnerhaft. „Sie sind ein gutes Mittel, Feiglinge erstarken zu lassen. Das hat schon der Prophet Mohammed verkündet.“
„Ja, Erhabener“, murmelte der Kapitän, der laut schreien mußte, um überhaupt verstanden zu werden, denn bei dem Gebrüll vom Vordeck wurde jedes andere Geräusch übertönt.
Ali sah wohlwollend zu, bis auch der letzte der neun Feiglinge unter den Schlägen zusammenbrach und sich auf die Planken streckte. Zwischen den hingemähten Kerlen aber stand grinsend der Riese Mutlaq, die Peitsche in der Hand und lauerte darauf, daß sich einer bewegte. Dikke Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, und er blickte beifallheischend zum Achterdeck.
„Ein guter Mann“, sagte Ali. „Gesund, sehr kräftig und stark. Du solltest ihn zum Steuermann befördern, Kapitän. Er hat mir sehr gefallen.“
„Ja, Erhabener. Darf ich bemerken, daß er sehr dumm ist?“
„Natürlich darfst du das bemerken, Kapitän.“
„Er ist dümmer als leeres Maisstroh, Erhabener.“
„Ja, so sieht er auch aus.“
„Er – er ist der dümmste Hund, den ich kenne, Erhabener.“
„Vergiß nicht, ihm zum Steuermann zu befördern“, riet Ali. „Und jetzt zeige mir meine Kammer, ich will mich ausruhen.“
Also wurde der dümmste Hund, den der Kapitän kannte, zum Steuermann befördert.
Die Feluke segelte weiter, Kurs Tripolis, und der neuernannte Steuermann stand zum Leidwesen des Kapitäns die ganze Nacht wie aus Stein gehauen auf dem Achterdeck und kniff vor Aufregung kein Auge zu.
Auch am anderen Morgen stand er noch so da, und so hatte Ali wieder einen treuen Diener, der ihm mit hündischer Ergebenheit gehorchte und bedenkenlos sein Leben für ihn gegeben hätte.
Und zu Alis morgendlicher Belustigung: Nach einem reichhaltigen Essen pritschte er die neun Feiglinge noch einmal kräftig durch.
Noch einen Tag später, am elften Juni, lief die Feluke in den Hafen von Tripolis ein, und hier entwickelte Uluch Ali eine Hektik, die alles in Aufruhr brachte.
Auch hier hatte er, wie in Benghasi, eine prunkvolle Residenz und fungierte ganz offiziell als Statthalter der Türken. Das gab ihm eine unvorstellbare Macht. Dank seines Amtes war er in der Lage, alles zu beherrschen, was ihm gefiel. Er verfügte über eine genügend kampfstarke Flotte, die es ihm erlaubte, das Mittelmeer abriegeln zu können, und nichts anderes hatte Uluch Ali jetzt vor.
Sein Haß galt nur den Seewölfen. Aber er wollte sie lebendig haben, und das betonte er immer wieder.
Zunächst schickte er Kamelreiter nach Tunis. Sie hatten den strikten Befehl erhalten, alle an der nordafrikanischen Küste stehenden Schiffe zusammenzuziehen, um das westliche Mittelmeer abzuriegeln.
Damit begann die Jagd auf die Seewölfe, die logischerweise versuchen würden, zum Atlantik durchzubrechen.
Den Oberbefehl über diese Aktion erhielt Selim Shanoun, ein Mann, der Uluch Alis absolutes Vertrauen genoß.
Damit waren die Fronten abgesteckt, die Jagd begann.
Uluch Ali selbst begab sich an Bord einer Galeere, die mit europäischen Rudersklaven besetzt war und die in Tripolis seeklar gemacht wurde.
Der Statthalter der Türken wollte keine Zeit mehr verlieren, und so lief die Galeere noch am selben Tag aus und verließ Tripolis.
Ihr Kurs war die Straße von Tunis.