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2 Gefahr im Garten
ОглавлениеIn ihrem Haus rubbelt Bea die Hasen mit ihren flauschigsten Handtüchern trocken.
„Ihr könnt nicht dauernd in diesen Garten gehen. Diesmal hätte es Peter beinahe erwischt“, sagt sie besorgt zu den Hasen. Sie gießt etwas Brombeerwasser in eine Schüssel, die nur für ihre Hasen gedacht ist. Fünf prachtvolle Brombeeren schwimmen darin. Jeder Hase schnappt sich eine Beere. Mopsi und Flopsi wollen beide die größte haben, und es kommt zu einer kleinen Rangelei.
Liebevoll betrachtet Bea die muntere Schar. Sie lebt zwar allein, doch einsam ist sie nie. Wo sie doch ihre kleinen pelzigen Lieblinge immer um sich hat.
In ihrem Wohnzimmer stehen halbfertige Porträtzeichnungen herum. Bea ist nämlich Künstlerin und extra aufs Land gezogen, um sich ganz der Malerei zu widmen. Doch Porträts sind nicht ihre große Stärke. Andere Motive liegen ihr mehr: Auf den meisten der fertigen Bilder sind Tiere zu sehen, bekleidete Tiere. Und es sind meistens Hasen. Einige von ihnen kennen wir bereits.
Peters Lieblingsbild? Oh, darauf ist eine Hasenfamilie zu sehen – Peters Familie, wie sie früher war. In einer Zeit, an die Peter sich noch erinnert, als sei es erst gestern gewesen. Die ganze Familie war zusammen, seine Mutter und sein Vater, seine kleinen Schwestern Flopsi, Mopsi und Wuschelpuschel … und natürlich auch er, Peter. Und sie tollen alle ausgelassen neben Mr McGregors Haus herum. Die Hasen sind glücklich, lachen und spielen zufrieden. Peters Vater hatte ihnen beigebracht, auf zwei Beinen zu gehen, und Peters Mutter hatte in ihrem Bau markiert, wie groß ihre Kleinen waren, indem sie immer dort Striche an die Wand machte, wo sie mit ihren Pfötchen hinkamen.
Peter und sein Vater sammelten die saftigen Pflaumen ein, die von dem Baum hinter McGregors Haus gefallen waren, und trugen sie in einem Körbchen nach Hause, zu ihrer Familie.
Doch eines Tages pflügte McGregor die wunderschöne Wiese, auf der die Hasen bis dahin fröhlich herumtollen konnten, einfach um. Er legte einen großen Garten an, in dessen Mitte der Pflaumenbaum stand. Und nicht nur das: Der gemeine alte Mann hat den Garten mitsamt dem Pflaumenbaum dann sogar noch eingezäunt!
Peter denkt an den Abend, als er vom Fenster ihres Baus aus beobachtete, wie sein Vater unter dem Zaun hindurch in McGregors Garten geschlüpft war. Doch plötzlich war Mr McGregor aufgetaucht und hatte drohend seine Harke geschwungen. Zitternd hatte Peter um das Leben seines Vaters gebangt.
Etwas später war der kleine Hasenjunge zu McGregors Haus gelaufen und hatte durch ein Fenster gesehen, wie Mrs McGregor ihrem Mann eine Hasenpastete servierte.
Peters Augen füllten sich mit Tränen, als er die blaue Jacke seines Vaters im Garten auf dem Boden liegen sah. Er hatte sie flugs geholt und war hineingeschlüpft. Die Jacke war ihm damals viel zu groß gewesen, aber er trug sie trotzdem jeden Tag.
Nur wenig später erwischte McGregor auch Peters Mutter, als sie versuchte, im Garten für ihre hungrigen Kinder ein paar kleine Möhren zu stibitzen.
Seither waren die Hasenkinder allein – und Peter versorgte seine drei kleinen Schwestern.
Peter schüttelt den Kopf, um die schlimmen Erinnerungen zu verscheuchen. Er ist doch in Beas Häuschen und in Sicherheit. Er blickt an sich hinunter, wo seine Jacke hätte sein sollen. Die Jacke seines Vaters, die er vorhin im Garten von Mr McGregor verloren hat.
Peter hebt den Kopf wieder und betrachtet ein anderes Bild: ein Bild, auf dem sein Vater und seine Mutter zu sehen sind. Bea kommt zu ihm und geht neben ihm in die Hocke.
„Ich werde immer für euch da sein, das weißt du“, sagt sie leise und streicht Peter über den Kopf.
Bea ist unglaublich nett, und sie passt gut auf ihre Hasen auf. Fast wie eine Mutter. Und genau genommen ist Bea auch so etwas wie eine Mutter für die vier kleinen Hasen, seit deren Eltern gestorben waren.
Bea schaut aus dem Fenster. Der Regen hat endlich aufgehört, und die ersten Sonnenstrahlen stehlen sich wieder durch die Wolken.
„Seht nur, die Sonne ist zurück“, sagt Bea. Die Hasen freuen sich. Die düstere Stimmung dieses Tages ist verflogen.
Später an diesem Tag macht Bea mit ihren geliebten Hasen eine Fahrradtour. Sie tollen neben ihrem Fahrrad her, hüpfen auf alle Mäuerchen, an denen Bea vorbeiradelt und laufen um die Wette hinter Bea her, bis Peter schließlich in ihren Fahrradkorb springt.
„Ist es nicht ein herrlicher Tag?“, fragt sie. Peter nickt. „Ich könnte schwören, dass du manchmal verstehst, was ich sage.“
Die Hasen können sie tatsächlich verstehen, aber das lassen sie sich nicht anmerken. Nur so können Tiere und Menschen gut miteinander auskommen. Es wäre eine Katastrophe, wenn wir alle wüssten, was wir über einander sagen. Da braucht ihr nur die Dinosaurier zu fragen!
Zurück in ihrem Bau hängt jeder Hase sein Jäckchen an einen Haken an der Wand. Nur Peter hat keine Jacke. Die anderen sehen ihn mitleidig an.
„Tut mir leid, Peter“, sagt Mopsi. „Ich nähe dir eine neue.“
„Wenn du mich in den Garten mitgenommen hättest, wäre das nie passiert. Warum darf ich dich denn nie begleiten?“, fragt Wuschelpuschel wie schon so oft.
„Du weißt, was Vater zugestoßen ist, oder?“, sagt Peter.
„Aber du gehst doch auch die ganze Zeit hinein“, sagt Wuschelpuschel und verschränkt die Pfoten.
Doch Peter bleibt hart. Das ist er ihnen als großer, fürsorglicher Bruder schuldig.
„Ach, es ist doch nur eine Jacke. Vater ist immer noch hier.“ Peter legt eine Hand an sein Herz.
Im ihrem Heim wird es für eine Weile ganz still.
„Also“, sagt Peter dann, „wer hat Lust, Ball zu spielen?“
Er wirft seinen Schwestern einen Ball zu. Nach der schrecklichen, beängstigenden Begegnung mit Mr McGregor tut es gut, etwas Spaß zu haben. Nicht unter elterlicher Aufsicht zu stehen hat auch gewisse Vorteile.
Zufrieden spielen sie für eine Weile, doch es kommt, wie es bei solchen Dingen immer kommt: Irgendwann tut sich einer weh. Diesmal ist es Flopsi, die wegen Mopsi nun eine Beule am Kopf hat.
Mopsi legt ihre Stirn an die von Flopsi, und so bleiben sie einen Moment lang stehen. Hasen entschuldigen sich auf diese Weise. Peter nickt Wuschelpuschel zu, die sofort davonhoppelt, um etwas für Flopsis Beule zu finden.
Wuschelpuschel läuft zu Jeremias Quaddel, der auf seinem kühlen Seerosenblatt sitzt. Genau so ein Blatt braucht sie. Mit einem entschlossenen Ruck zieht sie es unter ihm weg, so wie ein Zauberer ein Tischtuch verschwinden lassen kann.
„Hey!“, ruft Jeremias, als er ins Wasser plumpst.
„’Schuldige! Medizinischer Notfall“, ruft Wuschelpuschel als Erklärung. Sie rennt zu ihrem Bau zurück und gibt Mopsi das Seerosenblatt, und Mopsi legt es sofort auf die Beule an Flopsis Stirn.
„Und? Tut’s gut?“, fragt Mopsi und hofft, dass das kühle, weiche Seerosenblatt die gewünschte Wirkung hat.
„Ja, alles gut. Aber jetzt bin ich hungrig“, sagt Flopsi. Peter weiß, dass er sich um seine Schwestern kümmern muss. Er ist schließlich der große Bruder. Er muss etwas Essbares für seine Familie auftreiben.
Peter schlüpft aus dem Bau. Er läuft zu dem Brombeerstrauch mit den verschrumpelten Beeren, die seine Schwestern früher an diesem Tag schon pflücken wollten. Da sieht er etwas Blaues aufblitzen. Es ist seine Jacke, die Jacke, die er von seinem Vater geerbt hat! Und sie befindet sich in McGregors Garten. Und nicht nur das – Mr McGregor hat sie einer Vogelscheuche umgehängt! Es dauert keine Sekunde, bis Peter weiß, was er zu tun hat. Er muss diese Jacke zurückhaben und zwar augenblicklich!
Peter sprintet in den Garten. Das Tor steht offen. Seltsam, dass Mr McGregor es offenstehen ließ, doch darüber zerbricht sich Peter nicht den Kopf. Außerdem ist es wesentlich leichter, durch das offene Tor zu spazieren, als darunter durchzuschlüpfen. Peter hoppelt in den Garten, schnappt sich seine Jacke, schlüpft hinein und dreht sich um, um wieder wegzulaufen. PATSCH!
Ein großes Sieb wird über ihn gestülpt.
„Hab ich dich, Haa-se! Ich wusste, dass du kommst!“, ruft McGregor und freut sich wie ein Schneekönig, dass er den Hasen endlich erwischt hat.
Mr McGregor hat gewusst, dass Peter der Versuchung nicht widerstehen könnte. Und dass er durch das offene Tor kommen würde, um seine Jacke zu holen. McGregor und Peter starren sich an. Peter hat Bammel wie noch nie.
„Tja, jetzt ist keiner da, der dich beschützt“, knurrt Mr McGregor. „Und ich habe richtig Appetit auf eine Hasenpastete heute Abend.“
Peter sieht keinen Fluchtweg. Aber er kann auch nicht glauben, dass das sein Ende sein soll. Peter und Mr McGregor starren sich weiterhin an.
Doch dann, als Peter sich schon verloren glaubt, passiert etwas sehr Merkwürdiges. Mr McGregor reißt die Augen auf, ganz weit. Dann fällt er um wie ein nasser Sack und schlägt mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf. Jetzt werden auch Peters Augen tellergroß. Er starrt auf den alten Mann am Boden. Was ist jetzt los?
Ratlos mustert Peter das Gesicht des alten Mr McGregor. Es sieht auf einmal irgendwie anders aus. Fast so, als wäre er … tot? Vorsichtig kriecht Peter unter dem Sieb hervor und stupst den alten Mann leicht an. Jawohl, tot. Peter blickt durch den Garten. Er kann noch nicht so recht glauben, was gerade passiert ist. Kann es wirklich sein, dass unser kleiner Held, Peter Hase, wieder einmal mehr Glück als Verstand hatte?