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Positionen

Im Südosten Boliviens verlaufen von den Höhen um Higuera mehrere Schluchten abwärts zum Rio Grande: die des Jague, des Churo, des Tusca, des Higuera und des San Antonio-Baches. Anfang Oktober 1967 lagerten die Reste des Guerillaverbandes unter Führung von Ernesto Guevara an jenem Punkt, an dem die ersten drei der oben genannten Gebirgsbäche zusammenlaufen.

Die Operationen der bolivianischen Armee in dieser Gegend hatten den Bewegungsmöglichkeiten der Guerillas weitgehend ein Ende gesetzt.

»Die Voraussetzungen sind die gleichen wie im vergangenen Monat«, hatte Ernesto am 30. September bei der Monatszusammenfassung in sein Tagebuch notiert, »nur, dass jetzt die Armee wirklich mehr Tatkraft bei ihren Aktionen zeigt und die Masse der Landbevölkerung uns überhaupt nicht unterstützt und sich in Verräter verwandelt.«

Die 8. Division der Armee, die zur Guerilla-Bekämpfung abgestellt war, operierte nach einem von Oberst Zenteno ausgearbeiteten Plan, der drei Phasen vorsah.

Während der ersten Phase war es das Ziel, die Bewegung der Guerillas auf ein überschaubares Gebiet zu beschränken. Gewisse Einheiten blockierten im Norden die Straße Cochabamba - Santa Cruz, während andere Abteilungen entlang des Rio Grande aufgefächert worden waren, um ein Entkommen nach Süden unmöglich zu machen.

Für den Fall, dass es Guevara dennoch gelingen sollte mit seinen Männern den Fluss zu überqueren - immerhin handelte es sich hier um ein Terrain, in dem es schwerfiel, jeden möglichen Marschweg einer kleineren Gruppe abzuriegeln -, stand außerdem die 4. Division unter Oberst Reque Terán bereit.

Die zweite Phase sah vor, in die nun immer enger werdende »Rote Zone«, wie der Generalstab der bolivianischen Armee und der amerikanische CIA den Operationsraum der Guerilleros bezeichnete, einzudringen. Zentenos Truppen standen schließlich östlich von Guevaras Gruppe an der Eisenbahnlinie zwischen Yacuiba und Santa Cruz. Von dort aus stießen sie nach Westen vor.

Phase eins und zwei von Zentenos strategischem Plan waren in den ersten Wochen des Oktobers abgeschlossen. Die Armee schickte sich nun an, den Kampfauftrag der Phase drei zu erfüllen: Zerschlagung der Guerillas. Die Einheiten, die hierbei zum Einsatz kamen, waren die Kompanien A und B des sorgfältig ausgebildeten 2. Ranger-Bataillons. Sie ließ Oberst Zenteno die Gegend westlich von Valle Grande, der Provinzhauptstadt, durchkämmen.

In seinem Handbuch für den Guerillakrieg hat Guevara die Beweglichkeit des Verbandes als entscheidend für den Erfolg dieser Kampfweise bezeichnet. Er hatte geschrieben: »Charakteristisch für diesen Bewegungskrieg ist das, was man in Analogie zu dem Tanz gleichen Namens das Menuett nennen könnte: Die Guerillas umkreisen die Position des Feindes, zum Beispiel einer vorrückenden Abteilung, sie umstellen sie an den vier wichtigsten Punkten und mit hinreichendem Abstand, um nicht selbst umzingelt zu werden. Der Kampf beginnt an irgendeinem dieser Punkte, die Armee bewegt sich dorthin, die Guerillas weichen zurück, dabei immer den Feind im Auge behaltend. Dann greifen sie einen anderen Punkt an. Die Armee reagiert wie zuvor, die Guerillas ebenfalls. Auf diese Weise wird es in der Folge möglich, die feindlichen Streitkräfte zu schwächen. Man zwingt sie große Mengen an Munition zu verschwenden. Man zehrt an der Moral der feindlichen Truppen, ohne sich selbst allzu großen Gefahren auszusetzen.«

Betrachtet man die Gefechte, die sich zwischen den Guerillas und Zentenos Truppen in den ersten Wochen des Oktobers 1967 abspielten, so stellt man fest, dass sich in der Realität die theoretisch im Handbuch festgelegten Rollen nun genau vertauscht hatten. Die Guerillas waren von der Armee umstellt. Es waren Zentenos Soldaten, die das Menuett ausführten.

Wie war es möglich, dass Guevara entgegen allen Regeln, die er selbst entworfen hatte, in die Falle geraten war? Die Antwort liegt auf der Hand, wenn man in seinem Tagebuch nachliest. Er konnte nicht nach diesen Regeln handeln, weil seine Gruppe zu schwach war und weil er sich zudem mit der Geographie dieses Gebiets zu wenig auskannte. Am meisten aber fiel ins Gewicht, dass er sich kaum Nachrichten über die Bewegungen des Feindes verschaffen konnte, während der Feind über ihn und seine Gruppe fast alles wusste.

Guevara hatte nur eine vage Vorstellung über die Operationen der Armee. Er war auf die zensierten Radiomeldungen angewiesen und auf das, was sich aus den kleineren Scharmützeln mit Militärpatrouillen ergab. Was er an Gerüchten von den Bauern erfuhr, darauf war kein Verlass.

Die Moral seiner Guerilleros war angeschlagen. Zwischen den einheimischen und kubanischen Angehörigen seiner Gruppe bestanden starke Spannungen.

Am 3. Oktober waren wiederum zwei Guerilleros zu den Regierungstruppen übergelaufen:

»... während Camba zugab, gegen die Armee gekämpft zu haben, gestand Leon, dass er sich im Vertrauen auf die Worte des Präsidenten hin ergeben hätte. Die beiden haben Informationen über Fernando gegeben, über seine Krankheit und alles weitere, dabei nicht eingerechnet, was sie geredet haben, und was nicht veröffentlicht worden ist. So endet die Geschichte zweier heroischer Guerilleros. Höhe 1.360 m.«

Bei Guevara waren seit einiger Zeit, bedingt durch die unerhörten Strapazen, vielleicht aber auch durch die ungünstige Entwicklung, die die Guerilla genommen hatte, die Asthmaanfälle wieder häufiger aufgetreten. Aber seit einem Monat schon besaß er keine Medikamente mehr. Sein Asthma schnürte ihm Lungen und Hals zu und hinderte ihn am Atmen. Es gab Augenblicke, da bat er seine Kameraden, ihn heftig auf die Brust zu schlagen, oder er hängte sich an die Äste eines Baumes. Offenbar verschaffte ihm das Erleichterung.

Vor einigen Wochen hatte er Urbano ausgeschickt, um Medikamente aus den Höhlen des aufgegebenen Stamm- und Ausbildungslagers Ñancahuazú zu holen.

Es war Urbano gelungen, in die getarnten Verstecke einzusteigen, die zu diesem Zeitpunkt von der Armee noch nicht entdeckt worden waren, und er hatte so viel gebracht, wie er nur tragen konnte. Aber diese Vorräte waren nun erschöpft. Das einzige Medikament, das Guevara blieb, waren zwei Flaschen einer besonderen Art von Collyrium mit einer starken Zumischung von Cortison. Wenn er sich sehr elend fühlte oder wenn eine Kampfhandlung bevorstand, injizierte sich Ernesto diese Collyrium-Mixtur, was aber jeweils nur eine kurzfristige Besserung brachte.

Am 26. September waren die Guerilleros zwischen La Higuera und Jague in einen Hinterhalt geraten. In dem Feuergefecht mit den Regierungstruppen fielen Coco Peredo und zwei weitere Guerilleros. Die näheren Umstände dieser Kampfhandlung, der Tod eines seiner besten Männer (Coco), wirkten bei Ernesto schockartig nach. Er gestand sich ein, dass er, trotz aller Willenskraft, durch seinen schlechten körperlichen Zustand für die Beweglichkeit der Gruppe, von der allein es abhängig war, ob sie den Soldaten entwischen würden oder nicht, eine starke Belastung darstellte.

Der Trupp bestand nur noch aus 17 Mann. Gegen Mittag des 7. Oktober stieß eine Bauersfrau auf der Suche nach einer Ziege, die sich von der Herde entfernt hatte, auf das Lager der Guerilleros. Che notierte an diesem Tag:

»... 11 Monate sind seit Beginn unserer Guerilla ohne Schwierigkeiten vergangen ...« (Eine stoische Untertreibung. Die Guerilla war eine Kette von Schwierigkeiten, Fehlern und Katastrophen gewesen.) »... der Vormittag verlief ohne Gefahr in einer fast idyllischen Stimmung. Gegend 12.30 Uhr betrat eine Alte, die ihre Ziegen weidete, die Schlucht, in der wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Wir haben sie festnehmen müssen. Die Frau gibt keinerlei glaubwürdige Auskunft über die Soldaten. Auf alles antwortete sie nur, dass sie nichts wisse und die Soldaten schon lange nicht mehr hier gewesen seien. Nur über den Weg machte sie Angaben, aus denen zu entnehmen ist, dass wir uns ungefähr eine Meile von Higuera, eine Meile von Jague und zwei Meilen von Pucara entfernt befinden. Gegen 17.30 Uhr gingen Inti, Aniceto und Pablito zum Haus der Alten, die zwei Töchter hatte, die eine kränklich, die andere ein halber Zwerg. Wir gaben ihr 50 Pesos und verpflichteten sie, nichts auszuplaudern. Wir haben jedoch trotz ihrer Versprechungen wenig Hoffnung, dass sie sich daran halten wird.«

Das Auftauchen der alten Frau hatte die Guerilleros nervös gemacht. Sie diskutierten und analysierten andere solcher Vorkommnisse. Zu den meisten Verlusten war es bisher immer durch Informationen der bäuerlichen Zivilbevölkerung an das Militär gekommen.

»Diese Bauern sind undurchschaubar wie Steine«, hat Ernesto in sein Tagebuch geschrieben. Ein Satz, in dem sich Zorn und Enttäuschung mischen und hinter dem sein intensives Verlangen spürbar wird, es möge doch anders sein. Die Guerilleros entschieden sich, ihr Lager abzubrechen.

In der Abenddämmerung des 7. Oktober begann die Gruppe, die Schlucht des Churo-Baches hinauf zu marschieren. Che berichtet darüber in der vorletzten Eintragung seines Bolivianischen Tagebuches.

»Wir, die restlichen 17 Mann, brachen bei sehr schwachem Mondlicht auf. Der Marsch war beschwerlich. In der Schlucht, in der wir uns bewegten, hinterließen wir viele Spuren. Es gab in dieser Gegend keine Häuser, nur kleine, bewässerte Kartoffeläcker. Gegen zwei Uhr nachts machten wir halt. Wir konnten einfach nicht mehr weiter. Wenn wir nachts marschieren, benimmt sich Chino jedesmal wie ein altes Weib. Höhe 2.000 m.«

Am Abend dieses 7. Oktober versuchte der Bauer Victor Colomi, etwas Wasser aus dem Rinnsal des Churo-Baches auf seine Kartoffelfurchen zu leiten. Er öffnete den Zulauf zum Bewässerungssystem, streckte sich und hielt nach einem Baum Ausschau, an den er sich anlehnen konnte. Bald darauf hörte er Schritte und leises Sprechen. Er bekam Angst und versteckte sich hinter einem breiten Stamm. Er sah dann bärtige Männer vorbei gehen. Sie schleppten schwer an ihren Rucksäcken. Alle waren bewaffnet. Zuerst zählte er drei. Er wartete noch einige Minuten und weitere Männer kamen. Insgesamt waren es 17. Sie hatten ihn nicht gesehen.

Dem Bauer war sofort klar, wen er da vor sich hatte, denn überall sprach man von den Guerillas, und die Regierung hatte eine hohe Belohnung auf ihr Ergreifen ausgesetzt.

Die Sympathien der Indio-Bevölkerung, die in dieser entlegenen Landesecke von Bolivien kärglich ihr Leben fristete, galten zumeist der Regierung.

Wie ist das zu erklären?

Einmal war es den Guerilleros nicht gelungen, den Indios ihre Ziele deutlich zu machen. Die Eingeborenen in diesem Gebiet sprechen Quechua und Guarani, beides Indianersprachen, von denen Guevaras Männer höchstens ein paar Brocken verstanden und artikulieren konnten.

Auch Guevara selbst hatte sich, trotz seiner Vorliebe für die Indianer, nie die Mühe gemacht, eine der wichtigen Indiosprachen gründlich zu lernen. Er hatte sich darauf verlassen, man werde als Verständigungsmittel mit Spanisch durchkommen.

Guevara war Argentinier. Sein Spanisch hatte einen sofort erkennbaren argentinischen Akzent. Er war ein Fremder - ein Fremder in einem Landesteil Boliviens, in dem die Mehrzahl der Bevölkerung durch die geschichtlichen Ereignisse in der Vergangenheit für Argentinien eher Abneigung als Sympathien empfand. Und noch etwas kam hinzu: General René Barrientos Ortuños, der Präsident, der um diese Zeit Bolivien im Stil eines Militärdiktators regierte, war ein Indio und stammte aus dieser Gegend. Wie immer die Intellektuellen und die Bergarbeiter seine politische Handlungsweise beurteilen mochten, durch seinen sicheren Instinkt für prestigeträchtige und gerade den Indios imponierende Handlungen genoss er in seiner Heimatprovinz Ansehen und galt zudem, da er schon mehrere Attentate und Unfälle auf nahezu wunderbare Weise überstanden hatte, als »kugelsicher«.

Will man die Meinung der Indios auf eine knappe Formel bringen, so könnte man sagen: Sie waren nicht in der Lage zu begreifen, was die Guerilleros eigentlich wollten. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass eine Veränderung der Lebensbedingungen möglich war. Sie waren unwissend. Ihr Aberglaube und ihre Unwissenheit ließen sich nicht so leicht aufbrechen. Sie bewunderten Barrientos - einen Mann aus der Gegend, der es bis zum Präsidenten gebracht hatte. Die Guerillatätigkeit bedeutete für sie Unruhe, Ärger mit den Behörden. Wenn sie die Guerilleros unterstützten, würde man ihnen ihre Hütten bombardieren. Wenn sie zu ihrem Präsidenten hielten, winkten ihren Dörfern vielleicht ein paar tausend Pesos Belohnung und andere Vorteile.

Für Victor Colomi blieb die ganze Nacht Zeit, um zu überlegen, was er nun tun sollte, denn die Armee hatte aus Sicherheitsgründen eine Ausgehsperre zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen verhängt. Es wurde also Morgen, der Morgen des 8. Oktober, bis Colomi seinen Sohn nach Higuera schickte, das zweieinhalb Meilen entfernt lag. Dort hatte der Kommandeur der Kompanie, der die Überwachung dieser Region übertragen worden war, sein Quartier aufgeschlagen. Der Bote traf aber Capitano Gary Prado Salmon in Higuera nicht an und musste weiter ins nächste Dorf, Abra del Picacho. Dort berichtete er, was sein Vater in der Nacht entdeckt hatte.

Capitano Prado verständigte sofort das Hauptquartier der 8. Division in Valle Grande und traf Vorkehrungen, die Guerilleros einzukesseln.

Die Churo-Schlucht verläuft ungefähr von Norden nach Süden. Prado stellte eine Abteilung unter Befehl von Leutnant Carlos Pérez am oberen Ende der Schlucht auf, also gegen Norden hin, um so diesen Ausgang zu sperren. Leutnant Eduardo Huerta und seine Abteilung bezogen eine ähnliche Position in der Tusca-Schlucht, die im Osten an die Churo-Schlucht angrenzt. Prado selbst postierte, sich mit dem Rest seiner Soldaten dort, wo beide Schluchten zusammenlaufen. Er befand sich etwa eine Meile südlich des Standortes von Leutnant Pérez ...

Ich habe sieben Leben

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