Читать книгу Der fliegende Holländer - Фредерик Марриет - Страница 5
Zweites Kapitel
ОглавлениеPhilipp Vanderdecken fühlte sich trotz seiner Seelenstärke doch fast gelähmt, als er entdeckte, dass der Geist seiner Mutter entwichen war. Eine Weile blieb er an der Seite des Bettes, keines Gedankens fähig und das Auge nur auf die Leiche geheftet. Aber allmählich fasste er sich wieder. Er stand auf, legte das Kissen zurecht, schloss der Verschiedenen die Augenlider und faltete dann seine Hände, während die Tränen über seine Wangen niederträufelten. Er drückte einen feierlichen Kuss auf die blasse, weiße Stirne der Toten und zog die Vorhänge um das Bett. »Arme Mutter!« sagte er bekümmert, als er sein Geschäft beendigt hatte; »endlich ist dir Ruhe geworden – aber deinem Sohne hast du ein bitteres Vermächtnisse hinterlassen.« Und als Philipps Gedanken zu dem, was vorgegangen war, zurückkehrten, bemächtigte sich die furchtbare Erzählung seiner Einbidungskraft und verwirrte ihm beinahe das Gehirn. Er erhob die Hände zu seinen Schläfen und drückte sie mit Macht zusammen, dabei über den Maßregeln brütend, die er einschlagen sollte. Er fühlte, dass er keine Zeit hatte, seinem Gram nachzuhängen. Seine Mutter war in Frieden – aber sein Vater – wo war dieser?
Er rief sich die Worte seiner Mutter in's Gedächtnis. ›Nur Eine Hoffnung bleibt mir noch.‹ Hoffnung war also vorhanden. Sein Vater hatte ein Papier auf den Tisch gelegt – war es wohl noch zu finden? Ja, es musste so sein; seine Mutter hatte nicht den Muth besessen, es aufzunehmen. Der Brief, der mehr als siebenzehn Jahre unerbrochen da gelegen hatte, gab eine Aussicht an die Hand. Philipp Vanderdecken beschloss, das verhängnisvolle Gemach zu untersuchen, um mit einem Male das Schlimmste zu erfahren.
Sollte er es unverweilt tun, oder bis zum Morgen warten – aber, wo war der Schlüssel? Seine Augen ruhten auf einem alten, lackierten Schreine in dem Zimmer; seine Mutter hatte ihn nie in seiner Gegenwart geöffnet – er war also der einzige Ort, wo das, was er suchte, wahrscheinlicherweise verborgen sein konnte. Rasch in allen seinen Entschließungen, griff er nach der Kerze und schickte sich an, seine Untersuchung vorzunehmen. Der Schrein war nicht verschlossen; die Türen gingen leicht auf und Philipp durchspähte alle Schubladen, ohne den Gegenstand seiner Nachforschung zu finden; wieder und wieder öffnete er die Laden, aber sie waren leer. Da kam Philipp auf den Gedanken, dass vielleicht geheime Schubfächer vorhanden wären, und untersuchte das Geräte geraume Zeit ohne Erfolg. Endlich nahm er sämtliche Laden heraus, legte sie auf den Boden, erhob dann den Schrank und rüttelte ihn. Ein rasselndes Getöse in einer Ecke sagte ihm, dass der Schlüssel wahrscheinlich hier verborgen war. Er erneuerte seine Versuche, um zu entdecken, wie er ihn herauskriegen könne, aber vergeblich. Das Tageslicht strömte jetzt zum Fenster herein und Philipp hatte seine Bemühungen noch immer nicht eingestellt. Ermattet beschloss er endlich, die hintere Platte des Schreins herauszunehmen; er stieg nach der Küche hinunter, kehrte mit einem kleinen Stemmeisen und einem Hammer zurück, und lag eben auf seinen Knien, emsig damit beschäftigt, das Hinterbrett auszubrechen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Philipp fuhr zusammen. Sein Spähen und seine wild jagenden Gedanken hatten ihn dermaßen in Anspruch genommen, dass er den Schall nahender Fußtritte nicht vernahm. Er sah auf und erblickte den Pater Seysen, den Geistlichen des kleinen Sprengels, dessen Augen ernst auf ihm hafteten. Der gute Mann hatte Kunde erhalten von dem gefährlichen Zustande der Witwe Vanderdecken und war mit dem Grauen des Tages aufgebrochen, um sie zu besuchen und ihr geistigen Trost zu bringen. »Was soll das, mein Sohn?« fragte der Priester. »Fürchtest du nicht, die Ruhe deiner Mutter zu stören, und willst du mausen und stibitzen, noch ehe sie unter dem Boden liegt?« »Die Ruhe meiner Mutter fürchte ich nicht zu stören, guter Vater;« versetzte Philipp sich aufrichtend, »denn sie ist bereits unter den Seligen. Auch ist es nicht meine Absicht, etwas zu mausen, denn ich spähe nicht nach Gold, obgleich ich es mir mit Recht zueignen könnte, wenn welches vorhanden wäre. Mein Suchen gilt bloß einem Schlüssel, welcher, wie ich glaube, seit lange in diesem geheimen Schubfach verborgen liegt, das ich nicht zu öffnen verstehe.« »Deine Mutter ist nicht mehr, sagst du, mein Sohn? Und tot, ohne die heiligen Sakramente empfangen zu haben? Warum hast du nicht nach mir geschickt?« »Sie starb plötzlich, guter Pater – ganz plötzlich – erst vor ein paar Stunden in diesen meinen Armen. Für ihre Seele bin ich unbekümmert, obgleich es mir sehr leid tut, dass Ihr nicht an ihrer Seite wart.« Der Priester öffnete sachte die Vorhänge und blickte auf die Leiche hin. Dann sprengte er etwas Weihwasser auf das Bett und verharrte eine geraume Zeit in stummem Gebete. Endlich wandte er sich gegen Philipp um. »Warum sehe ich dich aber so beschäftigt, und was ist der Grund, dass du so ängstlich nach diesem Schlüssel suchst? Der Tod einer Mutter sollte doch wohl geeignet sein, kindliche Tränen und Gebete für ihre ewige Ruhe hervorzurufen, und doch sind deine Augen trocken. Du bemühst dich, einen gleichgültigen Gegenstand aufzusuchen, während die Hülle noch warm ist, aus der vor kurzem der Geist entwich. Das ist durchaus nicht schicklich, Philipp. Was ist's mit dem Schlüssel, den du suchst?« »Vater, ich habe keine Zeit zu Tränen – keine Zeit für Schmerz oder Wehklagen. Es bleibt mir viel zu tun, und ich habe mehr zu denken, als vielleicht mein Gehirn zu fassen vermag. Dass ich meine Mutter liebte, ist Euch nicht unbekannt.«
»Aber der Schlüssel, den du suchst, Philipp?« »Vater, es ist der Schlüssel zu dem Gemach, das seit Jahren verschlossen blieb – und das ich – öffnen will – selbst wenn – –« »Wenn was, mein Sohn?« »Ich wollte etwas sagen, was ich verschweigen muss. Vergebt mir, Vater: ich meinte, dass ich jenes Gemach untersuchen müsse.« »Ich habe längst auch von jener verschlossenen Stube gehört und weiß wohl, dass deine Mutter keine Auskunft darüber geben mochte, denn sie wollte sogar auf meine Fragen nie Rede stehen. Meine Pflicht veranlasste mich, in sie zu dringen, aber als ich fand, dass mein Eifer ihr Gefahr drohte, gab ich jeden weiteren Versuch auf. Auf das Herz deiner Mutter muss eine schwere Last gedrückt haben, mein Sohn, obgleich sie mir nie darüber beichten oder dieselbe vertrauen mochte. Sage mir, hat sie dir vor ihrem Tode das Geheimnis mitgeteilt?« »Ja, mein frommer Vater.« »Würde es dir nicht zum Trost gereichen, wenn du es mir anvertrautest? Ich könnte dir mit meinem Rate, mit meinem Beistande – –« »Gewiss würde das der Fall sein, Vater, denn ich könnte auf Euren Beistand bauen und weiß recht wohl, dass Euch nicht bloße Neugierde, sondern ein besserer Beweggrund leitet. Aber aus dem, was meine arme Mutter sagte, ist mir noch nicht klar, ob sie die Wahrheit sprach, oder ob ihr nur irgend ein Phantom das Gehirn verwirrt hatte. Hat es mit der Sache seine Richtigkeit, so will ich gerne die Last mit Euch teilen – wie wenig Ihr mir es auch Dank wissen werdet; vorderhand aber muss ich schweigen und mein Werk erfüllen – ich muss allein das verhasste Zimmer betreten.« »Fürchtest du dich nicht?« »Vater, ich fürchte nichts. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen – eine schreckliche zwar, aber ich bitte, fragt mich nicht weiter, denn gleich meiner Mutter, ist's mir, als ob eine Untersuchung der Wunde fast meine Vernunft über den Haufen werfen könnte.«
»Ich will nicht weiter in dich dringen. Vielleicht kommt die Zeit, in der ich dir Dienste leisten kann. Lebewohl, mein Kind; aber ich bitte dich, von dieser unziemenden Arbeit abzulassen, denn ich muss zu den Nachbarn schicken, damit sie deiner hingeschiedenen Mutter, deren Seele hoffentlich bei Gott ist, den letzten Dienst er-weisen.« Der Priester sah Philipp an und bemerkte aus der starren und betrübten Miene desselben, dass seine Gedanken anderswo waren; er entfernte sich mit Kopfschütteln. »Er hat Recht,« sagte Philipp zu sich selbst, als er wieder allein war, indem er den Schrein aufnahm und ihn wieder an seinen vorigen Platz rückte. »Ein paar Stunden mehr oder weniger können keinen Unterschied ausmachen. Ich will mich niederlegen, denn mein Kopf ist schwindelig.« Er begab sich in das anstoßende Gemach, warf sich auf sein Bette und lag nach ein paar Minuten in einem so tiefen Schlafe, als derjenige ist, der ein paar Stunden vor der Hinrichtung die Augen des Verurteilten zudrückt. Während seines Schlummers kamen die Nachbarn herbei und trafen alle Vorkehrungen für die Beerdigung der Witwe, ohne jedoch den Sohn zu wecken, weil sie es für eine heilige Pflicht hielten, den Schlaf zu schonen, dem nur ein schmerzliches Erwachen folgen konnte. Bald nach Mittag langte unter anderen auch Mynheer Poots an. Er hatte zwar bereits Kunde von dem Tode der Witwe erhalten, konnte aber über ein freies Stündchen verfügen und meinte, er könne recht wohl einen Besuch machen, da derselbe seine Rechnung um einen weitern Gulden erhöhen würde. Zuerst begab er sich nach dem Gemache, wo die Leiche lag, dann aber nach der Kammer Philipps, welchen er an der Schulter rüttelte. Philipp erwachte, richtete sich auf und sah den Doktor neben seinem Lager stehen. »Nun, Mynheer Vanderdecken,« begann der gefühllose kleine Mann, »so ist also Alles vorüber. Ich wusste wohl dass es so kommen würde; aber wohlgemerkt, Ihr schuldet mir jetzt einen weitern Gulden und Ihr habt mir versprochen, Alles redlich zu bezahlen. Mit dem Trank macht Alles zusammen vierthalb Gulden, vorausgesetzt, dass Ihr mir das Fläschchen zurückgebt.« Philipp erholte sich während dieser Anrede aus seiner Schlaftrun-kenheit, stand von seinem Bette auf und erwiderte: »Ihr sollt Eure vierthalb Gulden und die Flasche obendrein haben, Herr Poots.« »Ja, ja; ich weiß, Ihr habt die Absicht, mich zu bezahlen – wenn Ihr könnt. Aber schaut, Mynheer Philipp, es wird vielleicht einige Zeit anstehen, ehe Ihr die Hütte verkaufen könnt. Ihr werdet nicht viele Liebhaber finden. Nun, ich möchte nie gerne hart mit Leuten umgehen, die kein Geld haben, und will Euch daher sagen, was meine Ansicht ist. Eure Mutter hat da etwas um den Hals. Es besitzt für Niemand einen Wert, als – für einen guten Katholiken. Um Euch aus Eurer Not zu helfen, will ich dieses Ding nehmen, und dann mit Euch quitt sein. Ich bin dann bezahlt und die Sache hat ein Ende.« Philipp hörte ruhig zu; er wusste, was der kleine Geizhals meinte – die Reliquie am Halse seiner Mutter – dieselbe Reliquie, auf welche sein Vater den verhängnisvollen Eid geschworen hatte. Er fühlte, dass eine Million Gulden ihn nicht veranlassen konnte, sich davon zu trennen. »Verlasst das Haus,« antwortete er; »verlasst es augenblicklich. Euer Geld soll bezahlt werden.« Nun wusste Mynheer Poots für's erste, dass die Fassung der Reliquie, eine viereckige Kapsel von reinem Golde, mehr wert war, als die ihm schuldige Summe. Desgleichen war ihm nicht unbekannt, dass für das Heiligtum selbst ein großer Preis bezahlt worden war, und da in jener Zeit derartige Reliquien sehr wert gehalten wurden, so zweifelte er nicht, etwas Erkleckliches daraus zu lösen. Als er in die Leichenkammer trat, hatte der Anblick so verführerisch auf ihn gewirkt, dass er die Kapsel wegnahm und sie in seiner Rocktasche verbarg; er entgegnete daher – »Mein Anerbieten ist nicht unrecht, Mynheer Philipp, und Ihr würdet gut tun, es anzunehmen. Wozu ist auch ein solcher Tand nütze?«
»Ich sage Euch noch einmal, nein,« rief Philipp ergrimmt. »Wohlan denn, so lasst mir es wenigstens, bis ich bezahlt bin, Mynheer Vanderdecken – das ist nicht mehr wie billig. Ich mag mein Geld nicht verlieren. Wenn Ihr mir die vierthalb Gulden und die Flasche bringt, so will ich es Euch zurückgeben.« Philipps Entrüstung kannte jetzt keine Grenzen mehr. Er ergriff Mynheer Poots am Kragen und warf ihn zur Tür hinaus. »Hinweg mit Euch, augenblicklich,« rief er, »oder bei – –« Philipp hatte keine Gelegenheit, seine Verwünschung zu beendigen. Der Doktor war so erschrocken fortgeeilt, dass er die Hälfte der Treppe hinunterstürzte und hinkend sich über die Brücke hinüberhelfen musste. Er wünschte fast, die Reliquie nicht an sich genommen zu haben; aber seine plötzliche Flucht hinderte ihn, sie der Leiche wieder anzulegen, selbst wenn er gewollt hätte. Das Ergebnis dieses Gesprächs lenkte natürlich Philipps Gedanken auf die Reliquie; er begab sich in das Zimmer seiner Mutter, um sie zu holen. Wie er die Vorhänge öffnete, lag die Leiche ausgestreckt – er wollte das schwarze Band losknüpfen, aber es war nicht mehr zugegen. »Es ist fort!« rief Philipp. »Die Nachbarn werden es wohl nicht entfernt haben – nein, nimmermehr. – – Es muss jener Schurke der Poots gewesen sein. Aber ich will es wieder haben, selbst wenn er es verschluckt hätte – oder wenn ich ihm Glied für Glied vom Leibe reißen müsste.« Philipp stürzte die Treppe hinunter, eilte aus dem Hause, setzte mit einem Sprunge über den Graben und eilte ohne Rock oder Hut in der Richtung, wo des Doktors einsame Wohnung stand. Die Nachbarn sahen ihn mit der Schnelligkeit des Windes vorbeieilen, blickten ihm verwundert nach und schüttelten die Köpfe. Mynheer Poots hatte den Weg noch nicht zur Hälfte zurückgelegt, da sein Knöchel verrenkt war. Aus Furcht vor den Folgen, wenn sein Diebstahl entdeckt werden sollte, sah er hin und wieder zurück, bis er endlich zu seinem Entsetzen Philipp Vanderdecken aus der Entfernung ihm nachstürzen sah. Vor Schrecken ganz außer sich, wusste der armselige Dieb kaum, was er tun sollte. Halt zu machen und das gestohlene Eigentum wieder zurückzugeben, war sein erster Gedanke; aber die Furcht vor Vanderdeckens Ungestüm tat Einsprache, weshalb er beschloß, nach Kräften zu eilen, um sein Haus zu erreichen. Dort konnte er sich verschanzen und so das entwendete Gut bergen oder wenigstens seine Bedingungen machen, ehe er es herausgab. Mynheer Poots hatte wohl nötig, schnell zu laufen, und tat es auch nach Kräften; seine welke Gestalt huschte rasch auf den Spindelbeinen über den Boden hin. Sobald jedoch Philipp bemerkte, dass der Doktor zu entfliehen versuchte, fühlte er sich völlig überzeugt, dass dieser der Schuldige war und verdoppelte deshalb seine Anstrengungen. Hundert Schritte von seiner Tür hörte Mynheer Poots Philipps raschen Tritt immer näher kommen, und die Todesangst beschleunigte seine Eile. Näher und näher vernahm er seinen Verfolger, bis er zuletzt dessen Atemzüge unterscheiden konnte; er schrie deshalb in seiner Furcht laut auf, wie der Hase im Rachen des Windspiels. Philipp befand sich nur noch eine Elle hinter ihm: sein Arm war bereits ausgestreckt, als der Doktor, vor Schrecken völlig gelähmt, zusammensank. Vanderdecken schoss in seinem Ungestüm über ihn weg, tat einen Fehltritt und sank, während er sein Gleichgewicht zu erhalten bemüht war, rollend auf den Boden. Dies rettete den Geizhals – er war ganz das Seitenstück eines Hasen. Im Nu befand er sich wieder auf den Beinen, und noch ehe Philipp sich erheben konnte, hatte Poots bereits seine Tür erreicht und sie von innen verriegelt. Der junge Mann war jedoch entschlossen, seinen wichtigen Schatz nicht aufzugeben, und warf keuchend seine Blicke umher, um zu sehen, welche Mittel sich darböten, um einen Eingang in das Haus zu erzwingen. Da jedoch die Wohnung des Doktors abgelegen stand, war jede Vorsichtsmaßregel getroffen worden, um den Eigentümer gegen Beraubung zu sichern; die untern Fenster hatten starke Gitter und die des oberen Stockes waren zu hoch, als da sie hätten erklommen werden können. Wir müssen hier bemerken, dass Mynheer Poots, der seiner anerkannten Tüchtigkeit eine gute Praxis verdankte, doch allgemein im Rufe eines hartherzigen, gefühllosen Geizhalses stand. Niemand durfte je über seine Schwelle kommen, oder hatte überhaupt nur Lust dazu. Er war so abgeschieden von seinen Nebenmenschen, wie seine Wohnung, und ließ sich überhaupt nur in Kranken- und Leichenstuben blicken. Wie es in seinem Hauswesen aussah, wusste Niemand zu sagen. Als er sich in der Gegend niederließ, zeigte sich hin und wieder auf das Klopfen Derjenigen, welche die Dienste des Doktors verlangten, ein altes, abgelebtes Weib; aber sie war bereits seit einiger Zeit begraben, und seitdem antwortete Mynheer Poots in Person, während die zudringlichen Hilfsbedürftigen in seiner Abwesenheit gar keinen Bescheid erhielten. Daraus folgerte man, dass der alte Mann ganz allein lebe, denn er war zu filzig, um einen Dienstboten zu bezahlen. Auch Philipp war dieser Ansicht, und sobald er wieder zu Atem gekommen war, sann er auf einen Plan, durch den er sich in den Stand setzen konnte nicht nur das gestohlene Eigentum wieder an sich zu bringen, sondern auch derbe Rache zu üben. Die Tür war stark und ließ sich durch die Hilfsmittel, welche sich Vanderdeckens Augen darboten, nicht erbrechen. Einige Minuten hielt er inne, um zu überlegen, und da sich in dieser Zeit sein Zorn kühlte, beschloss er, sich mit Zurückgabe der Reliquie zu begnügen, ohne Gewalttat anzuwenden. Er rief daher mit lauter Stimme: – »Mynheer Poots, ich weiß, dass Ihr mich hören könnt. Gebt mir zurück, was Ihr mir genommen habt, und ich will Euch kein Leid zufügen. Habt Ihr übrigens keine Lust dazu, so müsst Ihr die Folgen auf Euch nehmen, denn Ihr sollt mir den Diebstahl mit Eurem Leben bezahlen, ehe ich von der Stelle weiche.« Diese Worte waren in der Tat vernehmlich genug, um von Mynheer Poots gehört zu werden; der kleine Geizhals hatte sich jedoch von seinem Schrecken wieder erholt, und da er jetzt sicher zu sein wähnte, konnte er sich nicht entschließen, die Reliquie so leichten Kauf's aufzugeben. Er antwortete deshalb nicht, in der Hoffnung, Philipps Geduld werde sich erschöpfen, und sann auf ein Abfinden, etwa auf das Opfer einiger Gulden, die für einen armen Teufel wie Philipp keine Kleinigkeit waren, um sich so die Reliquie zu sichern, die ihm einen hohen Preis einzubringen versprach. Als Vanderdecken bemerkte, dass keine Antwort folgte, brach er in heftige Schimpfreden aus und entschied sich für Maßregeln, die ihrer Natur nach keineswegs unentschieden genannt werden konnten. Nicht weit von dem Hause stand ein kleiner Schober dürren Futters und unter der Hauswand ein Haufen Brennholz. Mit derartigen Hilfsmitteln gedachte Vanderdecken das Haus in Brand zu stecken und so, wenn er auch seine Reliquie nicht erhielt, wenigstens volle Rache zu nehmen. Er brachte mehrere Arme voll Heu herbei, legte sie an die Tür des Hauses und schichtete Reißbündel und Holzscheite auf, bis von der Tür nichts mehr zu sehen war. Dann griff er zu Stein, Stahl und Zunder, die jeder Holländer stets bei sich führt und hatte bald den Stoß zur Flamme angefacht. Der Rauch stieg in dichten Wolken zu den Dachsparren empor, während das Feuer unten wütete. Auch die Tür entzündete sich und vermehrte die Wuh der Flamme. Philipp jubelte in wilder Freude über den glücklichen Erfolg seines Versuches. »Ha, du erbärmlicher Leichenberauber – du armseliger Dieb, jetzt sollst du meine Rache fühlen,« rief Philipp mit lauter Stimme. »Wenn du drinnen bleibst, wirst du von den Flammen verzehrt, und versuchst du herauszukommen, so sollst du von meinen Händen sterben, – Hört Ihr's, Mynheer Poots – hört Ihr's?« Philipp hatte seine Anrede kaum beendigt, als das Fenster des oberen Stocks, das von der brennenden Tür am weitesten entfernt war, aufgerissen wurde. »Ha – jetzt kommst du, um zu bitten und zu betteln: aber da wird nichts daraus,« rief Philipp, machte aber plötzlich Halt, da sich an dem Fenster etwas zeigte, was ihm wie eine überirdische Erscheinung vorkam, denn statt der Jammerfigur des Geizhalses erblickte er eine der lieblichsten Gestalten, welche die Natur je zu schaffen beliebt hatte, ein wahres Engelwesen von ungefähr sechszehn oder siebenzehn Jahren, das in der Mitte der Gefahr, von welcher es bedroht war, die größte Ruhe und Entschlossenheit behauptete. Das lange Haar des Mädchens war in Flechten gelegt und zweimal um den schöngebildeten Kopf geschlungen; aus ihren großen dunkeln Augen leuchtete eine sanfte Glut, und ihre hohe weiße Stirne, ihr Grübchen-Kinn, die feingeschnittenen und gewölbten rubinroten Lippen stachen allerliebst, bezaubernd gegen die kleine, gerade Nase ab. Ein lieblicheres Antlitz kann man sich nicht leicht denken; es erinnerte an das, was die besten Maler in ihren glücklicheren Au-genblicken bisweilen zu verkörpern vermögen, wenn sie eine schöne Heilige darzustellen wünschen. Dazu noch die leckende Flamme und der Rauch, der an dem Fenster vorbeiqualmte – man hätte sie in ihrer ruhigen Haltung für eine Märtyrerin auf dem Scheiterhaufen nehmen mögen. »Was beginnst du, ungestümer junger Mann? Warum sollen die Bewohner dieses Hauses durch dich den Tod erleiden?« rief die Jungfrau mit Fassung. Philipp starrte die Gestalt einen Augenblick an und vermochte nicht zu antworten; dann erfasste ihn der Gedanke, dass er im Begriff sei, seiner Rache ein so liebliches Wesen zum Opfer zu bringen. In ihrer Gefahr alles Andere vergessend, ergriff er einen der großen Pfähle, die er zur Nahrung für die Flamme herbeigebracht hatte, und warf die brennende Masse nach allen Richtungen ausei-nander, bis nichts mehr zurückblieb, was das Gebäude hätte beschädigen können, als die lodernde Tür, welche gleichfalls noch keine sehr wesentliche Beeinträchtigung erlitten hatte, da sie aus einer dicken, eichenen Bohle bestand. Aber auch hier wurde die Flamme bald gelöscht, indem Philipp dem verzehrenden Element durch Erdklöse ein Ziel setzte. Während dieser tätigen Maßregeln von Seiten des jungen Mannes sah die Jungfrau schweigend zu. »Alles ist jetzt sicher, junge Dame,« sagte Philipp, »Gott verzeih' mir, dass ich ein so kostbares Leben in Gefahr setzen konnte. Ich hatte jedoch nur die Absicht, an Mynheer Poots meine Rache zu kühlen.« »Und welchen Grund kann Mynheer Poots zu einer so schrecklichen Rache gegeben haben?« versetzte das Mädchen ruhig. »Welchen Grund, junge Dame? Er kam in mein Haus und beraubte die Toten, indem er der Leiche meiner Mutter eine unschätzbare Reliquie abnahm.« »Er beraubte die Toten? – Nein, gewiss, das kann nicht sein – Ihr tut ihm Unrecht, junger Mann.« »Nein, nein. Es ist Tatsache, meine Dame – und diese Reliquie – verzeiht mir – aber diese Reliquie muss ich haben. Ihr wisst nicht, was davon abhängt.« »Geduldet Euch, junger Mann,« erwiderte die Jungfrau. »Ich werde bald wieder zurückkehren.«
Philipp wartete mehrere Minuten in Gedanken und Bewunderung verloren. Ein so schönes Wesen im Hause von Mynheer Poots! Wer mochte sie sein? Während er seine Betrachtungen über diese Frage anstellte, wurde er durch die Silberstimme aus seinen Träumen geweckt. Der Gegenstand derselben lehnte im Fenster und hielt in der Hand das schwarze Band, an welchem der so sehnlich verlangte Gegenstand befestigt war. »Hier ist Eure Reliquie, Herr,« sagte das Mädchen. »Ich bedaure recht sehr, dass mein Vater eine Tat beging, welche wohl geeignet war, Euren Zorn zu rechtfertigen. Aber hier ist Euer Eigentum,« fuhr sie fort, die Kapsel auf den Boden niederfallen lassend, »und jetzt könnt Ihr Euch entfernen.« »Euer Vater, Jungfrau? Kann dieser Mensch Euer Vater sein?« entgegnete Philipp mit einer Angelegentlichkeit, dass er sogar die Reliquie aufzunehmen vergaß, welche zu seinen Füßen lag. Sie würde sich ohne Antwort von dem Fenster zurückgezogen haben, aber Philipp fuhr fort: »Haltet, Jungfrau! Haltet einen Augenblick, bis ich Euch um Verge-bung gebeten habe für meine wilde, törichte Handlung. Ich schwöre Euch's bei dieser geheiligten Reliquie,« fügte er bei, indem er sie vom Boden aufhob und an seine Lippen führte, »dass ich nicht so gehandelt haben würde, wenn ich gewusst hätte, dass sich eine harmlose Person in diesem Hause befinde; umso mehr freut mich's aber jetzt, dass kein Schaden geschehen ist. Dennoch ist die Gefahr noch nicht vorüber, Jungfrau. Die Tür muss aufgeriegelt und die Pfosten, welche noch immer glimmen, müssen mit Wasser begossen werden, da das Haus sonst doch noch in Brand geraten könnte. Fürchtet nichts für Euren Vater, Jungfrau, denn hätte er mir auch tausendmal mehr Unrecht getan, so wäret Ihr doch im Stande, jedes Haar auf seinem Haupte zu schützen. Er kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich mein Wort halte. Erlaubt mir, das Unrecht, das ich verübt habe, wieder gut zu machen, und dann will ich mich entfernen.« »Nein, nein; traue ihm nicht,« sagte Mynheer Poots aus dem Inneren des Gemachs.
»Ja, ich will ihm trauen,« versetzte die Tochter. »Seine Dienste sind sehr von Nöten, denn was könnte ein armes, schwaches Mädchen, wie ich, und ein noch schwächerer Vater, in einer so beängstigenden Lage ausrichten? Öffnet die Tür, damit wir das Haus in Sicherheit bringen können.« Die Jungfrau redete sodann Philipp an: »Er wird die Tür öffnen. Ich danke Euch für den zugesagten freundlichen Dienst und baue unbedingt auf Euer Versprechen.« »Niemand kann mir nachsagen, dass ich je mein Wort gebrochen hätte,« erwiderte Philipp; »aber er muss sich beeilen, denn die Flammen brechen bereits wieder los.« Mynheer Poots öffnete nun die Tür mit zitternden Händen und flüchtete sich hastig wieder die Treppen hinauf. Die Wahrheit dessen, was Philipp gesagt hatte, war augenscheinlich. Es bedurfte vieler Eimer Wasser, bis das Feuer ganz gedämpft war; aber während des Löschgeschäftes ließen sich weder Tochter noch Vater blicken. Sobald alle Gefahr beseitigt war, schloss Philipp die Tür und blickte wieder nach dem Fenster hinauf. Das schöne Mädchen trat vor, und Philipp versicherte ihr mit einer tiefen Verbeugung, dass jetzt nichts mehr zu fürchten sei. »Ich danke Euch,« versetzte sie, – »ich danke Euch recht sehr. Ihr habt Euch anfangs zwar übereilt, aber doch zuletzt noch mit großer Umsicht benommen.« »Bemerkt Eurem Vater, Jungfrau, dass ich keinen Groll mehr gegen ihn hege und dass ich nach einigen Tagen kommen werde, um seine Forderung zu befriedigen.« Das Fenster schloss sich. Philipp sah in großer Aufregung, aber mit ganz anderen Gefühlen, als bei seiner Ankunft, eine Minute lang darnach hinauf und lenkte dann seine Schritte nach der eigenen Wohnung.