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IX.
Valdivia (Chile)

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»Wollen Sie nicht ein wenig an's Steuer gehn,« sagte der Kapitain, nachdem ich fünf Minuten vorher das gute Barkschiff Dockenhuden als wohlbestallter Supercargo bestiegen hatte.

Ich antwortete lakonisch, wie man es zur See liebt »Ja Kapitain!« und trat wirklich an's Steuer.

Die Sache war die, daß guter Landwind war, und alle Hände beschäftigt waren, die Segel frei zu machen, um aus dem Hafen von Valparaiso zu kommen, denn der Dockenhuden, auf welchem ich mich befand, war nach Valdivia bestimmt und hatte keine Zeit zu verlieren. Dies war mir einigermaßen klar, weniger aber, oder gar nicht wußte ich, wie ich das Steuer handhaben sollte. Aber ich war ja Supercargo, und mußte als solcher doch wohl schon so häufige Seereisen gemacht haben, um ein wenig steuern zu können!

Zu des Lesers Trost, welcher vielleicht nicht weiß, was ein Supercargo ist, will ich gestehen, daß ich es zu jener Zeit selbst nicht wußte.

Zwei Tage, ehe ich den Dockenhuden bestieg, frug mich Freundt: »Wollen Sie mit einem Schiffe, welches ich expedire, nach Valdivia?«

»Ja!«

»Wie viel Zeit brauchen Sie, um fertig zu werden?«

»Zwei Stunden!«

»Sie haben zwei Tage.«

Die Geschichte war kurz abgemacht. Als ich gieng, sagte Freundt noch, er habe mich als Supercargo für den Dockenhuden eingeschrieben, und als ich frug, was ich als solcher zu thun habe, erwiederte er. »Nichts!« Der Grund, warum mich Freundt's vorsorgliche Gefälligkeit mit diesem Titularposten betraute, war aber der, um mir den Paß zu sparen, den jeder von Valparaiso Abgehende haben muß, während der Ankommende keinen bedarf. Die Polizei hält strenge Controlle, und da jeder, der einen Paß verlangt, 24 Stunden lang am Polizeigebäude öffentlich angeschlagen wird, ist es nicht wohl möglich, mit Schulden zu entwischen. Ein solcher Paß aber kostet, irre ich nicht, drei Peso. Aber Bedienstete auf einem Schiffe bedürfen keines Passes, und so war mir ein für allemal die Paßplackerei erspart.

Später erst erfuhr ich, daß der Supercargo diejenige Person ist, welche die kaufmännischen Geschäfte an Bord zu besorgen hat. Gott weiß, daß unter allen Aemtern auf der Welt ich eben diesem am wenigsten gewachsen war.

Was mein Steuern betrifft, so machte anfänglich der Kapitain Bewegungen mit der Hand, welche Backbord und Steuerbord bedeuteten, und indem ich hiernach das Steuerrad drehte, gieng alles vortrefflich. Aber es entfalteten sich immer mehr und mehr Segel, der Kapitain begann sein plattdeutsches Kommando, und ich wußte nicht mehr, sollte ich rechts, links, stark oder schwach, oder gar nicht drehen.

Ich drehte aber dennoch, und zwar nach Gutdünken, einmal Backbord, dann Steuerbord, und da mich allmählig die Wuth der Langweile erfaßte, endlich so stark, daß der Dockenhuden sonderbare Bewegungen begann. Nun rief der Kapitain: »Was Teufels machen Sie?« Ich antwortete: »Ich steure!« Hierauf folgten Erklärungen und der Kapitain stellte sich lachend selbst an's Steuer, bis alle Segel klar und ein Matrose den gewöhnlichen Dienst übernahm. Aber als ich dort vom Steuer gieng, fühlte ich zum erstenmale eine Anwandlung von Seekrankheit.

Der Dockenhuden führte wenig Ballast, und schwankte deshalb, vielleicht auch in Folge meines Steuerns, ziemlich stark, ich aber war dieser Bewegung theils ungewohnt, theils zu rasch in dieselbe versetzt worden.

Indessen ließ ich mir nichts merken, legte mich in meine Koje und nahm einen tüchtigen Schluck Rum. Nach einer halben Stunde war alles vorüber, und ich hatte dort zum ersten und letzten Male einen entfernten Begriff bekommen, wie es denen zu Muthe sein mag, die Monate hindurch wirklich seekrank sind6.

Der Dockenhuden war eine schöne Barke von 400 Tonnen und gehörte einem der bedeutendsten Rheder in Hamburg. Ich habe später mit demselben Schiffe die Rückreise nach Europa gemacht, und mich mit dem Kapitain sowohl als mit der Mannschaft stets auf's Beste vertragen. Für jetzt aber waren wir nach Valdivia bestimmt, um dort Holz einzunehmen. Man bedarf gewöhnlich, um von Valdivia nach Valparaiso zu kommen, 3 Tage, denn man benutzt den unausgesetzt wehenden Südwind, und kann vor dem Winde und mit Leesegeln fahren. Bei der Hinreise aber muß man einen Winkel machen, d. h. man muß fast 600 englische Meilen weit westlich, dann aber wieder östlich halten, um bei dem Winde, d. h. mit Seitenwind, fahren zu können. Man bedarf auf diese Weise 10 bis 14 Tage, oft noch länger. Wir indessen kamen in 10 Tagen zum Ziele.

Es ergab sich auf der kleinen Reise wenig Merkwürdiges, doch will ich eines Meteors erwähnen. Es zog nämlich eines Abends bei fast wollkenleerem Himmel von Ost nach West eine Sternschnuppe mit so intensivem Lichte, daß, obgleich noch kein einziger Stern am Himmel zu bemerken und es fast heller Tag war, dennoch das Meteor den Glanz der Venus zeigte.

Eine andere Erscheinung, welche ich am Lande nie, wohl aber später öfter auf See wahrgenommen habe, war eine Art Luftspiegelung, welche ich auf jener Fahrt einige Tage nach jener Sternschnuppe das erstemal bemerkte.

Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang zeigte sich in der, der Sonne gerade entgegensetzten Himmelsgegend, mithin am östlichen Himmel, in den Wolken das Spiegelbild der Sonnenstrahlen, jedoch in verkehrter Richtung, so daß, während im Westen die sichtbaren Strahlen der Sonne abwärts divergirten, sie im Osten den Eindruck der aufgehenden Sonne machten, und aufwärts divergirten.

Die Spiegelung war klar und deutlich ausgesprochen und man hätte zur Morgenzeit wirklich an einen Sonnenaufgang glauben können.

Am 15. Januar hatten wir den ganzen Tag die Insel Mas a fuera (wörtlich: meide außen) in Sicht. Ich habe die Felseninsel von mehreren Seiten gezeichnet, und habe mich, nach Hause gekommen, über die Aehnlichkeit meiner Skizze mit der Zeichnung gefreut, die Anson vor hundert Jahren entworfen hatte. An ein Landen war natürlich nicht zu denken.

Möven, Seeschwalben und eine kleine schwarze Art Albatroß waren unsere fast steten Begleiter, auch sahen wir zahlreiche Quallen, worunter mehrere von wohl zehn Fuß Länge bandartig und gegliedert. Diese letzteren Arten sollen von den Wallfischen gespeist werden. Wirklich sahen wir auch am 16. October mehrere Wallfische in nicht großer Entfernung bei uns vorüberziehen und des andern Morgens einen Wallfischjäger, aber die Hoffnung, einer Jagd beiwohnen zu können, wurde zu nichte, denn jetzt ließ sich kein Wallfisch sehen.

Wir indessen jagten auf schöne Delphine mit weißem Bauche und schwarzem Rücken, Springfische von den Seeleuten genannt, aber ohne Erfolg, indem wir zwar die Thiere verwundeten, aber nicht an Bord brachten.

Auch Hornfische7 begleiteten ziemlich zahlreich längere Zeit unser Schiff. Ihre Größe betrug etwa einen Fuß und ihre bunte Färbung, das ganze prismatische Bild repräsentirend, machte sie zu einer lieblichen Erscheinung.

Vor fünf Monaten hatte ich dasselbe Meer befahren und seine Fauna als eine spärliche bezeichnen müssen, während wir jetzt keine viertel Stunde segelten, ohne Thieren der verschiedensten Art zu begegnen, aber wir hatten jetzt Sommer, und es betätigte sich, daß mit wenig Ausnahmen, etwa der Eisbären und einiger ihnen gleich gestimmten menschlichen Seelen, jedes vernünftige und unvernünftige Thier die Wärme mehr als die Kälte liebt.

Am 22. des Morgens erblickten wir die Küste von Valdivia. Aus steilen bergigen Abhängen bestehend und wohl in ähnlicher Form auftretend wie die nördlicher gelegenen Küstenstriche, wird der Anblick derselben modificirt durch den Waldwuchs, der sie allenthalben bedeckt. Ich habe deutsche bewaldete Flußufer zu sehen geglaubt, als wir dicht am Lande hinfuhren, und ich das stille Meer hinter mir, sammt seiner ziemlich geräuschvollen Brandung vor mir, absichtlich ignorirte.

Wir liefen Nachmittags in den Hafen ein, und bald betrat ich das Land, mit dem eigenthümlichen Wohlbehagen, welches der Naturforscher fühlt, wenn er den Fuß auf einen ihm noch unbekannten Boden setzt.

Es war die Bai von Corral, der Hafen von Valdivia, vor Jahren einer der wichtigsten Plätze der Westküste. Welche Bedeutung man auf den Hafen gelegt, zeigen die Menge der Forts, welche zur Befestigung desselben angelegt. Aber sie liegen in Trümmern diese Forts. Die Zeit und die Stürme der Revolution haben sie gebrochen und mehr vielleicht noch die Nachlässigkeit, mit welcher die Spanier das von ihren Vätern Erworbene beschützten und unterhielten. Bäume stehen innerhalb der Ringmauern, Lianen wuchernd um die verfallenen Laffetten der Geschütze und der Urwald8, in nächster Nähe von Batterien, hat nicht seine Herrschaft aufgegeben über das jungfräuliche Land.

Der Eingang des Hafens liegt gegen Norden wie fast alle chilenischen Häfen, und bietet daher wenig Schutz vor den dorther kommenden Stürmen, während bei anderen Windrichtungen das Wasser der allenthalben geschlossenen Bai oft kaum bewegt wird.

Die den Eingang beschützenden Batterien, Fort Carlos und Niebla-Batterie, liegen in Trümmern, eben so die Gonzalo-Batterie und mehrere kleinere. Nur das Fort Corral steht noch nothdürftig zusammengehalten da, Häuser und Hütten in seiner Nähe bilden den Flecken Corral. Die Bai ist ringsum bewaldet. Ihre Breite beträgt eine halbe englische Meile an der Stelle, wo sie sich gegen den See hin öffnet, aber von dort geht ihre Längenerstreckung über zwei englische Meilen in's Land, und das zwar in direkter Richtung gegen Süd. Aber jener Theil derselben, die sogenannte St. Johns Bai, kann zum großen Theile nicht mit größeren Fahrzeugen befahren werden und verflacht sich am Ende dergestalt, daß zur Zeit der Ebbe die Bai wohl auf eine Viertelstunde weit trockenen Fußes überschritten werden kann.

In der Bai selbst mündet der Rio de Valdivia, welcher aber, weiter gegen oben, andere Namen führt, Rio de Arige, Callse-Callè Fluß und Rio de las ciruelas, der Pflaumenfluß.

Der Fluß ergießt sich in zwei Armen in die Bai und bildet so eine Insel von etwa zwei englischen Meilen Breite und Länge, die Isla del Rey, und selbst hier wird dieser eine Arm wieder anders genannt, Rio de poco commer, oder wörtlich Fluß wo wenig zu essen. Kleine Flüsse ergießen sich noch mehrere in die Bucht, so der St. Johns Fluß und einige andere, welche wie ich glaube keine Namen haben.

Ziemlich mitten in der Bai liegt die Manzera-Insel. Die in die Bai mündenden Flüsse, die Inseln, die Bergabhänge, bewaldet, aber nicht so steil abfallend wie jene gegen die See, machen einen freundlichen Eindruck, der indessen den Charakter des Wilden und Romantischen nicht verloren hat.

Die Grundform des Gebirgs ist die granitische, hier durch Glimmerschiefer repräsentirt in allen Nüancen. An einigen Orten von so feinem Gefüge, daß letzteres kaum mit unbewaffneten Augen zu erkennen, tritt nicht weit hievon wieder ein Gestein auf, in welchem mehrere Zoll große Tafeln von Glimmer und Quarzfragmente von entsprechender Größe zu finden sind. Mittelstufen fehlen nicht. In der Nähe des Forts Corral, und dort das Ufer bildend, an welchem man mit den Booten landet, findet sich ein festes Conglomerat aus Fragmenten von Glimmerschiefer und allen erdenklichen Geröllen der See zusammengesetzt. Diese Bildung, jedenfalls eine secundäre, und ein secundärer Süßwassersandstein mit Versteinerungen, der an verschiedenen Stellen der Fluß-Ufer vorkömmt, bilden die geognostische Form der Bai und ihrer nächsten Umgebung. Aber auch weit hinein in das Land tritt Glimmerschiefer auf, wie mir dort wohnende Deutsche versichert haben. Ich habe der wenigen eigentlichen mineralogischen Beimengungen, welche sich in dem erwähnten Glimmerschiefer finden, in einer wissenschaftlichen Abhandlung, welche in den Denkschriften der k. k. Academie in Wien erschienen ist, näher gedacht, und will, um den Leser nicht zu ermüden, hier nicht weiter von denselben sprechen. Aber einer komischen Täuschung, einer geognostischen Anekdote will ich gedenken, welche mich in nicht geringe Aufregung versetzt hat. Mehrere Tage nach unserer Ankunft im Hafen, und mit den einfachen Formen der auftretenden Gesteine schon fast vertraut, ging ich einst streifend und Handstücke des Glimmerschiefers schlagend, unweit der Küste, als ich plötzlich einige Gesteine fand, zerstreut als Findlinge umherliegend, welche nicht entfernte Aehnlichkeit mit den dort anstehenden hatten. Ich nahm einige auf und ging weiter. Neue Seltenheiten, sich mehr und mehr häufend! Laven, Granite, Dolerite und Porphyre aller Art und mitten unter ihnen Sandsteine und Kalkgebilde, friedliche Kinder des Neptun unter jenen feuererzeugten Söhnen der Unterwelt. Schon begann ich an einer Theorie zu arbeiten, als ich der Spur jener Raritäten folgend, endlich an eine Stelle kam, wo eine ganze Halde der fabelhaften Formen aufgethürmt lag.

Ich frug eine alte Frau, welche dort in der Sonne liegend ihre Cigarre rauchte, woher die Steine, denn mir war wohl bekannt, daß alte Weiber Vieles wissen, und ich erhielt die Antwort: »von den Schiffen!«

Das Räthsel war gelöst. Es war dort die Stelle, wo die Schiffer, vielleicht so lange der Hafen bestand, ihren Ballast löschten und auch wieder aufnahmen, und so war es nicht zu verwundern, daß dort sich die bunteste Musterkarte von Gesteinen vorfand, welche unschätzbar gewesen wäre für den Geognosten, hätten die Matrosen nicht vergessen die Fundorte auf den Exemplaren zu bemerken.

Der ganze landschaftliche Charakter des Hafens von Corral und seiner Umgebung ergiebt sich am besten aus einigen Excursionen, von welchen ich sogleich unten berichten muß, nur will ich hier noch des Blickes auf den 60 Stunden weit entfernten Vulkan von Villarica erwähnen, welcher bei heiterem Wetter als eine glänzende weiße Pyramide zu sehen ist, wenn man nur irgendwie einen halbweg erhöhten Standpunkt gewählt hat.

Ohne Zweifel ist dieser Vulkan einer der höchsten in der ganzen Kette der Anden und die trigonometrischen Messungen, welche in neuerer Zeit von Engländern angestellt worden sind, haben hohe Zahlen ergeben, welche ich aber nicht anführen will, da mir bestimmte Angaben über jene Untersuchungen bis jetzt noch fehlen. Der Vulkan ist noch thätig und von Zeit zu Zeit steigen von seinem Gipfel Rauchsäulen in die Höhe, welche vom Hafen aus gesehen werden können.

Einer meiner ersten Besuche galt einem Deutschen, Ernst Fricke, einem sehr gebildeten und tüchtigen jungen Manne, welcher dort eine Sägemühle besitzt. Zur Zeit meines Aufenthaltes war seine Wohnung, wenn gleich bequem und die Sägemühle gut construirt, doch nicht ohne den Reiz des romantischen Ansiedlerlebens. Ein älterer Bruder von Fricke, dessen Bekanntschaft ich einige Tage später machte, wohnt auf der Isla del Rey. Ich bin von den Brüdern auf das Freundlichste aufgenommen worden und es war mir ihre Bekanntschaft von großem Nutzen, da beide mehrfache Reisen in's Innere gemacht hatten und schätzbare Notizen über das Land mittheilten.

Auch auf der Insel Manzera wohnte ein Deutscher, welcher indessen dort nicht stabil war, sondern als Verwalter eines anderen Landsmannes später in's Innere abzugehen die Absicht hatte. Ich kam mit den eingebornen Bewohnern von Corral weniger in Berührung, doch machte ich die Bekanntschaft zweier liebenswürdigen Damen, der Gattin und Schwiegermutter des älteren Fricke, welche zur Zeit dort wohnten.

Am zweiten Tage unseres Aufenthaltes im Hafen fuhr ich zu Boote mit dem Kapitain nach Valdivia, welches die Hauptstadt der Provinz ist, und etwa drei oder vier Stunden vom Hafen entfernt liegt. Die mit Urwald bedeckten Ufer des Flusses gewährten einen prachtvollen Anblick, und entsprachen den Schilderungen, welche man vom Innern Nordamerika's entworfen hat. Dichtes Gebüsch reicht allenthalben bis an die Oberfläche des Wassers, mächtige Stämme überragen säulenartig das Unterholz und sind nur durch Schlingpflanzen mit demselben verbunden. Die Alerze, der rothe Cederbaum, der bisweilen einen Durchmesser von 15 Fuß erreicht, die Rotheiche, Pellin genannt, Roble, die Buche, dann Ulmen und Lorbeerarten bilden dort, so wie in der Provinz Valdivia überhaupt, vorzüglich den Baumschlag. Zwischen ihnen steht die Quila, ein Rohr, welches gegen oben ein so dichtes Flechtwerk bildet, daß dasselbe bequem einen Mann trägt, und die Colique, ebenfalls eine Bambusce, die eine Höhe von 40 Fuß erreicht, und aus welcher die Indianer ihre gefürchteten, oft 20 Fuß langen Lanzen verfertigen. Ein Hauptschmuck jener Wälder aber sind die kleinen Bäume der mehrfachen Lorbeerarten, die Myrthen, Fuchsien und andere, welche fast alle mit buntfarbigen zierlichen Blüthen geschmückt sind und ein prachtvolles Unterholz bilden.

Aber nicht allein am Lande und auf den Bergabhängen der Ufer stehen jene riesigen Stämme. Sie sind nicht selten in's Wasser gestürzt und von der Strömung des Flusses fest gerannt worden; so ist die Fahrt nicht ohne alle Gefahr, versteht man nicht geschickt ihnen auszuweichen. An manchen Stellen des Waldes haben Brände stattgefunden, meist absichtlich erzeugt, um vielleicht eine kleine Strecke zu cultiviren, wohl selbst einen Weg zu bahnen, und jene öden Stellen, mit den mächtigen aber erstorbenen Stämmen, und je nachdem nur eben wieder am Boden mit beginnendem Gebüsche bewachsen, bilden einen eigenthümlichen Contrast mit der üppigen Vegetation, welche neben ihnen wuchert.

Während wir so, bald dicht an den Ufern des Flusses, bald Baumstämmen ausweichend, auf dessen Mitte dahinfuhren, machten wir Jagd auf verschiedenes Vogelwild, das in reichlicher Fülle vorhanden. Wasservögel verschiedener Art, Enten, Taucher, Möven und am Lande vorzugsweise eine schöne große Taube, die Columba araucana, und eine Schnepfenart waren die vorzüglichste Beute, welche nach der Heimkunft redlich getheilt wurde zwischen meiner Sammlung und der Schiffsküche.

So hatten wir eine fröhliche Fahrt auf dem Flusse, gegenseitig wetteifernd, wer das meiste Wild erlege, und ich fand, daß der Kapitain ein trefflicher Schütze.

In Valdivia angekommen, trennten wir uns. Fricke, welcher ein leichtes, vortrefflich segelndes Boot hatte, war uns vorausgeeilt und empfing uns, indem er mich in das Haus eines dort beim Schulwesen angestellten Deutschen führte, wo ich so herzlich aufgenommen, wie allenthalben von den deutschen Landsleuten, und sogleich mit einigen Insekten beschenkt wurde. Doch blieb ich nicht lange bei jenen freundlichen Leuten, da ich die Stadt besichtigen wollte, und aus der Unterhaltung mit den anwesenden chilenischen Damen ist mir nur noch die Furcht erinnerlich, welche dieselben vor einem Einfalle der araukanischen Indianer bezeigten, welchen ein grundloses Gerücht zu jener Zeit in Aussicht gestellt hatte.

Die Stadt Valdivia hat ein sehr ländliches Ansehen. Die meisten Häuser liegen isolirt zwischen Gärten, Gebüsch und Rasenplätzen, und unfern der Stadt beginnt wieder der Wald. Die Wohnungen, meist einstöckig, sind von Holzarbeit und haben den eigenthümlichen Styl des Landes, der theils an alterthümliches Täfelwerk erinnert, doch auch wieder Aehnlichkeit hat mit der Art und Weise, wie man moderne Schweizerhäuschen in Anlagen und Gärten errichtet. Doch fehlen auch größere Gebäude nicht und eben als ich anwesend war, beschäftigte man sich mit dem Bau einer Kirche, deren Plan vom älteren Fricke entworfen war. Ich hatte die vier Matrosen, welche das Boot gerudert hatten, zum Mittagessen gebeten, und als wir uns in einem Gasthause versammelt hatten, welches so ziemlich, wenn auch nicht ganz nach europäischer Art eingerichtet, und in welchem man nicht übel aufgehoben war, staunte ich über den Anstand und Takt, welchen diese vier jungen Männer entwickelten. Bescheiden ohne blöde, heiter ohne übermüthig zu sein, waren sie so weit entfernt von dem Bilde, welches man sich meist von »dem Seemann am Lande« zu entwerfen gewohnt ist, daß ich kaum mein Erstaunen bergen konnte. Ohne Widerrede hatten sie meine Einladung angenommen, aber als sie nach einigen Tagen im Hafen die Erlaubniß erhalten hatten, an's Land zu gehen, unternahmen sie in meinem Interesse einen Streifzug und brachten mir des Abends einige Amphibien und schöne Insekten, welche mich doppelt erfreuten.

Des Nachmittags besuchten uns mehrere andere in Valdivia lebende Deutsche im Gasthofe, und manches austauschende Wort wurde dort gesprochen über Chile und das Vaterland. Alle waren gut gestellt in ihrer neuen Heimath. Doch aber war eine leise Sehnsucht nach dem Vaterlande, nach dessen Sitte und Brauch nicht zu verkennen. Mag jeder es wohl bedenken, der das Land in dem er geboren für immer verlassen will. Es mag sich wohl treffen, daß in der Fremde er nach Zuständen sich zurücksehnt, die ihm hier gleichgültig, ja daß er an Persönlichkeiten mit Zuneigung denkt, welche er zu Hause kaum der Beachtung werth gehalten. Aber mit welcher Macht drängt sich in manchen Stunden die Sehnsucht nach verlassenen Lieben an's Herz, und mit welcher Versöhnlichkeit betrachtet man deren Fehler und Schwächen!

Spät des Abends und wohlzufrieden mit der kleinen Reise, kamen wir an Bord zurück. Aber einige Tage später, während der Kapitain und ich zufälliger Weise am Lande, kamen einige Damen von Valdivia zu Boote auf Besuch zu uns und brachten mir den sorgfältig verpackten Schädel eines Araukaners zur Erinnerung an unser Gespräch in der Stadt, und um meine Sammlung zu bereichern, wenn gleich, wie sie mir sagen ließen, mit mächtigem Grausen. –

Vieles Vergnügen verschaffte mir in der Bai von Corral die Jagd auf Papageien. Ich habe nur eine einzige Species dort getroffen, von den Einwohnern Choi genannt9, aber diese in großer Anzahl. Sie hausen auf den bewaldeten Hügeln, mit welchen die Bai umgeben ist, und leben des Tages über in Haufen von zehn bis zwölfen zusammen, wohl auch vereinzelt, indem sie meist auf den höchsten Bäumen sich aufhalten. Gegen Abend aber versammeln sie sich in großen Schwärmen und fliegen von einem der Hügel zum andern, indem sie, ähnlich wie in Deutschland die Dohlen, ein wahrhaft schauderhaftes Geschrei erheben. Stellt man sich versteckt in eine der Schluchten, über welche auf diese Weise der ganze Schwarm hinwegfliegt, so kann man, wenn das Gewehr weit trägt und man groben Hagel geladen hat, öfters in einem Abende zum Schusse kommen, und ich habe auf diese Art viele erlegt, da sie, wenn sie den Schützen nicht sehen, sich wenig um den Schuß zu kümmern scheinen und ihr Hin- und Herfliegen wiederholen. Indessen bietet es Schwierigkeiten, das geschossene Thier zu finden, da seine grüne Farbe sich kaum von der des Grases unterscheiden läßt. Nur verwundete Thiere verrathen sich hingegen selbst durch ihr furchtbares Geschrei und die Hast, mit welcher sie zu entkommen suchen.

Dieser Papagei wird von den Einwohnern der Bai nicht selten als Hausthier gehalten, und läuft frei, aber freilich mit arg und häßlich beschnittenen Flügeln in den Wohnungen umher. Er scheint sich sehr leicht zähmen zu lassen und ein zähes Leben zu besitzen. Ich habe eines Tages einen derselben, der, wie sich später zeigte, nur am Flügel verwundet war, um ihn zu ersticken, mit aller Kraft unter den Flügeln gedrückt, hierauf als er kein Lebenszeichen mehr von sich gab, die Rachenhöhle mit Löschpapier verstopft, um das Beschmutzen der Federn mit Blut zu verhindern, und alsdann in eine Düte gewickelt in die Pflanzenkapsel gelegt, da er zum Abbalgen bestimmt war. Aber als wir noch einige Stunden Rast hielten und zufällig die Kapsel geöffnet wurde, stieg der Vogel munter aus derselben, und ergab sich so leicht in sein Schicksal, daß er schon nach einigen Tagen aus der Hand Futter nahm, und allenthalben an Bord frei umher lief. Leider fiel er später in's Wasser und ertrank.

Das Fleisch dieser Thiere gewährt eine vortreffliche Speise und erinnert an jenes der wilden Tauben.

An den Ufern des Valdivia-Flusses, wo hauptsächlich jene schon oben erwähnte Sandsteinbildung vorkömmt, finden sich prachtvolle kleine Buchten und hie und da im Gebüsche versteckte Höhlen. Ernst Fricke führte mich in mehrere derselben, in welche man nur mittelst des Bootes gelangen konnte, und ich habe die romantische Lage dieser kleinen Asyle bewundert, deren Zugang ich bald besser zu finden wußte, als vielleicht mancher im Hafen Geborene. Auch im Glimmerschiefer findet sich unweit des Forts Corral eine Höhle, deren Wände stets von durch Felsenspalten eindringendes Wasser feucht und ganz mit Farrenkräutern überzogen sind. Ich war so glücklich dort zwei neue Arten aufzufinden10, und mache absichtlich hier auf diesen Fundort aufmerksam, weil ich sonst nirgends eine Spur derselben gefunden habe.

Während wir im Hafen von Corral lagen, kam die schon oben bezeichnete chilenische Fregatte von Valparaiso aus dorthin, in Begleitung einer Corvette. Beide Fahrzeuge hatten Soldaten am Bord, welche eine Zeit lang im Hafen verweilen sollten.

Die Indianer von Araukanien hatten kurz vorher ein an ihrer Küste gestrandetes Schiff geplündert, zugleich waren bei dieser Gelegenheit einige Menschen verloren gegangen. Es hatten ohne Zweifel die Gestrandeten und die Indianer sich nicht hinlänglich verständigen können. Die Letzteren hatten vielleicht allzu großes Wohlgefallen an den Waaren gefunden, welche das Schiff führte, und die Europäer hielten allzu hartnäckig an ihrem Eigenthume, oder es mögen auch andere Mißverständnisse eingetreten sein, die Thatsache war die oben bezeichnete. Aber in Chile sprach man nicht gerne von derselben, legte indessen jene Truppen nach Corral und Valdivia, um eine Demonstration zu machen, und etwaigen weiteren Gelüsten der Araukaner Einhalt zu thun. Es kam dadurch viel Leben in den Hafen, welcher sonst ziemlich verödet war, indem zugleich mit jenen Schiffen auch noch eine Barke von Hamburg, die Victoria, einlief. Der Kapitän der Victoria war ein Bruder des unsrigen, und es war ein freudiges Wiedersehen der beiden Brüder, welche sich seit Jahren nicht gesehen, ja kaum sichere Nachricht von einander erhalten hatten.

Das Leben am Bord war jetzt ein anderes geworden. Während ich sonst früh mit Tagesanbruch meist allein an's Land ging, in den Bergen streifte und spät des Abends wieder heimkehrte, wurden jetzt gemeinschaftliche Jagden unternommen, und zugleich von meiner Seite das Sammeln großartiger betrieben, da die Passagiere der Victoria, nach Chile auswandernde Deutsche, mich zum größten Theile teilnehmend unterstützten. Kugelbüchse und Botanisirkapsel, Insektenschachtel und Mineralienhämmer hatten wieder, wie früher in Valparaiso, ihre freundlichen Träger gefunden, und es wurde mancher Tag fröhlich in den Bergen zugebracht. Kamen wir zeitig an Bord zurück, so statteten wir uns häufig gegenseitige Besuche ab, von welchen wir oft spät in der Nacht heimkehrten. Ich werde nicht leicht einer solchen Heimfahrt vergessen. Ich war mit Kapitän Maier an Bord der Victoria gegangen, aber während wir in der Kajüte plaudernd und zechend fast vergessen hatten, daß wir uns nicht auf festem Boden befanden, hatte sich außen ein heftiger Nordwind erhoben, und zugleich war Land und See mit solch einer undurchdringlichen Finsterniß bedeckt, daß man buchstäblich nicht die Hand vor den Augen sehen konnte. Da es des Zolles halber verboten war, Waaren, ja selbst eine einzige Flasche Wein von einem Schiffe auf das andere zu bringen, so hatte ich jenen Abend benutzen wollen, sechs Flaschen Portwein, welche ich auf der Victoria an mich gebracht hatte, auf den Dockenhuden zu schaffen, mit anderen Worten: zu schmuggeln. Man kann sich denken, daß ich, diese sechs Flaschen in den vielfachen Taschen meines Kapuzmantels geborgen, schon ziemlich schwerfällig vom Fallreef aus in das Boot gelangte. Denn wie schon bemerkt, bewegt heftiger Nordwind das gegen diese Seite nicht geschützte Wasser des Hafens oft auf bedenkliche Weise, und schon waren die Wogen so hoch, daß das Boot fünf bis sechs Fuß gehoben wurde, um im andern Augenblicke wieder eben so tief zu sinken. Mit den Händen an der Strickleiter mich festhaltend, suchte ich mit den Füßen das Boot zu erspähen, welches, fühlte ich es einmal einen Moment, im andern Augenblicke wieder verschwunden war. Ließ ich zur unrechten Zeit los, so fiel ich natürlich in's Wasser, und war unrettbar verloren mit meinem schweren Mantel und den sechs Flaschen. Dabei wurde kein Wort gewechselt. Es waren noch, wie ich glaube, andere Gegenstände im Boote, welche man ebenfalls nicht der Besichtigung der Zollbediensteten auszusetzen wünschte, und so vermied man unnöthigen Lärm. Endlich ließ ich los und kam glücklich in's Boot. Es gelang unseren Matrosen bald von der Steuerbordseite der Victoria zu kommen, aber nun tanzte das Boot in solch verzweifelten Sprüngen auf den Wogen, daß ich ernstlich an ein Umschlagen zu glauben anfing. Der Wind wuchs in bedrohlicher Heftigkeit, eine See über die andere schlug in's Boot und Wind und Wetter lärmten dermaßen, daß man die Zollbedienten nicht mehr zu fürchten brauchte. Wirklich stand jetzt der Kapitain, der steuerte, auf, und rief mit lautester Stimme den Matrosen seine Befehle zu.

Oefter habe ich in ähnlichen Fällen empfunden, welch eine einfältige Rolle der Passagier bei solchen Gelegenheiten zu spielen verdammt ist. So gut wie der Seemann wird er ertrinken, tritt ein Unfall ein. Aber er kann nichts thun, ihn abzuwenden, ja er ist allenthalben im Wege, sucht er zu helfen. Seine Obliegenheit ist sich zu ducken, sich möglichst klein zu machen, und wo möglich zu schweigen. Das Alles habe ich in jener Nacht gethan zum allgemeinen Besten, in meinem eigenen Interesse aber zog ich leise die Arme aus den Aermeln des Mantels und löste die Riemen meiner Schuhe, um in einem Momente alles abstreifen zu können und schwimmfertig zu sein.

Es war glücklicher Weise nicht nöthig. Wir sahen endlich, denn nach und nach hatte sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt, in unbestimmten Umrissen den Dockenhuden vor uns und waren bald am Fallreef. Man kömmt, am Fallreef wenigstens, leichter aufwärts, als abwärts, so war ich bald oben. Einige Sekunden war eine Laterne auf Deck, auch auf der Victoria blitzte ein Licht auf und verschwand alsbald wieder. Man hatte sich die Ankunft signalisirt, denn man mochte von beiden Seiten nicht ohne alle Bedenklichkeit gewesen sein, und unsere Fahrt hatte fast eine halbe Stunde gedauert, obgleich beide Schiffe nicht ganz vierhundert Schritte entfernt von einander lagen.

An Bord wurde, wie gewöhnlich, keine Silbe über die Fahrt gesprochen, nur sagte der Kapitain, nachdem wir etwa 10 Minuten angelangt, zu mir. »Portwein verstaut?« Worauf ich antwortete. »Schon verstaut.« Er war es auch bereits, der liebe Portwein, verstaut, d. h. ge- und verborgen unter lebenden Taranteln, Scorpionen und Schlangen und zum Ueberflusse von einigen menschlichen Schädeln bewacht, und kein chilenischer Zollbediente hätte ihn weder gesucht wo er war, noch angerührt, hätte er ihn gefunden. Aber sie kamen nicht in jener Höllennacht, wohl aber einige Tage später bei hellem Sonnenscheine11

6

Man hat in neuerer Zeit das Chloroform gegen die Seekrankheit empfohlen. Längere Zeit schon vor meiner Abreise aus Deutschland, sowohl mit den Einwirkungen des Schwefeläthers, als auch des Chloroforms auf den Organismus beschäftigt, habe ich bereits auf der Ueberfahrt nach Chile im Jahr 1849 mehrfache Versuche in dieser Beziehung angestellt, aber leider alle erfolglos. Ich habe Chloroform innerlich, mit Wasser von fünf bis zu zehn Tropfen gegeben, ich habe es einathmen lassen und sowohl örtliche Einreibungen in der Magengegend machen, als auch Flanellstücke, mit Chloroform befeuchtet, tragen lassen, aber alles umsonst. Natürlich fühlt der in Narkose Liegende nichts von der Seekrankheit, aber sobald die durch Aether oder Chloroform erzeugte Betäubung verschwunden ist, kehrt auch der beschwerliche Gast wieder.

7

Wohl Balistes vetula.

8

Bald wird ihn die Axt besiegen; nach Briefen, die ich seither erhalte, erstehen allenthalben in der Bai deutsche Ansiedelungen.

9

Enicognathus leptorhynchus, Gray.Psittacus rectirostris, King.

10

Hymenophyllum Bibraianum. J. W. Sturm und

Blechnum acumiratum. J. W. Sturm.

11

Wir hatten verschiedenen Schiffsbedarf von der Victoria geholt und die Zollbedienten waren fünf Minuten später an Bord, um Alles wieder zu confisciren, und überdem sollten wir Strafe zahlen. Es stellte sich später heraus, daß wir nicht im Unrecht waren, wir erhielten das Vorzüglichste jener Gegenstände wieder, und es mag sich vielleicht getroffen haben, daß ich einigen Theil an dieser günstigen Wendung der Angelegenheit nahm. Das Wie indessen ist zu umständlich, um hier näher entwickelt werden zu können.

Reise in Südamerika. Zweiter Band.

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