Читать книгу Reise über Indien und China nach Japan - Freiherr von Richard Eisenstein - Страница 6
Antritt der Reise. Fahrt von Triest nach Port Said.
ОглавлениеEs ist doch ein ganz eigenthümliches Gefühl, welches die Seele erfasst, wenn der Moment herannaht, das Land, die Heimat, zu verlassen, und von allen seinen Lieben auf geraume Zeit zu scheiden.
Die seit der Kindheit geliebten Bilder bleiben zurück, und neue Eindrücke machen sich geltend. Auf diese richtet sich der Forschungsgeist, dem sich jetzt neue Bilder von ungekannten, aus Beschreibungen und Erzählungen fast nur traumhaft geahnten Ländern erschliessen sollen. Diese Aussicht ergreift die Seele so mächtig, dass die trüben und wehmüthigen Gefühle über die bevorstehende Trennung zurückgedrängt werden, und es nicht vermögen, die Reiselust zu mindern.
Bei meiner Ankunft in Triest fand ich einen heftigen Borasturm vor, welcher bereits seit zwei Tagen tobte, ein Umstand, der ebenso den Wunsch rege machte, die Hafenstadt möglichst bald zu verlassen, als er zur Annahme berechtigte, dass der Beginn der Fahrt ein ruhiger sein werde.
Der Dampfer Maria Theresia ist ein grosses Schiff, circa 130 m lang und besitzt einen Fassungsraum für 3400 t; er umfasst viele Schlafcabinen mit 70 Betten, einen grossen Salon, ein kleineres, sehr elegantes Sitzzimmer, alle Räume mit elektrischen Flammen ausgestattet, einen grossen freien Raum auf dem Deck, Badecabinen etc. Das Schiff steht unter dem Commando des Lloyd-Schiffscapitäns Giuseppe Morovich. Für die Verpflegung der Passagiere und der Schiffsbemannung ist reichlich vorgesorgt und hat hierfür der zweite Capitän des Schiffes aufzukommen. Entsprechend grosse Vorräthe an lebenden Ochsen, Geflügel, an Victualien, Conserven und Südfrüchten sind vorhanden, und theils in den Magazinen, theils in der Eiskammer untergebracht.
Zur Schiffsbemannung gehören ausser den Matrosen noch Köche, Fleischer, Bäcker, Wäscher, Kellner, Kammerjungfern, Kleider- und Stiefelputzer, ja selbst Schlosser und Holzarbeiter. In den Schiffsräumen sind Küche und Backstube untergebracht und sehr zweckmässig eingerichtet.
Gegenwärtig sind an Fracht 2400 t verladen, zu deren Verfrachtung auf dem Lande zehn Lastzüge nöthig wären. Passagiere gab es nur sehr wenige auf unserem Schiffe, weil die Mehrzahl der in Triest weilenden Reisenden es vorzog, die Abfahrt des später abgehenden Dampfers Marie Valerie abzuwarten. In der vereinigten ersten und zweiten Classe befand sich ausser mir nur noch ein junger Holländer, dessen Reiseziel Rangun in Hinterindien war.
Den 27. Jänner, um 4 Uhr Nachmittags, ertönte das Signal zur Abfahrt unseres Schiffes. Langsam löst sich der Coloss vom Ufer los und manövrirt mit Hilfe eines vorgespannten Dampfers sehr behutsam, um sich auf dem verhältnissmässig kleinen Raume zu wenden. Dann geht es frisch darauf los in das unabsehbare weite Meer. Frei wird der Anblick auf Triest, immer weiter gestaltet sich das Bild des daran liegenden Geländes, und immer kleiner erscheinen die Gebäude, bis sich später die ganze Stadt nur mehr als ein weisser Flecken kenntlich macht, und auch dieser entschwindet nach und nach den Augen. Lebt wohl, meine Lieben, lebe wohl, mein geliebtes Oesterreich-Ungarn!
Zuerst verfügte ich mich in die mir angewiesene Cabine. Dieselbe lag nahe an dem grossen Salon und in der Mitte des Schiffes, weil sich da die Schiffsbewegungen weniger fühlbar machen, und befand sich der grösseren Helligkeit halber an der Bordseite. Eine solche Cabine ist 2·5 m lang, 2 m breit und 2·2 m hoch, und ihre Ausstattung besteht aus einem ziemlich schmalen Bette, einem gleichfalls schmalen Sofa und einem Waschkasten. Die Beleuchtung der Kabine erfolgt durch elektrisches Licht, und es befindet sich ausserdem noch für den Fall, dass die elektrische Beleuchtung nicht functioniren sollte, an der einen Wandseite ein labil befestigter Leuchter. Die elektrische Lampe, sowie dieser Leuchter sind oberhalb des Waschkastens angebracht. Des Lesens im Bette halber wäre es aber weit angezeigter, wenn wenigstens der eine dieser beiden Beleuchtungskörper über der Lagerstätte befestigt wäre. An den Eckständern, zwischen welchen sich das Bett befindet, sind Vorkehrungen getroffen, um oberhalb desselben noch ein zweites Bett im Bedarfsfalle aufschlagen zu können.
Ich packte nun die zum täglichen Gebrauche nöthigen Gegenstände aus und legte dieselben auf das Sofa, um sie jederzeit bei der Hand zu haben. Da mir der Capitän im Hinblicke auf die geringe Anzahl von Passagieren noch eine zweite Cabine zur Verfügung stellte, so liess ich in dieselbe meine drei Koffer, welche einstweilen im Laderaum untergebracht waren, schaffen, und hatte derart alle mehr oder weniger erforderlichen Effecten zu meiner unmittelbaren Disposition. Die Kiste mit den Gewehren und Patronen, sowie den Pack mit dem Bettzeuge beliess ich im unteren Schiffsraume.
Um 6 Uhr Abends ging es zum Diner, während dessen ich mich mit dem sehr zuvorkommenden Capitän recht gut unterhielt. Nach Tisch spielte der zweite Mitreisende lustige Weisen auf dem im Salon befindlichen Piano, ich las noch im Reisetagebuch des Erzherzogs Franz Ferdinand und legte mich um 10 Uhr Abends zu Bette.
Während der Nacht schlug der Wind in Scirocco (Südwind) über, was sich durch das Schaukeln des Schiffes bemerkbar machte, eine Bewegung, welche ich, im Bette liegend, recht einschläfernd fand.
Am Samstag, den 28. Jänner, blies fortwährend der Scirocco und brachte, wie dies häufig der Fall ist, mehrere Regenschauer mit sich.
Am 29. Jänner war es ziemlich windstill, theilweise bewölkt und theilweise sonnig. Das Schiff glitt so ruhig dahin, dass man, im Salon sitzend, gar nicht zur Empfindung gelangte, sich auf der See zu befinden. Bis zur Mittagszeit fuhren wir im Adriatischen Meere, einerseits zwischen unseren Ländern Istrien, Kroatien und Dalmatien, und anderseits Italien, in südlicher Richtung vor, und hielten uns dabei, der Meeresströmung gemäss, näher an die italienische Küste. Dann gelangten wir in das Jonische Meer. Im Osten erschienen nun die albanischen Gebirge am Horizonte, während im Westen die italienischen Berge immer mehr und mehr sich unseren Blicken entfernten. Am Abend erblickten wir Corfu.
Am 30. Jänner fuhren wir Morgens und Vormittags nahe den westlichen, steinigen und meist sterilen Küsten der Inseln Kephalonia und Zante vorbei und sahen weder nach Westen noch nach Süden nirgends mehr Land. Nachmittags kam das Schiff in das Mittelländische Meer und wir erblickten im Osten die Gebirge der griechischen Halbinsel Morea und hierauf die Südwestspitze von Griechenland, den südlichsten Punkt von Europa. Der heutige Tag hat sich mehr aufgeklärt, es ist trotz einiger Wolken sonnig, und statt des Sciroccos bläst ein kräftiger Westwind, welcher den Dampfer im fortgesetzten mässigen Schaukeln erhält, wodurch des Holländers Gesundheit etwas in's Wanken kommt.
Die Fahrtgeschwindigkeit des Dampfschiffes beträgt 19 km in der Stunde, somit ungefähr 450 km in 24 Stunden, und demgemäss werden wir heute Abend, in der Nähe der Südostspitze Europas, von Triest aus gegen 1400 km zurückgelegt haben. Die Fahrtgeschwindigkeit ist wegen des stetig uns entgegenblasenden Windes und wegen der grossen Befrachtung des Dampfers eine geringere als die normale.
Im gleichen Masse des Vorwärtsschreitens gegen Süden nimmt auch die Temperatur zu, und zwar stieg das Thermometer in 24 Stunden oder nach zurückgelegten 450 km um 2½° R. In Triest zeigte das Thermometer am 27. Jänner 6° R. Wärme und heute, also nach drei Tagen, steht es zur Mittagszeit zwischen 13 und 14° R. Wärme.
Am 31. Jänner Früh gelangten wir an das Südwestende der Insel Kreta oder Candia und fuhren bis zum Abend längs der südlichen Küste dieser langgestreckten Insel, um uns dann direct gegen Port Said zu wenden. Die Insel Candia ist, insoweit sie sich unserem Auge eröffnete, ein bergiges Land, von tiefen Thälern durchzogen und nur mit recht schütterem Grase und einzelnen Büschen bewachsen. Sie trägt im Allgemeinen den Charakter unserer Karstländer und besitzt ausschliesslich an ihrer Nordküste einen culturfähigen und auch cultivirten Boden. Daher kommt es, dass sich die Städte Kanea, Rethymnon, Megalokastron u. s. w. an der Nordseite der Insel befinden, während sich im Süden nur wenige kleine Fischerdörfer zeigen. Der in der Mitte der Insel in der Richtung West-Ost sich hinziehende höchste Gebirgskamm ist auf seinen bis 2500 m hohen Spitzen zur Zeit mit Schnee bedeckt.
Der Himmel ist trotz Sonnenscheines leicht bewölkt und die Meeresoberfläche ist mässig bewegt und hat eine dunkelblaue Färbung. Der Wind schlug wieder in Scirocco um, der während der Nacht so heftig wurde, dass das Schiff in stärkere Schwankungen gerieth.
Bezüglich der Schiffsbeköstigung will ich dem schon Gesagten einige Worte beifügen. In der Zeit von 8-9 Uhr Morgens erhalten wir Milchkaffee mit Brot. Gegen 10 Uhr werden hors d'oeuvres, ein Ragout, Roastbeef oder dergleichen mit Zuthat und Dessert servirt. Um 1 Uhr folgt ein ähnliches Menü. Um 6 Uhr Abends gibt es potage, hors d'oeuvres, boeuf bouilli garni, Braten mit Salat, gedünsteten Reis mit currie (Gemisch indischer Gewürze), Mehlspeise, Dessert und Kaffee und um 9 Uhr Thee mit Gebäck. Die Auswahl und Zubereitung der Speisen ist vortrefflich. An Getränken findet man Pilsner Bier und einen sehr guten dalmatinischen Wein; die ½ Liter Flasche Bier, sowie die ¼ Liter Flasche Wein kostet 30 kr. Gold oder 36 kr. ö. W. Doch sind auch sehr gute österreichische und französische Weine in Flaschen, sowie Champagner, Säuerlinge und Liqueure in grosser Menge vorhanden.
Der besseren Orientirung halber lasse ich nachstehend einen Vergleich der verschiedenen Längenmasse folgen:
1 Myriameter = 10 km;
1 deutsche oder geographische Meile = circa 7·4 km;
1 englische Meile = circa 1·6 km;
1 Seemeile = circa 1·85 km;
1 km = circa 1333 österreichische Schritte zu 75 cm;
10 Myriameter = circa 13½ deutsche Meilen = circa 62½ englische Meilen = circa 54 Seemeilen;
10 deutsche Meilen = circa 7·4 Myriameter = circa 46 englische Meilen = 40 Seemeilen.
Am 1. Februar war das Land nach allen Richtungen hin entschwunden; man sah nur mehr nach oben den leicht bewölkten Himmel, nach unten das wogende Meer und rundum am Horizonte die Kante des sich nach abwärts neigenden Meeres, in dessen weiterer Fortsetzung der Himmel seine Basis einzutauchen scheint.
Der Südwind (Scirocco) von der libyschen Wüste, also von Tripolis und vom Nordwesten Aegyptens kommend, blies heute so heftig, dass die Wogen oben mit weissem Gischt gekrönt waren, und das Schiff ziemlich starke Schaukelbewegungen machte. Das Gehen an Bord ist für einen mit solchen Schwankungen nicht vertrauten Menschen recht schwierig, doch der Aufenthalt auf dem Decke gewährt einen eigenthümlichen Reiz, welcher hervorgerufen wird, durch den Rundblick über das weite, tiefblaue, so bewegte und mit weissen Punkten übersäete Meer, durch das Vernehmen der Töne, welche wie ein Sausen und ein Rauschen von den sich überstürzenden Wellen herauf-, und wie ein Brausen und ein Schwirren aus der Takelage niederklingen, und endlich durch den Anblick der, dem Schiffe stets folgenden, weitbeschwingten weissen Möven.
Die Temperatur ist seit dem 30. Jänner mit Rücksicht darauf, dass wir uns nun immer mehr gegen Südost, ja gegen Ostsüdost wendeten, nicht mehr in derselben Weise wie früher gestiegen, so dass das Thermometer nicht über 16° R. zeigt.
Durch unsere fortgesetzte Bewegung gegen Osten hat sich indess die Tageszeit mit unserer Uhrzeit erheblich verändert, und zwar ist bis jetzt der Sonnenauf- und Niedergang, sowie die Mittagszeit schon um 45 Minuten früher eingetreten als in Triest, wonach auch unsere Uhren gerichtet werden mussten.
Um 8½ Uhr Abends des 1. Februar befanden wir uns in der Mitte zwischen der Südostspitze von Candia und dem Hafen von Port Said, das ist von beiden Punkten je 400 km entfernt, ferner 500 km südlich von der Küste von Kleinasien und 200 km nördlich von den afrikanischen Gestaden.
Täglich werden von einem Schiffsofficiere die Punkte genau eruirt, an welchen sich das Schiff zu den verschiedenen Zeitmonaten befindet. Am verlässlichsten erfolgt dies durch die Fixirung der Lage des Schiffes zu den Himmelskörpern und der hieraus sich ergebenden Berechnung des betreffenden Punktes, wozu dem Schiffsofficiere geeignete Instrumente und Berechnungstafeln zu Gebote stehen. Sind dann solche Punkte genau bestimmt, so können weitere leicht gefunden werden durch die Erwägung der Richtung und der Fahrtgeschwindigkeit des Schiffes. Die Richtung wird durch die Boussole angezeigt und die Fahrtschnelligkeit ergibt sich entweder durch die Beobachtung und Berechnung der Umdrehung der Dampfschraube oder durch die Beobachtung der Zeigerstellung auf dem Shiplog, das ist ein kleines Uhrwerk, an welchem mit einer langen starken Schnur eine im Meere schwimmende Schraube befestigt ist, die durch die Zahl ihrer Umdrehungen im Wasser die hinterlegte Strecke auf dem Zifferblatte ersichtlich macht. Wind, Wellenschlag etc. beeinflussen aber diese Bestimmungen in solcher Weise, dass sie nur auf verhältnissmässig kurzen Strecken genügende Verlässlichkeit bieten. Die genaue Fixirung der Punkte kann indess nur, wie oben gesagt, auf astronomischem Wege gemacht werden.
Der 2. Februar (Donnerstag, Marien-Feiertag) brachte uns den ersten wolkenfreien, sonnenhellen und beinahe windstillen Tag. Wie auf Sammt gebettet, glitt unser Schiff ruhig dahin, die Meeresoberfläche war nur leicht gekräuselt und schimmerte silbern im Sonnenglanze und azurblau im Schatten. Um 11 Uhr Vormittags zeigten sich die Conturen der südafrikanischen Küste, und der Capitän theilte mir mit, dass das Schiff um 3 Uhr Nachmittags bei Port Said anlegen werde. Am südlichen Horizonte wurden Vormittags zuerst Alexandrien, dann Damiette sichtbar, und schliesslich landete der Dampfer im Hafen von Port Said.