Читать книгу Der Richter und sein Henker. Grieche sucht Griechin / Судья и его палач. Грек ищет гречанку. Книга для чтения на немецком языке - Фридрих Дюрренматт - Страница 13
Der Richter und sein Henker
Zwölftes Kapitel
ОглавлениеDoch kam er wieder hoch.[183] Nach dem Anfall fühlte er sich besser, schmerzfrei seit langem. Er trank angewärmten Wein in kleinen, vorsichtigen Schlucken, sonst nahm er nichts zu sich. Er verzichtete jedoch nicht, den gewohnten Weg durch die Stadt und über die Bundesterrasse zu gehen, halb schlafend zwar, aber jeder Schritt in der reingefegten Luft tat ihm wohl. Lutz, dem er bald darauf im Bureau gegenübersaß, bemerkte nichts, war vielleicht auch zu sehr mit seinem schlechten Gewissen beschäftigt, um etwas bemerken zu können. Er hatte sich entschlossen, Bärlach über die Unterredung mit von Schwendi noch diesen Nachmittag zu orientieren, nicht erst gegen Abend, hatte sich dazu auch in eine kalte, sachliche Positur mit vorgereckter Brust geworfen, wie der General auf Traffelets Bild über ihm, den Alten in forschem Telegrammstil unterrichtend. Zu seiner maßlosen überraschung hatte jedoch der Kommissär nichts dagegen einzuwenden, er war mit allem einverstanden, er meinte, es sei weitaus das Beste, den Entscheid des Bundeshauses abzuwarten und die Nachforschungen hauptsächlich auf das Leben Schmieds zu konzentrieren. Lutz war dermaßen überrascht, dass er seine Haltung aufgab[184] und ganz leutselig und gesprächig wurde.
„Natürlich habe ich mich über Gastmann orientiert“, sagte er, „und ich weiß genug von ihm, um überzeugt zu sein, dass er unmöglich als Mörder irgendwie in Betracht kommen kann.“
„Natürlich“, sagte der Alte.
Lutz, der über Mittag von Biel einige Informationen erhalten hatte, spielte den sicheren Mann: „Gebürtig aus Pockau in Sachsen[185], Sohn eines Großkaufmanns in Lederwaren, erst Argentinier, deren Gesandter in China er war – er muss in der Jugend nach Südamerika ausgewandert sein – dann Franzose, meistens auf ausgedehnten Reisen. Er trägt das Kreuz der Ehrenlegion und ist durch Publikationen über biologische Fragen bekannt geworden. Bezeichnend für seinen Charakter ist die Tatsache, dass er es ablehnte, in die Französische Akademie aufgenommen zu werden. Das imponiert mir.“
„Ein interessanter Zug[186]“, sagte Bärlach.
„Über seine zwei Diener werden noch Erkundigungen eingezogen.[187] Sie haben französische Pässe, scheinen jedoch aus dem Emmental zu stammen. Er hat sich mit ihnen an der Beerdigung einen bösen Spaß geleistet.“
„Das scheint Gastmanns Art zu sein[188], Witze zu machen“, sagte der Alte.
„Er wird sich eben über seinen toten Hund ärgern. Vor allem ist der Fall Schmied für uns ärgerlich. Wir stehen in einem vollkommen falschen Licht da. Wir können von Glück reden, dass ich mit von Schwendi befreundet bin. Gastmann ist ein Weltmann und genießt das volle Vertrauen schweizerischer Unternehmer.“
„Dann wird er schon richtig sein“, meinte Bärlach. „Seine Persönlichkeit steht über jedem Verdacht.[189]“
„Entschieden“, nickte der Alte.
„Leider können wir das nicht mehr von Schmied sagen“, schloss Lutz und ließ sich mit dem Bundeshaus verbinden.
Doch wie er am Apparat wartete, sagte plötzlich der Kommissär, der sich schon zum Gehen gewandt hatte:
„Ich muss Sie um eine Woche Krankheitsurlaub bitten, Herr Doktor.“
„Es ist gut“, antwortete Lutz, die Hand vor die Muschel haltend, denn man meldete sich schon, „am Montag brauchen Sie nicht zu kommen!“
* * *
In Bärlachs Zimmer wartete Tschanz, der sich beim Eintreten des Alten erhob. Er gab sich ruhig[190], doch der Kommissär spürte, dass der Polizist nervös war.
„Fahren wir zu Gastmann“, sagte Tschanz, „es ist höchste Zeit.“
„Zum Schriftsteller“, antwortete der Alte und zog den Mantel an.
„Umwege, alles Umwege“, wetterte Tschanz, hinter Bärlach die Treppen hinuntergehend. Der Kommissär blieb im Ausgang stehen:
„Da steht ja Schmieds blauer Mercedes.“
Tschanz sagte, er habe ihn gekauft, auf Abzahlung, irgendwem müsste ja jetzt der Wagen gehören, und stieg ein. Bärlach setzte sich neben ihn, und Tschanz fuhr über den Bahnhofplatz gegen Bethlehem. Bärlach brummte:
„Du fährst ja wieder über Ins.“
„Ich liebe diese Strecke.“
Bärlach schaute in die reingewaschenen Felder hinein. Es war alles in helles, ruhiges Licht getaucht. Eine warme, sanfte Sonne hing am Himmel, senkte sich schon leicht gegen Abend. Die beiden schwiegen. Nur einmal, zwischen Kerzers und Müntschemier, fragte Tschanz:
„Frau Schönler sagte mir, Sie hätten aus Schmieds Zimmer eine Mappe mitgenommen.“
„Nichts Amtliches, Tschanz, nur Privatsache.“
Tschanz entgegnete nichts, frug auch nicht mehr[191], nur dass Bärlach auf den Geschwindigkeitsmesser klopfen musste, der bei Hundertfünfundzwanzig zeigte.
„Nicht so schnell, Tschanz, nicht so schnell. Nicht dass ich Angst habe, aber mein Magen ist nicht in Ordnung. Ich bin ein alter Mann.“
183
Doch kam er wieder hoch. – Однако он вновь поднялся.
184
dass er seine Haltung aufgab – изменил свое поведение
185
Gebürtig aus Pockau in Sachsen – он родом из Покау в Саксонии
186
Ein interessanter Zug – Интересная черта характера
187
über seine zwei Diener werden noch Erkundigungen eingezogen. – О его слугах необходимо навести справки.
188
Das scheint Gastmanns Art zu sein – Это в духе Гастмана
189
Seine Persönlichkeit steht über jedem Verdacht. – Его личность вне подозрения.
190
Er gab sich ruhig – Он казался спокойным
191
frug auch nicht mehr – ничего больше не спросил