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Es klingelt im ICE!

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Am frühen Abend im voll besetzten ICE-Großraumwagen. Da sitzt eine Frau, die es gewohnt ist, von ihrer Chefin zu jeder Tages–und Nachtzeit mit irgendwelchen „dringenden“ Rückfragen oder Aufträgen angeklingelt und angemailt zu werden. Anfangs hatte ihr das nichts ausgemacht, aber mittlerweile befindet sie sich in einem kontinuierlichen Habachtmodus, schläft schlecht und ist dankbar für jeden Moment ungestörter Ruhe, den sie finden kann. Auf ihrer Reise zu einer Weiterbildung hat sie endlich Zeit, sich in die vorbereitenden Unterlagen zu vertiefen.

Der Mann zwei Reihen vor ihr hatte vormittags gearbeitet und sich dann einen halben Tag Urlaub für seine ehrenamtliche Tätigkeit genommen. Er war Mitglied einer überregionalen Arbeitsgruppe. Dort stand eine Diskussion um die Ausrichtung der zukünftigen Tätigkeit des sozialdiakonisch tätigen Vereines an. Dazu hatte er ein paar mögliche Szenarien und Wege entwickelt. Die Sitzung war dann aber wider Erwarten höchst spannungsgeladen verlaufen. Die Probleme lagen nicht nur in den kompromisslos vertretenen unterschiedlichen Vorstellungen und Ideen, sondern auch in frustrierten Ansprüchen und verletzenden Vorwürfen. Am Ende war die Situation ziemlich verfahren. Man hatte sich ergebnislos und kühl voneinander verabschiedet. Es war völlig unklar, um nicht zu sagen aussichtslos, wie aus dem Ganzen jetzt noch etwas Vernünftiges werden sollte.

Ihm gegenüber sitzt jemand beglückt und ermutigt auf der Heimfahrt von einem Treffen mit alten Freunden. Ein wunderschöner Ausflug. Wie verabredet hatten sie sich endlich nach langer Zeit getroffen. Spannend war es gewesen, wie es ihnen wohl heute miteinander gehen würde. Wie in alten Zeiten war es! Zwei großartige Tage, gefüllt mit Erinnerungen, erfüllt mit neuen Eindrücken und aufgefrischter Freundschaft.

Plötzlich klingelt irgendwo ein Handy. Laut! Eine grässliche Melodie. Sehr laut. Es klingelt wieder. Und wieder. Köpfe gehen hoch. Suchende Blicke wandern durchs Abteil. Warum nimmt niemand ab? Wo ist dieser Ruhestörer? Hartnäckig klingelt es weiter. Das nervt! Schlagartig liegt eine gereizte Spannung in der Luft. Drüben verdreht jemand die Augen. Mensch, nimm doch endlich ab! Das Klingeln zieht alle Aufmerksamkeit im Wagen auf sich. Schräg gegenüber steht einem der Ärger im Gesicht geschrieben. Woanders stöhnt jemand vernehmlich. Die dicke Luft ist greifbar.

Zum Kuckuck noch mal, hört das denn nie auf? Da ruft jemand laut in den Wagen hinein: „…“

„Telefon!“, ruft die Person ganz freundlich-fröhlich entspannt. Ein paar Umsitzende lachen. Und augenblicklich ist zu spüren, wie die gereizte Spannung abflaut.

(Ach ja, noch zweimal klingelte es. Dann war Ruhe im ICE!)

Selbstführung in stürmischen Zeiten

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