Читать книгу Toni der Hüttenwirt 248 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 3
Оглавление»Sag mal, was ist denn mit Lotte los?«
»Ich habe keine Ahnung, Willy«, sagte Elly. »Seit das Madl am Wochenende mit Freunden unterwegs war, ist sie sehr still.«
Wilhelm und Elsbeth Wetter waren Charlottes Großeltern.
»Kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen, sagt man. Und da steckt viel Wahrheit drin«, seufzte Elly.
»Vielleicht hat sich das Madl verliebt?«
»Na, da machst du dir vergeblich Hoffnung. Wenn Lotte verliebt wäre, dann würde sie strahlen. Sie wäre fröhlich und übermütig.«
»Es kann doch sein«, sagte Willy, »dass sie unglücklich verliebt ist.«
Elly schaute ihren Mann überrascht an. Sie dachte einen Augenblick nach. »Das könnte allerdings sein.«
»Dann musst du sie fragen, Elly, von Frau zu Frau, du weißt schon.«
»Schmarrn, Willy! Ich werde schön meinen Mund halten. Wenn das Madl reden will, wird es schon etwas sagen. Du kennst doch Lotte. Sie macht immer alles mit sich selbst aus. Erst wenn sie sich ganz sicher ist, lässt sie die Katze aus dem Sack. Das war damals nach ihrem Abitur genauso. Erinnerst dich, wie alle auf sie eingeredet haben, sie soll dies oder jenes studieren, Jura, Chemie, Politikwissenschaft oder Pharmazie. Mit dem guten Abitur hätte sie alles studieren können. Dann überraschte sie uns damit, dass sie Stuckateurin werden und bei dir in der Firma eine Lehre machen wollte. Das konnte ihr niemand ausreden. Jetzt hat sie den Facharbeiterbrief und wurde als Architekturstudentin angenommen. Sie hat nichts erzählt, bis sie die Zusage bekommen hatte. So ist sie eben, unsere Charlotte. Sie trifft ihre Entscheidungen allein.«
»Das stimmt. Trotzdem mache ich mir Sorgen. Das ist schon der zweite Tag, an dem sie nicht mit uns isst. Beim Abendessen hat sie auch gefehlt. Sie isst in der Stadt und kommt spät heim. Vielleicht steckt doch ein Bursche dahinter?«, ließ Wilhelm nicht locker.
»Ich werde Sophie anrufen. Die Madln hatten immer einen guten Draht zueinander.«
»Pass aber auf, dass es keinen Ärger gibt, Elly! Lotte ist sehr empfindlich, wenn man sie bedrängt.«
Das kleine Uhrmachergeschäft, in dem Sophie arbeitete, lag am anderen Ende von München. Elsbeth rief sogleich dort an.
»Firma Urban, Sie sprechen mit Sophie Holzer«, meldete sich Charlottes Cousine.
»Grüß dich, Sophie, ich bin es, die Elly! Du, Sophie, ich glaube, meine Uhr ist kaputt. Sie geht sehr ungenau. Kannst du danach sehen? Wann triffst du dich wieder mit Lotte zum Stadtbummel? Ich werde ihr die Uhr mitgeben und mir den Weg ans andere Ende von München sparen.«
»Eigentlich wollten wir uns heute treffen, aber Lotte hat sich nicht gemeldet. Ist sie auf einer Baustelle?«
»Sie ist unterwegs, Sophie. Du kennst sie doch. Wenn sie eine knifflige Arbeit hat, vergisst sie alles. Ruf sie an!«
»Ja, das mache ich. Du kannst ihr die Uhr mitgeben. Ich sehe sie mir an. Vielleicht ist gar nicht viel zu justieren, und Lotte kann sie gleich wieder mitnehmen.«
»Ich danke dir, Sophie! Und wie geht es Kuno?«
Sophie lachte.
»Meinen Bruder sehe ich selten, seit er bei dem neuen Meister arbeitet. Da ist etwas im Busch, sage ich dir. Ich denke, Kuno wird danach die Meisterprüfung machen und in das Geschäft einsteigen und Partner werden. Er will das mit den Eltern bereden, wenn sie aus dem Urlaub zurück sind. Da halte ich mich heraus. In Gelddingen sind Kuno und ich wie Feuer und Wasser, wenn wir uns auch als Geschwister sonst gut verstehen. Er hat im Augenblick nur noch Zahlen im Kopf. Ich sehne den Augenblick herbei, wenn die Eltern wieder da sind. Er nervt wirklich.«
»Ich habe eine Idee, Sophie. Wie wäre es, wenn ihr drei euch im Biergarten verabredet und anschließend in die Disco geht? Vielleicht bringt das Kuno auf andere Gedanken.«
»Gute Idee! Ich rufe Lotte gleich an. Pfüat di! Ich muss Schluss machen. Es kommt Kundschaft in den Laden, und der Meister ist in der Mittagspause.«
»Pfüat di!«, sagte Elsbeth und hängte ein.
»Welche Uhr ist kaputt?«, fragte Wilhelm.
»Mei, keine, das war doch nur eine Ausrede, Willy«, schmunzelte Elly. »So eine kleine Schummelei sieht der liebe Gott nach.«
*
Charlotte lag auf einer Wiese im Park und schaute in den blauen Himmel über München. Ihre Gedanken kreisten um ihre Entdeckung. Sie hatte einen Großvater. Darüber musste sie lachen. Natürlich hatte jeder Mensch Vorfahren. Nur in Charlottes Familie wurde daraus ein Geheimnis gemacht. Jetzt hatte sie alles erfahren. So schön diese neue Gewissheit war, gab es doch viel zu bedenken. Das wird wie eine Bombe einschlagen, dachte Charlotte. Es kommt darauf an, wie ich diese Neuigkeit beibringe.
Das Handy klingelte. Es war Sophie. Charlotte ließ sich überreden, am Abend mit ihr und Kuno in den Biergarten zu gehen.
Charlotte kam als Letzte in den Biergarten.
»Da bist du ja endlich«, sagte Sophie. »Wir haben versucht, dich anzurufen, haben aber nur deinen Anrufbeantworter erreicht, oder es war besetzt.«
»Tut mir leid, eine alte Schulfreundin, sie steckt in Problemen«, flunkerte Charlotte. Sie hatte sich entschlossen, nicht gleich mit den Tatsachen herauszurücken. »Sie war froh, dass sie jemanden zum Reden hatte. Sie tut mir leid.«
»Kenne ich sie?«, fragte Sophie.
Charlotte ging nicht auf die Frage ein. »Ihr Leben ist nicht mehr, wie es war«, seufzte sie. »Aber jetzt will ich abschalten. Sie wird sich wieder fangen.«
Sophie war neugierig geworden. »Ihr Kummer scheint dich mitzunehmen, Lotte. Konntest du ihr helfen?«
Charlotte zuckte mit den Schultern.
»Sie muss sich selbst entscheiden. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Entweder sie macht das Spiel weiter mit und tut so, als wüsste sie nichts, oder sie sucht den Streit mit ihren Eltern und Geschwistern. Okay, ich gebe euch eine kurze Zusammenfassung: Diese Freundin hat zweifelsfrei herausgefunden, dass ihr Vater kein Waisenkind war. Es gibt Verwandte und die hat sie gefunden. Die Verwandten sind sehr nett. Sie hat sie kennengelernt. Vor Urzeiten gab es wohl Streit ums Erbe. Seither tut die eine Seite so, als gäbe es die andere Seite nicht. Jetzt überlegt meine Freundin, was sie tun soll. Weiterhin das Spiel ihres Vaters mitspielen oder Farbe bekennen?«
»Wenn da etwas zu erben ist, wäre es dumm, die Sache unter den Tisch fallen zu lassen«, sagte Kuno. »Man soll einen Kontakt nie abbrechen. Gibt es etwas zu holen? Kann deine Freundin etwas erben?«
»Wohl eher nicht, denke ich. Nach dem Kontaktabbruch haben die Verwandten alles an Fremde verkauft. Mit denen sind sie befreundet. Diese Leute werden sie später auch mal beerben.«
»Immobilien?«, fragte Kuno nach.
»Land, das teilweise bebaut ist, in einem beliebten Tourismusgebiet.«
»Wow!«, stieß Kuno hervor. »Ist das Madl noch zu haben? Diese Art von Grundbesitz kann Millionen wert sein, Lotte! Deine Freundin sollte sich auf jeden Fall mit einem Anwalt beraten. Sie soll darum kämpfen, dass sie nicht leer ausgeht. Warum das Fremden überlassen?«
»Der Verkauf liegt schon Jahre zurück«, sagte Lotte.
»Das spielt keine Rolle. Sie sollte überprüfen, ob der Verkauf rechtens war. Vielleicht muss er rückgängig gemacht werden. Waren die ehemaligen Besitzer alt?«
»Sehr alt, Kuno!«
»Dann muss sie nur nachweisen, dass sie nicht im Besitz ihrer geistigen Kräfte waren, als sie verkauften, oder dass sich die Käufer ihr Vertrauen erschlichen haben.« Kuno trank einen Schluck Bier. »Deine Freundin muss wissen, was sie tut. Falsche Rücksichtnahme ist fehl am Platze, wenn es um Geld geht. Ich würde kämpfen, statt Fremden das Erbe zu überlassen. Selbst wenn sie nicht ins Tourismusgeschäft einsteigen will, bringt es ihr eine Superrendite. Grundbesitz ist immer gut. Also, dass deine Freundin sich Gedanken macht und falsche Rücksichtnahme zeigt, ist dumm. Ich an ihrer Stelle würde alles tun, um an das Sahnestückchen zu kommen.«
Sophie schüttelte den Kopf. »Kuno, Kuno, das ist mal wieder typisch für dich – du siehst nur das Geld«, sagte sie.
»Wir sind eben sehr verschieden, kleines Schwesterchen. Ich weiß, um was es im Leben geht. Deshalb wird mir nie jemand die Butter vom Brot nehmen. Ich bin eben nicht so edel wie du, Sophie.«
Sophie warf ihrem Bruder einen tadelnden Blick zu.
»Wir wechseln besser das Thema«, sagte sie.
»Warum, das ist doch sehr interessant! Theoretisch geht es um Gefühle oder um Geld. Für Gefühle kann man sich nichts kaufen. Geld und Besitz sind die besten Grundlagen im Leben.«
»Kuno, bist du dir da ganz sicher?«, fragte Charlotte.
»Absolut, Lotte! Ich verstehe nicht, wie man aus Gefühlsduselei auf etwas verzichten kann. Doch wahrscheinlich liegt es bei ihr in der Familie. So wie du den Fall geschildert hast, hat sich ihr Vater als Waisenkind ausgegeben. Er ist in meinen Augen ein Waschlappen.«
»Er hatte reich geheiratet. Vielleicht wollte er seine Ruhe haben?«
»Lotte, dann ist seine Frau eine dumme Tussi, sonst hätte sie ihn beeinflusst, um sein Erbe zu kämpfen.«
Lotte rieb sich die Stirn.
»Und wo sind diese Liegenschaften genau?«, fragte Kuno.
»Alpenrand, südlich von München. Irgendwo in der Nähe von Kirchwalden.«
»Mei, da sollte deine Freundin schnellstens etwas tun. Ich habe gerade gelesen, dass Bergregionen zu den beliebtesten Gebieten gehören. Es werden immer mehr Hotels gebaut und Ferienappartementanlagen.«
»Du scheinst dich gut auszukennen, Kuno«, bemerkte Charlotte.
»Ja«, lächelte Kuno. Er grinste und trank ein Schluck Bier. »O.K., dann lasse ich die Katze aus dem Sack. Ich habe eben ein Händchen fürs Geld: Ich habe immer eisern gespart und vor zwei Jahren eine Ferienwohnung gekauft. Sie ist fast immer vermietet und in zehn Jahren abbezahlt.«
Sophie schaute ihren Bruder überrascht an. »Wirklich? Du Heimlichtuer! Warum hast du nichts erzählt?«
»Weil ich wusste, dass du mich nicht verstehen würdest, kleine Schwester. Wir sind eben sehr verschieden, Sophie. Du träumst davon, berühmte alte Uhren zu restaurieren, und ich will ein Immobilienmagnat werden. Da muss ich früh anfangen.«
Charlotte schaute Kuno mit großen Augen an.
»Du siehst richtig entsetzt aus, Lotte«, lachte Kuno.
»Immobilienmagnat, wie das klingt, Kuno! Glaubst du wirklich, dass du das erreichst?«
»Klar! Und ich verrate euch, dass ich noch bei anderen Immobilien die Finger drin habe.«
»Wirklich?«, fragten Sophie und Charlotte wie aus einem Mund.
Kuno strahlte. »Ich habe mit Absicht ein Handwerk gelernt. Als Schornsteinfeger komme ich herum. Da höre ich dies und das. Wenn man nicht allzu dumm ist, lernt man schnell, wo es sich lohnt, zu investieren und wo die Preise steigen. Der Kreis bezahlbarer Immobilien, außerhalb von München, verschiebt sich seit Jahren immer mehr. Also muss man nur investieren und warten, bis der Kreis sich weiter und weiter ausdehnt. Ich sage euch, wenn ich meinen dreißigsten Geburtstag feiere, dann habe ich es geschafft.«
»Ist ja bewundernswert, Kuno!«, schmeichelte Charlotte ihrem Cousin. »Von dir kann ich viel lernen. Lasse mich das mal zusammenfassen, damit ich es auch richtig verstanden habe. Du meinst, irgendwann ist das Einzugsgebiet so groß, dass selbst im hintersten Gebirgsdorf die Preise steigen?«
»Genauso ist es, mein liebes Cousinchen. Die Preise steigen jetzt schon. Was glaubst du, warum ein Run auf die alten Almhütten eingesetzt hat? Ich kenne eine Menge Leute, die sie aufkaufen. Zuerst machen sie Ferienwohnungen daraus. Das bringt eine gute Übergangs-Rendite, bis ein Hotelkonzern kommt und ihnen die Hütte und alle ehemaligen Almwiesen abkauft und vergoldet.«
»Klingt logisch, Kuno«, sagte Charlotte. »Ich werde meiner Freundin raten, sich noch einmal alles gründlich zu überlegen.«
Es fiel Charlotte schwer, ihre Erregung zu verbergen. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Kuno würde die Berghütte nur als Wertanlage sehen. Es wird Unruhe geben, wenn er erfährt, dass wir einen Großvater haben, der die Berghütte vor Jahren verkauft hat, dachte sie. Charlottes Herz klopfte schnell. In ihrem Kopf drehte sich alles.
»Was ist? Du siehst blass aus«, sagte Sophie.
»Ich habe wohl etwas Falsches gegessen. Ich hatte mir heute Mittag einen Salatteller mit Shrimps gegönnt. Seither ist mir ein bissel flau.«
»Vielleicht waren die Shrimps verdorben. Bei der Hitze kann das schon vorkommen, Lotte. Trink einen Obstler, der hilft!«, sagte Sophie. Sie winkte die Bedienung herbei und bestellte drei Obstler.
»Habt ihr etwas von unseren Urlaubern gehört?«, fragte Lotte, um das Thema zu wechseln.
»Ich habe gestern mit ihnen telefoniert«, berichtete Sophie. »Es geht ihnen gut, und sie scheinen sich im Augenblick auch zu vertragen. Sie haben deine SMS erhalten, Lotte. Ich soll dich grüßen.«
»Danke«, sagte Charlotte.
Die Bedienung kam und brachte den Obstler. Sie prosteten sich zu und tranken.
»Wie ist es, trinken wir das Bier aus und gehen in die Disco?«, fragte Sophie.
Kuno und Charlotte stimmten zu.
Eine Stunde später tummelten sie sich auf der Tanzfläche. Charlotte war froh, dass bei der Discobeleuchtung und der lauten Musik keine ernsten Gespräche geführt werden konnten.
Sie war erleichtert, als sie sich am frühen Morgen auf den Heimweg machte.
Charlotte wachte nach drei Stunden wieder auf. Die Glocken der Stadtteilkirche läuteten zur Frühmesse. Sie hielt es nicht mehr aus und stand auf. Schnell zog sie sich an und packte einige Sachen zusammen. Dann legte sie ihren Großeltern einen Zettel auf den Tisch.
Darauf stand:
Guten Morgen!
Es war ein schöner Abend mit Kuno und Sophie. Ich treffe mich heute mit Freunden.
Einen schönen Sonntag wünsche ich Euch!
Liebe Grüße und viele Bussis
Lotte
Dann schlich sie sich aus dem Haus. Außerhalb von München machte sie an einer Tankstelle Rast und bestellte sich ein Frühstück. Sie rief Toni auf der Berghütte an und erzählte ihm von dem Gespräch mit Kuno.
»Lotte, ich halte es für zu früh, wenn du heute herkommen willst«, sagte Toni. »Wir brauchen noch ein paar Tage, um Alois sanft vorzubereiten.«
»Okay, das verstehe ich. Aber allzu lange sollte es nicht mehr dauern. Toni, die Sache brennt mir unter den Nägeln. Nächstes Wochenende?«
»Gut, einverstanden! Dann erwarten wir dich spätestens am nächsten Wochenende auf der Berghütte.«
»Meine Handynummer hast du, Toni. Du kannst mich jederzeit anrufen. Kläre mit Anna, wie ihr euch verhalten wollt, wenn mein Cousin alles erfährt. Und das wird er! Ich muss ihm und Sophie irgendwann erzählen, dass wir einen Großvater haben.«
»Mach dir keine Sorgen, Lotte! Es geht jetzt nicht um die Berghütte. Dass Alois dich in die Arme schließen kann, ist am Wichtigsten. Und denke immer daran, die Engel vom ›Engelssteig‹ werden Unrecht nicht zulassen.«
Charlotte steuerte das nächste Hotel an und nahm sich ein Zimmer. Sie wollte allein sein, um in Ruhe nachdenken zu können.
*
Bello, der junge Neufundländerrüde, lag in der Küche der Berghütte unter dem Tisch. Es war später Nachmittag. Toni, Anna und der alte Alois saßen in der Küche und aßen von Annas frisch gebackenem Strudel und tranken Kaffee.
»So ein Regentag, mitten in der Hochsaison, ist eine Erholung«, sagte Toni. »Ich hätte nichts dagegen, wenn es morgen noch den ganzen Tag nieselt.«
Anna lächelte. »Da stimme ich dir zu, Toni. An solchen Tagen kann ich liegen gebliebene Arbeiten erledigen. Ich habe die ganze Wäsche weggebügelt. Die Kinder haben mir geholfen, die Schränke aufzuräumen und die Möbel in den Kinderzimmern umzustellen.«
»Die beiden scheinen ganz zufrieden zu sein. Sie liegen auf den Betten und lesen«, sagte der alte Alois.
In dem Augenblick erhob sich Bello und ging langsam in den Wirtsraum.
»Bello hat etwas gehört. Vielleicht kommen doch noch Tagesgäste, die das Wetter nicht abschrecken konnte«, bemerkte Toni.
Er ging hinaus und wartete unter dem Vordach.
Eine Gestalt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, kam über das Geröllfeld. Als sie Toni sah, lief sie schneller. Es war eine junge Frau. Sie rannte die Stufen zur Terrasse hinauf und suchte Schutz.
»Grüß Gott, Toni!«, strahlte sie und streifte die Kapuze zurück.
»Mei, das ist eine Überraschung! Grüß Gott, Liesel! Komm rein, und hänge deine Jacke über einen Stuhl am Kamin! Dass du dich bei dem Wetter auf den Weg machst?«
Liesel ließ ihren kleinen Rucksack von den Schultern gleiten.
»Hier! Sei vorsichtig! Ich habe euch etwas mitgebracht, was zerbrechlich ist.«
Liesel hängte ihre Jacke über einen Stuhl, dann streichelte sie Bello. Sie folgte Toni in die Küche.
Anna und der alte Alois begrüßten sie herzlich.
Toni packte den Rucksack aus. »So viele Eier?«, staunte er.
»Ja, die Hühner von Tante Doris und Onkel Franz legen fleißig.«
Anna holte einen Becher und einen Teller. Sie schnitt Liesel ein Stück Strudel ab und schenkte ihr Kaffee ein.
»Ich verstehe es nicht«, sagte Liesel. »Drunten in Waldkogel ist bekannt, dass die beiden in Urlaub sind. Tante Doris hat aber allen vor der Abreise gesagt, dass ich für die Zeit auf dem Hof bin und die Hühner versorge und den Garten. Doch niemand kommt vorbei. Da dachte ich mir, ich bringe euch einen Schwung Eier rauf. Und wenn ihr Gemüse wollt, dann komm vorbei, Toni, und hole es ab. Es wäre schade, wenn ich es auf den Kompost werfen müsste.«
»Das mache ich gerne, Liesel. Vielen Dank!«, sagte Toni. »Ich komme gleich morgen früh vorbei.«
»Super! Als Tante Doris und Onkel Franz in Rente gingen, kauften sie den alten Aussiedlerhof. Selbstversorgung war das magische Wort. Der Rest der Familie hatte sich amüsiert, denn die beiden waren reine Stadtmenschen und hatten vom Landleben überhaupt keine Ahnung. Aber welch eine Überraschung, es stellte sich heraus, dass sie den grünen Daumen haben. Jetzt könnten sie einen Hofladen aufmachen. Ich bin froh, wenn sie wieder da sind. Es sprießt und gedeiht alles, und die Hennen legen um die Wette.«
Liesels Verwandte waren vor vier Jahren nach Waldkogel gezogen. Seitdem kam sie in jedem Jahr mehrmals zu Besuch. Niemals versäumte sie, einen Abstecher auf die Berghütte zu machen. Sie war eine begeisterte Bergwanderin.
»Und wie geht es sonst?«, fragte Toni.
»Alles im grünen Bereich«, lachte Liesel, »beruflich wie privat.« Sie trank einen Schluck Kaffee.
»Oh, ›privat‹ hast du gesagt«, schmunzelte der alte Alois. »Dann hast einen Liebsten gefunden?«
»Alois, hör auf! Eine Frau kann doch auch ohne Mann glücklich sein. Ich habe einen schönen Beruf, kann mir meine Zeit frei einteilen, habe eine schöne Wohnung, treibe Sport und habe liebe Freunde.«
»Also nix mit Liebe!«, bemerkte Toni.
»Toni, nein, mit der Liebe hat es noch nicht geklappt. Ich bin eben wählerisch und gehe keine Kompromisse ein. Ich suche die Stecknadel im Heuhaufen. Besser keinen Mann, als den falschen Mann.«
»Und wenn du dich so richtig verliebst?«, fragte Toni.
Liesel zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, was dann passiert. Klar war ich schon verliebt. Doch das war eher oberflächlich. Der Richtige ist mir noch nicht über den Weg gelaufen.«
»Das ist schlimm«, sagte Alois. »Du bist doch so ein fesches Madl.«
»Danke für das Kompliment, Alois. Ich ziehe die Männer wohl auch an, aber es sind die Falschen. Na ja, irgendwann wird es schon passieren. Und wenn nicht, dann kann ich auch nichts machen. Ich habe eben genaue Vorstellungen, wie ein Mann sein sollte.«
»Und wie soll der Bursche sein?«, fragte Toni.
Liesel lachte verlegen.
»Toni, das ist, ehrlich gesagt, gar nicht so einfach. Ich kann dir eher sagen, wie er nicht sein soll.«
»Und wie soll er nicht sein?«, fragte Alois.
»Alois, du lässt nie locker, wie?«
»Nein, ich verstehe gern alles. Du bist ein fesches Madl. Seit du hierher auf die Berghütte kommst, bist du auf der Suche. In München muss es doch Tausende fescher Burschen geben.«
»Richtig! Doch die, die mir gefallen würden, scheinen alle schon vergeben zu sein.« Liesel seufzte. »Okay, reden wir offen. Alois, es ist nicht mehr wie früher. Die Zeiten haben sich geändert. Manchmal kommt es mir vor, als würden die meisten Männer nie erwachsen. Sie benehmen sich wie kleine Jungs. Sie spielen mit ihren Autos oder Computern. Sie sind immer hinter dem Neusten her. Sie sind so von der Technik bestimmt, dass die Gefühle verkümmert sind. Sie geben an, protzen mit dem, was sie haben, und balzen oberflächlich herum. Sie interessieren sich nur für sich selbst. Alles muss sich um sie drehen. Hart gesagt: Sie haben das ›Hotel Mama‹ nie wirklich verlassen. Und wenn sie allein wohnen, dann sind sie auf der Suche nach jemand, der um sie herumwirbelt und dafür sorgt, dass es ihnen gut geht. Ich will einen Mann, der mir zugetan ist und Rücksicht auf meine Gefühle nimmt. Der sich dafür interessiert, wie ich mir das Leben denke und welche Ziele und Wünsche ich habe. Sicher ist eine Ehe heute anders als früher. Doch die alte Rollenverteilung schwirrt bei vielen Männern immer noch im Kopf herum, auch wenn sie es nicht zugeben. Aber vielleicht ist es ihnen nicht einmal bewusst.«
Liesel überlegte kurz.
»Manchmal glaube ich, viele Männer haben Angst vor starken und selbstständigen Frauen. Sie suchen das Heimchen am Herd, das zu ihnen aufschaut. Gleichberechtigung, das ist nur Gerede. Wenn es darauf ankommt, wer zu wem zieht, in welcher Stadt man lebt und so weiter, dann sind es die Männer, die erwarten, dass sich die Frau anpasst. Ich habe da bittere Erfahrungen gemacht. Meinem letzten Freund wurde in einer anderen Stadt eine bessere Stelle angeboten. Am Tag, als er es erfuhr, lud er mich abends zum Essen ein, dabei eröffnete er, dass wir umziehen. Die Firma würde beide Umzüge bezahlen, das habe er ausgehandelt. Außerdem gäbe es dort eine schicke Eigentumswohnung. Wir müssten nur noch schnell heiraten. Er schlug auch gleich Termine vor. Leute, ich dachte, ich ersticke an dem Bissen, an dem ich gerade kaute.«
Liesel schaute in die Runde.
»Versteht ihr? Er hat mich nicht in die Entscheidung einbezogen. Er hat mich weder gefragt, noch es mit mir besprochen. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass er mich nur als Anhängsel sah.«
»Hast du ihn nicht zur Rede gestellt?«
»Oh ja, das habe ich. Er fragte, was ich dagegen hätte, wenn er Karriere macht? Wir gerieten in Streit. Er hat nicht begriffen, dass er mich hätte fragen sollen. So in etwa: ›He Schatz, mir ist heute eine tolle neue Stelle angeboten worden. Was hältst du davon? Wie können wir das gemeinsam meistern? Wärst du bereit, mit mir umzuziehen?‹ Das wäre für mich normal gewesen. Aber er war egoistisch und dachte nicht an mich, wie ich damit klarkommen würde. Warum hat er sofort zusagen müssen? Hätte er nicht sagen können, er wolle eine Nacht drüber schlafen? Er hätte sagen können, dass er das Angebot gern annimmt und dass er plant, demnächst zu heiraten und deshalb mit mir darüber sprechen möchte. Er hat es nicht getan. Er hat nur an sich gedacht.«
»Dann kriselte es bei euch?«
»Genau, Toni! Es kriselte nicht nur, wir argumentierten pausenlos. Dabei wurde mir immer klarer, dass er mich nicht verstand. Wir redeten komplett aneinander vorbei. Ich sei gegen ihn, hätte kein Verständnis und außerdem sei es noch immer der Mann, der die Familie repräsentiert und ich solle bitte anerkennen, was das für uns als Paar bedeute.«
»Wärst du mit ihm gegangen, wenn er es anders angepackt hätte?«, fragte Anna.
»Wahrscheinlich wäre ich bereit gewesen, meine Zelte in München abzubrechen oder nachzukommen, sobald ich eine Stelle gefunden hätte. Aber ich stieß auf so wenig Verständnis, dass ich die Beziehung löste. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende, sagte ich mir. Es war, als könnte ich in die Zukunft sehen. Unser, besser, mein zukünftiges Leben, lag plötzlich vor mir wie ein offenes Buch. Er spielte darin die Hauptrolle. Ich war nur eine Nebenfigur für ihn, die er nach Belieben hin und her schob.«
Liesel seufzte wieder.
»Also habe ich Schluss gemacht. Ich wünschte ihm viel Glück für seine Zukunft und ging. Als ich ihm in die Augen sah, erkannte ich, dass er nicht verstand, warum ich Schluss machte. Er hatte nichts begriffen.«
»Du Arme, du bist ein gebranntes Kind, Liesel«, sagte Anna mitleidig.
»Du musst kein Mitleid mit mir haben, Anna. Ich bin mir durch diesen Vorfall über einiges klar geworden. Ich weiß, was ich nicht will. Alles, was geschieht, ist für etwas gut, und ich denke, es kommt immer etwas Besseres nach. Ich bin Optimistin. Sicher, gelegentlich geht jeder durch ein tiefes Tal. Aber die Schönheit der Gipfel erschließ sich doch nur, wenn man ganz von unten aufsteigt.«
»Dann hast du deinen Liebeskummer überwunden?«
Liesel sah Toni überrascht an.
»Toni, ich hatte keinen Liebeskummer. Ich spürte, dass ich großes Glück hatte, dass es so passiert war. Ich wäre nicht glücklich geworden mit dem Mann. Sicher musste ich lernen, mit meiner plötzlichen Freizeit umzugehen. Schließlich hatten wir uns fast jeden Abend gesehen. Aber nach einer Woche hatte ich einen gefüllten Terminplan. Mir wurde bewusst, auf wie viel ich bereits seinetwegen verzichtet hatte. Ich machte nur noch Dinge, die ihm gefielen, an denen er Freude hatte. Ich ging Golf spielen und spielte Tennis. Ich war Mitglied im Oldtimerclub. So könnte ich euch viele Beispiele nennen. Dann die vielen Geschäftsessen, zu denen ich mitging. Es mag Frauen geben, denen so etwas gefällt. Ich bin anders, versteht ihr? Ich brauche kein Obstbesteck, um einen Apfel zu essen. Ich kann ihn aus der Hand essen, einfach reinbeißen. Das ist nur ein Beispiel. Egal, ich bin im Augenblick sehr glücklich und genieße mein Leben. Falls, ich sage falls, ich mich mal wieder verliebe, werde ich den Burschen gründlich auf Herz und Nieren prüfen.«
Toni schmunzelte.
»Klingt, als wolltest du ihn einem Test unterziehen?«
»Warum nicht, Toni? Es gibt Einstellungstests und Eignungsprüfungen für alles. Nur bei der wichtigsten Entscheidung im Leben, da läuft man blindlings hinein. Nein, nein, nein, ich werde vorsichtig sein.«
»Lass dein Herz sprechen, Liesel!«, sagte Alois.
»Alois, ich dachte, das hätte ich getan. Aber ich sah alles durch die rosarote Brille. Die werde ich beim nächsten Mal absetzen. So, und jetzt reden wir nicht mehr davon.«
Liesel schaute in die Runde.
»Vielen Dank für Kaffee und Kuchen. Der Kuchen war ausgezeichnet. Ich muss mich auf den Rückweg machen. Die Hühner werden schon im Stall sein. Ich muss den Stall zumachen. Den Garten zu gießen, bleibt mir nach dem Dauernieselregen erspart. Wann kommst du das Gemüse abholen?«
Toni versprach am nächsten Tag gleich früh am Morgen zu kommen.
»Gut, dann warte ich auf dich. Das Gemüse wird taufrisch sein.«
Liesel verabschiedete sich. Sie zog ihre Jacke an, die inzwischen trocken war. Toni, Anna und der alte Alois brachten sie bis auf die Terrasse.
Liesel drehte sich um und winkte, bevor sie den Pfad hinunter zur Oberländer Alm ging.
Es hatte aufgehört zu regnen. Über dem Tal von Waldkogel spannte sich ein bunter Regenbogen.
Das wird morgen ein schöner Tag, dachte Liesel.
*
Als Toni am nächsten Morgen auf dem Hof hielt, trat Liesel aus der Haustür.
»Guten Morgen, Toni!«, rief sie. »Ich habe die Körbe schon bereitgestellt. Am besten suchst du dir im Garten aus, was auf den Speiseplan der Berghütte passt.«
»Grüß Gott, Liesel! Gute Idee!«
Toni folgte Liesel in den Garten am Ende des großen Grundstücks. Sie gab ihm ein Messer.
»Schneide dir so viel Salat, wie du magst. Dahinten gibt es Gurken und Karotten und anderes Gemüse. Beeren kannst du auch mitnehmen. Dafür habe ich dir Eimer hingestellt.«
In der nächsten halbe Stunde waren sie beschäftigt. Sie trugen die Eimer und die Körbe zu Tonis Geländewagen.
Toni wollte gerade einsteigen, als ein lautes Brummen durch die Luft schallte. Sie sahen in den Himmel.
»Was ist das?«, fragte Toni.
»Das ist ein Traghubschrauber«, erklärte ihm Liesel. »Das ist das neuste Freizeitvergnügen einiger Yuppies aus München. So wie es Ultraleichtflugzeuge gibt, gibt es diese Kleinsthubschrauber.«
»Interessant! Der fliegt ziemlich niedrig.«
»Schaut aus, als wollte er auf der Wiese neben der Scheune landen. Um Himmels willen!« Liesel lief los. »Dort laufen die Hühner herum.«
Toni rannte ihr nach.
Der kleine bunte Hubschrauber landete auf der Wiese neben der Scheune. Die Hühner flatterten aufgeregt herum.
Der Pilot stieg aus. Liesel ging auf ihn zu. Sie stemmte die Arme in die Seite und stellte sich vor ihn.
»Hören Sie, das hier ist eine landwirtschaftlich genutzte Fläche und kein Flugplatz. Ich hoffe, Sie haben eine gute Erklärung«, brüllte Liesel.
»Liesel, beruhige dich!«, sprach Toni beschwichtigend auf sie ein. »Vielleicht ging es nicht anders. Frag doch erst einmal, ob es eine Notlandung war.«
»Okay, war es eine Notlandung? Ist mit dem Ding etwas nicht in Ordnung? Es wird doch hoffentlich nicht in Flammen aufgehen?«
Der Mann nahm den Helm und die getönte Schutzbrille ab. Er fuhr sich mit der Hand durch das kurze, etwas lockige Haar und lächelte.
Liesel verstummte. Sie starrte ihn an. Solch strahlend blaue Augen hatte sie noch nie gesehen.
Als er sah, wie verlegen sie war, streckte er ihr die Hand entgegen.
»Guten Tag, ich bin Felix Klein! Es war nicht unbedingt eine Notlandung. Ich hörte nur plötzlich ein irritierendes Nebengeräusch. Da hielt ich es für sicherer, sofort zu landen. Es tut mir leid, dass ich die Hühner erschreckt habe.«
Liesel nahm seine Hand. Sie fühlte sich wunderbar an. Sie war warm und groß. Liesels Hand versank ganz darin. Es war ein unglaublich gutes Gefühl. Dieser Händedruck, der kräftig und gleichzeitig sanft war, raubte ihr fast die Sinne.
»Grüß Gott!«, brachte sie gerade noch heraus. Dann fing sie sich wieder. »Liesel Schreiber! Entschuldigen Sie, dass ich etwas barsch war. Besser eine Notlandung, als ein Absturz.«
»Das sage ich mir auch. Schließlich hat die Luft keine Balken.«
Liesel war immer noch verlegen. Sie ließ seine Hand los.
»Nach dem Schrecken solltest du einen Obstler anbieten, Liesel«, bemerkte Toni.
»Darf ich vorstellten, Toni von der Berghütte.«
»Freut mich!«, sagte Felix und gab Toni die Hand.
Toni hatte sofort erkannt, dass es knisterte zwischen den beiden. Sie schauten sich sehr interessiert an. Liesel belauerte den Piloten wie ein wildes Tier die Beute, bevor es zuschlug.
»Ich muss leider gehen. Vielen Dank für das Gemüse!«, sagte Toni. Er verabschiedete sich und ging davon.
Liesel schob sich eine Strähne ihres kinnlangen blonden Haares hinter das Ohr.
»Einen Obstler würde ich nicht ablehnen«, sagte der Pilot.
Liesel errötete. »Meinetwegen! Kommen Sie mit, Herr Klein!«
»Felix, bitte! Und darf ich Liesel sagen?«
»Wenn es denn sein muss«, brummte Liesel. Sie hatte die Kontrolle über ihre Gefühle wiedererlangt.
Liesel drehte sich um und ging in Richtung Haus. Felix folgte ihr.
Neben der Haustür stand eine Bank.
»Hier kannst du warten, Felix«, sagte Liesel und verschwand im Haus.
Felix schaute sich um. Der alte Bauernhof gefiel ihm. Es dauerte nicht lange, dann kam Liesel mit einem Obstler. Sie reichte ihm das Glas.
»Danke!«, sagte er. »Trinkst du nicht mit? Also, ich brauche schon jemand zum Anstoßen.«
Liesel seufzte. Sie hatte schlechte Laune. Der Bursche ist ganz schön forsch, dachte sie. Sie gab ihm die Schuld an ihrer Verwirrung. Er brachte sie durcheinander. In ihrem Kopf drehte sich alles, und ihr Herz klopfte so stark wie nach einem Dauerlauf. Dabei war ihr klar, dass er die Ursache war, und das ärgerte sie. Sie wollte keine Gefühle haben. Sie wollte nicht den Kopf verlieren. Sie hatte sich tausendmal geschworen, dass sie den nächsten Mann einer gründlichen Prüfung unterziehen wollte, bevor sie ihr Herz verschenkte. Aber dieser Vorsatz war nicht so leicht durchzuführen.
»Für mich ist es noch zu früh. Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
Felix setzte sich auf die Bank. Er stellte das Glas neben sich und sah sie an.
»Das ist ein gutes Argument. Also, ich warte hier, bis du gefrühstückt hast.«
»Das ist Nötigung«, schimpfte Liesel.
»Bist du Juristin?«
»Nein!«
Er lächelte sie an. »Ich hätte dich gefragt, ob ich auf deiner Wiese landen kann. Aber das war nicht möglich.«
»Ist schon gut, ich bin kein Unmensch«, sagte Liesel. Sie ärgerte sich über sich selbst. Wieder strich sie verlegen eine Haarsträhne hinter das Ohr. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie so unfreundlich war. Das Gefühl in ihrem Herzen verleitete sie dazu, etwas zu fragen, ohne sich vorher über die Folgen Gedanken zu machen.
»Unter dem Baum dort drüben steht ein Tisch«, sagte sie. »Hast du schon gefrühstückt?«
»Ich hatte einen Becher Kaffee, bevor ich startete. Ich wollte nur schnell einen Rundflug machen, um zu sehen, ob die Maschine in Ordnung ist. Das wollte ich schon gestern tun. Aber da hat es nur geregnet.«
»Gut, ich lade dich zum Frühstück ein. Setz dich drüben hin!«
»Danke, aber ich kann helfen, den Tisch zu decken. Dann musst du nicht so oft hin und her laufen.«
»Ich stelle mir die Sachen auf die Fensterbank des Küchenfensters, dann spare ich Wege.«
»Praktische Idee! Dann machen wir es so! Ich warte hier auf dem Hof. Du reichst mir die Sachen aus dem Fenster und ich decke den Tisch.«
Liesel war erstaunt. »Okay!«, sagte sie und verschwand im Haus.
Felix schaute durch das offene Fenster. »Du hast eine schöne Küche. Sie ist richtig gemütlich, mit den schönen alten Möbeln. Gefällt mir! Das wirkt richtig heimelig.«
»Das ist nicht meine Küche«, rief Liesel laut, während sie die Kaffeemaschine bediente.
»Nicht deine Küche? Ich dachte, du wohnst hier.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil es aussah, als wolltest du dein Land mit Zähnen und Klauen verteidigen.«
Liesel lachte laut.
»Ja, ich schieße schon mal gern über das Ziel hinaus. Der Bauernhof gehört Verwandten. Ich bin hier zu Gast.«
»Dann bist du nicht die Bäuerin?«
»Nein, nur so etwas wie eine Ersatzbäuerin. Meine Tante und mein Onkel sind auch keine richtigen Bauern. Sie haben sich früh zur Ruhe gesetzt und sich diesen Hof gekauft, als Selbstversorger.«
»So etwas würde mir auch gefallen«, sagte Felix.
Liesel warf ihm kurz einen überraschten Blick zu. Sie holte Geschirr, stellte es auf ein Tablett und reichte es ihm durch das Fenster.
»Stell es einfach drüben auf den Tisch!«
»Hast du eine Tischdecke?«
»Tischdecke?«, staunte Liesel.
»Ja, das ist so ein rechteckiges oder rundes Tuch, das man über einen Tisch legt.«
Liesel lachte.
»Okay, ein Mann, der eine Tischdecke fordert, ist mir noch nicht begegnet. Klar, Tischdecke, so etwas habe ich.«
Liesel holte eine Tischdecke. Sie war dunkelblau und mit weißen Blüten bestickt. Sie legte noch zwei Servietten dazu.
»Danke!«
Vom Fenster aus sah Liesel zu, wie Felix den Tisch deckte. Dann kam er zurück und holte ein Tablett mit gekochten Eiern, Brot, Butter, Marmelade, Honig, Wurst, Käse, Zucker und Milch.
»Der Kaffee ist gleich fertig. Den bringe ich mit raus.«
»Hast du eine kleine Blumenvase? Auf der Wiese gibt es schöne blühende Kräuter. Darf ich welche pflücken?«
Liesel staunte noch mehr. Sie holte eine Vase.
»Du kannst Blumen aus dem Garten holen. Dort auf der anderen Seite der Scheune!«
Er deckte zuerst den Tisch, dann ging er Blumen holen.
Als Liesel mit der Warmhaltekanne voll Kaffee hinauskam, stand ein kleiner bunter Blumenstrauß auf dem Tisch.
Sie setzte sich und blickte über den Tisch. »Du hast schön gedeckt. Arbeitest du in der Gastronomie?«
Felix lachte. »Nein! Du willst damit wohl sagen, es ist ungewöhnlich, dass ein Mann das kann?«
Liesel errötete verlegen.
»Ich kann mir kein Urteil erlauben. Jedenfalls habe ich noch von keinem Burschen gehört, der auch nur auf den Gedanken käme, so etwas zu tun.«
»Ich habe zwei ältere und zwei jüngere Schwestern. Meine Mutter hat uns alle gleich behandelt. Jedes Kind musste mit anpacken. Auch in einer so großen Familie legte sie Wert auf die Ästhetik des Alltags, wie sie es nannte. An einem schön gedeckten Tisch schmeckt es besser und man kann entspannen.«
»Das ist richtig«, meinte Liesel und sah ihn nachdenklich an.
»Was denkst du? Du hast doch eine Frage auf der Zunge.«
Liesel machte sich eine Scheibe Brot mit Butter.
Felix schenkte Kaffee ein.
»Ich dachte gerade, es ist bemerkenswert, dass du die Einstellung beibehalten hast.«
»Du meinst, das ist ungewöhnlich für einen Mann?«
»Ja, so ungefähr dachte ich es mir.«
»Frauen mögen das nicht«, sagte er und klopfte sein Ei auf.
»Wie bitte?«, fragte Liesel erstaunt. »Das verstehe ich nicht.«