Читать книгу Toni der Hüttenwirt Classic 40 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 3

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Es war später Vormittag. Toni Baumberger kam die Treppe herab. Er hatte bei seinen Eltern übernachtet. Sein Vater Xaver und seine Mutter waren in der Küche hinter dem Wirtsraum der Wirtschaft und der kleinen Pension, die sie betrieben.

»Na, bist endlich raus aus den Federn?« grinste Xaver seinen Sohn an.

»Mmm! Net so laut, Vater! Mei, brummt mir der Schädel. Mutter, hast einen Kaffee und eine Kopfwehpille?«

Toni sah sehr zerknautscht aus.

»Beides, Bub! Willst vielleicht etwas Salziges essen?«

»Essen? Naa! Ich bekomm nix runter. Daß mich des so mitgenommen hat, des wundert mich doch. So viel hab’ ich doch net getrunken. Mei! Himmelherrgott! Was ich für einen Brummschädel hab’!«

»Laß den Herrgott aus dem Spiel, Bub! Dich hat höchstens der Teufel geritten!«

Meta Baumberger stellte ihrem Sohn ein Glas Wasser hin und reichte ihm zwei Kopfschmerztabletten.

Toni trank seinen Kaffee. Seine Mutter erzählte ihm, daß sie schon zweimal mit Anna telefoniert hatte.

»Mei, die wird sehnsüchtig auf mich warten. Es ist viel zu tun auf der Berghütte. Ich wollte eigentlich schon früh aufbrechen, daß ich bis zum Frühstück oben bin. Aber ich bin einfach net zu mir gekommen. Dabei hab’ ich net gar so viel getrunken. Es kann höchstens an dem Selbstgebrannten gelegen haben, den einer der Burschen mitgebracht hatte. Mei, mir brummt wirklich der Schädel.«

»Jetzt hör’ endlich auf zu jammern, Bub! So ein Kater ist dann halt die gerechte Straf’. Mir is des früher ab und an auch so ergangen. Die Anna, die hat bestimmt genauso Verständnis dafür, wie es deine Mutter einst für mich hatte. Wenn man die jungen ledigen Burschen anleiten muß, dann kann man sich net drücken.«

Es war Brauch in Waldkogel, daß die jungen ledigen Burschen jedes Jahr einen Baum fällten und schmückten. Der wurde dann für das Sommerfest auf der Festwiese aufgestellt. Das Ganze mußte beaufsichtigt werden, dazu wurde ein Waldkogeler auserwählt, der erst jung verheiratet war. In diesem Jahr war es Toni gewesen.

»Ich hab’ mich ja auch net gedrückt, obwohl meine liebe Anna für zwei hat arbeiten müssen. Aber ich komme am Wochenende net runter zum Fest.«

»Des ist aber schad’. Ich dachte, es wäre schön, wenn du mit der Anna mal wieder tanzen würdest. Schau, die Anna ist so fleißig. Ein bisserl verwöhnen mußt du sie schon. Willst wirklich net mit ihr am Samstagabend aufs Sommerfest gehen? Die Kinder können hier schlafen. Die Abwechselung würde der Anna bestimmt guttun!«

»Wer soll dann oben auf der Berghütte sein? Dem Alois, dem kann ich das net zumuten. Des wird zuviel für ihn, gerade am Wochenende. Sagen tut der Alois ja nix. Aber er hat seinen Ruhestand mehr als verdient, Mutter.«

»Dein Vater könnt dem Alois helfen. Bei uns hier im Wirtshaus wird es ruhig sein. Alle werden auf dem Sommerfest sein. Da packe ich des gut allein!«

Toni lächelte seine Mutter dankbar an.

»Des ist wirklich lieb von dir, Mutter! Aber die Anna, die will net. Wir haben schon drüber geredet.«

»Mei, dabei tut des Madl doch so gerne tanzen!«

»Wir machen demnächst mal wieder ein schönes Hüttenfest mit Tanz. Das haben wir so besprochen«, erklärte Toni seiner Mutter.

Seine Kopfschmerzen ließen nach, jetzt hatte er doch wieder Appetit. Nach einer Brotzeit mit vielen salzigen und würzig scharfen Senfgurken fühlte er sich besser. Er verabschiedete sich von seinen Eltern und brach auf. Er hatte das Verdeck seines Geländewagens offen. Während er langsam den Milchpfad hinauf zur Oberländer Alm fuhr, genoß er den kühlen Bergwind, der von Westen herkam. Der Himmel war blau. Im Westen hingen einige Wolken. Vielleicht wird es bald etwas regnen, dachte Toni. Das wäre gut. Es war schon seit längerem zu trocken. Das Gras auf den Almen wurde schon an einigen Stellen braun.

Toni parkte sein Auto auf der Oberländer Alm. Während er das Verdeck schloß, plauderte er etwas mit dem alten Wenzel Oberländer, der zusammen mit seiner Frau die Alm betrieb. Dann schulterte Toni seinen Rucksack und machte sich an den Aufstieg zu seiner Berghütte.

*

Die Spätnachmittagssonne warf ihre Strahlen durch das Schaufenster direkt auf den Arbeitsplatz von Luise Winkler. Sie saß an der Drehscheibe und formte einen großen Klumpen Ton zu einer schönen Blumenvase. Ihre Freundin und Geschäftspartnerin Gesa saß an einem Tisch weiter hinten in dem kleinen Laden und machte die Buchführung.

»Mußt du dich nicht fertig machen, Luise? Ich dachte, du wolltest nicht so spät nach Waldkogel fahren.«

»Schon! Aber ich kann auch noch morgen fahren – morgen nach dem Markt.«

»So ein Unsinn, Luise! Wir hatten das doch besprochen! Fast könnte ich beleidigt sein, daß du mich den Markt nicht alleine machen lassen willst«, scherzte die Freundin. »So als hättest du kein Vertrauen in mich!«

»Ach was! Es ist nur viel Arbeit – für eine allein! Außerdem macht es nichts, wenn ich erst morgen fahre. Es ist ohnehin gut möglich, daß Rainer heute abend keine Zeit hat. Da ist was mit einer Kuh. Er hat es mir auch erklärt. Aber von Viehzucht verstehe ich nichts.«

»Du wirst es lernen müssen, liebe Luise.«

»Ja, das weiß ich! Ich werde da noch reinwachsen. Außerdem bin ich eher ein praktisch begabter Mensch. Wenn ich auf dem Kallmeier Hof bin, lerne ich das bestimmt schnell.«

Luise seufzte und ließ augenscheinlich die Gedanken wandern.

»Doch, das kann noch dauern«, sagte sie mit träumerischen Augen.

Jetzt wäre sie doch gerne sofort losgefahren. Jede Stunde ohne Rainer kam ihr wie eine verlorene Stunde vor.

»Du bist total verliebt in Rainer, wie?«

Luise war mit ihrer Blumenvase fertig. Sie schnitt den feuchten Ton mit einem Draht von der Drehscheibe ab und hob die Vase vorsichtig herunter.

»Ach ja, Gesa! Ich habe Schmetterlinge im Bauch. Ja, ich bin total verliebt in Rainer. Dabei kennen wir uns noch nicht lange. Es sind erst drei Wochen und sechs Tage und acht Stunden. Es war die schönste Zeit in meinem Leben. Seine Augen, sein dunkellockiges Haar, seine lustigen Grübchen in den Wangen, wenn er lächelt! Ach, ich wußte es schon beim ersten Blick. Er ist es! Er oder keiner! Lieber bleibe ich alleine!«

»Nun, so wie es aussieht, wird es dir erspart bleiben, als alte Jungfer zu enden. Das ging ja sehr schnell mit euch beiden. Aber es sei dir vergönnt. Wirklich, Luise! Ich wünsche dir von ganzem Herzen, daß du mit Rainer glücklich wirst.«

»Danke, Gesa! Das werde ich sicherlich. Es stimmt alles zwischen uns. Es bedarf keiner großen Worte. Ich lese alles in seinen schönen braunen Augen. Es war eben Liebe auf den ersten Blick, so wie es die Romantiker beschreiben.«

»Ja, das weiß ich! Seitdem bist du auch in dieser Richtung sehr kreativ. Du töpferst Tassen, Vasen, Schalen, Kerzenhalter mit Herzen, Herzen und noch mehr Herzen – Teller in Herzform, Schüsseln in Herzform.«

Die beiden Freundinnen lachten einvernehmlich.

»Und die Kunden kaufen sie! Es scheint anzukommen«, bemerkte Gesa sehr zufrieden. »Wenn ich mir unseren Umsatz anschaue, dann ist Rainer nicht nur für dich gut, sondern auch für unseren Laden.«

»Er ist eben rundherum ein richtiger Glücksgriff!« strahlte Luise.

»Ja, das ist er! Habt ihr schon über die Zukunft gesprochen?« fragte Gesa unvermittelt.

Die beiden Freundinnen hatten sich nach dem Kunststudium zusammengetan. Luise arbeitete als Töpferin und Gesa war Malerin. Es war eine gute Verbindung. Luise, die schon im letzten Semester ihres Studiums den kleinen Laden in der Altstadt in Kirchwalden eröffnet hatte, mochte die trockene Buchhaltung nicht so. Das erledigte jetzt Gesa. Dafür hatte sie eine dauerhafte Möglichkeit, ihre Bilder auszustellen. Sie bemalte auch die Gefäße, die Luise töpferte, und kleine Kacheln mit besonders schönen Motiven. Es gab auch andere, die sie zu größeren Kachelbildern zusammenfügte.

»Was sollen wir über die Zukunft reden? Das ist nicht nötig, Gesa. Rainer und ich, wir wissen in unseren Herzen, daß wir zusammengehören. Da bedarf es keiner Worte.«

»Das weiß ich! Das meine ich nicht! Du verstehst mich genau. Wann wollt ihr euch verloben, heiraten? Das gehört doch dazu. Ich meine bei der schnellen Entwicklung der Gefühle zwischen euch… Ehe, Familie, Kinder, das ist doch das Schönste, was einem Menschen passieren kann, besonders einer Frau.«

Gesa wußte, von was sie sprach. Sie war verlobt. Ihr Verlobter studierte in Paris Kunst. Sie wollten in einem halben Jahr heiraten. Gesa war glücklich. So war es nur verständlich, daß sie die beste Freundin auch glücklich wissen wollte.

»Ich bin jetzt erst einmal gespannt, wie es in Waldkogel sein wird.«

»Richtig! Bisher hat dich Rainer ja immer hier in Kirchwalden besucht. Du bist ja noch nie bei ihm auf dem Kallmeier Hof gewesen. Es wird Zeit, daß er dich seiner Familie vorstellt.«

»Das klingt so ernst, wie du es sagst, Gesa! Ich liebe Rainer! Ich will mit Rainer zusammen sein – nicht mit seiner Familie. Nur er zählt für mich. Alles andere auf der Welt ist völlig unbedeutend. Mit ihm kann ich überall glücklich sein.«

Gesa warf der Freundin einen Blick zu. Dabei schob Gesa ihre Brille, die sie bei Schreibarbeiten trug, auf ihrer Nase herunter, so daß sie über den Rand der Gläser blicken konnte. Luise kannte diese Geste. Sie war Gesas Ausdruck, wenn sie etwas anzweifelte oder ihr etwas nicht paßte.

»Gesa! Was soll das? Nun schau’ nicht so!«

Gesa sagte nichts. Sie wandte sich wieder den Zahlen zu.

»Gesa! Nun rede schon! Was geht dir durch den Kopf? Du, ich kenne dich! Raus mit der Sprache!«

»Ach, nichts!«

Luise lachte.

»Du flunkerst! Rede schon, sonst bleibe ich hier!« drohte Luise mehr scherzhaft.

Gesa zog ihre Brille ab.

»Luise! Ich mache mir eben so meine Gedanken. Rainer sieht sehr gut aus. Er trägt immer feinste Loden, wenn er dich besucht. Er scheint vermögend zu sein. Außerdem ist er der ältere von zwei Brüdern. Das hast du mir erzählt. Also erbt er einmal den Hof. Du bekommst also nicht nur deinen lieben Rainer, sondern einen Hoferben. Du weißt, was das bedeutet?«

»Ach, das wird doch immer übertrieben. Das sind doch alles alte Ammenmärchen, Gesa. Vielleicht war das früher einmal so, daß der Hoferbe eine Frau heiraten durfte, die auch seinen Eltern gefiel. Heute ist das anders.«

»So? Wie kommst du darauf?«

»Nun! Seien wir doch mal ehrlich! Die wenigsten jungen Frauen wollen einen Bauernburschen zum Altar führen. So können die Eltern doch froh sein, wenn Rainer mich bekommt. Er hat mir erzählt, wie das bei ihnen auf dem Hof ist. Durch die Blume hat er mir schon gleich zu Anfang zu verstehen gegeben, daß er eine Frau braucht, die auch Bäuerin auf seinem Hof sein wird.«

»So, dann war das wohl ein Antrag, durch die Blume, sozusagen?«

»Ja, er wollte wissen, wie ich dazu stehe. Er meinte auch, daß ich auch gut auf dem Kallmeier Hof töpfern könnte. Meinen Beruf bräuchte ich nicht aufzugeben.«

»Oh! Hört! Hört! Da hat sich dein Rainer ja richtig Gedanken gemacht.«

»Ja, das hat er. Er ist ein sehr ruhiger und gewissenhafter Typ. Alles, was er macht, das hat Hand und Fuß. Er ist verläßlich. Er steht zu seinem Wort. Auf ihn ist Verlaß. Kurz gesagt: er ist kein Hallodri, sondern ein Mann, der ein guter Ehemann sein wird.«

»Und ein guter Vater eurer Kinder!« fügte Gesa hinzu.

Luise lächelte verträumt.

»Was träumst du, Luise?«

»Nun – Rainer hat wunderschöne, dunkellockige Haare und ich bin hellblond und habe blaue Augen. Wie unsere Kinder wohl aussehen werden? Ich wünsche mir, daß sie alle so aussehen wie Rainer.«

Gesa lachte.

»Rainer wünscht sich bestimmt, daß sie alle blond sind und deine blauen Augen haben.«

»Ja, wahrscheinlich, Gesa! Ach, wäre es doch nur schon soweit!«

»Am Montag weißt du bestimmt mehr! Ich bin mir fast sicher, daß er dir einen Antrag macht.«

»Wie kommst du darauf?«

Gesa wurde rot.

»Gesa!« sagte Luise streng. »Weißt du etwas, was ich nicht weiß? Hat er am Ende mit dir darüber gesprochen? Gesa, nun rede schon!«

Gesa war sehr verlegen.

»Also, ich wollte dir das eigentlich nicht erzählen. Aber ich bin Rainer vorgestern in der Fußgängerzone begegnet. Er stand vor dem Juweliergeschäft. Was wird er sich da wohl im Schaufenster angesehen haben?«

Luises Herz klopfte. Sie faßte sich an die Brust, so als wollte sie ihr Herz festhalten.

»Hast du mit ihm gesprochen, Gesa?« fragte sie leise.

»Also, Luise – du mußt mir glauben – ich wollte nicht. Ich wollte vorbeigehen. Aber er muß mich dann wohl irgendwie bemerkt haben. Vielleicht hat er meinen Blick im Nacken gespürt oder er hat mich in der Schaufensterscheibe gesehen. Ja, ich habe mit ihm gesprochen. Ich soll aber nichts verraten.«

Gesa schaute verlegen beiseite.

»Dann hat er vielleicht Ringe ausgesucht und gekauft? Gesa, das wäre ja wunderbar«, jubelte Luise beglückt.

»Das weiß ich nicht. Wirklich nicht! Aber wir haben uns über Ringe unterhalten. Das kann ich dir erzählen. Er fragte, welche Ringe mir gefallen würden…«

»Dir?« erschrak Luise.

Gesa mußte lachen.

»Hab’ mal keine Angst. Er wollte eben nur reden. Im Laufe des Gespräches fragte er auch, was dir gefallen könnte.«

»Oh, Gesa! Was hast du ihm gesagt?«

Gesa schüttelte den Kopf.

»Nichts! Nichts! Darüber muß er schon mit dir sprechen. Weißt du, ich bin mit meinem Schatz zusammen Ringe kaufen gegangen. Das war wunderschön. Den Tag werde ich nie in meinem Leben vergessen! Es war so romantisch.«

Gesa durchlebte den Kauf ihrer Verlobungsringe noch einmal. Dabei betrachtete sie ihre Hand.

»Vielleicht will er mich mit den Ringen überraschen, Gesa!«

»Ja, es sieht fast danach aus! Er wird deinen Geschmack schon treffen. Da bin ich mir ganz sicher. Er liebt dich doch! Sein Herz wird schon helfen, die richtigen Ringe auszuwählen. Da bin ich mir sicher!«

Luise setzte sich wieder auf den Schemel hinter die Drehscheibe. Die junge Frau hatte träumerische Augen. Ihr Herz klopfte. Sie dachte an Rainers Telefonanruf. Was hatte er genau gesagt? Seine Stimme war etwas traurig gewesen. Sie konnten sich nicht sofort in Waldkogel treffen, da er sich um das Vieh kümmern mußte. Aber er würde sich zwischendrin bei ihr melden. Er hätte in der Pension ›Beim Baumberger‹ ein Zimmer für sie gebucht. Dort sollte sie auf ihn warten. Dann würden sie auf das Sommerfest gehen.

Gesa riß Luise aus ihren Träumen.

»Du mußt dich jetzt wirklich fertig machen und fahren. Hier im Laden kommst du deinem Traummann nicht näher.«

»Ach, Gesa! Du bist so lieb zu mir!« seufzte Luise.

Sie stand auf und ging hinauf in die kleine Dachwohnung, die über dem Laden lag.

Gesa widmete sich weiter der Buchführung und bediente einige Kunden.

*

Eine Stunde später steuerte Luise Winkler ihr kleines Auto Waldkogel entgegen. Neben ihr auf dem Beifahrersitz lagen viele Broschüren, die sie sich, während der letzten drei Wochen, in der Kirchwaldener Touristenzentrale geholte hatte. Luise hatte sie fast auswendig gelernt. Sie wollte alles über Waldkogel wissen, so gut man das eben aus solchen Blättern lernen konnte. Waldkogel ist Rainers Heimat und es wird eines Tages – hoffentlich eines baldigen Tages – auch mein neues Zuhause sein.

Mit diesen Gedanken steuerte Luise langsam die Straße entlang. Sie hatte die Wagenfenster heruntergekurbelt. Würzige Bergluft strömte herein. Es roch nach Tannen und

frischgemähtem Gras.

Zu der Liebe, die sie für Rainer verspürte, kam die Liebe zu seiner Heimat hinzu. Sie trank mit ihren Augen das Grün der Wiesen. Sie blickte hinauf zu den Bergspitzen von ›Engelssteig‹ und ›Höllentor‹. Rainer hatte ihr die alten Sagen und Legenden erzählt.

Das ›Höllentor‹ hieß so, weil nach einer alten Sage der Teufel selbst dort einen Zugang zu der Hölle hatte. Dann und wann öffnete er das Tor zu seinem Höllenschlund, dann drohten oft Katastrophen. Der Berg war gefährlich brüchig, es war verboten, ohne erfahrenen Bergführer dort aufzusteigen.

Gegenüber auf der anderen Seite des Tales lag der Gipfel des ›Engelssteigs‹ im rötlichen Abendlicht. Luise konnte das große Gipfelkreuz sehen, wie es in den Sonnenstrahlen leuchtete. Die junge Frau hielt einen Augenblick an. Sie schaute voller Inbrunst hinauf.

»Hallo, ihr Engel dort oben! Der Rainer Kallmeier, den kennt ihr ja bestimmt. Der ist hier aus Waldkogel. Er hat mir erzählt, daß ihr von oben – vom Gipfel des ›Engelssteigs‹ – direkt in den Himmel aufsteigt. Ihr nehmt die Gebete und Herzenswünsche der Menschen mit hinauf in den Himmel. Ihr Engel, hört mich! Ich will euch sagen, daß ich so glücklich bin. Ich liebe Rainer! Er liebt mich. Laßt es schnell gehen! Ich will bald seine Frau werden. Das ist mein innigster Wunsch«, flüsterte Luise leise.

Dann fuhr Luise durch den Ort. Sie betrachtete die schöne Barockkirche, das Rathaus und den Marktplatz. Dann fuhr sie zu dem Wirtshaus und der Pension ›Beim Baumberger‹. Es waren schon viele Leute in Waldkogel. Überall parkten Autos. Das Sommerfest in Waldkogel ging über mehrere Tage. Es begann freitags und endete am Montag um Mitternacht mit einem Feuerwerk über dem Tal.

Luise fand keinen Parkplatz. Sie studierte die Landkarte von Waldkogel genau, dann steuerte sie an vielen Autos vorbei, die halb auf dem Weg und halb auf den Wiesen parkten, den Milchpfad hinauf. Endlich fand sie einen Platz, auf dem sie halten konnte.

»Puh, das wäre geschafft!« seufzte Luise.

Sie schulterte ihren Rucksack und ging den Milchpfad zurück bis zu Tonis Eltern.

Die Wirtsstube war leer.

»Guten Abend!« grüßte Luise laut und vernehmlich.

Meta Baumberger kam aus der Küche.

»Grüß Gott!«

»Frau Baumberger?« Luises Stimme klang fragend.

»Ja, die bin ich! Meta Baumberger! Kennen wir uns?«

»Guten… besser.. Grüß Gott, Frau Baumberger! Grüß Gott, das sagt man hier doch! Nein, wir kennen uns nicht. Für mich ist hier ein Zimmer bestellt worden! Mein Name ist Luise Winkler!«

»Des war bestellt worden! Aber der Kallmeier, der hat des wieder abbestellt!«

Luise sah Tonis Mutter erstaunt an und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

»Ich habe vor knapp drei Stunden noch mit Rainer telefoniert. Wir wollten uns eigentlich treffen. Aber es ist etwas mit dem Vieh. Ich sollte hier auf ihn warten. Er sagte mir noch einmal, daß er hier für mich ein Zimmer…«

Meta Baumberger schüttelte den Kopf. Luise brach den Satz ab.

»Jetzt setz dich erst mal hin, Madl. Willst was essen?«

Meta Baumberger wartete nicht, bis Luise antwortete. Sie nahm der jungen Frau den Rucksack aus der Hand und führte sie an einen Tisch.

»So, jetzt bleibst erst mal hier sitzen! Des wird sich alles klären!«

»Das muß ein Mißverständnis sein, Frau Baumberger! Rainer muß ein Zimmer für mich… Ich werde Rainer gleich anrufen.«

Luise zückte ihr Handy.

»Madl«, Metas Stimme hatte einen mütterlichen Tonfall, »des ist keine gute Idee! Ich erkläre dir des gleich! Jetzt bleibst erst mal hier schön sitzen.«

Meta nahm Luise einfach das Handy aus der Hand.

Die Baumbergerin eilte in die Küche.

Luise saß starr auf dem Stuhl. Sie hätte auch nicht weglaufen können. Ihre Beine waren schwer wie Blei. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander.

Was hatte das zu bedeuten?

Hat mich Rainer angelogen? Das kann doch nicht sein.

Warum soll ich Rainer nicht anrufen?

Was weiß diese Frau Baumberger?

Luise schwindelte. Sie rieb sich die Stirn und schloß für einen Augenblick die Augen.

»Hier, Madl! Den kannst jetzt brauchen, so käsig, wie du ausschauen tust!«

Xaver Baumberger hielt ihr einen Obstler hin.

»Net dran nippen! Gleich runter damit – schlucken!«

Luise hatte plötzlich das Gefühl, als habe ihr jemand den Boden unter den Füßen fortgezogen. Sie schaute in das freundliche Gesicht von Tonis Vater.

»Nun hab Mut! Es mag ein bisserl brennen im Hals! Aber wirst sehen, der tut schön wärmen von innen heraus. Ich lade dich ein! Der Obstler geht aufs Haus!«

Er lächelte sie an.

Luise trank. Der Schnaps war wirklich ein Hochprozentiger. Langsam kehrte wieder Farbe in das Gesicht der jungen Frau zurück.

»Geht’s besser, Madl?« fragte Xaver Baumberger.

Luise nickte nur. Sie brachte kein Wort hervor. Das lag aber nicht daran, daß der Obstler zu stark gewesen war, sondern daran, daß sie einfach sprachlos war.

Meta Baumberger kam an den Tisch.

»Ich seh’, daß du schon wieder ein bisserl Farbe in den Wangen hast. Komm mit mir in die Küche. Da können wir ungestört reden. Des ist hier in der Wirtsstube net möglich. Es können ja jede Minute Gäste kommen. Des is’ zwar unwahrscheinlich, denn die Leut’ sind alle schon auf der Festwiese. Aber sicher ist sicher. Was ich dir zu sagen hab’, des braucht niemand zu hören. Nun komm, Madl!«

Meta ging voraus. Sie drehte sich einmal kurz um.

»Luise wirst gerufen?«

»Ja!«

»Ich bin die Meta! Und des ist mein Mann, der Xaver!«

Luise folgte Meta in die Küche. Dort hatte Meta den Tisch für sie

gedeckt. Sie stellte ihr eine Pfanne mit Bratkartoffeln und kleinen Bratwürstchen hin.

»Magst ein Bier?« fragte Xaver, der im Türrahmen stand.

»Danke, nein! Ich brauche einen klaren Kopf! Vielleicht will ich heute abend noch zurück nach Kirchwalden fahren. Schaut so aus, als wäre ich hier unerwünscht. Nicht hier – sondern von Rainer unerwünscht.«

Das konnte Luise in ihrem Herzen nicht glauben, aber Angst hatte sie trotzdem.

»Naa, Madl! Des wirst schön bleiben lassen,« bemerkte Meta. »Du wirst hierbleiben. Jetzt tust schön was essen. Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen! Kennst des Sprichwort?«

»Das kenne ich! Meine Großmutter machte mir immer einen Becher ganz süßen Kakao und gab mir viele Kekse, wenn ich mit einem Kummer zu ihr gekommen war.«

»Eine gescheite Frau, deine Groß-mutter! Wenn du kein Bier willst, willst was anderes?«

Luise lächelte. Sie aß eine Gabelvoll Kartoffeln.

»Schmeckt gut! Großmutter hat die Bratkartoffeln auch immer mit Speck gemacht und am Schluß viel frische Kräuter druntergemischt. Bei ihr trank ich immer einen süßen Malzkaffee dazu.«

»Xaver, hast des gehört! Mach’ dem Madl einen schönen Malzkaffee. Ich muß mit der Luise jetzt reden!«

Xaver machte sich sofort am Herd zu schaffen. Meta Baumberger setzte sich zu Luise an den Tisch. Die schaute sie mit großen, fast ängstlichen Augen an.

»So, Madl! Also, des ist so gewesen. Der Rainer Kallmeier, des ist der Sohn vom alten Kallmeier, dem Kurt. Der hat gestern bei uns angerufen und ein Zimmer für dich bestellt. Ich bin net da gewesen. Ich war draußen im Garten. Der Xaver hat des Gespräch angenommen. Kaum eine halbe Stunde später hat der Kurt Kallmeier bei mir angerufen und des Zimmer wieder abbestellt.«

»Das verstehe ich nicht…«

»Ich aber schon, denke ich. Der Kurt, der hat nämlich so getan, als sei er der Rainer. Aber ich hab ihn doch erkannt. Nur anmerken hab’ ich mir nix lassen. Aber ich bin mir ganz sicher! Der Xaver und ich, wir haben lange drüber gesprochen. Na ja, was da auf dem Kallmeier Hof los ist, das kann ich dir net sagen. Aber mit rechten Dingen scheint des net zugegangen sein.«

»Des Dumme ist nur,« sagte Xaver, »daß wir jetzt kein Zimmer mehr haben. Den Rainer konnten wir net erreichen. Ich und die Meta haben öfter versucht, den Rainer Kallmeier anzurufen. Aber wir haben ihn net bekommen. Immer war sein Vater am Hörer. Er sagte nur, daß er wüßte, daß sein Bub des

Zimmer bei uns wieder abbestellt habe, weil der Besuch net kommen würde. So war es doch, Meta, net wahr?«

»Genauso ist es gewesen, Xaver! Also haben wir des Zimmer anders vergeben. Wir sind voll bis unters Dach. Sogar unser eigenes Schlafzimmer und des Sofa im Wohnzimmer haben wir Stammgästen gegeben. Mußt wissen, wenn Sommerfest in Waldkogel ist, da kommen viele Stammgäste«, erklärte Meta.

Xaver füllte einen hohen Becher mit Malzkaffee und reichte ihn Luise.

»Aber wir haben da eine Idee! Du kannst oben auf der Berghütte übernachten. Unser Bub, der Toni, der bewirtschaftet die Berghütte. Da gibt es immer noch ein Plätzchen und wenn dafür ein Bursche auf einem Matratzenlager vor dem Kamin nächtigen muß. Da kannst aber erst morgen früh rauf. Heute abend ist es zu spät dazu. Außerdem ist Tanz auf der Festwiese. Da gehört so ein junges fesches Madl, wie du eines bist, hin.«

Luise Winkler lauschte nur mit halbem Ohr. In Gedanken war sie bei ihrem Rainer.

Was hat das alles zu bedeuten?

»Ich muß mit Rainer reden«, sagte Luise entschlossen.

Sie griff nach ihrem Handy und wählte. Augenblicke später schaltete sie es wieder aus.

»Der Teilnehmer ist nicht erreichbar! Sie können nach dem Piepton eine Nachricht hinterlassen!« wiederholte Luise die Nachricht.

Enttäuscht ließ sie ihr Handy sinken. Sie seufzte und trank einen Schluck Kaffee.

»Dann gehe ich selbst zu Rainer. Wo ist der Kallmeier Hof?«

Meta schüttelte energisch den Kopf.

»Naa, mein Madl! Des wirst net machen! Da hab’ ich eine andere Idee! Laß mich nur machen!«

Meta stand auf. Sie band sich die Schürze ab.

»Xaver, du paßt auf, daß des Madl keine Dummheit macht. Ich muß mal fort. Bin in zehn Minuten wieder da.«

»Wo gehst denn hin?«

»Ich hab’ jetzt keine Zeit für lange Erklärungen! Des wird schon!«

Meta blieb im Türrahmen stehen und schaute Luise in die Augen.

»Bist verliebt in den Rainer? Bist sein Madl, wie?«

Luise Winkler wurde rot.

»Ja, Rainer Kallmeier und ich – wir lieben uns! Deshalb verstehe ich das nicht.«

»Sei ganz unbesorgt, Madl! Des wird sich alles klären.« Meta Baumberger zog ihr Dreieckstuch enger um die Schultern und eilte davon.

*

Gerade als Meta das Haus verließ, hielt Toni mit seinem Geländewagen.

»Toni! Bub! Dich schickt der Himmel!« rief Meta mit einem Seufzer der Erleichterung.

»Mei, Mutter! Des klingt, als sei was geschehen.«

Anna stieg auf der anderen Seite aus dem Wagen.

»Grüß dich, Mutter Meta! Das ist ein hartes Stück Arbeit gewesen, deinen Bub zu übereden, daß wir zum Tanz gehen. Manchmal denke ich, er ist mehr mit seiner Berghütte verheiratet als mit mir«, lachte Anna.

»Ja, ja, Anna! Ich weiß. Schön, daß ihr euch einen vergnüglichen Abend auf dem Sommerfest machen wollt. Des tut passen! Auch noch aus einem anderen Grund. Drinnen gibt’s einen Gast. Luise Winkler ist der Name von dem Madl. Ein fesches Madl ist sie. Und so wie es ausschauen tut, ist sie des Herzensmadl vom Rainer Kallmeier. Aber die Luise kann den Rainer net erreichen. Sein Handy ist aus. Über des Festnetz auf dem Hof anzurufen, des ist auch net so gut. Aber des kann euch die Luise alles erklären. Jedenfalls wäre ich euch sehr verbunden, wenn ihr die Luise gleich mit zur Feier nehmen würdet. Ich schau’, daß jemand den Rainer informiert, ohne daß sein Vater davon was mitbekommt.«

Toni Baumberger rieb sich das Kinn.

»Des klingt ein wenig kompliziert, Mutter. Kannst des net näher erklären?«

Anna nahm ihren Toni bei der Hand.

»Komm, mein Schatz! Wir schauen mal nach der Luise. Siehst doch, daß es deine Mutter eilig hat.«

Meta warf Anna einen dankbaren Blick zu und eilte davon. Nach einigen Metern schrie sie auf und kam zurück.

»Alle Zimmer sind vermietet. Der Vater und ich schlafen heute nacht auf dem Heuboden. Ich hab’ euer Zimmer auch vergeben, Toni. Was machen wir denn da? Da müßt ihr auch auf dem Heuboden schlafen.«

»Des macht nix, Mutter! Ich hab’ mir schon so etwas gedacht. Mach dir keine Sorgen. Nach dem Tanz fahren wir rauf bis zur Oberländer Alm und nächtigen dort bei der Hilda und dem Wenzel. Wir haben des schon alles mit den beiden besprochen.«

»Des ist gut! Dann wünsche ich euch viel Freud’ heut abend und nehmt euch ein bisserl der Luise an.«

Meta eilte jetzt endgültig davon.

Toni und Anna gingen hinein. Xaver stellte Luise vor und erklärte in wenigen Worten, was sich zugetragen hatte.

»Mei, des ist ein Ding!« wunderte sich Toni und schüttelte den Kopf.

»Vater, bist dir wirklich sicher, daß des am Telefon Rainers Vater war, der des Zimmer wieder abbestellt hat?«

»Ja! Des sind wir! Deine Mutter und der Kallmeier Kurt, die sind ja zusammen in die Schule gegangen. Deine Mutter kennt ihn noch besser als ich. Sie hat es sofort bemerkt. Außerdem hat sie sich den Namen Lieselotte Winkler bestätigen lassen – von ihm. Ja, hat er gesagt, des sei der Name.«

»Dabei heißt sie doch Luise!« warf Anna ein. »Ganz schön raffiniert von Mutter Meta, des so zu machen!«

»Da kann was net stimmen auf dem Kallmeier Hof.« Toni rieb sich das Kinn. »Der Vater war schon immer sehr streng gewesen mit den Buben, dem Rainer und seinem jüngeren Bruder Wolfram. Aber des ist doch ein bisserl zuviel. Dazu kommt, daß des ganz schön dumm ist. Dem Kallmeier muß doch klar sein, daß er net verhindern kann, daß sich der Rainer und die Luise treffen.«

Anna legte den Arm um Luise. Sie hatte Mitleid.

»Des wird sich alles klären. Jetzt komm erst mal mit uns! Deinen Rainer, den wirst auch noch sehen, da bin ich mir sicher. Mutter Meta hat uns zwar nicht in ihren Plan eingeweiht. Aber die Meta ist eine Seele von Mensch. Du kannst dich auf sie verlassen. Dazu kommt, daß sie net leiden kann, wenn man sie anlügt. Daß der Kurt Kallmeier die Meta am Telefon zum Narren gehalten hat, des verzeiht sie ihm so schnell nicht.«

Luise stand auf. Sie schaute an sich herunter.

»Kann ich so gehen?«

Noch bevor Anna Luises Frage beantworten konnte, sagte Toni:

»Siehst fesch aus, Luise! Richtig fesch! Da kann ich nur hoffen, daß der Rainer bald kommt. Du wirst allen ledigen Burschen den Kopf verdrehen.«

Luise trug ein Sommerkleid aus dünner Baumwolle mit schmalen Trägern. Der Stoff war hellblau mit bunten kleinen Blumen.

»Ich will aber nicht mit anderen jungen Burschen tanzen. Erst muß ich doch mit Rainer reden. Vielleicht sollte ich doch besser hier auf ihn warten?« sagte Luise unsicher und errötete dabei.

»Des wird schon, Luise. Die Anna und ich nehmen dich in unsere Mitte. Wir passen schon auf, daß du net unter die Räuber fällst.«

Luise war immer noch verunsichert. Erst als Toni sich anbot, sie kurz zu ihrem Auto zu fahren, willigte sie ein. Luise schloß ihren Rucksack dort ein und fuhr dann mit Toni zurück.

Anna redete währenddessen mit ihrem Schwiegervater Xaver Baumberger vor der Pension, allerdings blieb auch ihnen ein Rätsel, was Meta im Schilde führte.

Dann machten sie sich auf den Weg zur Festwiese. Toni und Anna nahmen Luise in die Mitte. So gingen sie durch Waldkogel.

Die Sonne stand jetzt noch tiefer über den Bergen und war im Westen nur noch halb zu sehen. Die Gipfel leuchteten tief rot in den letzten Sonnenstrahlen. Glühend wie feurige Kohlen leuchteten Gletscher, Schneefelder und schroffe Felsen.

*

Meta Baumberger war zum Pfarrhaus gegangen. In ihrer Aufregung läutete sie Sturm. So kamen die Haushälterin Helene Träutlein und Pfarrer Heiner Zandler zusammen an die Haustür gelaufen und öffneten.

»Mei, Meta! Was ist los? Brennt es?« der Pfarrer sah sie alarmiert an.

»Naa! Kein Feuer! Aber über dem Kallmeier Hof scheint sich ein mächtiges Unwetter zusammenzubrauen. Wenn sich des entlädt, dann Gut Nacht!«

Pfarrer Zandler bat Meta herein. Sie setzten sich in die große Küche des Pfarrhauses. Helene, die mit Meta befreundet war, machte einen Kaffee und bot selbstgebackene Kipferl an.

»So, dann erzähle, Meta!«

Meta berichtete kurz. Noch bevor Pfarrer Zandler fragen konnte, was sie denke, daß er dabei tun könnte, sprudelte Meta ihr Anliegen heraus.

»Herr Pfarrer! Des hab’ ich mir so gedacht. Ich kann net auf den Kallmeier Hof gehen. Des wäre verdächtig. Mein Xaver kann es auch net. Wenn der Toni oder die Anna gehen würden, dann könnte der Kurt auch den Braten riechen.«

»Ah! Dann soll des wohl meine Aufgabe sein«, schmunzelte der Geistliche.

»Genau! Der Rainer muß doch wissen, was los ist. Er muß erfahren, daß die Luise auf der Festwiese auf ihn wartet. Sie müssen eben ein bisserl geschickt sein, Herr Pfarrer, damit der Kurt nix merkt. Außerdem kann ich mir seinen Ärger auf seinen Vater gut vorstellen, wenn er erfährt, wie der ihm mitgespielt hat. Dann ist es gut, wenn eine Autoritätsperson dabei ist.«

Die Haushälterin stand auf und holte Pfarrer Zandlers Jacke.

»Am besten sofort! Wer weiß, welcher Narr den Kurt Kallmeier geritten hat und was dem noch alles einfällt.«

Pfarrer Zandler machte sich auf den Weg. Meta und Helene saßen noch eine Weile zusammen, tranken den Kaffee aus und tratschten ein wenig.

Pfarrer Zandler wählte den Weg über die Wiesen. So sah es aus, als käme er zufällig beim Kallmeier Hof vorbei.

Mitten auf dem Hof stand der Geländewagen von Frau Dr. Beate Brand. Die Tür zum Kuhstall stand weit offen. Pfarrer Zandler überquerte den Hof und betrat den Stall. Hinten standen Kurt Kallmeier, sein Sohn Rainer und die junge Tierärztin zusammen.

»Grüß Gott!« rief Pfarrer Zandler. »Ist was mit dem Vieh?« Er ging auf sie zu. Kurt Kallmeier grüßte nur kurz. Pfarrer Zandler sah ihm an, daß er schlechte Laune hatte. Rainer stand da, die Hände in der Arbeitshose und starrte auf den Boden. Er nickte ebenfalls nur kurz.

»Ihr seht aus, als würde bei eurem Vieh die Milch im Euter sauer? Was gibt’s denn, Frau Dr. Brand?«

»Ach, nix Schlimmes! Der Kallmeier Bauer rief mich mittags an, er dachte, seine Kühe seien erkrankt. Er meint, er habe gehört, daß sie röchelnd atmen. Aber ich hab’ sie alle untersucht. Keine Kuh hat Fieber – also keine akute Infektion! Ich hab’ alle abgehört! Bei keiner konnte ich ein Geräusch hören. Aber der Bauer will sich net überzeugen lassen! Jetzt habe ich von allen neunzehn Tieren noch Blutproben genommen. Die werde ich in meinem Praxislabor untersuchen. Nächste Woche wissen wir dann mehr.«

»Des wird dich einen schönen Batzen Geld kosten, Kallmeier! Hast kein Vertrauen zu unserer tüchtigen Doktorin?«

Die Frage war Kurt Kallmeier jetzt doch etwas peinlich. Verlegen errötete er.

»Naa!« brummte er. »So ist es net. Aber ich hab’ was gehört und dann hab’ ich auch noch so eine Ahnung. Jedenfalls will ich auf Nummer Sicher gehen. Schließlich habe ich hier hochprämierte Rinder im Stall. In zwei Wochen ist wieder eine Ausstellung. Da will ich absolut sicher sein, daß sie gesund sind. Ich kenne mein Vieh. Die sind komisch gewesen, als ich heute morgen in den Stall gekommen bin.«

»Du hast aber nix gesagt, Vater!« bemerkte Rainer. »Erst heute mittag hast drüber geredet.«

»Mei, ich wollte eben erst mal abwarten. Aber dann dachte ich, es ist besser so. Jedenfalls werden wir sie net aus den Augen lassen. Wie ich schon gesagt habe, Bub. Du übernimmst die erste Wache bis zwei Uhr. Ich löse dich dann ab und mach später die Morgenarbeit mit. Wir wollen doch auf Nummer Sicher gehen!«

»Kallmeier Bauer, das ist nicht nötig! Ich bürge dafür! Den Rindern geht es gut. Außerdem gibt es weit und breit keinen Fall von gefährlichen Infektionskrankheiten.«

Frau Dr. Brand schaute sich im Stall um.

»Das ist ein schöner, sauberer Stall. Er ist nicht feucht. Er ist gut durchlüftet, ohne daß die Tiere in der Zugluft stehen. Mußt dir wirklich keine Gedanken machen!«

»Worüber ich mir Gedanken mache, ist allein meine Sache!« antwortete der Kallmeier Bauer hart.

Frau Dr. Brand packte ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich.

Pfarrer Zandler sah ihr nach, wie sie hinausging. Sie schüttelte dabei den Kopf. Ja, ja! Unsere neue Ärztin, die hat’s net leicht, dachte der Geistliche. So lieb die Waldkogeler auch sind, so stur und verbohrt können sie auch sein.

Pfarrer Zandler war auf der Seite der junge Tierärztin. Im stillen dachte er sich, daß der Kallmeier Bauer nur einen Grund suchte, damit sein Sohn nicht auf das Fest gehen konnte. Wozu das alles? Er kannte das Madl seines Sohnes doch nicht? Warum intrigierte er so? Wie kann man nur etwas gegen jemanden haben, denn man nicht kennt?

Pfarrer Zandler räusperte sich. Was sollte er da sagen? Sicher würde es sich herausstellen, daß die Kühe gesund waren.

»Na, ich hoffe und wünsche dir, daß dein Vieh gesund ist, Kallmeier. Vielleicht kann man nie vorsichtig genug sein.«

»Hast du des gehört, Rainer!« Kallmeier warf sich seinem Sohn gegenüber in die Brust. »Der Herr Pfarrer tut’s auch sagen!«

»Schmarrn!« zischte Rainer leise und setzte sich auf einen Strohballen.

Pfarrer Zandler rieb sich das Kinn.

»Des tut mir alles so leid für dich, Kallmeier! Ich werde dem Heiligen Franziskus eine Kerze stiften. Er ist ja der Schutzpatron aller Tiere.«

Dann schaute der Geistliche Kurt Kallmeier an. Er blickte ihm direkt in die Augen.

»Ein guter Bauer bist ja! Da gibt es nix dran zu rütteln. Aber als Hirte von Waldkogel muß ich dir sagen, daß du ein mißratener Vater bist.«

»Was soll des heißen?« brüllte Kallmeier arg getroffen los, es zwackte ihn der Gedanke an seine Lüge und Intrige.

»Des kann ich dir genau sagen, Kurt! Jeder andere Vater, den ich hier in Waldkogel kenne, der würde die erste Nachtwache übernehmen, damit sein Bub auf die Festwiese gehen kann. Bist wohl schon ein bisserl alt geworden, Kallmeier, wie? Kannst dich nimmer erinnern, wie besonders der erste Abend für die jungen Burschen ist, ist es so?«

»Willst damit sagen, daß bei mir der Kalk rieseln tut?«

»Des hast du gesagt. Ich wollte dich nur an deine Vaterpflichten erinnern.«

»Daran muß mich niemand erinnern!«

Pfarrer Zandler schmunzelte.

»Des ist gut! Dann nehme ich deinen Buben mit. Ich will auch zur Wies’n.«

Pfarrer Zandler wandte sich an Rainer.

»Geh’, mach dich fertig! Ich warte auf dich!«

Rainer strahlte. Er sprang auf und rannte aus dem Stall.

Dabei rief er: »Danke, Herr Pfarrer Zandler!«

»Rainer! Rainer! Hiergeblieben! Des kommt net in Frage! Du übernimmst die erste Wache!« brüllte sein Vater.

Kurt Kallmeier wollte seinem Buben nachlaufen, doch der Geistliche hielt ihn fest.

»Hiergeblieben! Du läßt den Buben gehen!«

»Noch bin ich hier der Bauer und noch geschieht, was ich will.«

Pfarrer Zandler verstärkte seinen Griff. Mit fester Hand hielt er Kallmeier am Hemd fest.

»Des stimmt! Du bist Bauer hier! Ich bin aber für eine höhere Instanz tätig. Da hast du nix zu sagen! Sonst muß ich dir ein paar sehr unangenehme Fragen stellen, und deinen Buben hole ich dann noch hinzu.«

Kurt Kallmeier traten kleine Schweißperlen auf die Stirn. Er starrte den Geistlichen an.

»Was soll des? Wollen S’ mir drohen?«

»Ja!« sagte Pfarrer Zandler ganz ruhig. »Ja, ich drohe dir. Und ich sage dir, Kurt Kallmeier, daß ich in Zukunft ein waches Auge auf dich hab’. Du scheinst es im Augenblick ein bisserl zu übertreiben mit allem. Siehst Gespenster, wo keine sind. Mischt dich in Sachen ein, die dich nix angehen. Dein Bub hat sein eigenes Leben. Des mußt ihn leben lassen.«

»Ich hab’ doch nur noch den Rainer. Der Wolfram ist eine einzige Enttäuschung für mich. Der Hof wäre groß genug für zwei, aber der Wolfram ist einem Frauenzimmer aus der Stadt auf dem Leim gegangen. Da hab’ ich mir geschworen, daß ich auf den Rainer aufpassen tue.«

Kallmeier versuchte, sich zu verteidigen.

Pfarrer Zandler ließ ihn los. Kurt Kallmeier sah elend aus. Der Geistliche hatte fast Mitleid. Daß der jüngere Sohn vom Hof fortgegangen war, das hatte den Bauern schwer getroffen. Aber, vor die Entscheidung gestellt, entweder seine liebe Elfie oder Hof und Heimat, war der Sohn seinem Herzen gefolgt. Kurt Kallmeier hatte das bis heute nicht verwunden.

»Bauer! Du weißt doch, wie es ist! Bei den Menschen ist es nicht anders als bei den Tieren. Wenn du’s immer einsperren tust, dann wirst es verlieren. Irgendwann vergißt du, den Stall zuzumachen und es läuft raus. Es kommt nimmer heim.«

Pfarrer Zandler atmete tief durch.

»Kallmeier! Versuche net mit aller Gewalt deinen Buben zu halten. Du wirst ihn sonst verlieren!«

»Aber als Vater muß ich ihn auch vor einer Dummheit bewahren. Der Rainer fährt in letzter Zeit zu oft in die Stadt. Erst hab’ ich gedacht, daß er den Wolfram besucht. Dann hab’ ich rausgefunden, daß ein Frauenzimmer dahintersteckt. Es ist genau so wie bei meinem anderen Buben. Da muß ich einschreiten. Wer soll mal später den Hof übernehmen, wenn auch er in die Stadt geht?«

Toni der Hüttenwirt Classic 40 – Heimatroman

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