Читать книгу Toni der Hüttenwirt Extra 4 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 3

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Katja und Martin waren in der großen Wohnküche. Katja goss die Blumentöpfe auf der Fensterbank. Martin las die Zeitung.

»Martin, Martin! Schau mal aus dem Fenster, das musst du dir ansehen! Das ist ein Bild für Götter: Walli am Arm von Pfarrer Zandler. Und Zandler führt Coco an der Leine.«

Dr. Martin Engler sah aus dem Fenster, er lachte. »Walli humpelt«, sagte er, »vielmehr, sie tut so.«

»Wie meinst du das?«

»Das werden wir gleich sehen.« Martin ging zur Haustür. »Haben Sie sich die Walli als Freundin angelacht, Herr Pfarrer?«, fragte er scherzhaft.

»Nun, wenn Walli einige Jahrzehnte jünger wäre und ich kein Geistlicher und Walli ungebunden, würde ich darüber nachdenken«, erwiderte Zandler. »Sie hat unterwegs Schmerzen in der Hüfte bekommen. Es kam ganz plötzlich, da musste ich sie stützen.«

»Walli, ich hole den Rollstuhl für dich«, rief Katja aus dem offenen Fenster.

»Schmarrn, so gebrechlich bin ich noch nicht«, antwortete Walli.

Katja kam aus dem Haus und sah Walli sehr besorgt an.

»Ich werde dich gleich untersuchen«, entschied Doktor Martin Engler.

»Das lässt du schön bleiben! Ich will mich nur einen Augenblick setzen und andere Schuhe anziehen. Katja, kannst du mir dabei helfen?«

Katja ergriff Wallis Arm und die Hundeleine. Ihr fiel auf, dass Walli kein Wort mit Pfarrer Zandler wechselte. Sie bedankte sich nicht bei ihm, noch verabschiedete sie sich.

Kaum hatte Walli die Haustür des Altenteils hinter sich und Katja geschlossen, grinste sie über das ganze Gesicht. »Lass meinen Arm los, Katja! Mir geht es gut. Nix ist mit meinem Fuß. Ich musste mir einen Trick einfallen lassen, um Zandler zu euch zu lotsen. Er wollte gleich zurück ins Pfarrhaus. Das ist mir gut gelungen. Meinst du nicht auch?« Walli blinzelte verschmitzt.

»Ja, das hat ziemlich echt ausgesehen.«

»Katja, geh rüber! Martin soll mit Zandler über das gestohlene Auto reden. Ich bat Zandler, die Polizei anzurufen. Aber er hatte kein Handy dabei. Außerdem meinte er, dass sich der Besitzer selbst um seinen Wagen kümmern würde. Sicherlich wäre der Besitzer des Fahrzeugs zur Tankstelle gelaufen, damit jemand das Auto mit dem Abschleppwagen aus dem Graben ziehe. Zandler wollte einfach nicht bei der Polizei anrufen, Katja.«

»Verstehe! Deshalb hast du ihn hierhergelockt.«

»Jetzt könnt ihr euer Glück versuchen, du und Martin. Ich dachte, wenn ein Geistlicher den Fund meldet, schöpft niemand den Verdacht, er wäre in einen Autodiebstahl verwickelt. Dabei wissen wir ja, dass es kein Diebstahl ist. Doch das ist eine andere Geschichte, wie du weißt.«

Katja musste lachen. »Ja, ich verstehe. Das hast du dir ganz schön raffiniert ausgedacht.«

»Haltet ihn auf und bringt ihn dazu, dass er bei der Polizei anruft, Katja. Los geh! Ich warte noch ein bisserl, ziehe meine Pantoffel an und komme dann rüber.«

»Vergiss nicht, dabei zu humpeln«, sagte Katja mahnend.

Sie eilte davon.

Martin Engler und Heiner Zandler standen noch auf dem Hof und sprachen miteinander.

Martin sah, dass Katja ein Schmunzeln zu verbergen suchte.

»Du musst dir um Walli keine Sorgen machen, Martin. Sie hat ein bisserl übertrieben. Dass ihr mal die Knochen wehtun, ist in ihrem Alter verständlich. Außerdem hatte sie ein Steinchen im Schuh. Sie wollte von Ihnen hergebracht werden, Herr Pfarrer.«

»So etwas habe ich mir schon gedacht. Walli hat ein bisserl geschauspielert. Richtig?«

»So kann man es auslegen. Aber sie tat es für einen guten Zweck.«

Der Geistliche blickte abwechselnd zwischen Martin und Katja Engler hin und her. »Mei, jetzt bin ich neugierig. Seit wann muss mir jemand etwas vormachen, wenn er etwas auf dem Herzen hat. Walli hätte doch mit mir reden können, statt mir solch ein Theater vorzuspielen«, bemerkte Zandler.

»Im Prinzip schon«, sagte Martin, »aber das hätte nicht ins Drehbuch gepasst.«

»Das wird ja immer schöner! Jetzt wüsste ich aber gern, was hier gespielt wird.«

»Dem kann abgeholfen werden. Kommen Sie mit hinein«, sagte Martin.

Zandler folgte Martin und Katja in die Wohnküche.

»Wollen Sie einen Kaffee?«

»Danke! Zuerst will ich mehr über das Theaterstück wissen. Ist es eine Komödie? Oder ist es eine Tragödie?«, fragte Pfarrer Zandler.

Martin und Katja warfen sich Blicke zu.

Martin rieb sich das Kinn. »Ob man das Stück als ›Tragödie‹ bezeichnen kann, das weiß ich nicht.«

»Das kann man, Martin«, sagte Katja mit fester Stimme. »Für Moni ist es eine Tragödie und was für eine!«

»Also, jetzt will ich den Kern der Angelegenheit wissen. Und wer ist diese Moni?« Pfarrer Zandler bemühte sich um Geduld, trotzdem schwang in seiner Stimme Ungeduld mit.

Katja schenkte sich und Martin Kaffee ein. »Ist Liebeskummer nicht immer eine Tragödie?«

»Da hast du zweifellos recht. Wer davon betroffen ist, empfindet es ganz bestimmt als eine Tragödie. Viele haben mir schon ihr Herz ausgeschüttet. Von welcher Moni sprecht ihr?«, fragte Zandler. »Hier in Waldkogel gibt es mehrere Madln, die Moni gerufen werden.«

»Die Moni, von der wir sprechen, kommt aus München. Mit vollem Namen heißt sie Simone Stegmüller. Sie hat Liebeskummer und hat sich nach Waldkogel verirrt«, erklärte Martin Engler. Er seufzte. »Es hängt mit dem Auto zusammen«, erklärte er weiter, dabei wurde seine Stimme etwas leiser.

»Du sprichst von dem Auto, das beim Bruchweg halb im Graben hängt?«, fragte Zandler nach.

Martin nickte.

»Das Madl hat das Auto in den Graben gefahren«, schloss Zandler.

»So fing es an«, sagte Martin. »Aber ich habe es mit jemandem zusammen aus dem Graben gezogen. Das war keine gute Idee, wie es sich herausstellte. Doch das konnte niemand wissen. Also waren wir gezwungen, das Auto später zurückzubringen und wieder in den Graben rollen zu lassen.«

Pfarrer Zandler machte große Augen. »Das verstehe, wer will, ich nicht. Oder doch? Langsam, ganz langsam, dämmert es mir. Walli wollte mich überreden, dass ich die Polizei in Kirchwalden anrufe und das Auto melde. Doch warum sollte ich das tun?«

Martin Engler atmete tief ein. »Sie sollen die ganze Geschichte gleich hier hören, denn das spart mir die Beichte. Also! Das Auto ist auf Monis Exfreund, Arnold Lehmann, zugelassen. Er ist so ein reicher Schickimicki-Heini aus München.«

»Der extravagante Sportwagen passt zu einem solchen Burschen«, sagte Zandler.

»Jedenfalls durfte Moni damit fahren, sooft sie wollte. Jetzt, da Moni fort ist, hat er das Auto als gestohlen gemeldet. Er hat eine Anzeige bei der Polizei gemacht und behauptet, Moni hätte das Auto gestohlen.«

»Gütiger Himmel!«, seufzte Zandler. »Hat sie das getan?«

Martin und Katja schüttelten den Kopf.

»Moni sagt, sie habe es nicht getan. Wir glauben ihr. Sie ist davongerannt und in den falschen Wagen gestiegen. Wolfi hat sie am Bruchweg gefunden. Das Madl saß hinter dem Steuer und war völlig aufgelöst. Wolfi hat mich angerufen. Ich fuhr mit meinem Notarztwagen hin und holte sie. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch. Sie hat den Burschen verlassen. Endgültig und holterdiepolter. Deshalb hat sie auch kein Gepäck dabei und weder Papiere noch eine Kreditkarte. Sie hatte heimlich Geld gespart, zu ihrer Sicherheit. Was richtig war, wie sich jetzt zeigte. Katja war mit ihr in Kirchwalden einkaufen. Das war riskant, da Moni zur Fahndung ausgeschrieben ist. Aber ich denke, es wird mehr nach dem Auto gesucht. Egal, jedenfalls hoffen alle, wenn der Bursche seinen Luxusschlitten zurückbekommt, dass er die Anzeige gegen Moni zurücknimmt.«

»Mm«, brummte Pfarrer Zandler vor sich hin. »Das ist gut möglich. Wahrscheinlich ist ihm das Auto mehr wert, als sein Madl es jemals gewesen ist. Solche Burschen soll es geben. Eigentlich sollte ich das nicht sagen. Aber der Gedanke drängt sich auf. Ein Auto als gestohlen zu melden ist eine Sache. Eine Strafanzeige wegen Autodiebstahl gegen die Exfreundin ist eine ganz andere Sache.«

»Sie sagen es, Pfarrer Zandler. Außerdem ist er wohl beleidigt, dass Moni sich seine Affären nicht mehr gefallen lässt. Er will sich rächen, denke ich. Es geht ihm nicht so sehr darum, sein Auto zu bekommen, als Moni eins auszuwischen. In meinen Augen ist er ein Dreckskerl«, schimpfte Katja. »Moni hat mir so einiges angedeutet. Dass sie es so lange bei ihm ausgehalten hat, grenzt an ein Wunder. Sie hätte vor Jahren schon einen Schlussstrich ziehen sollen.«

»Katja«, sagte Martin, »es gibt Burschen, die schaffen es immer wieder, Madln zu umgarnen und sie abhängig zu machen. Dass Moni heimlich Geld zur Seite legte, lässt darauf schließen, dass sie sich doch irgendwie gewehrt hat. Schlimm ist in solchen Situationen, dass die Madln die Burschen lieben, obwohl sie wissen, dass sie ihnen nicht guttun und sie sich trennen sollten. Es ist das altbekannte Muster. Sie klammern sich an die Hoffnung, der Bursche könnte sich ändern. Er verspricht es, immer und immer wieder. Er beteuert in höchsten Tönen, dass er nur sie liebe und so weiter. Wir wissen, wie so etwas abläuft. Nur dieses Mal ist Moni nicht mehr darauf hereingefallen. Sie hat die Flucht ergriffen.«

Martin stand auf und holte die Flasche mit dem Obstler und Gläser.

»Wir dachten, es wäre gut, wenn eine neutrale Person den Wagen findet und es meldet. Walli wollte es machen. Dann kam sie auf die Idee, dass es noch besser wäre, wenn Sie die Polizei informieren würden. Es ist nämlich so, dass Moni eine Nacht auf der Krankenstation verbracht hat und wir sie jetzt versteckt haben. Wir möchten verhindern, dass die Polizei uns befragt«, fuhr Martin fort.

»Wobei wir natürlich hoffen, dass der Bursche die Anzeige zurücknimmt«, fügte Katja hinzu. »Der Kerl muss ein Unmensch sein.«

So langsam formte sich ein Bild der Zusammenhänge in Pfarrer Zandlers Kopf. Er seufzte hörbar. »In einen Kriminalfall war ich noch nicht verwickelt«, murmelte er.

»Das glauben wir Ihnen«, sagte Martin. »Dem Madl geht es schlecht, körperlich. Es hat schlimme Wochen hinter sich und ist abgemagert. Es muss sich erst einmal erholen und wieder zu Kräften kommen. Dann will Moni sich neue Papiere besorgen und sich um Arbeit und Unterkunft bemühen. Moni ist Tierarzthelferin.«

»Beate und Carl würden sich vielleicht über Hilfe in der Praxis freuen«, sagte Zandler. »Und Fellbacher kann sicher etwas mit den Papieren machen.«

Martin Engler schüttelte den Kopf. »Ersteres ist sicherlich leichter zu erreichen als Letzteres«, dämpfte er die Hoffnung des Geistlichen. »Vergessen Sie nicht, Simone Stegmüller, also Moni, ist zur Fahndung ausgeschrieben. Da sollten besser keine Papiere angefordert werden. Damit will ich nichts gegen Bürgermeister Fellbacher sagen. Aber er muss es weitermelden, und dann schnappt die Falle zu.«

»Das stimmt«, sagte Heiner Zandler. »Daran habe ich jetzt nicht gedacht.«

Martin nickte. Er warf Katja einen Blick zu. »Es gibt noch etwas, was Sie in dem Zusammenhang wissen sollten. Dass Sie es diskret behandeln, steht außer Frage. Wolfi hat sich auf den ersten Blick in das Madl verliebt. Da wusste er noch nichts von ihr. Er hat sie gesehen, und sein Herz schmolz dahin. Es war nicht nur Mitleid, es war Liebe. Und da hat er einfach ›vergessen‹, eine Aktennotiz zu machen und so weiter. Er hat das Wochenende frei. Deshalb hat er die Sache nicht weitergemeldet. Und er ist fest entschlossen, es auch am Montag nicht zu tun. Oder vielmehr, er wird nicht auf die Fahndung reagieren, wenn sie auf seinem Schreibtisch landet.«

»Wie habt ihr erfahren, dass nach Moni als Autodiebin gefahndet wird?«, fragte Zandler.

»Das war so«, erzählte Martin, »Moni wollte nicht, dass Angehörige informiert wurden. Da es ihr wirklich schlecht ging und Wolfi sehr besorgt war, ließ er heimlich, über Kollegen, die Autonummer überprüfen. Dabei kam es heraus, dass nach Moni gefahndet wird. Das war ein Schock für Wolfi. Er will sie schützen. Das ist verständlich, denn er ist in sie verliebt.«

»Herr im Himmel steh uns allen bei, Maria und Josef, das wird immer verwirrender. Ich freue mich für Wolfi, auch wenn ich ihm gewünscht hätte, dass die Liebe nicht so kompliziert beginnen würde. Und jetzt erwartet ihr von mir, dass ich zum Telefon greife und die Polizei informiere über ein Auto, das ich im Graben entdeckt habe?«

Es wurde ganz still in der großen Wohnküche. Nur das Ticken der Wanduhr war zu hören. Sie schlug zur vollen Stunde.

Nachdem die Töne verklungen waren, schwieg Pfarrer Zandler immer noch.

Die alte Walli kam herein.

»Geht es dir wieder besser?«, fragte Katja Engler.

»Natürlich geht es mir besser. Und wenn Pfarrer Zandler sich jetzt erbarmen lässt, zu telefonieren, dann werde ich mich jung und frisch fühlen.«

»Walli, du hast gelauscht«, stellte Martin fest.

»Ja, das habe ich.« Walli holte einen Becher. Sie nahm sich Kaffee, gab viel Milch dazu und Zucker. Sie rührte um. Dabei warf sie Pfarrer Zandler immer wieder einen kurzen Blick zu.

»Walli«, sprach sie der Geistliche an, »warum hast du es mir nicht erzählt?«

»Mei, ich dachte, wenn Sie nach Moni gefragt würden, dann hätten Sie lügen müssen. Das wollte ich nicht verantworten.«

»Du bist eine gute Seele, Walli«, schmunzelte Zandler. Er sah Martin und Katja an. »Und wo steckt Moni jetzt?«

Martin lächelte. »Wo wird sie schon sein? Sie ist oben auf der Berghütte, bei Anna und Toni. Dort ist sie sicher, bis sich der Sturm gelegt hat. Jedenfalls hoffen wir es. Wenn dieser Arnold, so heißt Monis Ex, sein Auto wiederhat, dann gibt er vielleicht Ruhe. Er könnte die Anzeige zurückziehen.«

»Ob das so einfach geht, das weiß ich nicht«, bemerkte Zandler. »In diesen Dingen kenne ich mich nicht aus.«

»Ach, er könnte doch so tun, als hätte er sich geirrt«, meinte Katja.

Martin schüttelte den Kopf. »Hören wir damit auf! Es ist müßig, darüber zu spekulieren, Katja. Wenn es so ist, wird Wolfi es erfahren. Bis dahin heißt es: Abwarten und einen Weg finden, damit Arnold Lehmann seinen Luxusschlitten bekommt.« Bei den letzten Worten warf er Pfarrer Zandler einen Seitenblick zu.

Der rieb sich das Kinn. »Darf ich mal telefonieren?«, fragte er.

Martin und Katja nickten.

Sie hofften, dass Zandler die Polizei anrufen wollte. Das Gespräch würde automatisch bei der Dienststelle in Kirchwalden eingehen, da die Polizeistation in Waldkogel an diesem Wochenende nicht besetzt war.

Zandler ging zum Telefon. »Träutlein, ich bin bei den Englers. Ich habe mein Handy auf dem Schreibtisch liegen lassen. Kannst du es mir sofort herbringen, bitte? Es ist dringend. Ich warte. Danke, Träutlein!« Er legte auf.

Martin, Katja und Walli sahen sich an und wunderten sich.

»Mei, jetzt müsstet ihr eure Gesichter sehen!«, lachte Zandler. »Ich kann von hier aus nicht die Polizei anrufen. Das könnte eine Spur legen. Oh Herr, in was verstricke ich mich da?« Pfarrer Zandler faltete die Hände und schaute zur Zimmerdecke hinauf, meinte aber den Himmel.

»Daran haben wir nicht gedacht. Sie haben recht«, stimmte ihm Martin zu. »Die moderne Technik hinterlässt Spuren.«

Es dauerte nicht lange, dann kam die Haushälterin Helene Träutlein und brachte das Handy.

Als sie mit dem Fahrrad auf den Hof fuhr, ging Zandler hinaus.

Durch die Fenster sahen Martin, Katja und Walli, wie er es entgegennahm und seine Haushälterin sofort heimschickte.

Dann lief Zandler auf dem Hof, zwischen dem Haupthaus, in dem Martin und Katja wohnten und wo die Praxis mit der kleinen Bettenstation untergebracht war, und dem Altenteil auf der anderen Seite der gepflasterten Fläche, auf und ab. Er telefonierte.

Es dauerte nicht lange, bis er wieder hereinkam. »So, jetzt kannst du mir einen Obstler anbieten, Martin.«

Martin schenkte Zandler ein.

»Sie haben angerufen, richtig?«, fragte Katja.

»Ja, das habe ich.« Zandler leerte das Stamperl. »Ich wurde nach der Autonummer gefragt. Ich wusste sie nicht. Aber ich habe ihnen den Wagen beschrieben. Der Beamte am Telefon meinte, dass es das Auto sein könnte, das gesucht wurde. Sie würden sofort einen Streifenwagen losschicken.«

»Das ist gut, Herr Pfarrer«, freute sich Walli. »Da können wir uns nur alle bei Ihnen bedanken.«

»Oh, da gibt es nix zu danken, Walli. Ich habe nur ein verlassenes Auto im Graben entdeckt. Mehr weiß ich nicht. Und als braver Staatsbürger habe ich mich gewundert. Da wir alle darauf achten sollen, dass unsere Umwelt nicht zum Schrottplatz verkommt, habe ich es gemeldet«, blinzelte Zandler.

»Genau, Herr Pfarrer, da haben Sie recht. Was die Leute überall herumliegen lassen? Es ist eine Schande, wie manche ihren Müll in den Bergen liegen lassen. Und jetzt entsorgen sie schon ihre Autos an Feldwegen«, sagte Walli und regte sich gespielt auf.

Alle lachten.

»So, dann nimmt hoffentlich alles einen guten Weg«, bemerkte Pfarrer Zandler.

»Dass hoffen wir alle«, sagte Martin. »Wolfi wird sich freuen, wenn er erfährt, dass das Auto fort ist.«

»Grüße den Wolfi von mir!«, sagte Zandler. »Sage ihm, dass ich mich freue, dass er sich verliebt hat. Die Sache ist zwar ein bisserl kompliziert, aber die Liebe wird schon einen Weg finden, wie sie den beiden helfen kann, die Steine aus dem Weg zu räumen.«

»Das wird sie«, lächelte Martin Engler. »Sie hat Helfer, Sie und uns und Toni und Anna auf der Berghütte.

»So ist es, Martin«, sagte Zandler. Er stand auf. »Ich muss jetzt gehen. Sollte sich etwas Neues ergeben, dann lasst es mich wissen – und diesmal rechtzeitig!«

Martin Engler nickte.

Sie brachten Zandler zur Tür.

»Danke!«, sagte Martin.

»Für was? Ich habe nix gemacht, wofür man mir danken muss. Ich habe ein Auto im Graben entdeckt. Das verwunderte mich, weil der Zündschlüssel noch steckte. Da macht man sich eben so seine Gedanken. Also habe ich es gemeldet«, blinzelte Heiner Zandler.

Sie verabschiedeten sich, und Zandler machte sich auf den Weg zum Pfarrhaus.

*

Nachdem Zandler gegangen war, rief Martin Wolfi Irminger an. »Grüß dich, Wolfi, Martin hier. Ich habe gute Neuigkeiten für dich und soll dich von Pfarrer Zandler grüßen. Er hat mit deinen Kollegen in Kirchwalden telefoniert und das Auto gemeldet. Walli hat das eingefädelt.«

»Das ist wahrlich eine gute Nachricht«, seufzte Wolfi. Seine Erleichterung war unüberhörbar.

»Hast du schon mit …«, begann Martin.

Aber Wolfi unterbrach ihn. »Nein, das war noch nicht möglich. Ich mache mich gleich auf den Rückweg und komme bei euch vorbei. Ich will alles genau wissen.«

»Na, du bleibst schön in den Bergen, Wolfi«, widersprach ihm Martin. »Also, das war so …«

»Stopp«, unterbrach ihn Irminger barsch, »kein Wort weiter! Ich komme sofort.« Wolfi legte auf, bevor Martin noch ein Wort sagen konnte.

Toni und Anna waren in der Küche der Berghütte.

Wolfi sagte zu ihnen: »Ich muss ins Tal. Martin hat angerufen. Passt mir auf Moni auf!«

»Das machen wir. Das ist eine einfache Übung. Sie sitzt in Franziskas Zimmer und liest. Sie kommt nicht einmal zum Essen in die Wirtsstube oder auf die Terrasse.«

»Ich weiß«, seufzte Wolfi. »Dabei würde ich so gern mit ihr sprechen.«

»Das wissen wir, Wolfi. Du musst Geduld haben. Sie muss erst mal alles in ihrem Kopf sortieren. Versetz dich in ihre Lage!«

»Ich weiß, ich weiß«, seufzte Wolfi. »Ich gehe. Ich beeile mich. Sollte Moni ihr selbstgewähltes Schneckenhaus verlassen, ruft ihr bitte sofort bei Martin an.«

Toni und Anna versprachen es.

Wolfi kam abgehetzt in Martins Praxis an.

»Mei, was bist du vorsichtig!«, begrüßte Martin ihn.

Wolfi ließ den Rucksack von den Schultern gleiten und stellte ihn im Flur auf den Boden. Er folgte Martin in die Wohnküche.

»Magst du ein Bier?«, fragte Martin.

Wolfi nickte.

Martin holte eine Flasche Bier und schenkte dem Freund ein.

»Warum bist du so still?«, fragte Martin. »Du siehst nicht gerade aus, als würdest du dich freuen. Dabei ist doch jetzt alles geregelt.«

Wolfi prostete Martin zu. »Schon, ja, das ist es, jedenfalls im Augenblick…«

»Es scheint dich aber nicht zu freuen. Also, ich dachte, du freust dich riesig.«

»Mei, Martin, ich freue mich ja auch. Aber ich habe auch so meine Ängste und stecke in einer Zwickmühle. Es war nicht geschickt von dir, mich auf meinem Diensthandy anzurufen.«

»Diensthandy? Ich habe dich auf der Nummer angerufen, auf der ich dich immer anrufe.«

»Ja, das ist mein Diensthandy«, brummte Wolfi. »Ich bin vielleicht etwas übervorsichtig.«

»Du meinst, du siehst überall Gespenster?«

»So ungefähr«, gab Wolfi zu. »Ich habe mich in die Moni verliebt. Das ist gegen die Vorschrift.«

»Welche Vorschrift?«, fragte die alte Walli erstaunt.

»Schon während der Ausbildung bekamen wir ein Training. Es sollte uns helfen, neutral zu bleiben und uns nicht emotional zu verstricken. Dass Menschen sich auf Anhieb sympathisch finden und dann Emotionen in Gang gesetzt werden, die die Neutralität und Sachlichkeit von Polizeimitarbeitern beeinflussen, ist eine Gefahr. Ich denke, das muss ich nicht weiter erklären. Das versteht ihr auch so. Ich dachte nie, dass mir einmal so etwas passieren würde. Salopp ausgedrückt: Moni hat mir den Kopf verdreht. Wenn ich sie schützen will, dann muss ich mich selbst schützen.« Wolfi seufzte. »Vielleicht sehe ich wirklich Gespenster, wo es keine gibt. Auf jeden Fall bitte ich euch, mich in dieser Angelegenheit nicht mehr auf meinem Diensthandy anzurufen.«

»Okay, Wolfi«, sicherte ihm Martin zu. »Aber eine andere Nummer haben wir nicht.«

»Stimmt! Ich habe mein privates Handy daheim in der Schublade liegen. Ich habe es selten benutzt. Das wird sich ändern. Ich gebe dir die Nummer. Hast du etwas zu schreiben?«

Martin holte Papier und einen Bleistift.

Wolfi schrieb seine private Handy­nummer auf. »Von hier aus werde ich heimgehen, es laden und einstecken. Vielleicht bin ich wirklich übervorsichtig, aber…«

»Wir verstehen dich. Du musst es nicht weiter erläutern«, beschwichtigte ihn Martin.

Und auch Katja und Walli nickten ihm ernsthaft zu.

Dann erzählte Martin ausführlich von Wallis Einfall, Pfarrer Zandler dazu zu bringen, dass er das Auto meldet.

»Wir mussten es ihm erklären, Wolfi. Er weiß alles, und was er nicht wusste, das dachte er sich. Er freut sich, dass du ein Madl gefunden hast, das dir gefällt.«

Wolfi lächelte vor sich hin. »Ja, das habe ich. Ich gebe es zu. Es ist wirklich so, dass der Verstand aussetzt, wenn man verliebt ist. Das Herz gewinnt die Oberhand. Ich kann mir tausendmal sagen, dass ich Moni melden müsste. Ich kann es nicht. Aber es ist und bleibt nun einmal die Deckung einer Straftat, so wie die Sache im Augenblick steht. Moni wird als Autodiebin gesucht. Ich weiß, wo sie ist. Auch wenn ich mir absolut sicher bin, dass dieser Arnold Lehmann Moni eins auswischen wollte. Wahrscheinlich aus Zorn, Rache, gekränktem Stolz oder Eitelkeit, jedenfalls aus sehr niederen Beweggründen. Aber als Polizist habe ich nicht zu urteilen, weder zu verurteilen noch freizusprechen. Das ist die Aufgabe des Gerichts, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt.«

»Wolfi, jeder Staatsanwalt und noch mehr jede Staatsanwältin muss und wird sofort erkennen, was dahintersteckte, hinter dieser Anzeige. Es wird sicherlich nicht der erste Fall dieser Art auf deren Schreibtisch sein.«

»Da magst du Recht haben, Martin. Trotzdem dürfte ich nicht so handeln. Aber ich kann nicht anders«, sagte Wolfi. »Ich kann nur hoffen, dass die Sache zu einem guten Ende kommt. Das kann aber dauern.«

»Wolfi, du steigerst dich da in etwas hinein«, bemerkte Martin. »Außerdem fehlt mir etwas die Einsicht, gestehe ich dir. Du bist doch nicht nur Polizist. Klar, es ist dein Beruf. Aber kann er so über dein Leben bestimmen? Du bist doch auch ein Mensch, ein Bursche, und hast dein eigenes Leben. Niemand kann doch verlangen, dass du das alles hintenanstellst, oder? Zuerst kommt die Pflicht und danach soll lange, lange nichts kommen und erst dann – du als Mensch?«

Wolfi seufzte. »Martin, ich habe mich für den Beruf entschieden. Du weißt, es war mein Traumberuf. Ich wollte immer zur Polizei. Bisher war ich auch nie in einem Konflikt.«

Wolfi schloss für einen Augenblick die Augen. Er erinnerte sich an den Tag, an dem er seinen Eid ablegte.

»Als ich damals meinen Amtseid ablegte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich einmal in so eine Situation komme.«

»Wie ist das mit der Verpflichtung?«, fragte Katja.

»Da gibt es eine Formel. Sie lautet: ›Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.‹ Das habe ich bisher immer getan.«

»Also«, sagte Katja, »wie ich das sehe, warst du nicht im Dienst, als du Moni gefunden hast. Mir will nicht einleuchten, dass dieser Eid für jeden Augenblick deines Lebens gilt.

»Doch, Katja, so ist es. Sieh mal, eigentlich ist jeder Bürger verpflichtet, Straftaten zu melden oder zu helfen, einen Straftäter, in diesem Fall eine Straftäterin, zu überführen. Das ist Bürgerpflicht«, erklärte Wolfi mit Nachdruck.

»Das gilt nicht im Fall von der Moni«, erklärte Walli mit fester Stimme. »Wir alle wissen, dass Moni das Auto nicht gestohlen hat. Also musst du kein schlechtes Gewissen haben. So sehe ich das. Wolfi, mache es dir nicht komplizierter, als es ohnehin schon ist.«

»Danke für dein Verständnis, Walli. Aber so einfach ist das nicht. Ich kenne einige Beispiele von Kollegen, die auch schon mal etwas unter den Tisch fallen ließen. Es nahm jedes Mal ein böses Ende. Wenn die Mühlen erst einmal anfangen zu mahlen, wird es gefährlich, Martin. Ich denke und grübele darüber, ja keine Spuren zu hinterlassen, versteht ihr?«

Katja und Walli nickten.

Martin schaute Wolfi ernst an. »Kann ich ganz offen reden, Wolfi? Ich möchte dich nicht verletzen. Weißt du, Freunde sind für mich nicht nur deshalb Freunde, weil sie mir immer zustimmen. Ich erwarte von einem Freund, dass er auch mal kritische Fragen stellt oder Zweifel äußert. Das wollte ich dir sagen. Mir geht ein Gedanke durch den Kopf.«

»Okay, ich habe deine Vorrede verstanden. Spuck es aus, Martin!«, brummte Wolfi. Es war ihm anzumerken, dass er sehr angespannt war.

»Wolfi«, sagte Martin und bemühte sich, seiner Stimme einen weichen und mitfühlenden Tonfall zu geben, »vielleicht solltest du erst einmal klären, ob Moni dich will? Ich meine, du hast dich in sie verliebt. Das ist wunderbar. Wir gönnen es dir. Aber ich möchte dich behutsam warnen. Die Liebe ist noch einseitig. Bis du weißt, ob dir Moni auch Liebe entgegenbringt, wäre es vielleicht wirklich angebracht, vorsichtig zu sein. Am Ende stehst du mit leeren Händen da. Moni ist dir durch die Finger gerutscht, und deine Arbeit bei der Polizei bist du auch los.«

»Das sind harte Worte, Martin«, sagte Wolfi. »Auch, wenn ich den Gedanken gern verdrängen würde, muss ich ihn akzeptieren. Du hast vollkommen recht.«

Martin legte Wolfi die Hand auf die Schulter. »Denke mal darüber nach, ob es einen Kompromiss gibt! Ich meine derart, dass du dem Madl hilfst, ohne selbst ein zu hohes Risiko einzugehen.«

»Das ist es ja, was mich quält. Es gibt in dem Fall nur Schwarz oder Weiß. Ich verpfeife Moni und liefere sie aus. Sie wird sicher nicht in Untersuchungshaft kommen, denke ich. Oder ich tue so, als hätte ich nie etwas gehört und gesehen, weder das Auto, noch Moni. Dabei gibt es eine Unsicherheit. Ich hatte einen Kollegen gebeten, die Autonummer zu recherchieren. Ich habe ihm gestanden, dass ich mich in die Autofahrerin verliebt habe. Ich weiß nicht, ob der Kollege mich deckt. Sicher ist die Kameradschaft sehr groß. Das ist auch notwendig, weil man sich in einer Gefahrensituation auf die Kollegen verlassen muss. Ich ärgere mich, dass ich jemanden um Hilfe gebeten habe. Ich hätte es selbst machen sollen. Zu spät! Das Kind ist in den Brunnen gefallen«, seufzte Wolfi.

Es war ganz still in der Küche.

»Wolfi, du kannst einem wirklich leidtun. Du hast unser aller Mitgefühl«, sagte die alte Walli. »Wir haben alle mitgemacht. Mitgegangen, mitgehangen, heißt es. Hast du keinen Vorgesetzten, dem du dich anvertrauen könntest? Weißt du, jemand mit Erfahrung und Verständnis, jemand mit viel Lebenserfahrung und der auch Lücken in der Dienstvorschrift zu finden weiß und auch mal Menschlichkeit zeigt.«

Wolfi dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich denke, es ist besser, sich niemandem anzuvertrauen«, sagte er leise.

Sie schwiegen alle. Die Minuten verrannen.

»Wolfi, ich bin immer noch der Meinung«, ergriff Martin das Wort, »dass es das Beste ist, so zu tun, als wärst du das Wochenende in den Bergen gewesen. Okay, du hast ein Madl gesehen. Dein Herz schlug schneller. Man könnte es so darstellen. Du hattest keine Gelegenheit, sie näher kennenzulernen. Du hattest nur ihre Autonummer. Alles Weitere hast du über den befreundeten Kollegen erfahren. Aber du bist dem Madl nicht mehr begegnet. Das war gut so, denn du hast das Interesse an der jungen Frau verloren, nachdem du erfahren hast, dass sie wegen Autodiebstahls gesucht wurde. Ich denke, das ist eine glaubhafte Variante der Geschichte. Soll dir doch irgendjemand nachweisen, dass es nicht so war!«, erklärte Martin im Tonfall fester Überzeugung.

»Wie du das sagst, klingt es ganz einfach, Martin.«

»Es ist einfach. Und wenn es nötig wird, dann stehe ich dir bei. Okay, du hattest das Madl im Auto gefunden und mich angerufen. Zweitens, ich habe das Madl aufgenommen und verarztet. Drittens, Moni hat meine ärztlichen Leistungen bar bezahlt und ist verschwunden. Ich kann viertens zugeben, dass mir ihr Verhalten etwas sonderbar vorkam. Aber ich erklärte es mir damit, dass sie unter Schock stand.«

»Und jetzt ist die Patientin fort. So einfach ist das«, fasste es Walli zusammen.

»Und warum hat sie dich aufgesucht?«, fragte Wolfi.

»Mei, das gehört unter die ärztliche Schweigepflicht. Basta!«, antwortete Martin mit fester Stimme.

Wolfi rieb sich das Kinn. »Klingt gut«, murmelte der leise. »Aber du, Katja, Walli, Pfarrer Zandler, ihr seid nicht die Einzigen, die davon wissen. Was ist mit Beate und Carl? Was ist mit Toni und Anna? Falls es zu einem Verhör kommt, hängt ihr alle mit drin.«

Martin seufzte. »Mei, Wolfi, höre auf, dich da in etwas hineinzusteigern! Das ist ja nimmer mit anzusehen. Das ist schon fast krankhaft. Höre bitte jetzt auf, dir solche Schreckensszenen auszumalen«, schimpfte Martin. »Mache lieber, dass du wieder auf die Berghütte kommst. Moni muss ja irgendwann wieder unter Menschen gehen.«

Wolfi schüttelte den Kopf. »Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht besser ist, Moni zu meiden. So für einige Tage, dachte ich mir. Jedenfalls bis Arnold Lehmann sein Auto zurückbekommen hat. Vielleicht besitzt er noch einen winzigen Rest von Anstand und zieht die Anzeige gegen Moni wegen Autodiebstahl zurück?«

»Das würde die Sache vereinfachen«, bemerkte Katja.

»Stimmt!«, nickte Wolfi. »Er könnte sagen, dass er sich geirrt habe. Er muss den Kollegen nicht auf die Nase binden, dass Moni sich von ihm getrennt hat. Er könnte sagen, dass seine Freundin verreist sei und er sie nicht erreicht habe, um sie nach dem Auto zu fragen. Sicher ist diese Ausrede etwas dünn. Aber ich sage euch, jede Dienststelle ist froh über jeden Fall, den sie nicht bearbeiten muss. Dann wird diese Aussage weitergemeldet, und die Fahndung nach Moni Stegmüller wird eingestellt.«

»Dann hoffen wir mal alle darauf«, seufzte Martin.

Wolfi stand auf. »Ich danke euch für alles. Ich gehe jetzt heim und lade mein Handy. Und bitte keine Anrufe mehr auf mein Diensthandy!«

»Schon kapiert, Wolfi«, antwortete Martin. Er brachte ihn zur Tür.

»Der arme Bursche«, seufzte Walli, als Martin wieder in die große Wohnküche kam. »Mein Herz ist voller Mitleid. Martin, es war richtig von dir, ihm zu sagen, er soll erst prüfen, ob sich das Risiko lohnt. Zur Liebe gehören bekanntlich zwei, ein Bursche und ein Madl. Wolfi liebt Moni. Er hat sich richtig verknallt. Was mit Moni ist, da sehe ich erst einmal ein großes Fragezeichen, wenn ich ehrlich bin. Sicherlich wird da auf ihrer Seite Dankbarkeit sein. Doch wie es mit der Liebe ist, das muss sich erst noch herausstellen.«

»Walli, da stimme ich dir vollkommen zu. Wir wissen alle, wie das mit Liebeskummer ist. Da gibt es verschiedene Phasen, Wut, ­Trauer, Enttäuschung, Verbitterung. Um den Schmerz zu bewältigen, wenden sich die meisten ­Betroffenen erst einmal gegen das andere Geschlecht. Dann sind für die Madln alle Burschen Hallodris und alle Burschen schwören Stein und Bein, sich nie mehr zu verlieben.«

»Damit hast du den Punkt getroffen, Martin«, sagte Katja. »Ich bezweifele, ob Moni im Moment überhaupt einen einzigen Gedanken an eine neue Liebe verschwendet. Okay, es war ihr Entschluss, diesen Kerl endlich zu verlassen. Das wollte sie schon lange. Aber er hatte sie manipuliert und sie geschickt von sich abhängig gemacht. Während ich mit ihr in Kirchwalden einkaufen war, hat sie mir einiges erzählt. Und das war gewiss nur die Spitze des Eisbergs. Ich denke, sie wird Zeit brauchen, ihr Leben neu zu ordnen. Sie macht sich bittere Vorwürfe, dass sie nicht viel früher die Reißleine gezogen hat. Sie war immer wieder auf seine Beteuerungen hereingefallen.«

»Ja, so etwas gibt es«, seufzte Walli. »Der Aufenthalt auf der Berghütte wird ihr guttun. Anna und Toni können ihr helfen, darüber hinwegzukommen.«

»Wenn sie mit ihnen spricht, wenn sie zuhört. Bis jetzt verkriecht sie sich. Was ich verstehen kann«, bemerkte Katja.

»Katja, besuche sie doch auf der Berghütte! Moni hat Vertrauen zu dir«, schlug Martin vor.

»Daran habe ich auch schon gedacht. Doch ich warte bis morgen. Dann rufe ich Anna an und erkundige mich, wie es Moni geht«, sagte Katja.

Sie waren sich einig, dass sie im Augenblick nichts weiter tun konnten. So beendeten sie das Thema. Doch auch wenn sie nicht mehr darüber sprachen, so beschäftigten sie sich in Gedanken mit Wolfi und Moni.

*

Als Pfarrer Zandler das Pfarrhaus betrat, begrüßte ihn Helene Träutlein mit den Worten: »Es wäre schon praktisch, wenn Sie das Handy immer einstecken würden. Ist Martins Telefonanschluss gestört?«

Pfarrer Zandler schmunzelte. »Nein, der Anschluss ist nicht gestört. Aber ich wollte ihn nicht benutzen.«

»Aha!«, stieß Helene Träutlein hervor.

»Träutlein, du kannst mich gern weiter mit deinen versteckten Fragen löchern. Ich kann und will es dir nicht erklären, jedenfalls nicht im Augenblick. Außerdem habe ich keine Zeit. Ich rufe Fellbacher an und bitte ihn herzukommen.« Pfarrer Zandler ging in seine Studierstube und schloss die Tür.

Am Display des Telefonapparats im Flur sah Helene Träutlein, dass er telefonierte. Das Gespräch war kurz. »Da ist etwas im Busch«, murmelte sie.

Es dauerte nicht lange, dann klingelte es an der Haustür.

Helene Träutlein öffnete. »Grüß Gott, Bürgermeister Fellbacher!«

»Grüß Gott, Helene! Zandler erwartet mich.«

»Dann nix wie herein! Sie kennen den Weg.«

»Ja, den kenne ich.«

Im Flur kam ihm Zandler schon entgegen. »Danke, Fritz, dass du dich gleich auf den Weg gemacht hast. Komm rein!« Zandler hielt Fellbacher die Tür auf.

»Träutlein, eine Kanne Kaffee, bitte«, rief er ihr zu.

Helene nickte nur und verschwand in der Küche. Sie hatte schon geahnt, dass Bürgermeister Fellbacher sofort rüberkommen würde. Der Kaffee war bereits fertig. Sie trug ihn auf.

»So nun sage, was los ist, Heiner!«, forderte ihn Fellbacher auf, nachdem Helene Träutlein die Tür geschlossen hatte. »Hast es ja am Telefon sehr geheimnisvoll gemacht.«

Heiner Zandler wusste, wie er seinem Jugendfreund etwas nahebringen musste, um sein Interesse zu wecken. »Also, was wir hier reden, das bleibt unter uns«, sagte er ernst.

»Mei, Heiner, willst du mich beleidigen? Wie lange kennen wir uns jetzt? Hast du jemals erlebt, dass ich von unseren vertraulichen Gesprächen etwas unter die Leute gestreut habe?«

»So meine ich das nicht, Fritz. Aber es ist ernst, sehr ernst. Zunächst einmal das Schöne: Wenn der Himmel will und wir es schaffen, ein bisserl nachzuhelfen, könnte es durchaus in nächster Zeit eine besondere Hochzeit geben.«

Der Bürgermeister sah den Geistlichen sehr interessiert und neugierig an. »Wer?«

»Du wirst es kaum glauben, Gewolf Irminger hat sich verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sein Herz brennt lichterloh. Es raubt ihm den Verstand.«

Fritz Fellbacher lachte. »Dass die Liebe den Verstand rauben kann, ist allgemein bekannt. Mei, ist das eine schöne Nachricht. Der Wolfi hat sich verliebt. Wer ist das Madl? Ist sie hier aus Waldkogel oder stammt sie aus Marktwasen?«

»Die Moni, so wird das Madl gerufen, ist nicht aus Waldkogel und ist auch nicht im Ortsteil Marktwasen aufgewachsen. Das Madl stammt aus dem Bayrischen Wald und lebt seit einigen Jahren in München. Moni ist jünger als Wolfi. Es besteht also Hoffnung auf familiären Zuwachs, die unsere Einwohnerzahl vergrößert. Wolfi kümmert sich in vielen Vereinen um Kinder und Jugendliche. Er wird bestimmt ein guter Familienvater. Aber bis es so weit ist, sind noch große Hürden zu nehmen. Außerdem ist mir bisher nicht bekannt, wie diese Moni zu Wolfi steht.«

»Mei, willst den Kuppler spielen?«, lachte Fritz Fellbacher.

Toni der Hüttenwirt Extra 4 – Heimatroman

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