Читать книгу Toni der Hüttenwirt Classic 44 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 3
ОглавлениеEs war Mittagszeit. Die Hüttengäste saßen auf der Terrasse. Toni, der Hüttenwirt, und seine Frau Anna trugen das Mittagessen auf. Der warme Südwind wehte das Glockengeläut zur Mittagszeit aus Waldkogel herauf.
Plötzlich blieb Anna stehen und schaute in Richtung Tal.
»Toni, das sind doch die Kinder! Warum kommen sie so früh aus der Schule?«
Anna drückte Toni den Teller in die Hand und lief Sebastian und Franziska über das Geröllfeld entgegen.
»Basti! Franzi! Ihr seid schon da? So früh? Was ist denn los?«
»Ach, die Schule war früher aus. Die Lehrer machen irgend so eine wichtige Besprechung. Wir wurden alle schon nach zwei Stunden heimgeschickt.«
Sebastian machte nicht den Eindruck, daß er sich darüber freute. Warum? Anna rätselte. Sie erinnerte sich an ihre Schulzeit. Freistunden waren immer ein besonderer Grund zur Freude.
»Bist so traurig darüber, daß der Unterricht ausgefallen ist? Was hättest du noch für Stunden gehabt?«
Sebastian Bichler hüllte sich in Schweigen. Es war offensichtlich, daß der Bub schmollte. Seit die Bichler Kinder nach dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern auf der Berghütte lebten, war so etwas noch nicht vorgekommen. Franziska, Sebastians kleine Schwester, antwortete Anna.
»Anna, des ist es net. Der Basti wollte den Großvater Xaver überreden, mit ihm angeln zu gehen. Der Großvater wollte des auch. Doch dann sind Leut’ gekommen. Die wollen des ganze Wirtshaus mieten mit allen Zimmern und so.«
»Wer ist es denn? Es kann doch niemand aus Waldkogel sein, oder?«
»Doch!« brummte Basti. »Es war der Unterholzerbauer mit seiner Frau. Jedenfalls hat der Großvater Xaver dann keine Zeit mehr gehabt.«
»Und Großmutter Meta hat auch nimmer Zeit gehabt. Wir sollten draußen spielen gehen«, ergänzte die kleine Franziska.
»Dann sind wir mit einem Fuhrwerk ein großes Stück den Milchpfad hinaufgefahren. Bis rauf zur Oberländer Alm war’s dann nimmer so weit«, gestand Sebastian etwas kleinlaut. »Unsere Ranzen haben wir net mitgenommen. Die sind noch drunten. Aufgaben hat es heute keine gegeben.«
»Stimmt, Kinder! Ihr habt die Schulranzen nicht dabei.«
Anna legte ihren Arm um Sebastian und nahm die kleine Franziska bei der Hand.
»Ich kann verstehen, daß du traurig bist, Basti. Aber den Großvater Xaver und die Großmutter Meta, die mußt du auch verstehen. Die Arbeit geht vor. Sie müssen nun einmal Geld verdienen. Es kommt nicht oft vor, daß jemand gleich die ganze Wirtsstube und alle Zimmer mieten will. Ich werde aber mit dem Großvater Xaver reden. Er wird bestimmt ein anderes Mal mit dir zum Angeln gehen. Außerdem ist es doch viel besser, ganz früh am Morgen oder am Abend zum Bergsee zu gehen. Da beißen die Fische gut. So am späten Vormittag, da hättet ihr kaum einen Fisch gefangen. Das mußt du mir glauben, Basti. Ich kenne mich mit Fischen aus. Schließlich bin ich ja am Meer groß geworden.«
Toni hatte fertig aufgetragen und kam ihnen jetzt entgegen. Anne berichtete ihm mit wenigen Worten, was ihr die Kinder erzählt hatten.
»Ja, des ist schade. Aber einfach losgehen, ohne etwas zu sagen, des war nicht gut. Sebastian, du tust jetzt anrufen und gibst Bescheid. Vielleicht tun sie euch schon suchen. Man läuft net einfach so davon.«
Die Bichler Kinder gingen erst einmal hinein.
»Sei nicht so streng mit ihnen, Toni. Du weißt doch, wie sehr gerade der Basti an deinem Vater hängt. Er liebt ihn wirklich, wie einen richtigen Großvater. Da ist die Enttäuschung groß. Basti gibt sich für sein Alter sehr erwachsen. Aber er ist doch erst zwölf. Er ist ja noch ein Kind. Denke mal daran, wie traurig du gewesen wärst in dem Alter.«
Der alte Alois hatte alles gehört. Er trat neben Toni und legte ihm die Hand auf die Schulter. Schmunzelnd erinnerte er den Hüttenwirt daran, wie oft er sich als Bub zu ihm auf die Berghütte geflüchtet hatte. Also ermahnte Alois Toni, nicht zu streng mit den Kindern zu sein. Außerdem sei die Berghütte ihr Zuhause.
Toni wollte wissen, wie der Alois das damals gemacht hatte, daß seine Eltern niemals eine Suchaktion starteten.
»Ich habe mit den Hüttengästen geredet – heimlich natürlich –, daß du nix merken tust. Diejenigen, die abends runter nach Waldkogel sind, die haben deinen Eltern einen Zettel von mir gebracht.«
Dann erfuhr Toni noch, daß der alte Alois teilweise sogar die Bergwacht dazu benutzte, seinen Eltern die Nachricht zukommen zu lassen. Damals hat es noch kein Telefon auf der Berghütte gegeben. Die Berge wurden von Mitarbeitern der Bergwacht regelmäßig mit dem Fernglas abgesucht. Besonders in der Dämmerung konnten verunglückte Bergsteiger mit Lampen Hilfe herbeiholen. Dann ließen sie ihre Taschenlampen in Abständen aufblinken. Der alte Alois traf mit der Bergwacht eine Vereinbarung. Besondere Lichtsignale zeigten an, daß sich der kleine Antonius Baumberger, der von allen nur Toni gerufen wurde, auf der Berghütte aufhielt und damit in Sicherheit war.
»Des war ja ganz schön raffiniert von dir, Alois. Davon habe ich nix gewußt.«
»Des war auch der Sinn der Sache. Wenn du mir dein kleines Kinderherz ausgeschüttet hattest, bist ja freiwillig wieder heim. Du hast auch manchmal drunter gelitten, daß dein Vater und deine Mutter wenig Zeit für dich hatten.«
Toni seufzte. Ja, er erinnerte sich. Es gab Zeiten, da schmollte er oft. Als Bub besuchte er den Alois und seine Frau mindestens einmal in der Woche auf der Berghütte.
»Du solltest mit dem Basti darüber reden, Toni«, riet ihm Anna. »Erzähle ihm, wie das damals bei dir war. Außerdem müssen wir hier wirklich darauf achten, daß wir den beiden Kindern genügend Zeit widmen.«
Toni hauchte Anna einen Kuß auf die Wange.
»Bist eine kluge Frau! Was würde ich nur ohne dich machen?«
»Das weiß ich nicht. Aber du solltest deine Eltern anrufen. Nicht nur, um das Fortlaufen der Kinder zu klären. Wenn die Unterholzer das ganze Lokal und alle Fremdenzimmer mieten wollen, dann planen sie ein großes Fest. Vielleicht brauchen deine Eltern Hilfe.«
»Stimmt! Außerdem bin ich auch ein bisserl neugierig. Des gebe ich zu.«
Während Toni im Wohnzimmer der Berghütte mit seinen Eltern telefonierte, kümmerte sich Anna in der Küche um die Kinder. Sie kochte ihnen Karamelpudding. Warmer Karamelpudding gehörte zu den Lieblingsessen der beiden. Anna genoß es, die beiden zu verwöhnen. Ihre Ehe mit Toni war noch kinderlos. Anna und Toni liebten die Bichler Kinder, als wären sie ihre eigenen. Besonders Anna ging in der fürsorglichen Mutterrolle auf.
Es dauerte eine Weile, bis Toni kam. Er berichtete, daß es wirklich der Unterholzerbauer mit seiner Frau war. Die beiden planten zum fünfzigsten Geburtstag von Ernst Unterholzer ein großes Fest.
Es war nicht nur der runde Geburtstag, zu dem sie die ganze Verwandtschaft und Freunde einladen wollten. Die beiden feierten in den nächsten Tagen Silberhochzeit. Diese wollten sie alleine begehen. Beim Pfarrer Zandler hatten sie einen Dankgottesdienst bestellt. Weil Ernst kurz darauf diesen runden Geburtstag hatte, legten sie die Feier zusammen. Es sollte schon etwas Besonderes werden, sagten die beiden. ›Zum Ochsen‹, dem vornehmen Restaurant und Hotel, wollten sie nicht. Es sollte rustikal und trotzdem anspruchsvoll sein. Es kam ihnen besonders darauf an, daß keine weiteren Fremden zu Gast waren. Sie wollten unter sich sein, berichtete Toni.
»Ein bisserl seltsam finde ich des schon, Toni«, bemerkte Anna, »bei so einem runden Geburtstag und Fest die Nachbarn auszusperren.«
Der alte Alois schmunzelte.
»Der Ernst Unterholzer ist ein gerissener Fuchs. Er weiß schon, wie er sich Ärger vom Hals halten tut. Vielleicht würde ich es an seiner Stelle genauso machen.«
Toni, Anna und Alois zogen sich in die Küche zurück. Anna wusch das Geschirr. Toni trocknete ab. Der alte Alois saß am Küchentisch, die Hände auf seinen Spazierstock gestützt, den er zwischen den Knien auf den Boden stützte.
Dann erzählte der alte Hüttenwirt von früher. Es gab nichts und niemanden in Waldkogel, worüber der Alois nichts sagen konnte.
Aufmerksam hörten Anna und Toni zu.
Der alte Unterholzer, der Vater des jetzigen Bauern, war einer von Alois’ Schulkameraden. Er war immer ein bisserl aufbrausend und bestimmend gewesen. Wenn es nicht nach seinem Kopf ging, dann gab es Ärger und Streitereien.
»Es war eben sein Charakter!« sagte der alte Alois.
Als er heiratete und die beiden Kinder geboren wurden, wurde er ruhiger. Sein aufbrausender Charakter trat erst wieder hervor, als Ernst und seine Schwester Maria älter wurden. Der Unterholzer Hof galt schon immer als reicher Hof. So fehlte es der jungen Maria Unterholzer auch nicht an Verehrern. Aber die jüngere Schwester von Ernst, wollte sich nicht an einem Burschen aus der Gegend binden. Sie schlug da sehr nach ihrem Vater, der ja bei allen als richtiger Sturkopf bekannt war. Eines Tages verliebte sich die erwachsene Maria in einen Touristen aus Düsseldorf. Er kam scheinbar aus sehr gutem Hause. Unvermögend war er nicht, deutete Alois an. Er liebte die Maria wirklich. Er hielt nach mehreren Besuchen in Waldkogel um ihre Hand an. Aber der alte Unterholzer warf ihn hinaus. Einige Tage später verschwand Maria Unterholzer. Sie kam zu Lebzeiten des Vaters nie mehr auf den Hof zurück. Die Waldkogeler sahen sie erst wieder auf seiner Beerdigung. Aus dem einstigen Bauern-madl war eine elegante, junge verheiratete Frau geworden. Sie hieß mit Familiennamen jetzt Bender. Sie ließ sich auch nicht mehr Maria rufen, sondern wollte Mary genannt werden.
Ernst, der damals den Hof übernahm, zahlte seine Schwester aus. Welchen Kontakt Ernst mit Maria in den davorliegenden Jahren hatte, das wußte der alte Alois nicht zu sagen. Er wußte nur, daß Ernst sehr bedauerte, daß seine Schwester so weit fort war.
»So viel ich weiß, hat die Maria oder Mary, drei Kinder, zwei Buben und ein Madl.«
Mit bedenklichem Gesicht schilderte Alois, wie seltsam sich Maria damals verhalten hatte. Sie spielte die vornehme Dame aus der Großstadt. In ihren gehobenen Kreisen schaute man verächtlich auf Bauern herab, zu deren Arbeit auch das Ausmisten des Kuhstalles gehörten.
»Die Maria, die hat mit ihrer Herkunft gebrochen«, sagte Alois.
Er dachte sich, daß Ernst sie und die ganze Familie Bender zu dem Fest einladen will. Damit das nicht so wird, wie damals auf der Beerdigung, wollen die Unterholzer wohl dafür sorgen, daß die Gäste unter sich bleiben, vermutete Alois. Dann kann es keinen Streit geben.
»Mei, des klingt ja net gut. Des hab’ ich net gewußt. Des muß ja dem Ernst Unterholzer das Herz brechen, daß des Verhältnis zu seiner Schwester so gestört ist.«
Toni war voller Mitgefühl.
»Diese Familie Bender, des sind die einzigen leiblichen Verwandten, die der Ernst Unterholzer hat. Ich möchte net in seiner Haut stecken. Schließlich braucht er einen Erben für seinen Hof. Die Ehe mit seiner lieben Cäcilia, die er zärtlich Zilli ruft, ist gut. Der Ernst hat net den aufbrausenden Charakter seines Vaters geerbt. Die beiden sind noch wie ein junges Liebespaar. Leider hat ihnen das Schicksal Kinder versagt.«
Toni, Anna und der alte Alois vermuteten, daß Ernst und Zilli das Fest nutzen wollten, um über die Nachfolge auf dem Unterholzer Hof zu sprechen. Vielleicht hatte die Nichte oder einer der Neffen Interesse, den Hof weiterzuführen.
Anna war voller Mitgefühl für die beiden. Sie kannte Zilli und fand sie ausgesprochen warmherzig und lieb. Zilli war fünfundvierzig Jahre. Sie sah aber weit jünger aus mit ihrer zierlichen Figur. Auch ihr Mann, der Unterholzerbauer, wirkte auf niemand wie ein Fünfzigjähriger. Er machte noch einen sehr jugendlichen Eindruck mit seinen großen blauen Augen und seinem vollen hellblonden Haar. Man schätzte ihn höchstens auf Anfang Vierzig, eher sogar noch auf Ende Dreißig. Schade, daß sie keine Kinder hatten. Es war auch höchst unwahrscheinlich, daß sie in dem Alter noch Eltern werden würden.
Erst jetzt fiel Anna auf, daß die beiden Bichler Kinder das Gespräch still verfolgten. Anna lächelte ihnen zu.
»Arme Leute, die Unterholzer alle beide. Sie hatten nicht so viel Glück, daß sie so liebe Kinder fanden und aufnehmen konnten wie der Toni und ich.«
»Dann seid ihr uns nimmer bös’, daß wir einfach fortgelaufen sind?«
»Naa, Basti, naa! Ich kann dich sogar verstehen. Außerdem will ich dir jetzt mal erzählen, was ich so alles gemacht habe, als ich in deinem Alter gewesen bin. Der alte Alois, der kann ein Lied davon singen. Weißt was? Wir beide Männer machen jetzt eine kleine Wanderung und reden mal so richtig von Mann zu Mann. Wie gefällt dir des, Basti?«
Sebastian Bichler sprang auf.
»Des ist gut! Ich richte mal gleich meinen kleinen Wanderrucksack.«
Sebastian rannte in sein Zimmer.
Anna wandte sich Franziska zu.
»Wenn die Männer fort sind, dann haben wir beiden Frauen hier das Regiment, Franzi. Ich habe viel in der Küche zu tun. Du könntest ein bisserl auf die Gäste achten, hast du Lust dazu?«
Franziska nickte eifrig. Sie betonte aber, daß sie als kleine Hüttenwirtin auch ein schönes Dirndl tragen müßte. Anna schmunzelte und erlaubte Franzi, ihr bestes Sonntagsdirndl anzuziehen. Es bestand aus hellblauer Seide mit weißer Bluse und weißer Schürze.
Nachdem Toni mit Sebastian weggegangen war, bezog der alte Alois den Platz hinter dem Tresen in der Wirtsstube der Berghütte. Er zapfte das Bier und kümmerte sich um die Getränke. Anna war meistens in der Küche. Die kleine Franziska wirbelte zwischen den Hüttengäste herum.
»Des Madl hat Talent zu einer Hüttenwirtin, Anna!« bemerkte Alois und beobachte Franzi mit Freude in den Augen.
»Ja, das hat sie, Alois. Doch die Franzi ist erst zehn Jahre. Sie soll später das machen, worauf sie Lust hat. Sicher sind wir glücklich mit den beiden Bichler Kinder. Doch der Bichler Hof, ihr Erbe, wartet auf sie. Toni und ich würden uns schon freuen, wenn einer der beiden einmal die Berghütte übernehmen würde. Aber erstens ist bis dorthin noch lange Zeit und zweitens sollen sich die Kinder frei entscheiden. Ich habe Mitgefühl mit dem Ernst und der Zilli. Es muß schlimm sein, keine Erben zu haben.«
Der alte Alois bekam feuchte Augen.
»Kinder sind auch keine Gewähr, daß es mit etwas weitergeht. Du weißt ja, Anna! Ich selbst hab’ zwei Buben. Keiner wollte die Berghütte. Ich bin dem Himmel und sämtlichen Heiligen dankbar, daß sie dich geschickt haben. Du und Toni, ihr seid wie Kinder für mich.«
Anna holte ihr Taschentuch aus der Dirndlschürze und tupfte dem alten Alois die Tränen ab, die jetzt über seine faltigen Wangen liefen.
»Wir lieben dich, Alois, genau wie jemanden, der zur Familie gehört.«
Alois räusperte sich. Dann schenkte er sich einen Schnaps ein. Er trank ihn in einem Zug aus.
Anna war von den Tränen des alten Mannes erschüttert. Sie nahm sich vor, mit Toni darüber zu sprechen. Alois hatte seit Jahren keinen Kontakt mehr mit seinen Söhnen und deren Familie. Vielleicht konnten sie helfen. Toni, der mit Alois’ Enkeln in die Schule gegangen war, könnte vermitteln. Anna hielt dies für ein gute Idee.
Die nächsten Stunden vergingen. Es war herrliches Sommerwetter und viele Bergwanderer kamen vorbei. Die drei hatten alle Hände voll zu tun.
*
Die Abendsonne stand tief über Waldkogel. Nach dem Abendessen gingen Ernst und Zilli in den Garten. Dort setzten sie sich auf die Bank unter den alten Apfelbaum. Es war eine Gewohnheit, die sie seit vielen Jahren pflegten, wenn es das Wetter erlaubte.
»Es ist ein besonders schöner Tag gewesen, Zilli!«
»Ja, Ernst, das war er. Ich bin froh, daß alles so gut geklappt hat. Auf die Meta und den Xaver können wir uns verlassen. Sie richten uns ein schönes Fest aus. Es wird ländlich traditionell werden und doch auch ein bisserl elegant. Ich hoffe, daß deine liebe Schwester sich wohlfühlt.«
»Ja, des hoffe ich auch. Die Maria, die ist nicht so, wie sie sich gibt, denke ich. Als Kinder haben wir uns gut verstanden. Es kam erst zu Mißverständnissen, als der Vater ihr die Hand ihres Liebsten verweigert hatte. Da ist des Madl seinen eigenen Weg gegangen.«
»Verstehen kann ich das auch wiederum, Ernst. Doch das ist alles so lange her. Ich denke immer, im Grunde kann sich kein Mensch wirklich verändern. Er ist so, wie er ist.«
Ernst legte seinen Arm um seine Frau.
»Ja, Zilli, das denke ich auch. Ich habe viel über die Maria nachgedacht. Leicht war es für sie bestimmt net damals. In dieser vornehmen Familie, da muß sie doch eine Außenseiterin gewesen sein.«
»Das war sie bestimmt. Sie hat sich eben anpassen müssen. Die Maria war schon immer klug. Sie hat sich eben schnell angepaßt. Außerdem war sie ja bald schwanger und wollte das Beste für ihre Kinder. In der Beziehung hatte sie mehr Glück als wir. Zuerst hat sie ein Madl bekommen und dann noch zwei Buben.«
»Mußt nimmer traurig sein, Zilli! Es hat eben net sollen sein. Wir sind doch auch so glücklich miteinander! Ich sage mir immer: Es gibt Familien mit vielen Kindern, da tut nur Streit und Ärger herrschen. Die Eltern leben sich schließlich auseinander und die armen Buben und Madln leiden darunter.«
»Es gibt auch glückliche Familien, Ernst!«
»Sicher! Ich gebe ja zu, daß auch ich manchmal mit dem Schicksal hadere, das uns getroffen hat. Da baut man sich eben ein Gerüst, wo man ein bisserl Trost findet. Wir lieben uns und haben doch so schöne Jahre hinter uns.«
»Ja, das haben wir. Bald sind es
fünfundzwanzig Jahre, daß wir zusammen sind.«
»Mei, wie die Zeit vergeht, Zilli! Mir kommt es vor, als sei es erst gestern gewesen, daß ich dich zum Traualtar geführt habe.«
»Ja, ja! Und jetzt feiern wir in wenigen Tagen Silberhochzeit. Bist mir immer ein guter Mann gewesen, Ernst.«
»Und du eine liebe, liebe Frau!«
Sie nahmen sich fest in die Arme und küßten sich. Ihre Küsse schmeckten wie am ersten Tag ihrer Liebe.
»Ich würde dir gern noch ein schönes Geschenk machen, Zilli. Aber du willst ja net.«
»Ernst, darüber haben wir doch schon geredet. Wir sind uns einig gewesen. Das Geschenk, das wir uns machen, ist, daß wir das mit dem Erbe regeln.«
»Richtig! Wir versuchen des zu regeln.«
»Ja, mehr als ein Versuch kann es nicht sein. Es wird sich rumsprechen, denke ich, Ernst.«
»Des wird es mich Sicherheit. Aber des stört mich nicht. Es ist unser Geld. Wir haben des verdient und können damit machen, was wir wollen. Daß wir des so machen, des wird Aufsehen erregen. Doch jeder, der sich in Gelddingen auskennt und auch Charakter und Menschenkenntnis besitzt, wird uns bewundern.«
»Die Bewunderung ist mir gleich, Ernst!«
»Mir doch auch, Zilli! Aber es ist immer noch der beste Weg, etwas über einen Menschen zu erfahren, wenn man sich anschauen tut, was er mit Geld macht.«
»Richtig! Geld regiert die Welt! Geld verdirbt den Charakter!«
»Für Geld verkauft so mancher seine Seele oder sein Herz!«
Sie saßen beieinander und rätselten, was mit dem Geld geschehen würde. Wie würden es die Verwandten anlegen? Viele Abende hatten die beiden unter dem Apfelbaum gesessen und über einen Erben oder eine Erbin des Unterholzer Hofes beraten. Es gab die drei Kinder von Maria. Sie standen nach der Tradition an erster Stelle. Die älteste davon war Natalie. Sie war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt und berufstätig. Die junge Frau arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin. Ihre beiden jüngeren Brüder studierten Jura und Medizin.
Auf der Seite von Zilli gab es auch Kandidaten, die für das Erbe in Frage kamen. Da war an erster Stelle Frieder. Er war der jüngste Sohn von Zillis älterem Bruder, Adrian Engeldinger. Er liebte die Landwirtschaft, war Bauer mit Leib und Seele, wie man so sagte. Frieders ältere Schwester war verheiratet und lebte mit ihrem Mann ebenfalls auf dem Engeldinger Hof. Wem von den beiden Zillis Bruder einmal den Hof überschreiben würde, Frieder oder seiner Schwester, das wußten die Unterholzers nicht. Zilli hatte mit ihrem Bruder auch nicht darüber gesprochen. Er hätte Rückschlüsse daraus ziehen können, daß Frieder oder seine Schwester Kandidaten für das Erbe des Unterholzer Hofes sein könnten.
Wirtschaften sollte die nächste Generation auf dem Unterholzer Hof schon können. Auf Geiz und Pfennigfuchserei legten Zilli und Ernst keinen Wert. Es kam ihnen auf menschliche Qualitäten an. Nach den beiden Weltkriegen standen viele vor dem absoluten Nichts. Da zählten Charakter und Tatkraft. Nur mit großer Liebe innerhalb der Familie konnte alles gemeistert werden. Kriege, davor bewahre uns der Herrgott, dafür beteten die Unterholzer. Doch die Weltwirtschaft konnte für die nächste Generation Überraschungen bereit halten. Zilli und Ernst kümmerten sich nie viel um Politik. Sie wußten nur, ganz gleich was das Schicksal bereit hält, ist es wichtig zu lieben. Liebe ist der Kitt, der alles zusammenhält. Gegenseitiges Verstehen, Zusammenhalt, Güte und Verständnis gepaart mit Liebe, nur darauf kommt es an.
Es war verständlich, daß die beiden einen Erben oder eine Erbin haben wollten, die das alles verkörperten. Sicherlich hätten sie sich aus der Reihe ihrer Nichten und Neffen einfach jemand aussuchen können. Doch sie wollten davor eine kleine Bewäh-rungsprobe setzen. So hatten sie beschlossen, Natalie und ihren beiden Brüdern, ebenso wie Frieder und seiner Schwester, ein Geldgeschenk zu machen. Sie wollten sehen, wie sie damit umgingen. Schließlich lieferten sich Zilli und Ernst auch aus. Wenn sie einmal alt und vielleicht sogar pflegebedürftig sein würden, dann wollten sie schon wissen, was sie dann erwartete. Bekamen sie alles oder wurde ge warten?
Zilli und Ernst wußten, daß es keine endgültige Absicherung gab. Mit dem Test wollten sie in Erfahrung bringen, wie sich die möglichen Erben bei plötzlichen Ereignissen verhielten. Zugegebenermaßen war auch ein wenig Spaß dabei. Wenn man genau hinsah, war es sogar ein richtig teures Vergnügen.
Es war Zillis Idee gewesen. Ursprünglich hatte Ernst vorgeschlagen, zu ihrem Jubiläum eine Weltreise zu machen. Sie wären mit einem Luxusliner fast ein halbes Jahr unterwegs gewesen. Die Summe, die das gekostet hätte, teilten sie nun in fünf gleiche Teile. Jeder Neffe und jede Nichte würde den gleichen Anteil bekommen. Sie waren sich einig, daß das Geld auch so gut angelegt war – in mehrfacher Hinsicht.
Mit einer ruhigen Anspannung sahen sie dem Tag ihres Familienfestes entgegen.
*
Endlich war es soweit. Sie nahmen alle an der großen Tafel Platz, die Xaver und Meta in der Wirtsstube aufgebaut hatten. Die überzähligen Tische waren in der Scheune untergestellt. Nur der lange Tisch stand in der Mitte des Raumes, um ihn herum die Stühle. Meta hatte mit weißen Damasttischdecken gedeckt.
Diese verwendete sie selten in der Wirtsstube. Nur wenn es bei den Baumbergers selbst etwas zu feiern gab, legte Meta sie auf. Sie hatte auch mit ihrem eigenen guten Service gedeckt. Es war aus dünnem Porzellan mit einem Goldrand. Eine Blumengirlande aus viel Grün, Efeuranken und Rosen schmückte die Tischmitte und schlängelte sich um die halbhohen Kerzenhalter.
»Dann setzt euch!« sagte Ernst Unterholzer.
Er selbst nahm am Kopfende Platz. Seine liebe Frau Zilli saß am anderen Ende des Tischs. Sie lächelten sich zu und beobachteten, wie die beiden Familien ihre Stühle einnahmen. Maria Bender saß mit ihrem Mann und den drei Kindern auf der einen Seite. Zillis Verwandte auf der anderen Seite. Es war ihr Bruder mit seiner Frau, Frieder und seine Schwester mit ihrem Mann und den Kindern.
Alle hatten sich fein gemacht. Besah man sich die Kleidung, so konnte der Unterschied der Familien nicht besser gezeigt werden. Die Benders waren in eleganter Kleidung erschienen. Maria trug ein enganliegendes Kostüm aus Rohseide und kostbarem Schmuck, der sehr auffallend ihren eleganten Auftritt unterstrich. Ihre Tochter Natalie glänzte im schulterfreien Sommerkleid, ein Modellkleid, wie sie öfter betont hatte. Ihr Vater und ihre Brüder trugen schwarze Anzüge mit Westen und Fliegen statt einer Krawatte. Zillis Verwandte, die ganze Familie Engeldinger, war in Tracht erschienen, so wie man es eben in Waldkogel hielt. Frieder, sein Vater und sein Schwager trugen feinste Loden. Die Frauen waren im Sonntagsdirndl erschienen.
Ernst Unterholzer klopfte an sein Glas. Alle hörten auf zu reden und sahen ihn an. Nach einem kurzen Blickkontakt mit Zilli stand Ernst auf. Er sah gut aus in seinem Sonntagsanzug. Zilli betrachtete ihren lieben Mann und sagte sich wieder einmal, wie wenig er sich seit ihrer Hochzeit verändert hatte.
»Ja, Leute! Jetzt sind wir hier zusammen! Es ist mir ein wirkliches Anliegen gewesen, euch alle an einen Tisch zu bekommen. Wie ihr wißt, haben die Zilli und ich in aller Stille unsere Silberhochzeit gefeiert. Heute werde ich nun fünfzig Jahre.«
»Du bist es doch schon, Onkel Ernst!« rief Natalie dazwischen.
»Naa, Madl!«
Ernst Unterholzer zog seine Taschenuhr aus der Trachtenweste. Er klappte den Deckel zurück und schaute darauf.
»Wirklich fünfzig bin ich erst in vier Stunden!«
Er steckte die Uhr zurück. Dann hob er sein Bierglas.
»Vielleicht hätte Wein besser gepaßt. Aber hier in den Bergen, da wird Bier getrunken. Dann wollen wir Prost sagen und darauf trinken, daß wir hier alle zusammen sind.«
Sie tranken. Das heißt, Zillis Verwandte nahmen einen kräftigen Schluck. Maria und ihre Familie nippten nur am Glas. Ernst sah es, bemerkte aber nichts dazu. Schmunzelnd wischte er sich den Schaum von seinem Oberlippenschnauzer.
»Also, ich will es kurz machen! Ich freue mich, daß ihr alle da seid. Danke für die Geschenke.«
Er räusperte sich.
»Geschenke soll es am heutigen Tag nicht nur für mich geben, sondern auch für einige unter euch. Meine liebe Zilli und ich haben lange überlegt, was wir uns gegenseitig zur Silberhochzeit schenken sollen. Wir überlegten, ob wir eine Kreuzfahrt machen, eine Weltreise. Doch das ist eher etwas für junge Leute, denken wir. Wir haben es gern ruhig und sind hier in unseren Bergen zufrieden und glücklich.«
Ernst Unterholzer griff in die Innentasche seiner Lodenjacke. Er holte fünf braune Umschläge heraus.
»Die sind für euch! Wir haben das Geld aufgeteilt, was die Reise gekostet hätte, und wollen es unseren Nichten und Neffen schenken. Jeder hat denselben Betrag in dem Umschlag. Macht euch damit eine schöne Zeit, tut verreisen, legt des Geld an, gebt es aus. Ganz gleich, wie ihr das macht, mir soll – uns soll es recht sein.«
Ernst verteilte die Umschläge.
Staunend und etwas ungläubig, auf jeden Fall sehr überrascht, rissen die jungen Leute die Kuverts auf. Sie zählten die Scheine auf die Teller.
»Onkel Ernst, das sind fünfundzwanzigtausend Euro!« rief Natalie.
»Ja, wenn ich mich net verzählt habe, dann muß des so viel sein.«
Ernst steckte die eine Hand in seine Hosentasche. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand strich er verlegen über seinen Schnurrbart.
»Ach, da ist noch etwas. Jeder sollte mir schon sagen, was er damit macht. Ihr wißt ja, die Zilli und ich haben keine Kinder. Arm sind wir beide nicht. Es gibt genug zum Erben. Leider sind wir dann schon im Himmel. Zwar sagt man, daß man dann auch auf die Erde schauen kann. Aber es ist schon schöner, wenn ich und die Zilli sich mitfreuen können. Also in ein paar Wochen, da tut ihr uns besuchen und berichtet dann – wahrheitsgemäß«, Ernst hob drohend den Finger, »was ihr mit dem unverhofften Geldsegen angerichtet habt.«
Mehr mußte Ernst nicht sagen. Die Botschaft war angekommen. Natalies Brüder äußerten sich zuerst.
»Onkel Ernst, seien wir doch ehrlich! Du bist auf der Suche nach einem Erben für den Unterholzer Hof. Ich danke dir für das Geld. Wahrscheinlich wirst du eines Tages den Hof unter uns fünf aufteilen. Meinen Anteil werde ich in meine Arztpraxis stecken. Das kann ich dir jetzt schon sagen. Das Geld hier«, er wedelte mit dem Umschlag herum, »das Geld wird in den Bausparvertrag gesteckt. Danke! Wenn ich meine Praxis habe und du oder Tante Zilli mal krank seid, dann behandle ich euch gern.«
»Danke, Bub!« bemerkte der Bauer knapp.
Als nächstes sprach Natalies anderer Bruder. Er studierte Jura und wollte das Geld in seine Zukunft investieren. Er sprach davon, in Amerika eine weitere juristische Ausbildung zu machen.
»Und du, Natalie? Was machst du damit?«
»Das weiß ich noch nicht so genau. Irgendwie anlegen, damit ganz schnell noch mehr daraus wird.«
Natalie erzählte von ihrem Freund. Sie kannte Joachim Bruchstein schon einige Jahre. Er hatte Volks- und Betriebswirtschaft studiert und arbeitete in einer Bank. Ihm stand eine glänzende Karriere bevor. Natalie würde sich von ihm beraten lassen. Sie wollten sich bald verloben und heiraten.
»Des ist gut, Madl! Dann bring deinen Schatz bei nächstem Besuch mit. Ich würde ihn gern kennenlernen.«
Natalie strahlte. Sie sah sich auf der Siegerseite.
»Und wie ist es mit den Engeldingern?« wandte sich Ernst an die Verwandten seiner Frau.
»Onkel, ich würde des Geld gern in den Hof stecken. Wir haben drei Kinder. Da wollen wir für die Zukunft sorgen. Anbauen wollen wir. Mehr Wohnungen und Fremdenzimmer haben wir geplant. Doch das nötige Startkapital hat uns bisher gefehlt. Das heißt, etwas haben wir schon. Doch dein Geschenk kommt genau richtig. Da müssen wir den Bankkredit nicht nehmen. Danke, Onkel! Vielen herzlichen Dank.«
»Es freut mich und die Zilli, wenn wir helfen konnten. Viel Erfolg mit euren Plänen!«
Ernst Unterholzer legte die Hände vor dem Körper ineinander und lächelte Frieder an. Frieder war Zilli sehr ähnlich im Aussehen. Er hatte das gleiche blonde Haar und die großen blauen Augen wie seine Tante.
»Was machst du, Bub?«
Frieder hatte den Umschlag bereits eingesteckt.
»Erst mal Danke! Des ist ein überraschender Geldsegen. Dazu kann ich nix sagen, erst mal.«
»Warum? Haben junge Burschen heutzutage keine Wünsche?«
»Doch schon! Aber des will und muß auch gut überlegt sein. Bis vor fünf Minuten bin ich noch um das schöne Sümmchen ärmer gewesen. Jetzt eilt es wirklich net. Sicher hab’ ich auch Wünsche. Aber ich will erst mal drüber schlafen, eine Nacht, zwei Nächte. Ich will gut überlegen. Alles braucht seine Zeit, das sagst du doch auch immer, Onkel!«
»Richtig, Bub! Nur nix überstürzen!«
Ernst Unterholzer nahm einen Schluck Bier.
»Ja, dann wäre des gesagt! Jetzt laßt uns essen und feiern. Du, Natalie, tust dich mit deinem Zukünftigen bereden. Der Frieder überlegt auch noch. In ein paar Wochen könnt ihr uns besuchen, dann habt ihr vielleicht schon eine Entscheidung getroffen. Jedenfalls will ich wissen, was ihr damit anfangen tut. Des wollte ich euch sagen. Jetzt laßt uns feiern.«
Meta und Xaver sorgten in der Küche für das leibliche Wohl der Gäste. Toni und Anna trugen auf. Es gab eine Vorspeise, zwei Hauptgerichte und eine Nachspeise. Das Essen zog sich fast über zwei Stunden.
Dann legte Toni Musik auf. Er hatte den Plattenspieler seiner Eltern in der Wirtsstube aufgestellt. Zuerst tanzten Ernst und Zilli einen Ehrentanz. Es war ein Walzer. Dann betraten die anderen die Tanzfläche. Sie feierten bis tief in die Nacht. Obwohl es am Anfang etwas Spannungen zwischen den
beiden Verwandtschaftszweigen gab, herrschte doch eine gewisse stille
Übereinkunft. Das lag bestimmt am Geld. Darüber waren sich Zilli und Ernst einig.
Es war schon nach Mitternacht, als die Engeldinger heimgingen. Der Engeldinger Hof lag nicht weit von den Baumbergers entfernt. Die Benders gingen auf ihre Zimmer.
Beim Abschied fragte Maria ihren Bruder:
»Sag, warum hast du so viel Geld ausgegeben? Wir brauchen doch nur vier Zimmer. Du hast alles gebucht.«
»Das kann ich dir gern erklären, Maria!«
»Mary! Mary bitte, Ernst!«
»Also gut, dann in Himmelsnamen! Mary!« Ernst seufzte. »Es sollte niemand mitbekommen, daß ich die Kinder beschenken tue. Du weißt doch selbst, wie in Waldkogel getratscht wird. Daheim wollten wir die Feier auch net machen. Du kennst doch die Bräuche hier. Ständig wären Nachbarn gekommen. Ich wollte eben mit meiner Familie allein sein und die Zilli auch. Schließlich ist es nicht nur mein Geburtstag, sondern auch ein Fest zu unserer Silberhochzeit.«
»Gut, daß du dir es leisten kannst, Ernst! Dir scheint es ja gut zu gehen!«
Ernst schaute seine Schwester nur an. Er sagte dazu nichts. Er erzählte nur noch, daß es am Wochenende Kaffee und Kuchen, Wurst und Bier auf dem Unterholzer Hof geben würde, für alle, die gratulieren wollten.
Müde und erschöpft machten sich Ernst und Zilli gegen ein Uhr nachts auf den Heimweg.
»Es war doch ein bisserl anstrengend mit allen, Zilli!«
»Mei, Ernst, des kannst laut sagen. Die Luft hat geknistert. Doch sie haben auf Einigkeit gemacht. Dumm sind sie alle net. Sie wissen, daß sie net aus der Rolle fallen sollten. Sie wissen, daß es ums große Erbe geht.«
»Ja, ja! Ich gehe jede Wette ein, daß sie heute nacht so schnell keinen Schlaf finden. Sie alle spekulieren auf das Erbe.«
Der Mond stand hoch am Himmel. Wolken trieben immer wieder daran vorbei. Es war windig und kühl. Hand in Hand, wie ein junges Liebespaar, liefen Zilli und Ernst die Dorfstraße entlang. Sie ließen sich Zeit. Unterwegs unterhielten sie sich darüber, wer von den fünf Neffen und Nichten jedem am besten gefallen hatte.
Als sie daheim auf dem Hof angekommen waren, setzten sie sich noch einen Augenblick auf die Bank vor das Haus und schauten hinauf zum Mond und den Sternen. Viele waren in dieser Nacht nicht zu sehen. Es war wolkig.
»Es wird Regen geben, Zilli!«
»Ja, Ernst. Ich kann ihn auch schon riechen!«
Sie standen auf und machten noch eine Runde über den Hof. Sie verschlossen die Stalltüren und Fensterläden. Der Wind wurde immer stärker.
Dann gingen sie ins Haus. Sie waren gerade eingeschlafen, als ein heftiges Unwetter über Waldkogel und den Bergen niederging.
*
Am nächsten Morgen fuhr Familie Bender nach Hause. Natalies Brüder waren mit ihren eigenen Autos gekommen. Sie fuhr mit ihren Eltern zurück.
Als Natalies Vater in der Garage hielt, stieg die junge Frau schnell aus. Sie drückte ihrer Mutter ihren kleinen Koffer in die Hand.
»Ich fahre sofort zu Joachim. Er wartet auf mich.«
Natalie sprang in ihren offenen roten Sportwagen und brauste davon.
Die meiste Zeit hielt sich Natalie ohnehin bei ihrem Freund auf. Er wartete schon in der Einfahrt seines Hauses, das er kürzlich für eine gemeinsame Zukunft mit Natalie gekauft hatte.
»Nun, Liebste! Wie war es?«
Er half ihr beim Aussteigen. Dann schloß er sie in die Arme und küßte sie.
»Wie soll es einem gehen, wenn man so viel Geld geschenkt bekommt? Gut! Sehr gut sogar!«
Joachim kannte bereits alle Einzelheiten. Natalie hatte noch in der Nacht mit ihm ausführlich telefoniert. Joachim war Banker. Geld und Zahlen waren sein Leben. Sicherlich hatte er auch Gefühle. Aber zu den spontanen Zeitgenossen gehörte er nicht. Er plante sein Leben, seinen Tagesablauf bis in alle Einzelheiten. Ein Plan ist eine Fahrkarte in die Sicherheit, sagte er oft. Er tat nichts, ohne sich vorher ausführlich Gedanken darüber zu machen. Er war fast besessen, immer alles richtig zu machen in seinem Leben. Geld und Erfolg waren für ihn dazu die Grundlagen. Hier mußte es stimmen. Erst danach kam alles andere. Also ging er niemals ein wirkliches Risiko ein. In der Bank galt er als zuverlässig und solide.
Natalie wußte, daß sich Joachim nie in ein armes Mädchen verliebt hätte, genau wie sie als junge Frau sehr auf die Sicherung der Zukunft bedacht war. Von der Grundeinstellung waren sich Joachim und Natalie sehr ähnlich. So gesehen paßten sie gut zusammen. Liebe ist Luft. Luft braucht man zwar zum Atmen, aber sie bringt keinen Gewinn. Man kann sie nicht verkaufen, nicht anlegen, nicht vermieten, verpachten, beleihen oder sparen. Luft kann sich nicht vermehren. Sie war da und wird immer einfach nur da sein.
Joachim und Natalie hatten sich auf einer großen Feier der Hauptfiliale der Bank kennengelernt. Natalie dolmetschte dort. Joachim war sie sofort aufgefallen. Diese Frau hatte Biß, wie er es nannte. Sie war gebildet, verfügte über Umgangsformen und bewegte sich sicher auf dem Parkett des Geldes. Kurz, sie war die ideale Partnerin für ihn.
Bevor Joachim Bruchstein Natalie ansprach, zog er Erkundigungen über ihre Familie ein. Ja, es paßte alles. Er näherte sich ihr. Sie gingen ein paarmal miteinander aus, trafen sich im Golfclub und beim Tennis. Joachim addierte die Pluspunkte. Was unter dem Strich dabei herauskam, überzeugte ihn.
Natalie wußte, wie sie sich verhalten mußte, daß sie ihn bekam. Kühl und überlegen, im Gegensatz zu anderen Frauen, die Joachim anhimmelten.
Alle Beziehungen laufen nur darauf hinaus, wer kann mir wie nützlich sein. So war Natalie von ihrer Mutter erzogen worden. Diese hatte das Verhalten der reichen Leute bis zum Äußersten getrieben. Maria Bender, geborene Unterholzer, litt unter dem Komplex, daß sie nur eine Bauerntochter war. So verleugnete sie ihre Herkunft und paßte sich an, bis sie ein völlig anderer Mensch war. Sie wirkte kühl und berechnend. Ihr Mann bedauerte oft die Veränderung. Aber er hielt an ihr fest. Er hatte sich einst in das spontane warmherzige Madl aus Waldkogel verliebt und schnell geheiratet. Jetzt war nichts mehr davon übrig, was er damals so an ihr geschätzt hatte. Aber er ließ die Sache laufen. Seine Frau war eine zuverlässige Stütze seiner Karriere. Besser hätte er es nicht treffen können. Natalie glich ihrer Mutter sehr.
»Nun, mein guter Achim! Was machen wir damit? Wir müssen es gut vermehren. Es muß schnell viel Gewinn bringen. Ich will den Onkel unbedingt beeindrucken. Du verstehst?«
Sie waren im Wohnzimmer angekommen. Natalie ließ sich auf einen Ledersessel eines bekannten Italienischen Designers fallen.
»Dabei muß es sicher sein! Unbedingt!« ergänzte Joachim.
»Richtig! Wir haben mit meinem Onkel einen richtigen Goldfisch an der Angel«, jubelte Natalie.
Noch einmal erzählte sie Joachim, den sie kurz Achim nannte, alles. Der Freund und zukünftige Bräutigam stellte viele Fragen. Er wollte sich ein genaues Bild von Natalies Onkel Ernst machen. Höchst zufrieden hörte er seiner Braut zu, wie Natalie ihren Onkel schilderte. So hatte er ihn auch eingeschätzt.
»Mich würde brennend interessieren, wieviel Geld der Onkel hat. Daran muß ich ständig denken. Wir sind fünf Nichten und Neffen. Bei dem großzügigen Geschenk, da kommt schon eine Summe zusammen. Es muß ihm nicht weh tun. Es kommt mir so vor, als bezahle er es aus der Portokasse.«
Natalie nippte an dem Champagner, den ihr Joachim eingeschenkt hatte. Er schmeckte. Mit Schrecken dachte sie an das Bier, das der Onkel servieren ließ. Das hat er mit Absicht gemacht, dachte die junge Frau. Er hätte auch französischen Champagner auffahren können.
Joachim Bruchstein stand auf und holte seinen tragbaren Computer. Grinsend tippte er darauf herum. Dann schob er ihn Natalie hin.
»Genügt dir das?«
»Achim! So viel Geld hat Onkel Ernst? Das ist wirklich ungeheuerlich. Wie kommt er dazu? Wirft Landwirtschaft so viel ab?«
Joachim lachte.
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich schaue mir nur die Konten an. Da mußt du mit deiner Mutter sprechen. Sie weiß bestimmt mehr über die Familie und über Landwirtschaft.«
»Ich wundere mich nur. Die Landwirte jammern doch immer über die geringen Abnahmepreise ihrer Produkte. Das hier sieht mir nicht danach aus, eher wie ein Ölquelle, die beständig sprudelt.«
Natalie lachte.
»Milchquelle!« verbesserte sie sich.
Die junge Frau lehnte sich entspannt zurück.
»Achim, Achim! Stell dir mal vor, ich würde das alles erben. Es ist doch klar, daß Onkel Ernst den Hof und das Vermögen jemanden vererben muß. Selbst geteilt durch fünf wäre das noch ein schöner Batzen. Aber das ist sicherlich gegen seine Mentalität. Der Hof muß erhalten bleiben, das ist in den Bauern so drin. Also kommt nur einer von uns fünf Anverwandten in Frage. Mutter erbt bestimmt nicht. Sie hat ihren Pflichtteil bekommen.«
Die beiden waren sich einig, daß der Onkel die Geldgeschenke als Bewährungsprobe sah. Joachim spielte am Computer verschiedene Modelle durch. Natalie saß dabei auf der Lehne. Ihr Ehrgeiz war sehr groß. Sie wollte Onkel Ernst beweisen, daß er sich keine Sorgen um sein Erbe machen mußte. Sie konnte mit Geld umgehen, auch wenn sie dazu Joachim brauchte. Aber sie würden ja in Kürze heiraten.
»Achim! Unterbricht bitte deine Berechnungen. Ich habe da noch eine Idee! Eine großartige, eine geniale Idee!«
Joachim schob den Computer zur Seite, legte lässig die Beine auf den Tisch und zog Natalie auf seinen Schoß.
»Nun, mein lieblicher Goldesel – pardon, Goldeselin – was denkst du dir?«
»Wir sollten schnell heiraten! Das wollten wir ohnehin im nächsten Jahr. Laß uns aus strategischen Gründen den Termin vorziehen. Einig sind wir uns ja. Dann werde ich schwanger. Das ist der besondere Pluspunkt. Vielleicht wird es sogar ein Junge. Wir könnten ihn Ernst nennen. Gerufen wird er Ernest oder Ernesto! Klingt doch gut, oder?«
Joachim schaute Natalie in die Augen.
»Vielleicht gar keine so schlechte Idee! Natürlich muß alles geplant werden. Du bekommst zur Hochzeit und zur Geburt unseres Babys bestimmt noch ein Geldgeschenk. Unser Entschluß, den Termin vorzuziehen, können wir gut als Werbung verkaufen. Wir wollten erst noch ein wenig sparen und dann heiraten. Aber jetzt, da dein lieber Onkel unser Konto so aufgestockt hat, heiraten wir eben eher. Du hast auf dem Geburtstag erkannt, wie wichtig Ehe und Familie ist.«
»Richtig! Damit punkten wir! Das Geld mußt du trotzdem gut anlegen, Achim.«
»Das werde ich! Wo hast du das Geld jetzt? Es war leichtsinnig von deinem Onkel, allen das Geld einfach bar zu geben.«
Natalie berichtete, daß sie die Summe bereits auf dem Rückweg in Kirchwalden auf die Bank getragen hatte. Sie wollte nicht mit dem Betrag zurückfahren. Es könnte ja ein Unfall geschehen und infolgedessen das Geld vielleicht verloren gehen.
»Das ist meine Natalie! Wunderbar! Du behältst immer einen kühlen Kopf und planst. Das liebe ich so an dir.«