Читать книгу Toni der Hüttenwirt 258 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 3

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Die Sonne versank hinter den Bergen von Waldkogel. Der Himmel erstrahlte im letzten Hauch des Abendrots. Die Hüttengäste gingen schlafen, um am nächsten Morgen ausgeruht zu sein für ihre Gipfeltouren.

Toni räumte die Tische ab.

Nur Monika Krauser saß noch auf der Terrasse. Die junge Zahnärztin schaute in Gedanken versunken über das Tal.

Toni trat zu ihr. »Bist du noch munter? Jeden Tag machst du eine lange Wanderung und dir ist die Anstrengung nicht anzumerken. Bewundernswert!«

Monika lächelte.

»Ich bin gut durchtrainiert. Daheim in München laufe ich jeden Morgen vor der Arbeit mindestens zehn Kilometer. Ich brauche Bewegung und die Herausforderung. Ist Anna noch in der Küche? Ich wollte sie nach einem Tee fragen.«

»Anna ist bei den Kindern. Sie haben etwas auf dem Herzen, denken wir, denn sie waren heute Abend auf eine seltsame Weise still. Das ist immer ein Alarmzeichen. Wahrscheinlich machen wir uns zu viele Gedanken. Du weißt, dass wir Franziska und Sebastian adoptiert haben?«

»Ja, Alois hat es mir erzählt. Keine Sorge, ich lasse es mir gegenüber den Kindern nicht anmerken, dass ich es weiß.«

»Ja, das stimmt, sie wollen nicht darauf angesprochen werden«, sagte Toni. »Alois ist in der Küche. Er hat gerade frischen Tee aufgebrüht. Ich bringe dir welchen.«

Monika ging mit Toni in die Berghütte.

Der alte Alois kam mit einem Becher Tee aus der Küche und setzte sich an den Kamin.

»Toni, hole dir auch einen Tee und mache eine Pause!«, sagte er.

Toni nickte. Er holte für sich und Monika zwei Becher Kräutertee. Sie setzten sich auf die Schaukelstühle vor dem Kamin.

Nach einer Weile sagte Monika: »Es ist wunderschön hier bei euch. Wie lange kann man eigentlich bleiben?«

Toni schaute sie erstaunt an.

»Wie meinst du das? Du kannst so lange die Kammer haben, wie du willst.«

»Das ist sehr gut. Ich bin am Überlegen, ob ich für den Rest des Sommers in Waldkogel bleibe.«

»Mei, das ist ja ein Kompliment für uns«, freute sich Toni. »Warten in München nicht deine Patienten?«

Monika errötete leicht.

»Schon, aber meine Gedanken gehen immer mehr in die Richtung, zu kündigen und eine lange Pause einzulegen.«

»Gefällt dir es dort nicht, wo du bist?«, fragte der alte Alois.

»Doch, sehr sogar!«, sagte Monika. «Ich behandle hauptsächlich die Kinder, die in die Zahnarztpraxis kommen. Das macht mir viel Freude. Aber…«, Monika seufzte aus tiefstem Herzen. »Am besten erzähle ich von Anfang an. Dass ich dort angefangen habe, kam so: Doktor Jürgen Haber hatte schon während des Studiums ein Auge auf mich geworfen. Noch am Tag meines Examens engagierte er mich für seine Praxis. Dann kam eins zum anderen, wir wurden ein Liebespaar. Er sieht gut aus und ist sehr erfolgreich. Jürgen stammt aus bester Familie. Er ist liebevoll und verwöhnt mich. Allerdings sagte er immer, dass eine Partnerschaft ohne Trauschein für ihn die beste Lebensform sei. Trotzdem ist er kein Hallodri. Er war mir treu und ist sehr anhänglich. Die ganze Zeit wünschte ich mir im Stillen, seine Frau zu sein und Kinder mit ihm zu haben. Das behielt ich aber für mich. Und jetzt hat er mir plötzlich einen Antrag gemacht. Nein, eigentlich trifft es das nicht. Er sagte, er habe alles organisiert. Ich mache es kurz. Flug nach Las Vegas, Heirat, eine Woche Urlaub und dann zurück. Danach Vergrößerung der Praxis und Familie. Er stellte mich einfach vor vollendete Tatsachen, er hatte alles schon gebucht.«

Toni und Alois sahen Monika verwundert an.

»Schaut nicht so! So war es. Ach ja, einen Verlobungsring hielt er mir unter die Nase. Quasi im Nachhinein. Es traf mich völlig unvorbereitet und es war alles andere als romantisch. Der Herr Doktor hatte es so beschlossen und erwartete, dass ich zu allem Ja und Amen sage. Ach, es würde nicht einmal eine reguläre kirchliche Trauung sein. Ich dachte, ich kippe vom Stuhl. Das war also der Augenblick, den ich im Stillen ersehnt hatte. Aber statt Freude zu empfinden, war nur Leere in mir. Ich wusste, dass Jürgen ein zupackender Typ ist. Wenn er sich für etwas entschieden hat, dann zieht er es durch. Jetzt bin ich ziemlich durcheinander. Meine Tante riet mir, in die Berge zu fahren und zur Ruhe zu kommen. Jürgen habe ich gesagt, dass ich Bedenkzeit brauche.«

Toni und der alte Alois nickten.

»Wenn man heiratet, sollte das für ein ganzes Leben sein«, sagte Toni. »Also ist es gut, sich vorher zu befragen, ob es diese Liebe ist.«

»Richtig!«, pflichtete ihm Monika bei. »Genauso ist es. Es muss eine Entscheidung des Herzens sein, nicht wahr?«

»Nur eine Entscheidung des Herzens«, sagte Toni. »Und du fühlst nix?«

»Nein, es ist verrückt. Auf einmal fallen mir all die Unterschiede ein. Ich frage mich, wo die Gemeinsamkeiten sind, außer bei unserem Beruf? Er ist nicht sportlich. Okay, er toleriert meine Sportbegeisterung. Aber mit ihm zu joggen, ist ausgeschlossen. Ach, es ist nicht schlimm, dass er so unsportlich ich. Damit könnte ich leben. Aber ich fühle nichts. Alles ist leer in mir. Ich habe kein Herzklopfen. Wenn ich an eine Zukunft mit ihm denke, dann kann ich mir ein Familienleben einfach nicht vorstellen, besser gesagt, nicht mehr vorstellen.« Monika seufzte wieder. »Wie kann das plötzlich so kommen? Ich hatte ihn wirklich gern.«

Alois und Toni wechselten Blicke.

»Du warst sicher in ihn verliebt. Aber verliebt zu sein und wahrhaftig zu lieben, da gibt es einen riesigen Unterschied, Monika. Damit will ich dir nicht zu nahe treten. Für mich ist das nur die Erklärung dafür, warum dein Herz keine Freudensprünge machte, als er sagte, er wolle dich heiraten.«

Monika lehnte sich auf dem Schaukelstuhl zurück. Sie schlug die Beine übereinander und schlürfte ihren Tee.

Toni und der alte Alois schwiegen. Das Madl muss eine schwere Entscheidung treffen, dachte Toni. Dabei ist die Entscheidung längst gefallen. Ihr Herz klopft nicht schneller. Es wäre gut, wenn sie darauf hören würde. Er stand auf und legte Holz ins Feuer. Die Flammen züngelten auf und fraßen sich durch die Rinde. Es knisterte.

Monika lächelte.

»Es knistert. Das ist schön. Man sagt auch, dass es zwischen zwei Menschen knistert, die sich lieben.«

»Ja, so sollte es sein.«

»Bei uns hat es nie geknistert«, sagte Monika, mehr zu sich selbst.

Toni hatte es gehört und lächelte sie an.

»Dann war deine Verliebtheit eine Wunschvorstellung?«

Monika zuckte mit den Achseln.

»Das will ich herausfinden. Ich habe mir überlegt, ich werde kündigen. Ich will ausprobieren, wie es ist, wenn wir nicht mehr zusammen arbeiten. Werde ich ihn vermissen?«

Toni legte die Stirn in Falten.

»Und wie ist es jetzt? Vermisst du ihn? Sehnst du dich nach ihm?«

Monika schaute ins Feuer.

»Wenn ich ehrlich bin, nein, ich vermisse ihn nicht. Im Gegenteil, ich bin sehr ärgerlich, dass er mich derart mit seinem Meinungswechsel überrumpelt hat.«

»Er wird es gut gemeint haben. Es hat ihn sicherlich Mühe gekostet, alles zu organisieren«, gab der alte Alois zu bedenken.

»Stimmt! Aber er kennt mich doch. Jürgen hätte wissen müssen, dass er mich damit überfährt. Er hat vollendete Tatsachen schaffen wollen. Dabei hat er auf meine Wünsche keine Rücksicht genommen. Heiraten am Ende der Welt, sage ich jetzt mal übertrieben, ohne meine Familie und meine Freunde, ohne eine richtige kirchliche Hochzeit, das ist himmelweit von dem entfernt, was ich mir erträumt hatte.«

Monika trank wieder einen Schluck Tee.

»Ich denke, Jürgen wollte mich damit weniger freudig überraschen, vielmehr wollte er alles problemlos so haben, wie es ihm passt. Langsam reift in mir ein Gedanke: Ich hatte seine Willensstärke bisher sehr geschätzt. Aber jetzt wird mir bewusst, welch ein Ich-Mensch er ist. Das war mir bisher nicht aufgefallen. Liebe macht bekanntlich blind. Es ging immer nur darum, was er will, und ich passte mich an. Wenn ich ehrlich bin, habe ich es ihm sehr leicht gemacht. Ich verdrängte nach und nach alle meine Wünsche, bis auf den Wunsch, mit ihm zusammen zu sein. Deshalb gab ich wohl immer nach.«

»In einer guten Beziehung kann man über alles sprechen und bei unterschiedlichen Meinungen und verschiedenen Wünschen einen Kompromiss finden«, sagte Toni.

Monika nickte zustimmend.

»So war es bei uns nicht, niemals. Ich muss aus dieser Abhängigkeit raus. Erst wenn ich frei bin, kann ich entscheiden, wie es weitergehen soll. Er ist sehr dominierend. In seiner Nähe verliere ich mich selbst.«

Monika atmete tief durch. Sie nahm ihr Handy und tippte einen Text.

»So, das wäre erledigt«, sagte sie.

Toni sah sie fragend an.

»Okay, wenn du es wissen willst, sage ich es. Ich habe ihm geschrieben, dass ich nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen bin, dass sein und mein Leben nicht zusammenpassen. Außerdem hätte ich beschlossen, eine Weile in den Bergen zu leben. Deshalb kündige ich.«

Der alte Alois grinste.

»So machen das die jungen Leute heute, alles elektronisch. Ich kann mir das nicht vorstellen. Muss man sich dabei nicht in die Augen sehen?«

»Alois, so ist es einfacher. Und für mich sicherer. In meinem jetzigen Zustand wäre ich einer Auseinandersetzung mit ihm nicht gewachsen. Jürgen kann sehr überzeugend sein. Oft war ich seinen Argumenten nicht gewachsen. Als er mir diesen Antrag gemacht hatte, lief ich einfach aus dem Restaurant. Ich wollte nur noch fort.«

»Vielleicht kommt er auf die Berghütte?«

»Wenn er wüsste, wo ich bin, käme er bestimmt. Aber nur meine Tante weiß, wo ich bin. Und sie wird es ihm nicht verraten, weil sie nie besonders begeistert war von ihm. Ich werde sie gleich anrufen.«

Monika stand auf und ging auf die Terrasse. Das Telefonat war kurz.

Als sie sich wieder ans Feuer setzte sah sie viel entspannter aus. Sie lächelte vor sich hin.

»Alles geregelt!«, sagte sie. »Tante Johanna meinte, es sei eine kluge Entscheidung, mich von ihm zu trennen und gleich zu kündigen.«

»Denkst du, du findest eine neue Stelle?«, fragte der alte Alois.

»Aber ja! Außerdem kümmere ich mich erst im Herbst darum. Jetzt will ich daran keinen Gedanken verschwenden. Ich bleibe euch also bis zum Ende des Sommers erhalten.«

»Das freut mich. Die Kinder mögen dich. Mit deiner Entscheidung wirst du Jubelstürme bei Franzi und Basti hervorrufen«, sagte Toni.

Anna kam mit einer Tasse Tee und setzte sich zu ihnen.

»Hast du herausgefunden, worüber die beiden grübeln?«, fragte Toni.

»Ja, das habe ich. Paul Hofer hat eine Zahnspange bekommen und wird deswegen gehänselt. Vor allem, weil er mit der Spange im Mund etwas lispelt. Du weißt, dass eines der Fellbacher Kinder heute Geburtstag hatte. Es gab ein Hoffest, und es fehlte kaum ein Kind aus Waldkogel. Am Schluss lief Paul Hofer weinend nach Hause. Obwohl seine Schwester und Franzi und Basti ihm beistanden, wurde er verspottet.«

»Kinder können grausam sein«, sagte der alte Alois. »Und für einen Buben kann eine solche Hänselei noch schlimmer sein, als für ein Madl.«

Monika stimmte ihm zu. Sie kannte diese Probleme aus ihrer Praxis.

»Wenn es hilft, dann rede ich mal mit dem Paul.«

»Des ist eine sehr gute Idee«, stimmte ihr Toni zu.

Sie überlegten, wie das am besten zu arrangieren wäre. Anna hatte die einfachste Lösung. Basti und Franzi sollten ihre beiden besten Freunde auf die Berghütte einladen. Dann wäre es ein Leichtes für Monika, Paul Hofer zur Seite zu nehmen und mit ihm zu sprechen.

*

Es war nach Mitternacht. Astrid Wollner, die Trixi gerufen wurde, saß auf ihrem Bett in der Studentenbude, ein dickes Kissen im Rücken. Neben sich hatte sie eine Schachtel Pralinen, die sie sich geleistet hatte. Sie las einen besonders dicken Liebesschmöker. Trixi schwelgte in der Geschichte. Das junge Paar kannte sich schon lange. Sie waren befreundet, weil sie als Nachbarskinder aufgewachsen waren. Beide waren auf der Suche nach der Frau, beziehungsweise nach dem Mann fürs Leben. Sie sprachen oft darüber und vertrauten sich ihre Erlebnisse an. Dabei stellte jeder für sich fest, dass das Gefühl der Freundschaft in ihren Herzen sich langsam, aber stetig änderte. Ist es Liebe, fragte sich jeder im Stillen. Sie verdrängten diese Gefühle und hielten sie nur für eine Verwirrung des Herzens, weil sie sich so gut verstanden. Aber das Gefühl der Liebe wurde stärker und stärker. Jeder überlegte, wie er damit umgehen sollte.

Trixi tauchte ganz in die Welt des Romans ein. Sie wollte das Buch unbedingt zu Ende lesen, obwohl sich über München bereits der Morgen ankündigte.

Das Telefon klingelte. Auf dem Display erschien Miras Nummer. Mira war Trixis Freundin. Sie hatten sich über einen Aushilfsjob in einem Kino kennengelernt, wo sie abwechselnd an der Abendkasse arbeiteten. Mira hatte ihr Studium abgeschlossen, aber noch keinen festen Arbeitsplatz gefunden.

Trixi ließ es bimmeln. Der Roman war einfach zu spannend.

Das nervige Klingeln verstummte endlich. Trixi atmete auf und las weiter.

Es wurde romantisch. Der Held und die Heldin gaben sich beim Abschied vor der Haustür einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange, wie sie es immer taten. Doch diesmal blieb es nicht dabei. Sie nahmen sich in die Arme und küssten sich leidenschaftlich.

Da klopfte es an Trixis Tür.

»Trixi, bist du da?«, rief jemand draußen. »Natürlich bist du da! Ich habe vom Parkplatz aus Licht in deinem Zimmer gesehen. Mach auf!«

Trixi legte ein Buchzeichen zwischen die Seiten, stand auf und öffnete Mira die Tür.

»Was willst du um diese Tageszeit?«, fragte Trixi. »Weißt du, wie spät es ist?«

»Du bist doch noch wach. Außerdem habe ich versucht, dich anzurufen. Warum hast du nicht abgenommen? Was war ich froh, als ich Licht in deinem Zimmer sah. Ich hatte nämlich solche Angst, dir könnte etwas passiert sein. Das ließ mir keine Ruhe. Ich konnte einfach nicht schlafen. Deshalb bin ich hergefahren. Geht es dir gut?«

Trixi sah Mira überrascht an und schüttelte den Kopf.

Mira setzte sich.

Trixi nahm wieder den Platz auf ihrem Bett ein. Sie schob sich eine Praline in den Mund und ließ sie genüsslich auf der Zunge zergehen.

»Was ist los, Mira? Mir wäre es lieb, wenn du gleich zur Sache kommst. Denn ich will auf jeden Fall das Buch zu Ende lesen.«

Mira sah sie ernst an.

»Dir droht eine schlimme Gefahr. Dabei ist ›schlimm‹ noch sehr untertrieben. Ich habe gependelt, die Karten gelegt und die Runen geworfen. Egal, welche Methode ich angewendet habe, ich erzielte immer das gleiche Ergebnis: Du bist in großer Gefahr.«

Trixi grinste. Sie wusste, dass Mira sich ihr Einkommen mit Kartenlegen, Kaffeesatzlesen und anderem Hokuspokus aufbesserte. Die Kenntnisse darüber hatte Mira von der Schwester ihrer Großmutter.

»Grinse nicht, Trixi, es ist ernst!«

»Mira, wenn deine Klienten daran glauben, dann ist es ihre Sache. Das ist doch wie in der Werbung, da wird auch vieles versprochen. Die Kunden glauben dann, das neue Waschpulver mit verbesserter Rezeptur wäscht weißer.«

»So, ist das nicht, Trixi. Ich kenne deine Vorbehalte. Und ich hatte dich damit auch nie behelligt. Wir sind befreundet und deshalb habe ich nie etwas gesagt. Ich muss dir allerdings gestehen, dass ich, seit wir uns kennen, heimlich die Karten für dich gelegt und dein Horoskop erstellt habe. Das tue ich für alle, die zu meinem Freundeskreis gehören.«

»Ich habe dich nicht darum gebeten, Mira!«

»Trixi!«, Mira schaute die Freundin verzweifelt an. »Trotzdem muss ich dich warnen! Ich rede nicht nur so daher. Ich dachte mir schon, dass du mich auslachst. Aber ich schätze dich sehr, Trixi. Deshalb war ich im Konflikt. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich nicht warnen würde. Sollte dir etwas zustoßen, was ich vorausgesehen habe, und ich habe nichts gesagt, dann müsste ich mir mein ganzes Leben Vorwürfe machen. Das kann ich vor meinem Gewissen nicht verantworten.«

Trixie rollte entnervt mit den Augen.

Mira schaute Trixi sehr ernst an.

»Ich will den Spieß umdrehen, Trixi. Stell du dir mal vor, du wüsstest, dass mir etwas Schlimmes passieren würde. Dann würdest du mich doch auch darauf ansprechen und warnen oder? Nehmen wir an, ich würde einen Mann kennenlernen, den du aus deinem großen Bekanntenkreis kennst. Du weißt, dass er ein Hallodri ist, meinetwegen ein Spieler, mit chronischen Geldsorgen. Dir ist bekannt, dass er verschiedene Freundinnen immer um Geld anpumpte, es aber nie zurückgab. Würdest du mich dann nicht vor ihm warnen?«

»Aber das ist doch etwas ganz anderes, Mira. Der Typ wäre konkret. Ihn gäbe es wirklich, mit all seiner Spielsucht und den Verführungskünsten. Natürlich würde ich dich warnen.«

Mira lächelte und nickte.

»Siehst du, Trixi, und bei mir ist es genauso. Ich muss dich einfach warnen. Es steht nicht gut um dich. Du bist in Gefahr.«

»Mira, höre auf! Ist nicht jeder in Gefahr? Ich kann morgen über die Straße gehen und überfahren werden. Ich kann auf einer Bananenschale ausrutschen. Das sind doch alles Hirngespinste!«

Mira sah beleidigt aus. Sie atmete tief durch.

»Okay, Trixi, darauf will ich nicht eingehen. Ich sage dir nur, dass ich Angst um dich habe. Als ich die Karten gelegt hatte, dachte ich, ich habe einen Fehler gemacht. Also mischte ich sie neu und legte sie noch einmal. Ich erhielt das gleiche Ergebnis. Dann wählte ich andere Methoden. Da sah es noch düsterer aus. Ich war höchst beunruhigt. Ich rief sogar kurz vor Mitternacht meine Großtante an. Du weißt, sie hat mir alles beigebracht. Ich holte die alte Frau aus dem Bett. Sie war ärgerlich. Aber ich konnte ihr schließlich alles erzählen. Sie legte daraufhin für dich die Karten. Ihre Karten bestätigten meine Erkenntnisse.«

»Gut, dann sage, was es ist, und ich verspreche dir, dass ich darüber nachdenke.«

»Das ist mir nicht genug, Trixi. Du musst handeln.«

»Mira, Mira, wie soll ich das machen?« Trixi stand auf und machte Kaffee.

»Also, meine Großtante mehr herausgefunden, als ich.«

»So?«

»Ja, Trixi! Hier in München ist die Gefahr für dich sehr groß. Hier ist der Mittelpunkt deines Gefahrenfeldes. Je weiter du dich von der Stadt entfernst, desto kleiner wird die Gefahr. Das bedeutet nicht, dass sie verschwindet. Es gibt sie, diese Gefahr, überall. Ich habe lange mit meiner Großtante gesprochen. Sie meinte, es wäre gut, wenn du München für mindestens zwei Wochen verlassen würdest. Du könntest verreisen.«

»Du spinnst, Mira! Ich arbeite die nächsten beiden Wochen jeden Abend im Kino.«

»Das weiß ich. Dafür habe ich eine Lösung: Ich übernehme deine Schicht.«

»Das nutzt mir nichts. Ich brauche das Geld.«

»Ich arbeite für dich und gebe dir das Geld. Du hast dann keinerlei finanziellen Verluste.«

Trixi musste lachen.

Mira saß ganz ruhig da und verzog keine Miene.

»Dir ist es wirklich ernst damit?«, fragte Trixie nun doch etwas irritiert zurück.

»Ja, ja, ja! Mir geht es nur darum, dass du an einem Ort bist, der sicherer ist, als München. He, Trixi, du bist meine beste Freundin. Denke doch einfach, ich würde dir eine Reise schenken oder ich hätte gebucht und könnte nicht verreisen, aus irgendwelchen Gründen. Damit die Reise nicht verfällt, überlasse ich sie dir.«

Trixi lachte wieder. Aber ihre Sicherheit begann auf unsicheren Füßen zu stehen. Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie lächelte schräg. »Du meinst, ich könnte auf deine Kosten Urlaub machen? Das ist ein reizvoller Gedanke.«

»Wann bist zu zum letzten Mal in Urlaub gewesen?«, fragte Mira.

Trixi konnte nur anführen, dass sie im Jahr zuvor einmal ein langes Wochenende verreist war. Sie hatte keine Zeit. Das Studium nahm sie in Anspruch und in den Semesterferien jobbte sie, damit sie für das nächste Semester ein kleines finanzielles Polster hatte.

»Nehmen wir mal an, dass ich dein Angebot annehme. Dann hätte ich das Gefühl, ich würde dich ausnutzen.«

»Wieso? Trixi, wir sind doch Freundinnen.«

»Weil du an dieses Zeug glaubst, und ich den Nutzen hätte. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.«

Jetzt wurde Mira ärgerlich.

»Aber dass ich mir Sorgen mache, nicht schlafen kann, das kannst du mit deinem Gewissen vereinbaren?«, schrie Mira fast verzweifelt.

»Beruhige dich, Mira! Ich finde es ganz reizend, wie viele Gedanken du dir machst. Ich weiß das auch zu schätzen. Doch diesen Hokuspokus, den lehne ich ab. Ich habe ihn immer abgelehnt und ich werde damit jetzt auch nicht anfangen. Du bist meine beste Freundin. Ich schätze dich wirklich, Mira. Aber diese Seite an dir verstehe ich nicht. Ich fürchte mich davor, mich in diesen Aberglauben hineinziehen zu lassen. In einer Zeitschrift habe ich gelesen, dass man nach diesem Aberglauben süchtig werden kann.«

»Das ist Schwachsinn! Ich könnte dir viele Fälle nennen, in denen ich Recht hatte. Oder ich gebe dir die Telefonnummer meiner Großtante. Sie heißt auch Mira. Ich bin nach ihr benannt. Du rufst sie morgen an und redest mir ihr, wenn du mir nicht glaubst.«

Trixi stöhnte.

»Mira, das hat doch nichts damit zu tun, dass ich dir nicht glaube. Ich bin Realistin. So wurde ich erzogen. Nur das, was du siehst und was du dir selbst erarbeitest, ist wirklich, sagen meine Eltern. Sie sind sehr bodenständig.«

»Trotzdem gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht mit unserem logischen Verstand erklärbar sind, Trixi.«

Mira gähnte, sie war erschöpft, vom Versuch, ihre Freundin zu überzeugen. Sie wusste auch nicht mehr, was sie noch sagen sollte.

»Du solltest heimgehen, Mira«, sagte Trixi. »Jetzt hast du dir wegen mir die Nacht um die Ohren geschlagen. Glaube nicht, dass ich das nicht zu schätzen weiß. Aber an diese drohende Gefahr, die über mir schweben soll, glaube ich nicht, darauf gebe ich keinen Pfifferling.«

»Du musst es nicht glauben. Du musst mir nicht glauben, Trixi. Ich bitte dich nur zu verreisen. Es ist doch alles ganz einfach: Du fährst irgendwohin, und ich arbeite für dich. Du würdest mir damit sehr helfen. Sonst schlafe in den nächsten beiden Wochen nicht. Keine einzige Nacht! Bitte, bitte, liebe Trixi, beste Freundin, tue es mir zuliebe. Es ist doch nicht zu deinem Nachteil!«

Trixi stöhnte. Sie trank einen Schluck Kaffee. »Genügt es dir, wenn ich dir verspreche, dass ich es mir überlege?«

»Das ist ein Anfang. Aber du solltest nicht zu lange überlegen. Mit jedem Tag, den du hier in München bleibst, steigt die Gefahr für dich.«

»Okay, ich rufe dich morgen an und gebe dir Bescheid. Einen Schlüssel zu meiner Bude hast du. Du müsstest meine Pflanzen gießen.«

»Klar, das mache ich. Und ich leere deinen Briefkasten.« Mira zögerte. »Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn du mir erlaubst, deine Post zu öffnen und zu lesen. Dir kann von überallher etwas Schlimmes drohen.«

»Himmel, Mira!«, stöhnte Trixi.

»Du verstehst mich nicht. Du bist für mich wie die Schwester, die ich nie hatte, Trixi.«

»Okay, jetzt ziehen wir einen Schlussstrich, Mira. Du gehst jetzt. Ich bin müde, trotz des Kaffees. Ich rufe dich um die Mittagszeit an.«

»Das ist wenigstens etwas«, seufzte Mira.

Resignation lag in ihrer Stimme. Sie stand auf und griff nach ihrer Handtasche.

Trixi rutschte vom Bett. Sie umarmte Mira und sagte ihr, wie gerührt sie von ihrer Besorgnis sei, wenn sie auch ihre Vorbehalte gegen diesen Hokuspokus hatte. Dann brachte sie Mira zur Tür.

Die Freundinnen umarmten sich noch einmal.

Mira ging die Treppe hinunter. Trixi schloss die Tür und trat ans Fenster. Sie schaute Mira nach, wie sie in ihrem kleinen Auto davonfuhr.

Trixi war müde. Sie hätte den schönen Liebesroman gern zu Ende gelesen. Aber so verschob sie es auf den Nachmittag. Sie legte sich schlafen.

Es war Mittag. Die Sonne schien durch das große Altbaufenster ins Zimmer. Trixi stand auf und brühte frischen Kaffee auf. Sie stellte sich ans Fenster und trank den großen Becher Schluck für Schluck aus. Aber sie fühlte sich nicht viel besser.

Sie hatte sehr schlecht geschlafen. Im Traum war sie durch eine große Stadt gerannt. In diesem Alptraum war sie um ihr Leben gerannt. Sie erinnerte sich, wie sie nach Atem gerungen und sich nach Sicherheit in einem Versteck gesehnt hatte. Doch es gab keinen Ort, der ihr hätte Sicherheit geben können. Trixi versuchte sich zu erinnern, wer oder was sie verfolgte hatte und warum. Es fiel ihr nicht ein. Doch der Traum hatte ein ungutes Gefühl hinterlassen. Sie fühlte sich schlapp.

Das kommt nur von Miras dummem Gefasel, dachte Trixi.

Sie ging ins Bad, das war eine kleine Kammer, die von ihrem großen Zimmer abgeteilt war, und nahm eine Dusche. Auch danach fühlte sie sich nicht besser.

Sie versuchte, im Roman weiter zu lesen. Aber ihre Augen glitten über die Zeilen, ohne sich auf den Inhalt der Handlung konzentrieren zu können. Stattdessen spukte ihr Miras Besuch im Kopf herum. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie sich von Mira doch beunruhigen lassen hatte.

Während sie mit dem Rücken zum Fenster saß, damit die heiße Mittagssonne ihre frisch gewaschenen Haare trocknete, schaute sie sich im Zimmer um. Ihr Blick fiel auf eine bunte Schachtel im Regal. Es war ein beklebter Schuhkarton. Darin bewahrte sie Fotos auf.

Sie holte die Schachtel und das dicke Heft, das sie gekauft hatte. Schon lange wollte sie Bilder einkleben und etwas dazu schreiben. Dann suchte sie im Schreibtisch nach Klebstoff.

Die Aufnahmen, die zuoberst in der Schachtel lagen, waren die Bilder ihres Wochenendurlaubs auf der Berghütte in Waldkogel.

Trixi lächelte vor sich hin, als sie die Fotos einklebte und unter jedes einen Text schrieb. Sie notierte die Namen der abgelichteten Personen.

Es waren mehrere Bilder dabei, die das Essen auf der Berghütte zeigten, leckere Rösti-Pfannen, Teller mit Alois' Eintöpfen und hausgebackenem Brot, Annas Obstkuchen mit Sahne.

Trixi hielt inne. Sie kaute auf dem Stift herum und schaute aus dem Fenster. Dabei sah sie die Hauswand auf der anderen Straßenseite nicht. In Gedanken saß sie auf der Terrasse der Berghütte, hoch über Waldkogel, und blickte über das liebliche Tal.

»Vielleicht sollte ich Miras Angebot annehmen. Ich könnte nach Waldkogel reisen. Sie übernimmt ja meine Schicht«, flüsterte Trixi vor sich hin.

Sie lehnte sich zurück und betrachtete die Fotos. Sehnsucht packte ihr Herz. Es war ein wunderschönes Wochenende in Waldkogel gewesen. Ihre Eltern hatten ihr den Aufenthalt in den Bergen geschenkt, nach dem Prüfungsstress des Zwischenexamens.

Trixi ging in Gedanken ihre Wanderausrüstung durch.

Der Rucksack lag oben auf dem Schrank. Sie hob ihn herunter und prüfte den Inhalt. Trixi war sehr ordentlich und hatte die Sachen gewaschen und gebügelt im Rucksack verstaut.

Sie breitete alles auf dem Bett aus. Dann zog sie die dicken Socken an und die Wanderschuhe. Damit ging sie in dem großen Altbauzimmer auf und ab. Das Zimmer war Teil einer großen Altbauwohnung, in der jedes Zimmer an Studenten vermietet war.

Es klopfte an der Tür.

»Herein!«, rief Trixi.

Die alte Hausbesitzerin, eine sehr freundliche Dame, trat ein. Sie hatte einen Blumenstrauß in der Hand.

»Die Blumen wurde für dich abgegeben. Da ist auch ein Zettel dabei, Trixi.«

Frau Kleiners Kinder lebten im Ausland und fehlten ihr sehr. Sie ging darin auf, ihre Studenten zu bemuttern. Das tat sie, ohne aufdringlich zu sein.

»Willst nicht nachsehen, was auf dem Zettel steht?«, fragte sie.

Trixi holte eine Vase. Sie gab Wasser hinein und stellte die Blumen hinein. Dann las sie.

»Die Blumen sind von Mira, meiner besten Freundin. Sie entschuldigt sich dafür, dass sie mich heute Nacht gestört hat.«

»Und deshalb schickt sie Blumen?«, staunte Frau Kleiner, die Mira von Trixis Geburtstagsfeier kannte.

»Sie kennen ja Mira, sie ist sehr lieb, aber sie ist auch etwas spinnert.«

»Ach, du meinst, wegen ihrem Hang zum Übersinnlichen?«

»Genau deshalb, Frau Kleiner. Mira kam nach Mitternacht zu mir und wollte mir erzählen, dass ich hier in großer Gefahr schwebe und München mindestens für zwei Wochen verlassen solle. Die hat doch einen Vogel! Habe ich spontan gedacht. Aber sie meint es richtig ernst. Mira ist sehr beunruhigt. Sie will für mich sogar die Schicht übernehmen und mir das Geld geben, damit ich keinen Verlust habe.«

»Dann ist es ihr damit tatsächlich ernst, Trixi«, bemerkte die alte Dame. »Und du hast dich entschlossen, wandern zu gehen?«

Frau Kleiner zeigte auf die Schuhe und die Sachen auf dem Bett.

»Ich bin noch am Überlegen«, gestand Trixi. »Ich halte nichts von dem übersinnlichen Zeug. Wenn ich ihr Angebot annehme, dann gebe ich Mira recht. Das will ich nicht.«

Frau Kleiner sah Trixi an.

»Ich finde Mira eigentlich sehr sympathisch. Sie ist ein mütterlicher Typ und sorgt sich um jeden. Sie hat ein schlechtes Gewissen. Deshalb kam sie zu mir und bat mich, die Blumen abzugeben.«

»Mira, Mira, Mira!«, stöhnte Trixi. Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich machen soll.«

»Du machst natürlich Urlaub, Trixi. Wenn es Mira so ernst mit der Sache ist, und es dir zu einem schöne Urlaub verhilft, warum nicht? Wo willst du hin?«

»Vielleicht fahre ich nach Waldkogel. Ich habe mich noch nicht entschieden.«

Frau Kleiner meinte, das sei eine gute Idee. Sie bestärkte Trixi in ihrem Entschluss, doch zu fahren.

»Sie haben mich überzeugt, Frau Kleiner«, sagte Trixi.

»Ach, da fällt mir etwas ein. Mira hat mich beauftragt, dir noch etwas auszurichten. Das hätte ich jetzt beinahe vergessen. Sie bittet dich, vorsichtig zu sein und dich von Menschen fernzuhalten. Gestalten könnten auf dich zukommen, die es nicht gut mit dir meinten. Sie will dich vor einer großen Enttäuschung bewahren.«

Trixi lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich. Mira hatte sie jedes Mal eindringlich gewarnt und sie hatte jedes Mal recht gehabt. Die Männer hatten Trixi nur enttäuscht.

»Okay, ich mache zwei Wochen Urlaub in Waldkogel, Frau Kleiner«, sagte Trixi laut. Ihre Stimme klang sehr entschlossen. »Mira hat einen Schlüssel. Sie wird meine Blumen gießen und nach der Post sehen.«

»Gut!«, sagte Frau Kleiner. »Du bist ziemlich blass. Die frische Bergluft wird dir guttun, Trixi.« Frau Kleiner verabschiedete sich. An der Zimmertür drehte sie sich noch einmal um: »Vergiss nicht, mir eine schöne Ansichtskarte von Waldkogel zu schicken!«

»Ich verspreche es, Frau Kleiner!«

Trixie schmunzelte ein wenig, sie wusste, dass die alte Dame in ihrem Flur alle Ansichtskarten aufhängte, die ihr ihre Studenten zukommen ließen.

Trixi packte und zog sich an. Dann schickte sie Mira einen SMS.

Sie lautete: »Liebe Mira!

Danke für die Blumen! Da ich mich entschlossen habe, in die Berge zu fahren, nimm Du den Blumenstrauß mit zu Dir oder gib ihn Frau Kleiner, wenn Du herkommst und meine Blumen gießt und nach der Post schaust.

Auf der Berghütte werde ich bestimmt wunderschöne Tage erleben. Ich freue mich schon darauf, bald wieder auf einem Berggipfel zu stehen. Danke, dass Du meine Schicht übernimmst! Ich weiß Deine Besorgnis zu schätzen. Du hättest mir die Blumen auch persönlich geben können.

Ganz liebe und herzliche Grüße

Trixi«

Es dauert nicht lange, dann kam eine SMS zurück.

»Liebe Trixi!

Ich hatte keine Zeit, weil jemand zu mir kommen wollte, für den ich einen Blick in die Karten werfen soll. Es freut mich, dass du Urlaub machst.

Aber ich warne Dich! Sei bitte vorsichtig!

Halte Dich von allem fern, was gefährlich werden könnte. Klettere nicht auf die Berggipfel und sei bei Wanderungen sehr vorsichtig!

Deine Mira«

Trixi las und schüttelte den Kopf. Aber ganz konnte sie die Angst nicht verdrängen, die sie inzwischen erfasst hatte wie ein ansteckender Virus. Sie schaltete ihr Handy aus. Dann schulterte sie den Rucksack und ging zu ihrem Auto.

Sie tankte und machte sich auf den Weg in die Berge.

*

Toni trug einen Berg schmutziges Geschirr in die Küche und stellte es neben die Spüle.

»Sind sie gegangen?«, fragte Anna.

»Ja und sie haben sich alle mit Handschlag verabschiedet und die Trinkgelder sind reichlich geflossen. Sie wollen wiederkommen.«

Anna stemmte die Arme in die Seite und setzte sie sich auf einen Küchenstuhl.

»Das war vielleicht ein Ansturm! Ich habe nichts gegen Tagesausflügler, Toni. Aber eine so riesige Gruppe, zig Leute, und dann noch unangemeldet, die hat meinen ganzen Plan durcheinandergebracht. Hast du dem Leiter des Vereins gesagt, sie möchten sich bitte vorher anmelden, wenn sie erneut zu uns kommen wollen?«

Toni schenkte Anna einen großen Becher Kaffee ein.

»Ja, ich habe es ihm gesagt und ihm meine Handynummer gegeben. Er hat versprochen, dass er das nächste Mal vorher anruft.«

»Toni, wir haben keine Milch und Sahne mehr, auch der Käse ist ausgegangen. Der große Topf mit Alois' Eintopf ist leer. Wir haben keine einzige Scheibe Brot mehr. Ich werde heute Abend noch backen müssen. Als ich abschätzte, wie viel sie verzehren würden, habe ich schon Teig angesetzt.«

»Anna, du kannst auch morgen Früh backen«, sagte Toni.

»Und was soll es zum Frühstück geben?«

»Müsli für alle! Oder ich fahre früh runter ins Tal und besorge beim Bäcker was.«

»Nein, das kommt nicht infrage! Lass mir nur Zeit, den Kaffee zu trinken. Ich spüle das Geschirr, danach backe ich. Zum Glück haben wir zurzeit fast nur Stammgäste da, die sich nicht aufgeregt haben, weil sie auf ihr Essen warten mussten. Einige haben sogar mitgeholfen.«

Anna trank ihren Kaffee.

»Du bist sehr müde, wie?«, fragte Toni.

»Nein, viel Arbeit macht mir nichts aus. Es war der Trubel. Die Tagesgäste waren laut und hektisch. Alles musste möglichst schnell gehen.«

»Das stimmt. Es waren Städter, Anna. Augen für die schöne Natur hatten sie auch nicht. Ich frage mich, warum die in den Bergen wandern? Sich über ihre Autos ihre anderen Urlaube und ihre Feiern unterhalten, können sie auch daheim. Beim Bedienen habe ich so einiges gehört.«

Anna lächelte. »Toni, ich denke, auf den großen Berghütten wird es jeden Tag so zugehen, meinst du nicht auch? Das wäre auf die Dauer nichts für mich. Ich mag es lieber leiser, und wenn die Gäste sich von der Ruhe der schönen Bergwelt beeindrucken lassen. Ich mag eben Hüttengäste, wie unsere vielen Stammgäste. Das sind angenehme Gäste.«

»Anna, da stimme ich dir zu. Ich verspreche dir, dass es auf Dauer nie so hektisch werden wird. Dafür sorge ich. Ich will nicht, dass die Gemütlichkeit und die familiäre Atmosphäre leiden.«

Anna schenkte Toni einen dankbaren Blick.

Sie trank ihren Kaffee aus. Dann fing sie an, das Geschirr zu spülen, denn nach dem Ansturm gab es weder einen sauberen Becher, noch einen Teller, noch Besteck. Anna hatte sogar ihr gutes Geschirr und Besteck aus dem Wohnzimmer holen müssen, damit allen Gästen serviert werden konnte.

Toni spülte am Tresen die Gläser. Der alte Alois, der beim Servieren und in der Küche geholfen hatte, hatte sich bereits zurückgezogen. Das kam selten vor, doch es war viel Arbeit gewesen. Franziska und Sebastian halfen Toni und trockneten ab.

»Wir besitzen eine Waschmaschine. Eine Spülmaschine wäre auch sehr praktisch«, sagte Basti.

Anna musste schmunzeln.

»Tage wie diese sind hoffentlich selten, Basti. Ich werde nie mehr mein gutes Geschirr rausholen«, sagte Anna.

Es war ein Versprechen, das sie sich selbst gab.

»Bei einem solchen Ansturm gibt es nur eine Methode. Das machen sie auf der Kirmes auch so. Dort wird das Essen auf Papptellern serviert und es wird aus Pappbechern getrunken«, erklärte Basti.

»Bier aus Papierbechern, iiiiiih, das schmeckt doch nicht«, rümpfte Franzi die Nase.

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß das vom Baumberger Opa. Er hat es gesagt«, beharrte Franzi. »Bier schmeckt am besten aus einem steinernen Bierseidel oder aus einem Glas, hat Opa Xaver gesagt.«

Anna schmunzelte.

Toni, der hinter dem Tresen zugehört hatte, kam in die Küche.

»Anna, die Idee vom Basti ist gut. Ich werde mich erkundigen und mehrere Kisten mit Tellern, Pappbechern und Einmalbesteck kaufen. Wir lagern es im Schuppen. Sollte mal wieder so ein Ansturm kommen, sind wir gerüstet. Wie denkst du darüber?«

»Gute Idee! Achte darauf, dass die Sache brennbar sind. Dann können wir sie im Kamin verbrennen, nachdem sie benutzt wurden. Sonst müssten wir das ganze Zeug wieder ins Tal bringen«, sagte Anna.

»Gute Idee, Anna«, stimmte ihr Toni zu.

Alle waren noch Stunden damit beschäftigt, Ordnung zu schaffen. Nachdem Toni mit den Gläsern fertig war, löste er Anna beim Spülen ab, damit sie Brot backen konnte.

Irgendwann kam Alois in die Küche.

»Mei, seid ihr fleißig gewesen!«, sagte er.

Dabei warf er zufällig einen Blick aus dem Küchenfenster auf den Holzplatz hinter der Berghütte.

»Toni, dort sitzt ein Madl am Tisch, an dem die Kinder sonst spielen und liest ein Buch.«

Alle drängten sich ans Fenster und schauten hinaus.

»Tatsächlich«, sagte Toni. »Ich werde gleich rausgehen.«

Er trocknete sich die Hände ab und eilte auf die Rückseite der Berghütte.

»Mei, Trixi!«, rief er. »Warum sitzt du hier? Seid wann bist hier? Grüß Gott!«

Trixi legte ein Buchzeichen zwischen die Seiten.

»Grüß Gott, Toni! Dass du mich erkannt hast und sogar noch meinen Namen weißt?«, wunderte sie sich.

Toni der Hüttenwirt 258 – Heimatroman

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