Читать книгу Toni der Hüttenwirt 260 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 3

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»Schade, dass du nicht mit zurück nach Waldkogel kommst!«, sagte Alexander. Dabei behielt er die rote Ampel im Blick. Sie sprang schnell über Gelb auf Grün. Er legte den Gang ein. Das Getriebe seines Geländewagens gab ein lautes rasselndes Geräusch von sich.

»Autsch!«, sagte Monika.

Alexander fuhr an.

»Willst du es dir nicht noch mal überlegen?«, fragte er.

»Nein, ich habe Tante Johanna und Onkel Adam versprochen, dass ich heute bei ihnen vorbeikomme. Klar könnte ich mir eine Ausrede einfallen lassen. Doch das möchte ich nicht.«

»Das ist sehr schade. Es war ein schöner Tag. Der Stadtmarathon hat großen Spaß gemacht. Wir können Stolz auf uns sein. Obwohl wir nur Freizeitsportler sind, haben wir gute Plätze belegt.« Er lächelte sie an. »Ich gestehe, dass ich ohne dich bestimmt nicht so weit vorn im Feld gelandet wäre«, sagte Alexander. »Aber ich konnte mir doch vor dir keine Blöße geben.«

Monika schmunzelte und warf ihm einen Seitenblick zu. »Du musstest dich mächtig anstrengen. Aber du hast tapfer durchgehalten. Ich wäre stehen geblieben, wenn du nicht mehr weiter gekonnt hättest.«

»Das hättest du wirklich gemacht? Du bist gelaufen wie eine Gazelle. Ich bewundere dich.«

»Danke für das Kompliment! Aber es ist nicht mein erster Stadtmarathon, wie du weißt. Ich bin immer gut ins Ziel gekommen.«

»Deshalb wäre es nicht richtig gewesen, wenn du wegen mir aufgegeben hättest.«

»Schmarrn! Das ist wie am Berg. In einer Seilschaft nimmt man aufeinander Rücksicht, oder man klettert allein.«

»Und am Berg sind wir eine richtig gute Seilschaft, ein super Team, nicht wahr, Moni?«

»Das sind wir«, strahlte sie ihn an.

»Wie lange bleibst du noch in Waldkogel?«

»Das habe ich noch nicht entschieden. Irgendwann werde ich mich entscheiden müssen.« Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. »Waldkogel gefällt mir. Die Leute sind nett. Es hat mir viel Freude gemacht, den Vortrag über Zahnregulierung zu halten. Dass mich danach alle bestürmten und sich von mir die Zähne untersuchen lassen wollten, war sehr schmeichelhaft. Ich frage mich, ob da jemand etwas nachgeholfen hat?«

Alexander sah stur auf die Straße. »Ich nehme an, das hast du Paul Hofer zu verdanken, wenn es so ist. Er ist so begeistert von dir, dass er nicht mehr Förster werden will, sondern Zahnarzt.«

Monika lachte.

»Kinder schwärmen immer für den Beruf ihres Idols. Dass ich zurzeit Pauls Schwarm bin, darüber lässt er keine Zweifel aufkommen. Doch das geht vorbei. Er ist ein herziger Bub. Na ja, Bub kann man nicht mehr so mit ganz gutem Gewissen sagen. Er ist schon fast ein junger Bursche. Aber gerade in den letzten Jahren der Pubertät sind Buben besonders empfindlich. So wunderte es mich nicht, dass er Tränen vergoss und sich wie ein kleiner Bub benahm. Es ist die Zeit, da beginnen die Buben nach den Madln zu schauen, und die ersten zarten Liebesgefühle blühen auf. Wenn man dann, wie Paul, wegen der Zahnspange gehänselt wird, tut das doppelt weh.«

»Das stimmt«, stimmte ihr Alexander zu. »Dazu kommt der Stress mit den Eltern. Ich erinnere mich noch gut, wie es bei mir in dem Alter war. Ich wollte mich besonders erwachsen benehmen und eckte bei meinen Eltern laufend an. Das traf mich sehr. Ich fühlte mich unverstanden und ungeliebt.«

Monika schmunzelte. »Jeder, ob Bub oder Madl, muss da durch.«

»Richtig! Doch wenn ich mit dir auf der Berghütte bin, wundere ich mich über Basti und Franzi. Bei denen scheint es anders zu sein. Sie sind nie launisch und schroff und schmollen nicht, wie viele in ihrem Alter.«

Inzwischen hatte Alexander vor dem Haus von Monikas Verwandten geparkt. Monika löste den Sicherheitsgurt, blieb aber sitzen.

»Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht und schon mit Toni und Anna gesprochen. Es war vor einigen Tagen, als Franzi und Basti schon auf ihren Zimmern waren. Anna meinte, die beiden seien eben anders, weil sie vor Jahren ihre leiblichen Eltern verloren haben. Anna und Toni sagten, die beiden seien ihnen manchmal unheimlich, weil sie so vernünftig sind.«

»Das war damals sehr schwer für die beiden Kinder. Alle in Waldkogel litten und trauerten mit ihnen. Dieses dramatische Erlebnis ließ sie früher reifen. Es sieht so aus, als würden sie die Pubertät einfach überspringen, jedenfalls die üblichen Begleiterscheinungen.«

»Gut möglich, Alex! So sehen es Toni und Anna auch.«

»Du magst Franzi und Basti sehr. Das fällt mir jedes Mal auf, wenn ich auf der Berghütte bin.«

»Das stimmt, ich mag die beiden sehr.«

»Dann magst du Kinder im Allgemeinen?«

»Mm, Kinder zu haben, gehört zum Leben dazu. Das denke ich jedenfalls. Das war auch ein Punkt, über den ich mir mit Jürgen nicht einig werden konnte«, seufzte Monika. »Aber lassen wir das! Jürgen gehört zu einem anderen Leben, zu einem Lebensabschnitt, der für mich vorbei ist. Zum Glück habe ich noch rechtzeitig die Kurve bekommen.«

»Du wünscht dir eigene Kinder?«

»Welche Frau wünscht sich keine eigenen Kinder? Entschuldige, das habe ich falsch ausgedrückt. Für den Mann ist es leichter. Bei einer Frau tickt die biologische Uhr. Vielleicht werden mir deshalb Kinder versagt bleiben?«

Alexander sah sie überrascht an.

»Warum siehst du mich so erstaunt an, Alex? Ich bin Anfang Dreißig. Ich muss einen Mann kennenlernen, muss ihn gut finden, und wir müssen uns lieben. Darüber können Jahre vergehen.«

»Wenn das so ist, dann nimm doch mich! Ich liebe Kinder. Wir verstehen uns gut. Wir sind beide sportlich. Wir kennen uns erst seit kurzer Zeit, aber wir waren fest jeden Tag zusammen. Du weißt, wie es ist. Ist man zusammen in der Wand und will auf den Gipfel, dann merkt man schnell, ob man miteinander harmoniert. Wenn es nicht harmoniert, sollte man schleunigst die Bergtour abbrechen. Wir haben harmoniert, Moni. Für mich war es und ist es, als würden wir uns schon lange kennen. Willst du mich, Moni? Nimm mich! Du spürst doch auch die innige Verbundenheit zwischen uns? Ich nenne es Liebe. Wie nennst du es? Also!«

Monika starrte ihn mit großen Augen an. Sie wurde tiefrot im Gesicht. Ihr Herz raste. Sie spürte jeden Herzschlag. Es schlug schneller und kräftiger, als während des Münchner Marathons. Panik erfasste sie. Sie fühlte sich ertappt.

Sie riss ihren Rucksack, der im Fußraum stand an sich, sprang aus dem Auto, knallte die Autotür hinter sich zu und rannte davon.

Alexander sah ihr mit wundem Herzen nach, bis er sie nicht mehr sah. Dann startete er den Motor und fuhr davon. Er fuhr nicht weit. Dazu war er nicht fähig. Er suchte sich einige Straßen weiter einen Parkplatz und hielt an. Dort saß er, bis es dunkel wurde und dachte an Moni und seine unbedachten Worte. Er ärgerte sich, dass er so ungeschickt gewesen war. Dabei war es doch klar, dass es zwischen ihnen knisterte. Er hätte Moni gern geküsst und ihr seine Liebe gestanden. Aber selbst als sie allein auf dem Gipfel des ›Engelsteigs‹ gewesen waren, hatte er kein Wort hervorgebracht. Obwohl er sich einbildete, dass sie auch etwas für ihn empfand, war sie immer auf Distanz gegangen. Sie war die perfekte Bergkameradin, die liebe gute verlässliche sportliche Bergfreundin. Ihre ganze Haltung hatte es ihm schwer gemacht, ihr näherzukommen, wie es sich ein verliebter Bursche wünscht. Dazu kam, dass sie sich weigerte, eine Einladung auf den Kirchner Hof anzunehmen. Selbst als sie dort im Wartezimmer den Vortrag über Kieferorthopädie und anschließend eine Sprechstunde abgehalten hatte, war sie ihm ausgewichen, als er sie zu seinen Eltern einlud.

Und jetzt musste ihm dieser missglückte Antrag herausrutschen. Was war er doch für ein depperter Hornochse!

Toni hatte viel Erfahrung in komplizierten Liebes-Angelegenheiten. Nicht nur Hüttenwirt war er, er ersetzte auch blendend die Hochzeiter, die es nicht mehr gab.

Dieser Gedanke gab ihm Hoffnung. Er startete seinen Wagen und machte sich auf den Weg nach Waldkogel.

*

Monika lief zum Anbau, in dem sie ihre Wohnung hatte und stellte sich mit den Sportkleidern unter die Dusche. Sie hielt das Gesicht in den Wasserstrahl des Duschkopfs und genoss das kalte Wasser. Aber es kühlte sie nicht ab. Sie glühte am ganzen Körper. Das kam nicht von dem stundenlangen Marathonlauf durch das sommerliche München.

Er hat mir einen Antrag gemacht. Es war doch ein Heiratsantrag oder nicht? Sie ärgerte sich, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte und sie kopflos davongelaufen war. Das Wasser lief und lief.

Monika hielt sich mit einer Hand am Griff fest, und mit der andern drehte sie den kalten Wasserhahn weiter auf.

So stand sie da.

Plötzlich kam kein Wasser mehr. Monika riss die Augen auf. Sie sah sich um.

In der Badezimmertür standen Tante Johanna und Onkel Adam und grinsten.

»Was ist mit dem Wasser?«, fragte Monika und drehte am Hahn.

»Adam hat den Hauptwasserhahn abgedreht. Wir haben dich einige Male angesprochen. Du hast uns nicht wahrgenommen. Da mussten wir etwas tun.«

Monika wischte sich mit den Händen das Wasser aus dem Gesicht und streifte es aus ihren Haaren.

»Ist das der neueste Trend? Duschen mit Laufschuhen und Trikot?«, fragte ihre Tante.

»Ich habe dringend eine Abkühlung gebraucht, sonst hätte ich wahrscheinlich das Bewusstsein verloren. Es war keine Zeit zu verlieren. Die Sachen trocknen wieder. Es war eine medizinische Notfallmaßnahme, sonst nichts.«

»Hat es mit dem gut aussehenden jungen Mann zu tun, der dich hergebracht hat?«, fragte ihre Tante. » Wir haben euch vom Balkon aus gesehen. Ihr habt im Auto gesessen und euch unterhalten. Wie heißt er? Wer ist er?«

Monika errötete.

»Also nein! ... Wie könnt ihr so was denken? ... doch, ... ach ..., es ist kompliziert«, stieß sie unsicher mit langen Pausen hervor.

»Aha!«, lachte ihre Tante. »Dann ist alles klar. Adam drehe den Haupthahn wieder auf! Und du, liebe Monika, benimmst dich jetzt erwachsen und nicht wie ein unreifer Backfisch!«

Monika wollte etwas einwenden, aber ihre Tante schnitt ihr mit einer energischen Handbewegung das Wort ab.

»Keine Widerrede! Du machst dich fertig, dann kommst du rüber zu uns. Hast du Hunger?«

»Nein!«

»Dann hast du schon gegessen?«

»Nein ...«

»Du willst doch nicht behaupten, du wärst nach dem Marathonlauf nicht hungrig?«

Monika zuckte mit den Schultern.

»Meine Diagnose ist eindeutig, Frau Doktor. Wir müssen darüber sprechen«, sagte ihre Tante und schmunzelte.

Tante Johanna und Onkel Adam gingen hinaus.

Monika trat aus der Dusche und hinterließ eine Wasserspur auf dem Boden. Sie zog sich aus, warf die nassen Sachen in die Badewanne und schlang ein Badetuch um sich.

Sie sah in den Spiegel und streckte sich selbst die Zunge heraus. Dann ging sie ins Schlafzimmer und zog sich an.

Kurze Zeit darauf ging sie hinüber zu ihren Verwandten, die auf der Terrasse saßen. Monika hatte die Hände tief in die Taschen ihrer Jeans vergraben.

Sie setzte sich in einen Korbsessel.

»Also, das mit dem kalten Wasser war wirklich eine notwendige Maßnahme. Mein Blut muss gekocht haben. Mir war so heiß, dass ich keine Zeit hatte, mich zu entkleiden. Ich dachte, ich kippe um.«

»Was hat dich so erhitzt? War es etwas Schönes oder etwas Ärgerliches?«, fragte der Onkel.

Monika errötete und wich seinem Blick aus.

»Hat dich der junge Mann so in Wut gebracht? Wie heißt er übrigens?«, fragte er nach.

»Alexander Kirchner heißt er, gerufen wird er Alex.«

»Ah, dann ist es der Naturbursche, mit dem du geklettert bist. Du hast den Namen am Telefon einige Male erwähnt«, sagte Onkel Adam.

»Genau der ist es. Aber ich schwöre euch, ich werde keine Klettertour mehr mit ihm machen. Nie, nie mehr!«, stieß Monika hervor. Ihre Stimme klang wütend, nahm aber schnell den Tonfall tiefsten Bedauerns an. »Es war alles so harmonisch. Wir verstanden uns gut, wir waren die besten, die allerbesten Bergkameraden. Wir waren mehrmals zusammen auf dem Gipfel des ›Engelssteigs‹.Wir sind gewandert und waren im Bergsee schwimmen. Wir liehen uns Pferde auf dem Reiterhof und unternahmen weite Ausritte. Es war einfach toll. Und heute gemeinsam den Marathon zu laufen, war einfach großartig. Wir machten Pläne, zusammen einen Kurs für Gleitschirmfliegen zu machen. Und jetzt so etwas!«

Onkel Adam schenkte ihr ein Bier ein. Sie trank.

»Das tut gut!«

»Also, wir wissen nur, dass er dich hergefahren hat. Wir hatten gehofft, dass du ihn mit hereinbringst, Moni«, bemerkte ihre Tante.

»Einen Augenblick dachte ich auch daran. Aber dann sah ich davon ab. Es hätte eine zu große Bedeutung gehabt.«

»Wieso? Es wäre doch nichts dabei gewesen«, sagte ihr Onkel.

»Doch! Dann wäre ich verpflichtet gewesen, die Einladung seiner Familie anzunehmen. Ihr habt keine Vorstellung, wie schwierig es für mich war, all die Einladungen abzulehnen und zu umgehen. Sein Verhalten vorhin hat mir gezeigt, dass ich mit meiner Vorsicht richtig lag.«

Tante Johanna und Onkel Adam warfen sich Blicke zu. Sie taten ahnungslos.

»Das verstehe, wer will, wir nicht! Stimmt’s ,Adam?«

»Hanna, ich tappe genauso im Dunkeln, wie du.«

Johanna Reiter bat Monika, ihnen die Sache zu erklären.

Monika wurde rot und schob sich verlegen die Haare hinter die Ohren. Zögerlich und mit vielen Unterbrechungen, wobei sie um jedes Wort rang, erzählte sie von Alexander und den Ereignissen in Waldkogel. Sie fing damit an, dass Pauls Zahnspange zerbrochen war und sie ihm half.

»Toni und Anna hatten eingefädelt, dass ich zur Reparatur die verwaiste Kirchnerpraxis benutzen konnte. Ich wäre nie dorthin gegangen, wenn ich gewusst hätte, ich würde dort Alexander begegnen. Ihr wisst schon.«

Ihre Tante schmunzelte.

»Das heißt für mich übersetzt, dass du dich in diesen Alexander verliebt hast. Moni, komm! Du kannst doch offen mit uns sprechen, wie du es immer getan hast. Was ist dein Problem?«

Monika seufzte.

»Es ist die Praxis. Ich hätte mich Alexander sofort an den Hals geworfen, wenn es diese Praxis nicht gäbe.«

Sie seufzte wieder.

»Ich habe mir geschworen, Privates und Berufliches zu trennen. Ich habe mit Jürgen meine Erfahrung gemacht, wie ihr wisst, und mir geschworen, mich nie mehr auf so etwas einzulassen.«

»Aber das tust du doch nicht, Moni Madl«, sagte ihr Onkel mit Nachdruck. »Dieser Alexander ist doch kein Zahnarzt, wenn ich dich richtig verstanden habe.«

»Schon, aber es gibt die verwaiste Praxis. Alexanders Onkel hat sie mir angeboten. Die Praxis wäre die Chance für mich. Außerdem habe ich bei meinem Vortrag und den Untersuchungen nachher viele Leute kennengelernt, die zu mir in die Sprechstunde kommen würden. Die Walkdkogeler muss man einfach ins Herz schließen.«

»Verstehe! Ich fasse zusammen: Wenn es Alexander nicht gäbe, würdest du dir ernsthaft überlegen, diese Praxis weiterzuführen?«

»Es ist eine einmalige Chance. Mir gefällt Waldkogel. Es ist traumhaft dort. Und sie haben keinen Zahnarzt mehr, seit Alexanders Onkel die Praxis aus Gesundheitsgründen aufgegeben hat. Dann und wann hält er eine Sprechstunde ab, aber das ist außerhalb eines regelmäßigen Betriebs.«

Adam sah seine Frau an.

»Johanna, ich finde, das klingt alles sehr, sehr gut. Was meinst du dazu?«

»Richtig, Adam! Moni hat mehrere Möglichkeiten. Sie kann sich nur für ihn entscheiden, für die Praxis ohne ihn – oder für ihn und die Praxis. Es kommt darauf an, was ihr Herz ihr rät.«

Johanna lächelte Monika an.

»Wie ist es, Moni?«

Monika zuckte mit den Schultern. Sie rutschte unruhig im Korbsessel hin und her. Sie erzählte von dem Gespräch im Auto.

»Ich ärgere mich über mich. Es war blöd, einfach davonzustürzen. Wenn man es genau nimmt, war es ein Heiratsantrag ..., oder nicht?«

»So kann man es sehen, auch wenn der Antrag nicht sehr romantisch war. Habt ihr vorher schon einmal über Liebe gesprochen?«

»Tante, ich habe von Jürgen erzählt.«

»Moni, das meine ich nicht. Wie war es mit Händchenhalten? Habt ihr euch geküsst und so weiter?«

Monika errötete und schüttelte den Kopf. Sie seufzte.

»Klar hat es zwischen uns geknistert. Aber ich achtete streng darauf, dass alles auf einer freundschaftlichen Ebene blieb. Ich bin mir eben noch unsicher.«

»Unsicher, was Alexander betrifft? Unsicher bezüglich deiner Gefühle oder wegen der Praxis?«

»Ich weiß gar nicht, wie ich es euch erklären soll. Warum musste ich mich in Alexander verlieben? Warum gibt es auf dem Kirchner Hof die verwaiste Praxis? Warum, warum, warum? Es wäre so einfach für mich, wenn es diese Praxis nicht gäbe.«

»Moni, es reicht! Benimm dich endlich erwachsen«, herrschte Tante Johanna sie an. »Du jammerst wie ein unmündiges Kind. Wenn, wenn, warum, warum, warum? Das ist doch alles Unsinn. Lieben ist eine Herzenssache und hat nichts mit Überlegungen und mit dem Kopf zu tun. Und wenn du dir selbst böse bist, dann hast du allen Grund dazu. Du bist auf Abstand gegangen. Warum hast du es versäumt, offen mit ihm über die Gedanken und Gefühle zu reden, die dich bewegen? Bei ihm müssen sich eine Menge Gefühle aufgestaut haben. Sie sind sicher vorhin einfach aus ihm herausgebrochen. Dafür kannst du ihn nicht allein verantwortlich machen.«

»Warum nimmst du ihn in Schutz?«, fragte Monika ärgerlich.

»Weil ich dich kenne, Kindchen. Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich verhalten hast. Wenn es nicht notwendig war, wegen der Kletterei oder so, hast du jeden Körperkontakt vermieden. Du hast deine Hände in die Taschen deiner Jacke oder Hose vergraben. Das ist typisch für dich. Es gehört zu deiner Körpersprache. Jedenfalls hast du es ihm schwer gemacht. Wie sollte er mit dir Händchen halten? So fängt das Anbändeln nun mal an. Das war früher so und ist heute noch so.«

»Ihr versteht mich nicht«, sagte Monika.

»Wir verstehen dich besser, als du denkst.«

»So, meinst du, Onkel Adam?«

»Ja, Moni. Dir ist das Glück in den Schoß gefallen. Das ist dir bewusst. Du bist in einen Mann verliebt, der zufällig die verwaiste Praxis seines Onkels mit in die Ehe bringen kann. Ich sage bewusst bringen kann. Du bist nicht verpflichtet, sie zu übernehmen. Aber die Praxis reizt dich. Warum auch nicht? Gib es endlich zu!«

Monika errötete.

»Ja, schon, und Waldkogel gefällt mir auch.«

»Vielleicht wäre es klüger«, sagte Onkel Adam, »du übernimmst die Praxis zuerst. Das ist ein einfacher wirtschaftlicher Vorgang. Du hast doch immer davon geträumt, eine eigene Praxis zu haben. Also packe zu! Solltest du eine größere Summe benötigen, dann greifen wir dir finanziell unter die Arme. Du bist ohnehin unsere Erbin, da wir keine Kinder haben. Außerdem soll man mit warmem Händen geben und nicht mit kalten. Was meinst du dazu, Hanna?«

»Da bin ich ganz deiner Meinung, Adam. Moni, mit Jürgen hast du eine schlimme Erfahrung gemacht, das haben wir verstanden. Wenn die Sache mit Jürgen weiter zurückliegen würde, wäre es vielleicht einfacher für dich. Das verstehen wir.«

Adam nickte ernsthaft.

»Moni«, fuhr Tante Johanna fort, »mein Rat ist einfach, dass du einen Schritt nach dem anderen machst. Dein Weg hat dich nach Waldkogel geführt. Dort brachte dich eine zerbrochene Zahnspange zur verwaisten Praxis. Von Alexander will ich jetzt mal gar nicht reden. Nimm mal an, du hättest dich spontan entschlossen, die Praxis zu übernehmen und dann erst hättest du Alex kennengelernt? Erst dann hättest du dich verliebt. In dem Zusammenhang hättest du erst erfahren, dass der alte Zahnarzt hofft, die Praxis an eine junge hübsche Zahnärztin weitergeben zu können und damit vielleicht auch seinen Neffen unter die Haube zu bringen.«

»Es gab viele junge hübsche Zahnärztinnen, die an der Praxis und Alex interessiert waren. Er hat mir von ihnen erzählt. Jedes Mal waren die Angebote ihm gegenüber eindeutig, und er suchte das Weite.«

»Er hätte dir davon nicht erzählen sollen«, sagte Adam.

Monika nahm Alexander in Schutz.

»Ganz Waldkogel weiß, dass der Alte seinen Neffen mit einer Zahnärztin verkuppeln will«, zischte sie.

»Das ist doch Schwachsinn, Monika. Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder eine kluge Wahl treffen, wenn sie heiraten, besonders wenn eine Firma vorhanden ist. Das ist normal. Das war schon immer so. Natürlich spielen da egoistische Gedanken mit hinein. Dieser Zahnarzt ist zwar nur der Onkel. Aber er mag Alexander sicherlich so, wie wir dich mögen. Seine Ehe ist kinderlos wie unsere. Und wenn er mit Leib und Seele Zahnarzt war, dann hat er sicher gehofft, dass Alexander in seine Fußstapfen tritt. Das kann ich gut verstehen. Alexander ist seinen eigenen Weg gegangen und wurde kein Zahnarzt. Ich denke, Alexander hätte sicherlich Verständnis für deinen inneren Konflikt. Ich kann dir nur den Rat geben, mit ihm zu sprechen.«

»Schon ...«, brummte Monika. »Es fällt mir nur schwer, nachdem ich mich so benommen habe. Jetzt weiß ich, dass ich hätte anders reagieren müssen. Mir fallen unzählige Möglichkeiten ein. Ich hätte sagen können: Das war doch jetzt wohl ein Scherz? Mit so etwas macht man keine Witze! Wie meinst du das? War das jetzt ein Antrag?«

»Die Suppe, die man sich eingebrockt hat, die muss man auch auslöffeln, Moni. Zumindest solltest du dich für dein Verhalten entschuldigen und zwar so schnell wie möglich. Schiebe es meinetwegen auf den Marathon, auf einen zu niedrigen Flüssigkeitsspiegel in deinem Körper. Dir wird etwas einfallen. Dein Gehirn hat einfach ausgesetzt«, sagte Tante Johanna.

Monika sah auf die Uhr. Dann stand sie auf und lief zum Gartentor.

»Er ist nicht gekommen. Eine Nachricht hat er auch nicht geschickt. Wir hatten vereinbart, dass er mich in zwei Stunden abholt. Wir waren mit seinem Auto nach München gekommen. Mein Auto steht noch auf der Oberländer Alm.«

»Was meinst du, wollen wir alle nach Waldkogel fahren?«

»Danke, fürs Angebot«, sagte sie nachdenklich.

Sie stand auf und ging, die Hände in den Hosentaschen, eine Weile auf der Terrasse auf und ab.

»Okay«, sagte sie laut. »Ich weiß, was ich mache. Aber so wie ich bin, kann ich mich nicht unter die Leute trauen. Ich ziehe mich um. Dann nehme ich mir ein Taxi. Ich habe hier in München noch etwas zu erledigen.«

Adam und Johanna Reiter nickten. Sie ahnten, dass Monika nicht gefragt werden wollte.

»Fein!«, sagte Onkel Adam. »Unser Angebot steht. Wir fahren dich nach Waldkogel, wann immer du willst.«

»Danke, und jetzt muss ich mich beeilen«, rief sie und lief in ihre Wohnung.

Es dauerte nicht lange, dann kam sie und bat ihren Onkel um die Autoschlüssel seines Autos. Er warf sie ihr zu. Monika eilte davon.

*

Es war schon fast dunkel, als Alexander die Berghütte erreichte. Anna wischte auf der Terrasse die Tische ab. Toni stand hinter dem Tresen und spülte Gläser. Der alte Alois war schon in seine Kammer gegangen.

Alexander stellte sich an den Tresen. Toni sah mit einem Blick, dass etwas passiert sein musste.

»Du siehst net gut aus, Alex. Wie war der Marathon? Und wo ist Moni?«

»Wo Moni ist?«, wiederholte Alex und zuckte mit den Schultern.

Wortlos schenkte ihm Toni einen großen Obstler ein. Alexander trank ihn auf einen Zug aus.

»Besser?«, fragte Toni.

»Ich möchte am liebsten eine Flasche austrinken, damit ich alles vergesse. Ich wollte, ich hätte einen Filmriss seit heute Mittag und könnte mich an nichts erinnern. Aber das ist nicht möglich. Ich werde irgendwie darüber hinwegkommen müssen.«

Toni trocknete sich die Hände ab. Er zapfte zwei Bier.

»Los, wir setzen uns, und dann redest du!«

Anna kam mit einem Becher Tee und setzte sich dazu.

»Also, was ist geschehen?«

»Ich habe Monika einen Heiratsantrag gemacht und einen Reinfall erlebt. Sie ist davongelaufen. Das war es schon. Ende! Aus! Vorbei!«

Toni und Anna warfen sich fragende Blicke zu.

»Also erst mal Prost«, sagte Toni und trank.

»So und jetzt will ich wissen, was passiert ist und zwar ganz genau.«

Alexander trank einen Schluck. Er wischte sich den Schaum von der Oberlippe. Er zögerte noch einen Augenblick, dann erzählte er in allen Einzelheiten von dem Gespräch mit Monika.

»Sie ist einfach davongerannt«, schloss er, »ohne sich nur noch einmal umzudrehen. Ihr wisst doch, wie das ist mit dem Umdrehen. Also, sie hat kein Interesse an mir. So ist es. Es tut weh, gestehe ich euch.«

Toni schüttelte den Kopf. Anna seufzte.

»Alex«, ergriff Toni das Wort, »ich weiß, dass du es ernst gemeint hast. Anna und ich wissen auch, dass du ihr sehr gefällst. Du, des Madl mag dich wirklich. Die Moni hat sich in dich verliebt.«

»Das glaube ich nicht, Toni. Dieses Mal liegst du falsch. Ich habe auch falsch gelegen. Ich dachte, ich lese in ihren Augen, dass sie in mich verliebt ist. Dass sie trotzdem Abstand hielt, damit konnte ich leben. Schließlich hatte sie sich gerade erst von diesem Jürgen getrennt. Sie brauchte Zeit, das zu verarbeiten. So übte ich mich in Geduld. Ich habe mich wohl geirrt. Es tut weh. Aber was nicht ist, ist nicht.«

»Schmarrn! Dein Antrag war nicht gerade romantisch.«

»Aber es war doch genau der richtige Augenblick. Sie gesteht mir, dass sie Kinder liebt, dass ihre biologische Uhr tickt, dass sie Angst hat wegen ihres Alters kinderlos zu bleiben und so weiter. Da brach bei mir der Damm. Versteht ihr?«

»Mei, Alex, sicher verstehen wir. Aber du hast die falschen Worte gewählt.«

»Es ist mir so herausgerutscht. Ich habe es aber ernst gemeint. Sie hatte mir erklärt, dass sie erst jemanden finden müsse, der ihr gefällt und mit dem sie sich versteht. Darüber würden Jahre vergehen. Da machte es einfach peng, und ich habe alles gewagt. Hinterher ist man immer schlauer. Dann fielen mir tausend Möglichkeiten ein, was ich hätte sagen können.«

Toni grinste.

»Zuerst hättest du ihr sagen müssen, dass du sie liebst. Und dann ihre Hand ergreifen oder ihre Wange streicheln und ihr tief in die Augen sehen.«

»Ja, das weiß ich. Ich war ungeschickt und total bescheuert. Ich konnte nicht mehr denken. Und jetzt ist es aus.«

Toni brach in schallendes Gelächter aus.

»Was soll das? Frag mal Anna, wie das bei uns war! Sie hat mich richtig angegiftet.«

Anna lachte und streichelte Toni die Wange.

»Ja, so war es, Alex. Eine Ablehnung bedeutet nicht immer eine Ablehnung. Toni hat sich davon nicht einschüchtern lassen.«

Alexander zuckte mit den Schultern. »Ihr meint, ich sollte es noch einmal versuchen?«

»Natürlich sollst du das, Alex. Dass es kompliziert mit euch ist, das haben wir mitbekommen. Da war einerseits ein Glitzern in euren Augen, das nur Verliebte haben. Andererseits haben wir uns gewundert, dass ihr euch nie geküsst habt.«

»Das haben wir auch nicht. Ich habe Signale ausgeschickt, aber Monika tat, als würde sie sie nicht erkennen. Wollte sie nicht? Hatte sie sie nicht deuten können? Will sie doch einen Zahnarzt? Ich hätte auf meinen Onkel hören und Zahnmedizin studieren sollen. Wenn ich hätte in die Zukunft schauen können, hätte ich es getan.«

»Hör auf, so einen Schmarrn von dir zu geben! Das ist alles Unsinn. Erstens belügst du dich selbst. Wenn Monika nur einen Zahnarzt gewollt hätte, hätte sie sich mit ihrem Ex, dem Jürgen, zusammengetan. Das ist schon mal eine Tatsache. Monika geht es um Liebe, nur um Liebe.«

Anna gab Alexander den Rat, mit Monika zu sprechen.

»Entschuldige dich für deinen missglückten Versuch, ihr zu sagen, dass du gern der Vater ihrer Kinder sein möchtest. Schiebe den heftigen Gefühlsausbruch auf die zurückgehaltenen Gefühle. Frage sie einfach, ob sie deine Liebe erwidert. Ich sage dir, sie liebt dich. Ihr müsst euch aussprechen, Alex! So kannst du das nicht stehen lassen. Wenn du nicht mit ihr sprichst, wird es dich dein ganzes Leben lang verfolgen. Es ist dann wie bei einem Buch, bei dem die letzten Seiten fehlen. Du hast den Roman gelesen und weißt nicht, wie er zu Ende geht. Also handle, Alex!«

Alexander lehnte sich im Schaukelstuhl zurück und wippte einige Male nervös hin und her.

»Ja, ihr habt recht. Ich werde mit ihr reden. Habt ihr etwas dagegen, wenn ich hier auf der Berghütte bleibe, bis sie kommt?«

»Du kannst gern bleiben. Zwar sind alle Kammern belegt, aber du kannst auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen«, sagte Toni. »Das ist bequemer, als auf dem Hüttenboden.«

Alexander bedankte sich.

»Irgendetwas stimmt nicht mit Monika. Es ist nicht nur, dass sie fortgelaufen ist. Mir gelingt es auch nicht, sie zu uns einzuladen. Auch an dem Tag, als sie den Vortrag hielt, wand sie sich heraus. Anders kann ich es nicht beschreiben. Warum?«

Toni und Anna sahen sich an. Sie wussten, dass die Verknüpfung zwischen der freien Praxis und der Liebe zu Alexander Monika Kopfschmerzen verursachte. Sie waren der Meinung, dass das völlig unnötig war. Ohne sich abgesprochen zu haben, sprachen Toni und Anna dieses Thema nicht an. Monika musste es ihm selbst sagen.

Die nächste Stunde saßen sie am Kamin. Alexander schwärmte von Monika, gleichzeitig jammerte er unentwegt. Anna und Toni brachten viel Geduld auf.

»So, und jetzt gibt es nix mehr zu sagen, Alex«, sagte Toni. »Erst musst du mit Monika sprechen. Wir gehen jetzt schlafen. Ich nehme an, Moni kommt erst Morgen. Sie wird bei ihren Verwandten übernachten.«

Sie tranken aus und gingen schlafen.

Alexander war sehr aufgewühlt. Eine Weile wälzte er sich unruhig hin und her. Dann stand er auf, zog sich an und ging hinaus auf die Terrasse.

Es war eine wolkenlose Nacht und sehr mild. Es wehte ein leichter warmer Wind über die Berge. Er kam aus dem Süden. Alexander trat ans Geländer und schaute in den Nachthimmel. Die Sterne glitzerten wie geschliffene Diamanten. Es war fast Vollmond. Die Berge hoben sich schwarz und mächtig gegen den Himmel ab.

Seine Augen blieben am hell schimmernden Gipfelkreuz des ›Engelssteigs‹ hängen. Er erinnerte sich an Nächte aus seiner Kindheit. Als er noch ein kleiner Bub war, hatte er sich nachts oft auf den Balkon geschlichen. Mit seinem Fernglas hoffte er einen Blick auf die Engel vom ›Engelssteig‹ zu erhaschen. Wie allen Kindern in Waldkogel war ihm von seinen Eltern und Großeltern vermittelt worden, dass die Engel vom ›Engelssteig‹ einen besonders gütigen Blick auf jeden im Tal hätten. Ihnen konnte man vertrauen. Mit ihnen konnte man sprechen wie mit einem guten Freund. Die ihnen anvertrauen Sorgen und Nöten würden sie hinauf in den Himmel bringen. Alexander erinnerte sich an die Bilder, die er gemalt hatte. Er hatte den Gipfel des Engelssteigs gemalt. Neben dem großen Gipfelkreuz zeichnete er eine Holzleiter, deren oberstes Ende in den Wolken verschwand. Auf dieser Leiter stiegen die Engel empor. Zwischen den Flügeln trugen sie schwere Rucksäcke, die ihnen ein Fliegen unmöglich machten. Die Säcke waren prall gefüllt mit den Sorgen und Nöten, dem Kummer und den Gebeten der Menschen. Sie schleppten sie hinauf zum Herrgott, der die große Versammlung im Himmel leitete. Daran nahmen sein Sohn Jesus, seine Mutter, die heilige Maria, alle Heiligen und Seligen teil. Alexander lächelte, als er sich erinnerte, wie er diese Szenerie am oberen Blattrand festgehalten hatte.

Ein tröstliches Gefühl stieg in ihm auf. Es kam tief aus seinem Herzen, dorther, wo jeder Mensch die guten und schönen Erinnerungen der Kindheit bewahrt.

Alexander legte den Kopf zurück. Während er das Gipfelkreuz nicht aus den Augen ließ, schickte er all die Sehnsüchte, die ihn plagten und die Unsicherheit über Monikas Davonlaufen hinauf. Er erzählte den Engeln von seiner tiefen Liebe zu Monika. Er legte den göttlichen Boten seine Verzweiflung dar. Ich will sie nicht verlieren. Ich liebe sie. Ich war davon überzeugt, dass sie mich auch liebt. Warum lief sie so entsetzt davon, fragte er die Engel.

So ging das eine ganze Weile. Alexander setzte sich auf einen Stuhl und verschränkte die Arme. Er dachte nach. In Gedanken liefen die Wochen, in denen er so viel mit Monika unternommen hatte, wie ein Film vor seinem geistigen Auge ab.

»Es war die schönste Zeit in meinem Leben«, flüsterte er. »Oh, Monika, ich habe dich so lieb!«

Sein Herz war wund vor Schmerz.

Alexander schaute hinüber auf die andere Seite des Tales. Dort reckte sich der Unheilsberg gegen den Nachthimmel. Er sah bedrohlich aus. Trotz des Mondlichtes konnte Alexander den Gipfel nicht erkennen. War er in eine unheimliche Wolke gehüllt? Alexander seufzte. Wenn etwas Schlimmes passierte, stand eine schwarze Wolke über dem Gipfel. Dann war der Satan aus dem Tor auf dem Gipfel getreten und schaute sich um. Deshalb trug der Berg auch den Namen ›Höllentor‹. Alexander erinnerte sich deutlich an die mahnenden Worte, die den Kindern gesagt wurden, wenn es um das Höllentor ging. Der Berg war gefährlich und deshalb für jede sportliche Aktivität gesperrt. Sein Gestein war weich und porös. Immer wieder kam es zu folgenschweren Erdrutschen. Als Erwachsener hatte Alexander alles als Märchen abgetan. Er war überzeugt gewesen, dass sie nur etwas für Kinder waren.

In dieser Nacht aber, mit dem Kummer im Herzen, war ihm die Bedrohung seiner Liebe bewusst.

»Moni, ich liebe dich so!«, flüsterte er wieder und wieder.

Bello, der Neunfundländerrüde, der vor dem Kamin gelegen hatte, kam auf die Terrasse und schmiegte sich an Alexander.

Alex streichelte ihn.

»Willst du mir sagen, dass ich mich endlich schlafen legen soll, Bello? Du hast recht, ich sollte versuchen, Ruhe zu finden. Morgen will ich mit Moni sprechen. Dazu brauche ich einen klaren Kopf und muss ausgeschlafen sein.«

Alexander ging in die Berghütte. Als er die Tür zum Wohnzimmer schließen wollte, drängte sich Bello dazwischen. Sanft schob ihn Alexander zurück in den Wirtsraum und machte die Tür zu.

Dann legte er sich hin. Seine Gedanken kreisten immer noch um Monika. Er überlegte, wie er sie ansprechen sollte. Da musste jedes Wort sorgfältig gewählt werden. Er grübelte und grübelte und schlief dann doch irgendwann ein.

*

Doktor Clemens Kirchner stand neben der Einfahrt zum Grundstück. Er winkte Monika herein, als sie mit dem Auto ankam.

»Hier rein!«, rief er laut und zeigte in Richtung der Einfahrt.

Monika setzte den Blinker, bog auf das Grundstück ab, hielt und stellte den Motor ab.

»Ein herzliches Grüß Gott, Frau Kollegin!«, sagte Doktor Kirchner.

Galant bot er Monika Hilfe an, beim Aussteigen.

»Grüß Gott! Wohl ganz Kavalier der alten Schuhe?«, lachte Monika.

Sie schüttelten sich die Hände.

Doktor Kirchner bat sie ins Haus.

Im Wohnzimmer des Einfamilienhauses wurde Monika herzlich von Alma begrüßt, Doktor Kirchners Ehegattin. Auf einem niederen Tisch standen ein Imbiss und verschiedene Getränke. Monika nahm in einem Sessel Platz.

»Bier, Wein, Saft, Kaffee?«, fragte Alma Kirchner.

»Danke, ich nehme einen Saft«, antwortete Monika.

Dabei stellte sie fest, wie belegt ihre Stimme war. Sie räusperte sich.

Alma schenkte Saft ein und reichte ihr das Glas.

Doktor Kirchner trank Bier, und seine Frau Wein.

»Wir waren etwas überrascht, als vorhin das Telefon läutete und Sie ihren Besuch ankündigten. Wir dachten, Sie wären mit Alexander zu der großen Party gegangen. Es findet am Abend des Marathons doch immer ein großes Fest statt«, bemerkte Doktor Kirchner.

»Das hatten wir auch vor, aber dann hatte ich andere Pläne.«

»Oh, dann wird Alexander betrübt sein«, sagte Alma.

Monika hatte rote Wangen. Man sah ihr an, dass sie sehr aufgeregt war. Verlegen schlug sie die Augen nieder.

»Ich denke, ich werde Alexander morgen in Waldkogel sehen«, sagte Monika. »Ich habe meine Tante und meinen Onkel besucht. Ich bin ihr Liebling und wohne bei ihnen, seit ich nach dem Abitur nach München gekommen bin. Aber wir hatten schon immer ein sehr inniges Verhältnis. Sie haben mich gebeten, Sie aufzusuchen, Herr Kollege«, flunkerte Monika gekonnt. »Ich gestehe, Tante Johanna, sie wird Hanna gerufen, und Onkel Adam haben mir etwas Druck gemacht. Ich habe ihnen von der Praxis erzählt. Jetzt meinen sie, das sei etwas für mich.«

»Natürlich ist es etwas für dich«, rief Doktor Kirchner aus. »Ach, jetzt bin ich zum Du gewechselt. Lassen wir es dabei, wenn es dir recht ist?«

»Gern! Ich bin Monika!«

»Clemens!«

»Und ich bin die Alma«, ergänzte seine Frau.

Sie prosteten sich zu und tranken.

»Ich war bei deinem Vortrag«, sagte Clemens, »und habe dich danach in der Praxis beobachtet. Du bist einfühlsam auf die Patienten eingegangen, besonders auf die Kinder, Monika.«

»Dass ich so viele Kiefer und Zähne inspiziere, war eigentlich nicht vorgesehen gewesen.«

»Das war es auch nicht. Dir sind die Herzen der Waldkogeler nur so zugeflogen. Sie haben dir sofort vertraut. Doch warum hast du dich danach so schnell verabschiedet? Du hast deinen Kittel ausgezogen, ›Pfüat di‹ gesagt und fort bist du gewesen«, sagte Clemens.

Monika errötete.

»Ich hatte Angst, dass die Frage gestellt würde, ob ich die Praxis übernehme.«

Clemens schmunzelte.

»Das hatte ich vor, ich gebe es zu. Wir waren alle sehr enttäuscht, dass du so schnell gegangen bist.«

»Es tut mir leid. Aber die allgemeine Zuneigung und der Erfolg haben mich tief berührt. Ich hatte für mich noch keine Entscheidung getroffen.«

»Hast du sie jetzt getroffen?«, fragte Clemens.

Toni der Hüttenwirt 260 – Heimatroman

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